Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbegriff im Bau- und Isoliergewerbe
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 3 AZR 486/96 –
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe § 7
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. März 1996 – 9 (11) Sa 1101/95 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 23. August 1995 – 8 Ca 886/95 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.237,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 19. April 1995 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger für seine Tätigkeit auf dem Werksgelände der BASF AG in Ludwigshafen im Januar und Februar 1995 die Erstattung von Fahrtkosten sowie Mehraufwandsentschädigungen verlangen kann.
Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Unternehmen des Isoliergewerbes. Sie unterhält in der I. in Ludwigshafen eine Niederlassung, deren Betreuungsgebiet die gesamte Pfalz, den Rhein/Neckar-Raum, Rheinhessen sowie Südhessen bis zur Höhe Darmstadt und Nordbaden umfaßt. In dieser Niederlassung ist auch die Abteilung technischer Wärmeschutz angesiedelt, deren Abteilungsleiter ein Herr K. ist, der auch für die Einstellung von Arbeitskräften in der Niederlassung zuständig ist.
Etwa sieben bis acht Kilometer vom Sitz der Niederlassung entfernt befinden sich auf dem Werksgelände der BASF AG seit mehr als 30 Jahren verschiedene betriebliche Einrichtungen der Beklagten: Zum einen in der Nähe des BASF-Betriebsgebäudes … Büro-, Werkstatt- und Sozialräume, die in mobilen, auf einer Betonplatte abgesetzten Containern untergebracht sind; zum anderen an verschiedenen Baustellen auf dem Werksgelände mehrere mobile Container, die von den Mitarbeitern während der Arbeitspausen aufgesucht werden. Im Stützpunkt beschäftigte die Beklagte zwei Angestellte und einen Arbeiter, die gegenüber den auf dem Betriebsgelände beschäftigten Arbeitnehmern der Beklagten weisungsbefugt sind. In welcher Häufigkeit – ob mindestens zwei- bis dreimal wöchentlich oder äußerst selten – auch der Abteilungsleiter K. den Stützpunkt aufsucht, ist zwischen den Parteien umstritten.
Auf dem Gelände der BASF AG sind je nach Arbeitsanfall zwischen 30 und 70 Arbeitnehmer eingesetzt, die das Werksgelände zum Arbeitsantritt unmittelbar von zu Hause aus aufsuchen. Sie erledigen Aufträge, welche die Beklagte und zwei mit ihr in einer Arbeitsgemeinschaft verbundene andere Isolierunternehmen von der BASF auf der Grundlage eines Rahmenvertrages erhalten.
Der 56 Jahre alte Kläger ist seit dem 3. September 1956 für die Beklagte tätig. Er ist in der Niederlassung I. in Ludwigshafen eingestellt worden. Ein fester Arbeitsort ist mit ihm nicht vereinbart worden. Der Kläger ist von der Beklagten ausschließlich auf Baustellen bei der BASF AG beschäftigt worden. Die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und dem Firmengelände der BASF AG beläuft sich auf 26 Kilometer.
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte, die bislang an die Arbeitnehmer, die für sie auf dem Werksgelände der BASF AG gearbeitet hatten, stets die Fahrtkosten und die Mehraufwandsentschädigungen nach Tarifvertrag abgerechnet und ausgezahlt hatte, hierzu auch im Januar und Februar 1995 gegenüber dem Kläger verpflichtet war. Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, daß dem Kläger insoweit nach Tarifvertrag 1.937,– DM zustünde, wovon die Beklagte nur 700,– DM brutto gezahlt hat.
Ziff. V des kraft beiderseitiger Tarifbindung geltenden Tarifvertrages für das wärme-, kälte- und schallschutztechnische Gewerbe (Isoliergewerbe) vom 24. Juli 1987 in der Fassung vom 27. September 1990 und 19. Mai 1992 lautet:
„§ 7 Nr. 3 BRTV wird durch folgende Regelung ersetzt:
Der Arbeitnehmer, der auf einer mindestens 6 Kilometer von seiner Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und dem kein Auslösungsanspruch gem. § 7 Nr. 4.1 BRTV zusteht, hat Anspruch auf Fahrtkosten- und Mehraufwandsabgeltung.”
Der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) bestimmt in § 7.4.1, daß Arbeitnehmer, die auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig sind, die mehr als 25 Kilometer vom Betrieb entfernt ist und denen die tägliche Rückkehr zur Wohnung nicht zuzumuten ist, für jeden Kalendertag, an dem die getrennte Haushaltsführung hierdurch verursacht ist, Anspruch auf eine Auslösung haben. Den für den Anspruch auf Fahrtkosten und Mehraufwandsabgeltung nach § 7.3 BRTV-Bau und Auslösung nach § 7.4.1 BRTV-Bau hiernach in gleicher Weise wichtige Betriebsbegriff wird in § 7.2.2 BRTV-Bau definiert:
„Als Betrieb gilt die Hauptverwaltung, die Niederlassung, die Filiale, die Zweigstelle oder die sonstige ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird. Wird der Arbeitnehmer auf einer Bau- oder Arbeitsstelle eingestellt, so gilt die nächstgelegene Vertretung des Arbeitgebers als Betrieb.”
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, er sei während der Zeit seiner Tätigkeit auf dem Werksgelände der BASF AG auf Baustellen der Beklagten und nicht innerhalb des Betriebes der Beklagten eingesetzt worden. Daß diese Baustellen nicht zum Betrieb der Beklagten gehörten, ergebe sich daraus, daß die BASF AG die Vertragsbeziehungen mit der Beklagten jederzeit kurzfristig beenden könne, daß die auf dem Werksgelände installierten Container mobil und damit auch jederzeit abbaubar seien sowie daraus, daß die auf dem Werksgelände eingesetzten Arbeitnehmer der Beklagten keinen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf hätten, ausschließlich dort beschäftigt zu werden. Sie seien verpflichtet, auf jeder von der Beklagten zugewiesenen Baustelle tätig zu werden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.237,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, ein tarifvertraglicher Anspruch auf die geltend gemachten Zahlungen bestehe nicht, weil es sich bei dem Stützpunkt der Beklagten und den weiteren Arbeitsstellen auf dem Werksgelände der BASF AG um Teile des Hauptbetriebes handele, der von der Niederlassung in der I. in Ludwigshafen aus geleitet werde. Dorthin seien diese Baustellen organisatorisch zugeordnet. Für die Annahme eines einheitlichen Betriebes spreche auch, daß auf dem Werksgelände ständig weisungsbefugte Vorgesetzte anwesend seien und daß der Stützpunkt auf unbestimmte Zeit eingerichtet worden sei.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Kläger auch für die Monate Januar und Februar 1995 die Erstattung von Fahrtkosten und die Zahlung von Mehraufwandsentschädigungen nach Ziff. V des Tarifvertrages für das Isoliergewerbe in Verb. mit § 7.2.2 BRTV-Bau in Höhe von 1.237,60 DM brutto verlangen.
I. Der Kläger hat während seines Einsatzes auf dem Gelände der BASF in Ludwigshafen auf einer mindestens sechs Kilometer von seiner Wohnung entfernten Baustelle außerhalb des Betriebes gearbeitet, in dem er eingestellt worden ist.
1. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger in der Niederlassung der Beklagten in Ludwigshafen, I., eingestellt worden. Dieser Betrieb im Sinne von § 7.2.2 BRTV-Bau ist nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses.
2. Bei dem Einsatzort des Klägers auf dem Gelände der BASF handelt es sich um eine Baustelle im Sinne des Tarifvertrages. Die Beklagte läßt auf dem Gelände ihrer Auftraggeberin mit eigenem, dort organisatorisch zusammengefaßten Personal auf der Grundlage von Rahmenverträgen Werkaufträge der BASF erledigen.
3. Diese Baustelle befindet sich auch außerhalb des Betriebes der Beklagten mit Sitz in Ludwigshafen, I.
a) Das Landesarbeitsgericht hat den gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Der Stützpunkt und die einzelnen Arbeitsstellen auf dem Gelände der BASF seien Teil des Betriebes I. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung die Auslegung von § 7.2.2 BRTV-Bau zugrunde gelegt, die der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinen Urteilen vom 2. Oktober 1990 (– 4 AZR 132/90 – AP Nr. 136 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; bestätigt durch Urteil vom 13. Juni 1991 – 4 AZR 454/90 –, n.v.) und vom 10. März 1993 (– 4 AZR 205/92 – AP Nr. 165 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) vorgenommen hat.
In seinem Urteil vom 10. März 1993 (aaO) hatte der Vierte Senat seine in den vorangegangenen Entscheidungen erzielten Auslegungsergebnisse auf einen Sachverhalt angewendet, der dem nunmehr zur Entscheidung stehenden im wesentlichen entsprach. Dabei ging der Vierte Senat davon aus, daß es neben Baustellen außerhalb des Einstellungsbetriebes auch Baustellen gebe, die zu diesem Betrieb gehörten, so daß die dort eingesetzten Arbeitnehmer keine Abgeltungsansprüche hätten. Für eine Baustelle innerhalb des Betriebes spreche eine geringe räumliche Entfernung vom Sitz der Betriebsleitung, wenn diese jederzeit in der Lage sei, dort Aufsichts- und Weisungsbefugnisse wahrzunehmen, sowie der Umstand, daß die Baustelle auf Dauer eingerichtet worden sei und eigenständige Einrichtungen für die Beschäftigten beinhalte, die ausschließlich für die arbeitstechnischen Zwecke des Arbeitgebers eingesetzt würden. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, sei es nicht von entscheidender Bedeutung, daß sich die Baustelle auf fremden Grund und Boden befinde.
b) Der Senat, der nunmehr allein für die Auslegung von Tarifverträgen der Privatwirtschaft im hier interessierenden Zusammenhang zuständig ist, folgt dieser Rechtsprechung des Vierten Senats nicht. Für den Begriff des Betriebes nach § 7.2.2 BRTV-Bau kommt es nicht auf die organisatorisch-funktionalen Elemente an, die im Betriebsverfassungsrecht maßgeblich sind. Es geht den Tarifvertragsparteien darum, einen räumlichen Ausgangspunkt des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen. Von ihm aus ist zu beurteilen, ob und welche Mehraufwendungen einem Arbeitnehmer im Baugewerbe zu erstatten sind, der typischerweise auf auswärtigen Baustellen eingesetzt wird. Bei solchen Einsätzen bleiben die organisatorischen Verbindungen zum entsendenden Betrieb regelmäßig erhalten. Käme es auf sie an, wäre ein Anspruch auf Mehraufwandsabgeltung im Baugewerbe regelmäßig ausgeschlossen. Die Tarifverträge für das Baugewerbe und das Isoliergewerbe wollen erkennbar etwas anderes. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer am Sitz des Betriebes beschäftigt wird, in dem er eingestellt worden ist, soll kein Anspruch auf Aufwandsabgeltung bestehen. Ein Bauarbeiter steht dann nicht anders da als jeder andere Arbeitnehmer mit einem festen Arbeitsplatz. Sobald ein Arbeitnehmer des Baugewerbes aber auf einer Arbeitsstelle oder einer Baustelle außerhalb des Betriebes eingesetzt wird, also räumlich vom Betrieb getrennt, entsteht der Abgeltungsanspruch. Den Tarifvertragsparteien kommt es dabei erkennbar auch nicht darauf an, wie weit die Baustelle vom Betriebssitz entfernt ist. Der Abgeltungsanspruch entsteht bei Überschreitung einer bestimmten Mindestentfernung der Arbeitsstelle von der Wohnung des Arbeitnehmers, nicht vom Betriebssitz. Es ist deshalb allein entscheidend, daß es sich bei dem Einsatzort um eine vom Einstellungsbetrieb räumlich getrennte Arbeits- oder Baustelle handelt.
c) Da der Kläger im Januar und Februar 1995 auf einer von seinem Einstellungsbetrieb I. räumlich getrennten Baustelle gearbeitet hat, war er im Tarifsinne außerhalb dieses Betriebes tätig.
Daß es sich bei den Aktivitäten der Beklagten auf dem Gelände der BASF um eine Dauerbaustelle handelt, ist ohne tarifrechtliche Bedeutung. Dieser Umstand hätte nur dann einen Anspruch auf Fahrtkosten- und Mehraufwandsabgeltung ausgeschlossen, wenn es sich zugleich um eine Zweigstelle oder sonstige ständige Vertretung der Beklagten, also einen Betrieb im Sinne von § 7.2.2 BRTV-Bau, gehandelt hätte und der Kläger in diesem Betrieb eingestellt worden wäre. Beides war nicht der Fall.
Ebensowenig spielt es eine Rolle, daß der Kläger während seines gesamten Vertragsverhältnisses auf dem Gelände der BASF gearbeitet hat. Voraussetzung für den Anspruch auf Mehraufwand ist nicht, daß ein Arbeitnehmer im Bau- oder Isoliergewerbe auf wechselnden Baustelle arbeitet, sondern daß sich die Baustelle, auf der er arbeitet, außerhalb des Betriebes befindet, in dem er eingestellt worden ist.
4. Da das Gelände der BASF in Ludwigshafen unstreitig mehr als sechs Kilometer von der Wohnung des Klägers entfernt ist, erfüllt er damit alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf Fahrtkosten- und Mehraufwandsabgeltung nach Ziff. V des Tarifvertrages für das Isoliergewerbe in Verb. mit § 7 BRTV-Bau.
II. Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, daß der Kläger, wenn er die tarifvertraglichen Voraussetzungen hierfür erfüllt, für die Monate Januar und Februar 1995 einen Anspruch auf Fahrtkosten- und Mehraufwandsabgeltung in Höhe von 1.937,– DM brutto hat, von dem die Beklagte nur 700,– DM brutto gezahlt hat. Den sich daraus ergebenden Differenzanspruch über 1.237,– DM brutto muß die Beklagte noch erfüllen und den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit nach §§ 288, 291 BGB verzinsen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Heither, Richter Kremhelmer ist an der Unterschrift wegen Kur verhindert. Dr. Heither, Bepler, Michels, Oberhofer
Fundstellen