Unternehmen entdecken Biodiversität
Es ist ein strahlend sonniger Tag. Kirsten Gulau und Michele Breitenstein begehen das Gelände der R+V Versicherung am Heidenkampsweg in Hamburg. Immer wieder bleiben sie stehen. Gulau macht Bilder von der dunkelroten Klinkerfassade und von der Bepflanzung am Rande des Parkplatzes. Sie fotografiert auch die Bodendecker, die zwischen den Gebäuden über der Tiefgarage ein Zuhause gefunden haben.
Gulau, Inhaberin des Hamburger Beratungsbüros Stadtnaturentwicklung, ist Expertin für arten- und klimaschutzfördernde Gebäude- und Freiraumkonzepte. Heute zeigt sie ihrem Begleiter, wie eine naturnahe Gestaltung der Außenflächen am Campus in Hamburg dazu beiträgt, Artenvielfalt zu fördern und das Klima zu schützen. Zwei Stunden dauert der Rundgang über das Gelände.
Dabei nimmt Biologin Gulau auch die Außenbeleuchtung, die begrünten Dächer und den Sonneneinfall unter die Lupe. Unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten hätten unterschiedliche Bedürfnisse, erklärt sie. Doch wenn man alle Maßnahmen mit Bedacht aufeinander abstimme, könne man eine ökologische Oase schaffen. Insgesamt sei das Gelände mit den begrünten Dächern schon jetzt ein positives Beispiel für Naturnähe, resümiert sie am Ende des Rundgangs. Das ist nun zwei Jahre her.
Vorteile durch Förderung der Artenvielfalt
"Wir hoffen, dass wir damit andere Unternehmen dazu inspirieren, es uns nachzutun", sagt Breitenstein, dessen Standort Umweltpartner der Stadt Hamburg ist. "Die Dachbegrünung unserer Gebäude etwa entlastet die Siedlungsentwässerung, vermindert Feinstaub, erhöht Schallschutz und Lebensdauer der Dachabdichtung." Daneben ist geplant, Vogelhäuschen zu installieren, die bei Team-Events von Mitarbeitenden selbst gebaut werden.
Auch der Technologiekonzern Siemens erzielt bereits Vorteile durch die Förderung der Artenvielfalt, wie Mirko Wildner, Leiter Environment, Health & Safety bei Siemens Real Estate, berichtet. "Begrünte Innenhöfe helfen im Sommer bei der Kühlung, und durch den Einsatz geeigneter regionaler Feucht- oder Trockenpflanzen reduzieren wir den Wasserverbrauch unserer Liegenschaften."
Die Extensivierung von Flächen, also die bewusste Reduzierung der intensiven Nutzung und Pflege, um natürliche Prozesse zu fördern, führt zur Senkung der Unterhaltskosten der Siemens-Flächen. In Karlsruhe und München-Perlach kümmern sich auf den renaturierten Flächen Schafe und Esel um das biologische Gleichgewicht statt Gärtner um den englischen Rasen. Außerdem gibt es dort Totholzhecken, Magerrasen, Obstbaumwiesen und Anpflanzbeete für Mitarbeitende.
An verschiedenen Standorten wird Regenwasserrückgewinnung eingesetzt – für die Umwelt und geringere Bewirtschaftungskosten: "An unserem Headquarter in der Münchner Innenstadt verwenden wir das Regenwasser für Sanitäranlagen und zur Bewässerung der Pflanzen", berichtet Wildner. "Durch weitere Maßnahmen im Bereich Wasser reduzieren wir zudem das Überschwemmungsrisiko bei Starkregen." Am Campus in Erlangen und an weiteren Standorten wird das "Prinzip Schwammstadt" genutzt: Stauraum-Kanäle unter dem Gelände fassen hier riesige Mengen Regenwasser, bis zu rund fünf Millionen Litern. Außerdem helfen Mulden und Hügel in der Flächenstruktur, Überschwemmungen entgegenzuwirken.
Die Zukunftsaufgabe für Städte lautet Biodiversität
Auch die R+V setzt auf Einsparungen durch Biodiversität. Die Begrünung sorgt für einen Temperaturausgleich im Gebäude und verringert dadurch den Energiebedarf. Nachts schalten die Hamburger schon seit einiger Zeit die Gebäudebeleuchtung aus. Das spart nicht nur Kosten. Auch Vögel verlieren dadurch im Dunkeln nicht mehr die Orientierung, Insekten verbrennen nicht mehr an den heißen Lichtquellen. Ein einfacher Schritt, mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt.
Das Hamburger Projekt "UnternehmensNatur", dem sich R+V, Umweltbehörde, Nabu, Handelskammer und der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen angeschlossen haben, wird vom Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, als gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Unternehmen gelobt. "Die Biodiversität zu erhalten, ist eine zentrale Zukunftsaufgabe in den Städten und große Herausforderung zugleich. Denn dort, wo wenig Platz ist, sind Nutzungskonflikte um Flächen vorprogrammiert", mahnt Dedy. Wichtiges Ziel sei daher, die Biodiversität in städtischen Grünflächen zu stärken.
Biodiversität als Teil des Green Deals
Auch auf Ebene der Europäischen Union macht man sich Gedanken. Das kürzlich vom EU-Parlament verabschiedete Naturschutzgesetz soll künftig als regulatorischer Rahmen dienen, um Unternehmen dazu anzuregen, Flächen naturfreundlicher zu gestalten. Das Renaturierungsgesetz legt Anforderungen fest, die Unternehmen dazu verpflichten, die Biodiversität auf ihren Flächen, insbesondere in Ballungsgebieten, zu erhöhen. Als wesentlicher Bestandteil des Green Deals zielt es darauf ab, den nachhaltigen Einsatz natürlicher Ressourcen zu fördern und Umweltbelange stärker in unternehmerische Entscheidungen und Aktivitäten zu integrieren.
Siemens-Manager Wildner betont: "Die Zielrichtung der EU-Taxonomie ist auf jeden Fall richtig und hilfreich für die Sensibilisierung für Biodiversität sowie die Umsetzung damit verbundener Maßnahmen. Immobilien, die den EU-Taxonomie-Standards entsprechen, werden in den kommenden Jahren eine höhere Nachfrage erfahren, was sich positiv auf ihren Wert auswirken wird. Biodiversität spielt daher bereits bei der Auswahl von unseren Standorten eine bedeutende Rolle. Insgesamt steigern Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität auch die Attraktivität der Flächen für Mitarbeitende, was sich sicherlich ebenfalls auf den Wert der Immobilien auswirken wird."
Es ist eine delikate ökologische Balance
Weniger um die Wertsteigerung der Gebäude als primär um die Sicherung des Flugbetriebs geht es bei der Fraport AG. Über den Dächern des Frankfurter Flughafens breitet sich eine beeindruckende Flora aus. Robuste Pflanzen, die Hitze und kargem Untergrund trotzen, ohne Vogelschwärme anzulocken, regulieren das Gebäudeklima. Noch beeindruckender wird es, wenn man die rund 22 Quadratkilometer Flughafengelände betrachtet, die als eigener Stadtteil gelten. Auf rund 600 Hektar Grünfläche, zwischen Gebäuden, Rollwegen, Start- und Landebahnen, will Fraport der Natur so viel Raum wie möglich geben, ohne die Sicherheit und Betriebsfähigkeit am Flughafen einzuschränken.
In den am Airport geschaffenen ökologischen Nischen gedeihen einige Arten prächtig, während andere den Flughafen als unattraktiven Lebensraum meiden. Um dieses Zusammenspiel kümmern sich bei Fraport der Biologe Jürgen Ebert und sein Team von "Wildlife und Animal Services". Aufgabe ist es, die Balance zwischen Flugsicherheit, Flughafenbetrieb und Naturschutz zu finden. Um das Gelände für große Vögel unattraktiv zu gestalten und damit die Gefahr für Flugzeug-Triebwerke zu minimieren, steuern Ebert und sein Team die ökologischen Nahrungsketten. Dazu legen sie künstliche Fuchsbauten an. Füchse erbeuten Nagetiere und nehmen so den Greifvögeln die Hauptnahrungsquelle.
"Die Bienenvölker auf dem Flughafengelände produzieren seit rund 20 Jahren Honig, der sich hinsichtlich Schadstoffbelastung mit weniger industrialisierten Lebensräumen im Hintertaunus vergleichen lässt“, berichtet Ebert. "Ein Highlight für uns sind auch die bodenbrütenden Feldlerchen, die sich hier in einer der größten zusammenhängenden Populationen Europas wohlfühlen. Ihre stetig wachsende Zahl dient als weiterer Bioindikator für das Gesamtökosystem", so der Fraport-Biologe.
Durch den Umweltfonds des Unternehmens wurden in den vergangenen 23 Jahren mehr als 1.000 Projekte zur Förderung der Biodiversität im Umland des Flughafens unterstützt. Mit einer Fördersumme von rund 39 Millionen Euro schafft Fraport Raum und Anreize zur Entfaltung der Natur. Hier wird deutlich, dass Nachhaltigkeit und Biodiversität auch in der hochtechnologisierten Luftfahrtindustrie möglich sind. Zudem wurden in der Rhein-Main-Region hunderte Hektar ökologisch aufgewertet – als Ausgleichsmaßnahmen für Bautätigkeiten am Flughafen.
Chemie und Natur sind kein Widerspruch in sich
Auch die Chemiebranche zeigt, wie Nachhaltigkeit und Biodiversität Hand in Hand gehen können. Der Chemie-Riese BASF setzt an seinen weltweiten Produktionsstandorten eine Vielzahl an Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität um. Über den gesamten Globus hinweg erstrecken sich die Engagements. Das Unternehmen geht dabei über die Erfüllung echtlicher Vorgaben hinaus.
Beispiel Nordamerika: An 13 Standorten kooperiert BASF mit der Non-Profit-Organisation Wildlife Habitat Council (WHC), die prüft und zertifiziert. Ein Beispiel ist der ehemalige Produktionsstandort Rensselaer im Bundesstaat New York, wo BASF seit mehr als einem Jahrzehnt in nachhaltige Landnutzung investiert. Auf einem Areal von 90 Hektar entlang dem Hudson River hat das Unternehmen ein LEED-Platinum-zertifiziertes Umweltbildungszentrum geschaffen. Ein Heizkraftwerk und zehn Hektar natürlicher Lebensraum für zahlreiche Arten wurden errichtet. Dieses Habitat ist das Ergebnis eines langjährigen BASF-Projekts zur Altlastensanierung und Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts.
Vor zwei Jahren erhielt BASF hierfür den "Environmental Excellence Award for Environmental Dredging" von der WEDA, einem Verband, der sich mit Bodenmanagement befasst. Er stellte fest, dass die Sanierungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen aufgrund der Wetterbedingungen und des Vorhandenseins zweier bedrohter Fischarten in der Region kompliziert waren. Trotz dieser Herausforderungen seien die Maßnahmen ein Erfolg gewesen, da sie eine Reihe ökologischer Lebensräume geschaffen hätten, die den Hudson River mit dem Umland verbinden.
Biodiversität als Teil des Immobilienmanagements
Das Thema Biodiversität ist für die Ludwigshafener nicht neu. Bereits seit den 1970er Jahren sind sie am Heimatstandort aktiv im Natur- und Artenschutz. Entlang der Straßen des Werksgeländes wurden Baum- und Buschpflanzungen geschaffen, um Vögeln, Insekten und anderen Tieren eine Heimat zu geben. Das Team der Fachstelle für Flächenservice, bestehend aus zehn Mitarbeitenden, trägt die Verantwortung. Es setzt Naturschutzauflagen in konkrete Maßnahmen um. Weitere frühe Initiativen starteten 1977, darunter eine Vogelschutzaktion, die bis heute fortbesteht. Mehr als 100 Vogelarten wurden auf dem Werksgelände dokumentiert, freut sich Wolfgang Schmidt, Koordinator des Flächenservices am BASF-Standort Ludwigshafen. Besonders bemerkenswert sei die Rückkehr der Wanderfalken, meint Schmidt. "In den 1960er Jahren galten sie in Rheinland-Pfalz eigentlich schon als ausgestorben."
Doch es gibt auch Herausforderungen für Schmidt. "Unsere Produktionsstandorte laufen im 24-Stunden-Betrieb an sieben Tagen in der Woche. Die Kunst ist es, Biodiversität und Produktion in Einklang zu bringen. Trotz der Naturschutzprojekte müssen reibungslose Betriebsabläufe und eine funktionierende Infrastruktur gewährleistet sein." Nicht nur die Bedeutung der CO2-Reduktion, auch die der Biodiversität wird nun von der Immobilienwirtschaft mehr und mehr erkannt. Einige Unternehmen integrieren den Naturschutz sowie die Förderung der Artenvielfalt bereits fest in ihr Immobilienmanagement.
Die Unternehmen reagieren auf die gestiegene Nachfrage nach ökologisch verantwortbaren Immobilien. Biodiversität wird zu einem Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Zudem erkennt die Wirtschaft die positiven Auswirkungen auf Mitarbeitende. Regulatorische Vorgaben wie die EU-Taxonomie führen ebenfalls zur Integration von Biodiversität in das Immobilienmanagement, was auch wirtschaftliche Vorteile bringt.
Der Text stammt aus der Ausgabe 06/2023 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft". Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Immobilienwirtschaft-App.
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