Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitszeit in Saudi-Arabien

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifliche Bestimmung, nach der der Arbeitgeber für Auslandstätigkeiten die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit unter Überschreitung der 40-Stunden-Woche einseitig festsetzen kann, wenn “die Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erfordern”, ist wirksam. Die Entscheidung des Arbeitgebers unterliegt einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Die Festsetzung einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 54 Stunden in Saudi-Arabien kann danach wirksam sein.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: MTV der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit; Manteltarifvertrag Nr. 2 für die Auslandsmitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vom 3. November 1978 i.d.F. vom 1. Januar 1982 (MTV-GTZ-A Nr. 2) §§ 17, 45; BGB § 612a; AZO § 15

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 06.12.1989; Aktenzeichen 10 Sa 1125/88)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 03.06.1988; Aktenzeichen 15 Ca 213/87)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Dezember 1989 – 10 Sa 1125/88 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten im Rahmen des Projekts “Beratung der Seaports Authority” mit Wirkung ab 1. November 1984 bis zum 31. Oktober 1986 als “port operation consultant” in Saudi-Arabien beschäftigt. Er wurde zunächst in Jeddah und ab Oktober 1985 in Riad eingesetzt. In § 5 des schriftlichen Arbeitsvertrags haben die Parteien die Geltung des Manteltarifvertrags Nr. 2 für die Auslandsmitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vom 3. November 1978 in der Fassung vom 1. Januar 1982 (MTV-GTZ-A Nr. 2) vereinbart. Die Vergütung des Klägers betrug für die Zeit von Oktober 1985 bis März 1986 monatlich DM 11.570,-- brutto und für die Zeit von April 1986 bis September 1986 DM 11.778,-- brutto. Während seines Einsatzes in Jeddah hat der Kläger eine wöchentliche Arbeitszeit von 49 Stunden und während seiner Tätigkeit in Riad eine wöchentliche Arbeitszeit von 54 Stunden erbracht.

Mit der in der Revisionsinstanz noch anhängigen Klage begehrt der Kläger die Zahlung einer Vergütung für 548 Überstunden in der Zeit von Oktober 1985 bis September 1986.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe die Arbeitszeit in Saudi Arabien zwingend einhalten müssen, obwohl im MTV-GTZ-A Nr. 2 ersichtlich die 40-Stunden-Woche zugrunde gelegt worden sei. Die darüber hinaus von ihm geleisteten Arbeitsstunden seien als Überstunden anzusehen und zu vergüten. Bei der Überstundenvergütung seien die Auslandsvergütung und der Kaufkraftausgleich mit einzubeziehen. Daraus ergebe sich ein Stundensatz von DM 66,88 (für die Zeit bis März 1986) bzw. DM 68,08 (für die Zeit ab April 1986).

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 36.947,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 4. Juli 1987 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe keine Überstunden geleistet. Bei der wöchentlichen Arbeitszeit von 54 Stunden in Riad habe es sich vielmehr um die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 17 MTV-GTZ-A Nr. 2 gehandelt. Diese sei durch Zahlung der vereinbarten Vergütung abgegolten. Die Tarifbestimmung enthalte eine Öffnungsklausel, die die Anpassung der Arbeitszeit an die Gegebenheiten des jeweiligen Gastlandes erlaubt. Damit sei eine regelmäßige Arbeitszeit von mehr als 2.080 Stunden pro Jahr tariflich zugelassen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von DM 13.741,08 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und den Kläger zur Rückzahlung der bereits gezahlten erstinstanzlichen Urteilssumme verurteilt.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung für die Zeit von Oktober 1985 bis September 1986 in Höhe von DM 36.947,84 brutto abzüglich der bereits auf das erstinstanzliche Urteil geleisteten Zahlungen weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung von DM 36.947,84 verlangen. Ihm steht für die von ihm von Oktober 1985 bis September 1986 geleistete Arbeitszeit keine Überstundenvergütung zu. Denn er hat keine Überstunden geleistet. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers von 54 Stunden war vielmehr seine geschuldete regelmäßige Arbeitszeit.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Vorschriften des MTV-GTZ-A Nr. 2 Anwendung. Danach sind folgende Bestimmungen heranzuziehen:

“§ 17 – Regelmäßige Arbeitszeit

  • Die Arbeitszeit ist unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse vom Projektleiter zu regeln. Sie darf im Kalenderjahr 2080 Stunden nicht überschreiten, es sei denn, daß die Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erfordern.
  • Einzelsachverständige regeln ihre Arbeitszeit in Übereinstimmung mit der zuständigen Stelle des Einsatzlandes.
  • Der Projektleiter und der Einzelsachverständige haben der Gesellschaft Vorschläge gemäß Absatz 1 und 2 vorzulegen. Die Gesellschaft setzt die Arbeitszeit endgültig fest.

§ 45 – Ausschluß sonstiger Leistungsansprüche

Über die im Arbeitsvertrag und in diesem Tarifvertrag festgelegten Leistungen hinaus hat der Mitarbeiter keinerlei Anspruch auf Zahlung von laufenden oder einmaligen Zuwendungen. Die Gesellschaft haftet insbesondere nicht für die Einhaltung der in den jeweiligen Vereinbarungen vom Einsatzland übernommenen Verpflichtungen zur Erbringung von Partnerschaftsleistungen.”

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht bejaht, daß § 17 MTV-GTZ-A Nr. 2 unter den dort genannten Voraussetzungen eine Erhöhung der Arbeitszeit von 2.080 Stunden im Kalenderjahr erlaubt, wenn die in § 17 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach ist eine Überschreitung von 2.080 Arbeitsstunden im Kalenderjahr zulässig, wenn “die Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erfordern”. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Regelungen im Einsatzland erforderten im vorliegenden Fall eine höhere Stundenzahl. Der Kläger selbst hat ausdrücklich vorgetragen, daß in Riad 54 Stunden wöchentlich gearbeitet werden mußten und keine Möglichkeit bestand, die Leistung dieser Arbeitsstunden abzulehnen. Der Kläger räumt ferner ein, demjenigen Arbeitnehmer, der die in Saudi-Arabien geltenden Bestimmungen und Anordnungen nicht einhalte, drohten dort drakonische Strafen ohne Aussicht auf Rechtshilfe. Deshalb sei allen Beteiligten nichts anderes übrig geblieben, als die Dienstzeiten bis zu einer anderweitigen Regelung durch die Beklagte einzuhalten. Wenn das Landesarbeitsgericht daraus folgerte, daß im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 MTV-GTZ-A Nr. 2 Gegebenheiten des Projekts bzw. Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl je Arbeitswoche erforderten, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Arbeitszeit ist auch von der Beklagten im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 2 MTV-GTZ-A Nr. 2 endgültig festgesetzt worden. Dies folgert das Landesarbeitsgericht zutreffend aus dem Schreiben der Beklagten vom 12. März 1986 an den Kläger, in dem die Beklagte darauf hinwies, sie sehe keine Möglichkeit, hinsichtlich der Arbeitszeit eine günstigere Regelung zu erzielen. Die so von dem Kläger geleistete Arbeitszeit von 54 Wochenstunden ist im Sinne des MTV-GTZ-A Nr. 2 auch als regelmäßige Arbeitszeit anzusehen, wie sich aus der Überschrift zu § 17 ergibt.

Auch die Parteien sehen die Arbeitszeit des Klägers von 54 Wochenstunden als regelmäßige Arbeitszeit an, wie dem Schreiben des Klägers vom 5. Februar 1986 und dem Antwortschreiben der Beklagten vom 12. März 1986 zu entnehmen ist. Diese Arbeitszeit betraf nicht nur den Kläger, sondern alle dort tätigen Arbeitnehmer der Beklagten. In der Klageschrift führt der Kläger aus, daß bei dem Einsatzort Riad die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 54 Stunden betrug. Dabei handelte es sich – wie der Kläger weiter vorträgt – nicht etwa um Überstunden, sondern um die in Saudi-Arabien jeweils geltende gesetzliche Arbeitszeit, der sich der Kläger unter gar keinen Umständen entziehen konnte, wenn er nicht vor Ort mit dem dortigen saudi-arabischen Arbeitgeber äußerste Schwierigkeiten bekommen wollte.

Gegen die Wirksamkeit der tariflichen Regelung des § 17 MTV-GTZ-A Nr. 2 bestehen keine Bedenken. Gerade weil im Ausland die AZO nicht gilt, sind die Tarifvertragsparteien insoweit frei. Wenn die Tarifvertragsparteien eine höhere Arbeitszeit als 2.080 Stunden im Kalenderjahr von den Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland abhängig machen, sind dies sachliche Anknüpfungspunkte, die eine weitere Überprüfung durch die Gerichte nicht zulassen. Tarifnormen dürfen von den Gerichten nicht auf Zweckmäßigkeit oder etwa Vereinbarkeit mit den Grundsätzen von Treu und Glauben überprüft werden. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie (vgl. BAGE 48, 65 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie). Ein Verstoß gegen Grundrechte ist nicht ersichtlich.

Auch gegen die Festsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 54 Stunden durch die Beklagte bestehen keine Bedenken. Die Entscheidung der Beklagten ist zwar als einseitige Leistungsbestimmung gemäß § 315 BGB daraufhin überprüfbar, ob sie der Billigkeit entspricht (vgl. BAG Urteil vom 16. November 1989 – 8 AZR 430/88 –, nicht veröffentlicht). Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte unbillig entschieden hat. Die Beklagte hat ihre Entscheidung unter Beachtung der tariflichen Voraussetzungen getroffen (Gegebenheiten des Projekts, Regelungen im Einsatzland). Wenn sie hierbei die im Einsatzland geltende Arbeitszeit übernommen hat, ist dies ein sachlicher Grund für die von ihr getroffene Entscheidung.

Eine Tariflücke hinsichtlich des von dem Kläger geltend gemachten Anspruchs besteht nicht. Insoweit kann der Kläger deshalb die Klageforderung auch nicht auf § 612 Abs. 2 BGB (übliche Vergütung) stützen. Denn in dem von den Parteien vereinbarten MTV-GTZ-A Nr. 2 ist ausdrücklich bestimmt, daß über die im Arbeitsvertrag und in diesem Tarifvertrag festgelegten Leistungen hinaus keinerlei Ansprüche der Mitarbeiter auf Zahlung von laufenden oder einmaligen Zuwendungen bestehen (§ 45 Satz 1 MTV-GTZ-A Nr. 2). Wenn die Tarifvertragsparteien in § 17 MTV-GTZ-A Nr. 2 hinsichtlich der Arbeitszeit auf Regelungen im Einsatzland abstellen, haben sie damit eine erheblich höhere Arbeitszeit, als sie in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist, bewußt in Kauf genommen. Der MTV-GTZ-A Nr. 2 gilt gerade für Tätigkeiten deutscher Mitarbeiter in Entwicklungsländern und in Ländern der sogenannten Dritten Welt.

Ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung kann auch nicht auf § 15 AZO gestützt werden. Das deutsche Arbeitsrecht gilt nicht, weil die Arbeit im Ausland geleistet wurde und die Geltung der AZO auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist (Territorialitätsprinzip). Günstigere deutsche Arbeitszeitregeln können zwar im Arbeitsvertrag oder tariflich vereinbart werden, so daß dann auch § 15 AZO zur Anwendung kommen könnte (vgl. Denekke/Neumann, AZO, 10. Aufl. 1987, § 1 Rz 2), eine solche Vereinbarung ist aber vorliegend nicht getroffen worden. Der Arbeitsvertrag enthält keine Regelungen über die Arbeitszeit. Der MTV-GTZ-A Nr. 2 sieht eine Geltung der AZO für Auslandstätigkeiten nicht vor.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Schamann, Dr. Apfel

 

Fundstellen

Haufe-Index 839197

BB 1991, 1489

RdA 1991, 127

IPRspr. 1990, 63

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