Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für den Abschluß eines Aufhebungsvertrages
Normenkette
BGB §§ 133, 177-178
Verfahrensgang
LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 03.02.1994; Aktenzeichen 1 Sa 224/93) |
ArbG Rostock (Urteil vom 19.01.1993; Aktenzeichen 9 Ca 143/92) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 3. Februar 1994 – 1 Sa 224/93 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten, soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung, um die Frage, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag beendet wurde.
Der am 13. April 1958 geborene, verheiratete, für drei Kinder unterhaltspflichtige Kläger war in der Zeit von Oktober 1980 bis Februar 1990 Angehöriger der dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterstellten Faßkontrolleinheiten, zuletzt im Rang eines Leutnants. Er wurde mit dem 3. Oktober 1990 in den Bundesgrenzschutz übernommen. Ab 1. Juli 1991 wurde er in die VergGr. VI b BAT-O eingruppiert.
Nach Einholung von Auskünften der „Gauck-Behörde” über die Angehörigen der Faßkontrolleinheiten im Juli 1991 und nach einer am 13. November 1991 eingegangenen Kurzauskunft über den Kläger entschloß sich die Beklagte zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Am 11. Dezember 1991 fand ein Gespräch mit dem Kläger statt, über das eine Niederschrift erstellt wurde. Darin heißt es unter Ziffer III:
„Der Gesprächsleiter teilte dem Beschäftigten mit, daß bei ihm kein Umstand vorliege, der geeignet ist, die dargelegte Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis auszuschließen und das bestehende Arbeitsverhältnis daher aufgelöst werden müsse.
Der Beschäftigte wurde daher anschließend gefragt, ob die Möglichkeit einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bestehe?
Er erklärte:
Mit einer Aufhebung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag zum 3.4.92 bin ich einverstanden.
siehe Anlage.”
Die gestrichene Ziffer IV sah auf S. 5 der Niederschrift folgende Feststellung vor:
„Er eröffnete dem Beschäftigten daher, daß nunmehr beabsichtigt sei, das bestehende Arbeitsverhältnis wegen dessen Tätigkeit für das MfS ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von Amts wegen zu kündigen.”
Die Niederschrift ist von dem Kläger, dem Gesprächsleiter und einem Protokollführer unterzeichnet. Die beigefügte Anlage lautet:
„Dennoch bitte ich zu prüfen, ob für mich eine ordentliche Kündigung zum 03.04.1992 wegen der Entlassung aus „politischen Gründen” oder einer in Aussicht stehenden Kündigung in Betracht kommt.
Es kommt mir darauf an, daß in dem Kündigungsschreiben als Kündigungsgrund die Formulierung „aus politischem Grund” enthalten ist.
Nach meinen Informationen tritt dann keine 12-Wochen-Sperrfrist für Leistungen vom Arbeitsamt in Kraft.”
Sie ist vom Kläger unterzeichnet.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 1991, eingegangen bei der Grenzschutzstelle Rostock-Hafen am 23. Dezember 1991, hat der Kläger erklärt, er nehme seine Zustimmung zum Aufhebungsvertrag zurück.
Die Beklagte hat ihrerseits mit Schreiben vom 20. Januar 1992 eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt, welche dem Kläger am 29. Januar 1992 zugegangen ist.
Mit seiner am 5. Februar 1992 beim Kreisgericht Rostock durch die Rechtsantragsstelle aufgenommenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat im weiteren Verlauf des Rechtsstreits die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden. Dazu hat er vorgetragen, die Beklagte habe in vergleichbaren Fällen üblicherweise einen schriftlichen Aufhebungsvertrag vorbereitet und dem Arbeitnehmer zur Unterschrift vorgelegt. Ferner hat er auf den seiner Ansicht nach in der Anlage zur Niederschrift vom 11. Dezember 1991 enthaltenen Vorbehalt verwiesen und die Vollmacht des Gesprächsleiters zum Abschluß von Aufhebungsverträgen bezweifelt. Schließlich hat er auf den Widerruf seiner Einverständniserklärung mit Schreiben vom 19. Dezember 1991 hingewiesen.
Der Kläger hat beantragt:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche (fristlose) Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1992 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 29. Januar 1992 hinaus auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens vertragsgemäß tatsächlich weiterzubeschäftigen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Der Streitwert wird auf 6.810,00 DM festgesetzt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Zwischen den Parteien steht inzwischen außer Streit, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 20. Januar 1992 aufgelöst wurde. Die Beklagte meint aber, das Arbeitsverhältnis sei durch Aufhebungsvertrag vom 11. Dezember 1991 zum 3. April 1992 beendet worden. Die Erklärung des Klägers vom 19. Dezember 1991 könne nicht in ein Angebot zur einvernehmlichen Rückgängigmachung des Aufhebungsvertrages umgedeutet werden. Jedenfalls habe sie ein solches Angebot nicht angenommen. In der Kündigung vom 20. Januar 1992 könne eine solche Annahme schon deshalb nicht gesehen werden, weil die Kündigung weit außerhalb der in § 147 Abs. 2 BGB normierten Frist erklärt worden sei. Zudem sei die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers fehlerhaft, weil sie mit Schreiben vom 28. Februar 1993 dem Kläger vorsorglich nochmals ordentlich gekündigt habe.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, begehrt die Beklagte die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Klageabweisung mit der Maßgabe, daß das Arbeitsverhältnis am 3. April 1992 beendet wurde.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist in der Sache unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat es dahinstehen lassen, ob zwischen den Parteien am 11. Dezember 1991 ein Aufhebungsvertrag wirksam zustande gekommen sei. Zwar habe der Kläger von einem etwaigen Aufhebungsvertrag mangels eines entsprechenden Vorbehalts nicht mehr zurücktreten können, seine Rücktrittserklärung im Schreiben vom 19. Dezember 1991 sei aber als Angebot auf einvernehmliche Rückgängigmachung des Aufhebungsvertrages auszulegen. Mit der nicht nur vorsorglich ausgesprochenen Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1992 habe diese das entsprechende Angebot konkludent angenommen. Der jedenfalls in der Berufungsinstanz zulässig gewordene allgemeine Feststellungsantrag des Klägers habe die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den genannten Aufhebungsvertrag mit umfaßt.
Gegen die Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung habe die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung keine Einwendungen erhoben. Eine diesbezügliche Vollstreckungsgegenklage habe sie zurückgenommen, ihre sofortige Beschwerde gegen die Verhängung von Zwangsmitteln habe sie nur noch damit begründet, die Vollstreckung sei wegen ihrer Bereitschaft zur Beschäftigung des Klägers entbehrlich geworden; demnach brauche auf die Frage des Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht weiter eingegangen zu werden.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält – wenn auch lediglich im Ergebnis – den Angriffen der Revision stand.
I. Wäre zwischen den Parteien am 11. Dezember 1991 ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden, so wäre es rechts fehlerhaft, aus dem Schreiben des Klägers vom 19. Dezember 1991 und der Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1992 eine einverständliche Rückgängigmachung dieses Aufhebungsvertrages abzuleiten. Mit der genannten Kündigungserklärung hat die Beklagte für den Kläger ersichtlich zu erkennen gegeben, daß sie sich von ihm in jedem Fall trennen will. Es widerspricht ohne zusätzliche gegenteilige Anhaltspunkte der Lebenserfahrung, daß ein Arbeitgeber mit einer solchen Willenserklärung zugleich auf eine Rechtsposition (hier: den Aufhebungsvertrag) verzichten will, mit der die erstrebte Rechtsfolge der Auflösung des Arbeitsverhältnisses – wenn auch zeitlich etwas verzögert – ebenfalls erreicht würde. Dies gilt um so mehr, als der Arbeitgeber im Falle eines Aufhebungsvertrages in der Regel einem geringeren Prozeßrisiko ausgesetzt ist als bei einer Kündigung. So entfällt z.B. beim Aufhebungsvertrag das Risiko, daß die beabsichtigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses an einer fehlerhaften Beteiligung des Betriebsrats bzw. des Personalrats scheitert. Auch was sonstige Unwirksamkeitsgründe angeht, ist die Beweislast im Vergleich zu einer Kündigung zu Lasten des Arbeitnehmers verschoben. Ohne zusätzliche, eine Auslegung entsprechend der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stützende tatsächliche Umstände spricht somit die Lebenserfahrung dafür, daß der Arbeitgeber eine Kündigung nach Abschluß eines Aufhebungsvertrages lediglich vorsorglich erklären bzw. daß er das Arbeitsverhältnis unbeschadet des Aufhebungsvertrags noch vor dem vereinbarten Ende zur Auflösung bringen will, mag er dies auch nicht ausdrücklich der Kündigungserklärung anfügen.
II. Im Ergebnis erweist sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts gleichwohl deshalb als zutreffend, weil die Parteien am 11. Dezember 1991 keinen Aufhebungsvertrag geschlossen haben. Der Senat kann dies aufgrund des vom Landesarbeitsgerichts festgestellten Sachverhalts selbst entscheiden. Trotz entsprechender richterlicher Hinweise gemäß § 139 Abs. 1 ZPO in der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 1995 hat die Beklagte nämlich zu den tatsächlichen Umständen, aus denen gegebenenfalls auf das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrages am 11. Dezember 1991 geschlossen werden könnte, weder weiteren Sachvortrag geleistet (der eventuell hätte unstreitig gestellt werden können), noch hat sie diesbezüglich Aufklärungsrügen erhoben.
1. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat weder substantiiert vorgetragen noch unter Beweis gestellt, daß der Gesprächsleiter M. zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages bevollmächtigt war, obgleich der Kläger eine entsprechende Vollmacht des Gesprächsleiters bestritten hat. Schon aus diesem Grund kann nicht vom rechtswirksamen Zustandekommen eines Aufhebungsvertrages der Parteien am 11. Dezember 1991 ausgegangen werden. Zwar hätte ein etwa vollmachtloses Handeln des Gesprächsleiters durch die Beklagte genehmigt werden können (§ 177 Abs. 1 BGB). Die Beklagte hat jedoch nicht behauptet, daß eine solche Genehmigung vor der Rücknahme der Zustimmung des Klägers mit Schreiben vom 19. Dezember 1991 erfolgt sei. Eine rechtzeitige Genehmigung (§ 178 BGB) ist auch im übrigen nicht ersichtlich.
2. Im übrigen kann die Erklärung des Klägers in der Niederschrift vom 11. Dezember 1991, er sei mit einer Aufhebung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag zum 3. April 1992 einverstanden, nach den vorliegenden Umständen auch nicht als Angebot zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages verstanden werden.
a) Die Beklagte bezieht sich für ihre Rechtsansicht, am 11. Dezember 1991 sei verbindlich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 3. April 1992 vereinbart worden, ausschließlich auf die Niederschrift vom 11. Dezember 1991 und die Behauptung, der Gesprächsleiter habe dem Kläger mitgeteilt, daß die Beklagte mit der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem vom Kläger gewünschten Termin einverstanden sei. Unbestritten blieb das Vorbringen des Klägers, die Beklagte habe in vergleichbaren Fällen üblicherweise anschließend einen schriftlichen Aufhebungsvertrag vorbereitet und zur Unterschrift vorgelegt.
b) Gegen die Annahme eines Aufhebungsvertrages spricht zunächst schon, daß das Gespräch vom 11. Dezember 1991 ausweislich der vorformulierten Niederschrift vor allem der Sachverhaltsaufklärung dienen sollte und die die Auflösung des Arbeitsverhältnisses betreffenden Passagen der Niederschrift zukunftsbezogen gehalten sind. So wird in Ziffer III formuliert, daß „das bestehende Arbeitsverhältnis daher aufgelöst werden müsse. Der Beschäftigte wurde … gefragt, ob die Möglichkeit einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bestehe?”; in der gestrichenen Ziffer IV heißt es, dem Beschäftigten werde eröffnet, „daß nunmehr beabsichtigt sei, das bestehende Arbeitsverhältnis wegen dessen Tätigkeit für das MFS ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von Amts wegen zu kündigen.” Angesichts dieser Formulierungen und im Hinblick auf die im öffentlichen Dienst üblicherweise bei der Begründung, Änderung und Auflösung von Arbeitsverhältnissen zu beobachtenden Förmlichkeit, mit der die Förmlichkeit der Niederschrift in Einklang steht, mußte der Kläger davon ausgehen, sein Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 3. April 1992 sei lediglich eine noch unverbindliche Absichtserklärung, eine verbindliche Vereinbarung in Form eines von der Beklagten vorzulegenden schriftlichen Aufhebungsvertrages werde erst folgen. Auch die behauptete Mitteilung des Gesprächsführers, die Beklagte sei mit der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden, mußte der Kläger in diesem Sinne als lediglich zukunftsbezogen ansehen, zumal sie nicht schriftlich fixiert wurde. Vor dem Hintergrund der in der Anlage geäußerten Bitte des Klägers, die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung zum 3. April 1992 wegen der Entlassung aus „politischen Gründen” oder einer in Aussicht stehenden Kündigung zur Vermeidung einer Sperrfrist für Leistungen des Arbeitsamtes zu prüfen, und vor dem Hintergrund der unbestrittenen Praxis der Beklagten, nach entsprechenden Einverständniserklärungen einen schriftlichen Aufhebungsvertrag zur Unterschrift vorzulegen, konnte die Beklagte die Einverständniserklärung des Klägers in der Niederschrift nur dahingehend verstehen, wenn seiner in der Anlage geäußerten Bitte nicht entsprochen werden könne, solle die Beklagte ihm durch die Vorlegung eines schriftlichen Aufhebungsvertragsentwurfs ein Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterbreiten. Die Auslegung der am 11. Dezember 1991 von den Parteien wechselseitig abgegebenen Erklärungen (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 133 Rz 9 ff., m.w.N.) hatten demnach vom „Horizont” des jeweiligen Empfängers her nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte lediglich den objektiven Erklärungswert, daß die Beklagte dem Kläger notfalls den Abschluß eines Aufhebungsvertrages antragen sollte und daß der Kläger die Annahme eines solchen Angebots in Aussicht stellte. Weder mußte der Kläger seine Einverständniserklärung als sofort verbindliche Willenserklärung ansehen noch durfte die Beklagte sie als solche verstehen. Ein Aufhebungsvertrag zum 3. April 1992 ist deshalb am 11. Dezember 1991 auch ungeachtet der bestrittenen Vollmacht des Gesprächsleiters nicht zustande gekommen.
3. War demnach die Revision der Beklagten hinsichtlich des Feststellungsantrags des Klägers zurückzuweisen, fiel der auf die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Feststellungsantrags beschränkte Weiterbeschäftigungsantrag nicht mehr zur Entscheidung an.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Dr. Bächle, Bobke
Fundstellen