Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang bei Neuvergabe eines Reinigungsauftrags
Normenkette
BGB § 613a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Oktober 1994 – 11 (19) Sa 1900/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen durch Betriebsübergang ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist und die Beklagte die Klägerin zu beschäftigen hat.
Die Klägerin war von 1973 bis 30. April 1993 bei der Firma A., O., als Reinigungskraft beschäftigt. Während der gesamten Dauer der Beschäftigung wurde sie im S. Krankenhaus P. eingesetzt, in den letzten 15 Jahren als Vorarbeiterin. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug 3×3 Stunden bei einem Monatsverdienst von zuletzt 530,– DM netto.
Das S. Krankenhaus kündigte den Dienstleistungsvertrag mit der Firma A zum 30. April 1993. Aufgrund einer Neuausschreibung erhielt die Beklagte den Zuschlag für die Reinigungsarbeiten.
Die Beklagte kaufte von der Firma A. drei Waschvollautomaten, in denen regelmäßig die Wischlappen gewaschen werden. Die von der Firma A. beschäftigten Arbeitnehmerinnen wurden überwiegend von der Beklagten neu eingestellt, nicht jedoch die Klägerin. Diese ist der Ansicht, daß ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB vorliege, weshalb die Beklagte verpflichtet sei, sie zu beschäftigen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, sie ab dem 1. Mai 1993 als Vorarbeiterin für die Reinigungskräfte im S. Krankenhaus P. weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Sie hat geltend gemacht, keinen Betrieb oder Betriebsteil von der Firma A. übernommen zu haben. Die Übernahme der Reinigungstätigkeit im S. Krankenhaus P. stelle keinen Betriebsübergang im Rechtssinne dar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit der vom Landearbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Der Senat hat mit Beschluß vom 21. März 1996 das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gem. Art. 177 EG-Vertrag um Vorabentscheidung ersucht. Nachdem der Präsident des EuGH im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 11. März 1997 in der Rechtssache – C-13/95 – das Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt hatte, hat der Senat mit Beschluß vom 17. Juli 1997 das Vorabentscheidungsersuchen zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Eine Entscheidung über die Begründetheit der Klage ist dem Senat aber nicht möglich, weil weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich sind. Die Sache ist deshalb zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte sei verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen wie in ihrem Beschäftigungsverhältnis zur Firma A. als Vorarbeiterin der Reinigungskräfte im S. Krankenhaus P. zu beschäftigen. Diese Verpflichtung folge aus § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit der Richtlinie 77/187 EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Das nationale Recht sei europarechtskonform dahin auszulegen, daß bei einem Betriebsübergang die Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel nicht erforderlich sei, sondern ein Betriebsübergang auch in einer bloßen Funktionsnachfolge liege. Der als Dienstleistung von der Firma A. im S. Krankenhaus P. erbrachte Reinigungsdienst sei als Betriebsteil im Sinne von § 613 a BGB auf die Beklagte übergegangen. Es handele sich beim Reinigungsdienst um eine klar abgegrenzte wirtschaftliche Einheit, deren unstreitige Aufgabe unverändert bestehen geblieben sei und auch in Zukunft weiter wahrgenommen werde. Die Beklagte handele als Funktionsnachfolgerin und führe dieselbe Geschäftstätigkeit weiter, die bislang von der Firma A. wahrgenommen wurde. Die unternehmerische Aufgabe und die Arbeitsaufgabe der Reinigungskräfte hätten sich insoweit nicht verändert. Dies habe insgesamt zur Folge, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Vorarbeiterin der Reinigungskräfte im S. Krankenhaus P. auf die Beklagte übergegangen sei.
B. Das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft.
I. Eine Funktionsnachfolge allein ist kein Betriebsübergang (vgl. Urteil des Senats vom 13. November 1997 – 8 AZR 295/95 – zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Diese ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die im Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 21. März 1996 (– 8 AZR 156/95 – AP Nr. 10 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) zusammenfassend wiedergegeben ist, hat der EuGH mit Urteil vom 11. März 1997 (– Rs C-13/95 – DB 1997, 628) bestätigt. Wie der EuGH unter Nr. 15 der Entscheidungsgründe ausführt, darf eine Einheit i.S. der Richtlinie nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Für den Fall des Wechsels eines Reinigungsauftrages hat der EuGH unter Nr. 16 der Entscheidungsgründe ausdrücklich hinzugefügt, daß der bloße Verlust eines Auftrages an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang i.S. der Richtlinie darstellt. Dem widerspricht die angefochtene Entscheidung, denn das Landesarbeitsgericht hat allein aus der Funktionsnachfolge auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs geschlossen.
II. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – DB 1997, 628 f.), der sich der Senat mit Urteil vom 22. Mai 1997 (– 8 AZR 101/96 – NJW 1997, 3188, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) angeschlossen hat, setzt ein Betriebsübergang die Bewahrung der Identität der betreffenden Einheit voraus. Der Begriff „Einheit” bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Er darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Überganges maßgeblichen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (vgl. Urteil des Senats vom 26. Juni 1997 – 8 AZR 426/95 – ZIP 1997, 1975, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Soweit der EuGH abweichend (vgl. Nr. 21 der Entscheidungsgründe des Urteils vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – DB 1997, 628) von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, in einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine übernahmefähige wirtschaftliche Einheit gesehen hat (vgl. Nr. 21 der Entscheidungsgründe), die im Falle ihrer Übernahme einen Betriebsübergang darstellen kann, hat sich der erkennende Senat dieser Rechtsprechung des EuGH bereits mit Urteil vom 22. Mai 1997 (– 8 AZR 101/96 – NJW 1997, 3188, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) angeschlossen. Hieran ist festzuhalten.
Ausgehend von dem Schlußantrag des Generalanwalts La Pergola in Sachen Rs C-13/95 vom 15. Oktober 1996 sowie den vom EuGH im Urteil vom 11. März 1997 (a.a.O.) mitgeteilten Stellungnahmen des Vereinigten Königreiches und der Kommission der EU ist im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „durch Rechtsgeschäft” im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB vorauszusetzen, daß in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, die Übernahme einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern nur dann einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellt, wenn der neue Auftragnehmer aufgrund eigenen Willensentschlusses die durch ihre gemeinsame Tätigkeit verbundenen Arbeitnehmer übernommen hat, weil sie in der Lage sind, den Neuauftrag wie bisher auszuführen (so bereits Senatsurteil vom 13. November 1997 – 8 AZR 295/95 – zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Demgemäß stellt nicht jede Neueinstellung von Beschäftigten des alten Auftragnehmers durch den neuen Auftragnehmer eine Übernahme der Hauptbelegschaft im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar.
III. Ob diese Voraussetzungen eines Betriebs(teil)Übergangs tatsächlich vorliegen, ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden. Die Wahrung der Identität der Einheit könnte die Beklagte durch den Kauf der Waschmaschinen und die Neueinstellung des „überwiegenden Teiles” der von der Firma A eingesetzten Mitarbeiter hervorgerufen haben. Ihr Verhalten wäre als Übernahme einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern zu würdigen, wenn die Beklagte damit aufgrund eigenen Willensentschlusses die durch ihre gemeinsame Tätigkeit verbundenen Arbeitnehmer der Firma A übernommen haben sollte, weil sie in der Lage waren, den Neuauftrag wie zuvor auszuführen. Hierzu wird das Berufungsgericht Feststellungen zu treffen haben.
IV. Kommt das Landesarbeitsgericht aufgrund seiner weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis, daß § 613 a BGB durch die willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft erfüllt worden ist, hat das Landesarbeitsgericht zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Firma A. noch im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden hat. Sollte die Firma A. keine Kündigung erklärt haben, wäre das Arbeitsverhältnis der Klägerin ungekündigt auf die Beklagte übergegangen. Sollte hingegen die Firma A. das Arbeitsverhältnis zu einem vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs liegenden Termin ordentlich gekündigt haben, würde der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages zu unveränderten Arbeitsbedingungen und unter Anrechnung der bisherigen Beschäftigungszeit zustehen (Senatsurteil vom 13. November 1997 – 8 AZR 295/95 – auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Dieser Anspruch folgt aus einer europarechtskonformen Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB.
Für diesen Fall wird das Landesarbeitsgericht durch Auslegung zu klären haben, ob die Klägerin mit ihrem Klagantrag den Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung geltend gemacht hat. Kann das Landesarbeitsgericht den Klagantrag in diesem Sinne auslegen oder wird die Klage entsprechend geändert, wird es die Beklagte zur Abgabe einer auf Abschluß eines Arbeitsvertrages zu unveränderten Arbeitsbedingungen gerichteten Willenserklärung verurteilen können. Über etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen Verzuges der Beklagten mit der Abgabe der Willenserklärung (vgl. § 286 BGB) könnte jedoch aufgrund des Beschäftigungsantrages nicht entschieden werden.
Sollte das Landesarbeitsgericht feststellen, daß die Firma A. das Arbeitsverhältnis der Klägerin zu einem zeitlich nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs liegenden Termin gekündigt hat, bedürfte es dieser Auslegung des Antrags nicht, denn der Beschäftigungsantrag ist im bestehenden und kraft Gesetzes übergehenden Arbeitsverhältnis die gegebene prozessuale Form, den Fortsetzungsanspruch durchzusetzen (vgl. BAG Urteil vom 27. Februar 1997 – 2 AZR 160/96 – NJW 1997, 2257, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
V. In jedem Falle hat die Klägerin ihr Fortsetzungsverlangen rechtzeitig erhoben. Ihre Beschäftigungsklage ist bereits am 11. Mai 1993 und damit spätestens zehn Tage nach der in einer ggf. durch die willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft zu sehenden Übernahme des Betriebsteiles der Firma A zugestellt worden. Die Klägerin hat ohne schuldhaftes Zögern ihre Klage erhoben, so daß es dahingestellt bleiben kann, ob sie ihr Verlangen bereits außergerichtlich geltend gemacht hatte oder ihr sogar eine Frist von drei Wochen zugestanden haben könnte.
Unterschriften
Dr. Wittek, Müller-Glöge, Mikosch, Schömburg, Hickler
Fundstellen
Haufe-Index 1091220 |
NZA 1999, 486 |