Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit in Saudi-Arabien. Erledigung der Hauptsache
Normenkette
AZO § 3; BGB § 315; ZPO § 91 Abs. 1, § 91a
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 18.03.1988; Aktenzeichen 15/10 Sa 832/87) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 04.02.1987; Aktenzeichen 7 Ca 721/84) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1988 – 15/10 Sa 832/87 – wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 7/8 und die Beklagte 1/8.
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1984 bei der Beklagten als Arzt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag Nr. 2 für die Auslandsmitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH – MTV-GTZ-A Nr. 2 – vom 3. November 1978 (im folgenden MTV) Anwendung. Der Kläger wurde in Krankenhäusern in Saudi-Arabien eingesetzt. Am 1. Juni 1984 kündigte er das Arbeitsverhältnis „fristgerecht, jedoch aus wichtigem Grunde, in der Probezeit zum 31.07.1984”.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Schadenersatz und auf tarifliche Leistungen geltend gemacht, darunter einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 9.900,– DM. Mit der am 30. November 1984 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 121.600,– DM nebst 8 % Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision hat der Kläger sein Klageziel weiterverfolgt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien einen Teil-Vergleich geschlossen. Danach ist die Beklagte verpflichtet, an den Kläger zur Abgeltung aller Klageansprüche mit Ausnahme des Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung einen Betrag von 15.000,– DM zu zahlen. Im übrigen bitten die Parteien um die Entscheidung des Rechtsstreits.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Parteien sich vergleichsweise geeinigt haben, ist über die Revision nur noch zu entscheiden, soweit diese den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 9.900,– DM betrifft.
I. Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß dem Kläger ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung nicht zusteht.
1. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe über die tariflich vorgesehene Arbeitszeit hinaus Überstunden leisten müssen, die die Beklagte nicht vergütet habe. Im Tarifvertrag sei eine Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich vorgesehen. Er habe jedoch 45 Stunden arbeiten müssen. In 30 Wochen seien somit 150 Überstunden angefallen, die die Beklagte mit 66,– DM je Stunde vergüten müsse.
2. Dem ist nicht zu folgen. Der Kläger hat keine Überstunden geleistet.
a) Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 MTV sind Überstunden die Arbeitszeiten, die über die nach § 17 Abs. 1 Satz 2 MTV maßgebliche Stundenzahl hinausgehen. Diese betrug für den Kläger 45 Stunden in der Woche.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MTV ist die Arbeitszeit unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse vom Projektleiter zu regeln. Er ist dabei hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit an § 17 Abs. 1 Satz 2 MTV gebunden. Nach Halbsatz 1 dieser Bestimmung darf im Kalenderjahr die Arbeitszeit 2080 Stunden, dies sind 40 Stunden in der Woche, nicht übersteigen; nach Halbsatz 2 gilt jedoch eine Ausnahme, wenn „die Gegebenheiten des Projekts oder Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erfordern”.
Die Arbeitszeit des Klägers ist wirksam auf 45 Stunden in der Woche festgesetzt worden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bedurfte es dazu nicht einer Entscheidung der Beklagten nach § 17 Abs. 3 Satz 2 MTV. Diese Bestimmung gilt für die Festsetzung der Arbeitszeit von „Einzelsachverständigen” im Sinne des § 17 Abs. 2 und 3 MTV. Die Arbeitszeit des Klägers war jedoch nach § 17 Abs. 1 MTV zu regeln. Dies ist dadurch geschehen, daß der Kläger gemäß seinem Arbeitsvertrag als Arzt Krankenhäusern in Saudi-Arabien, in denen die wöchentliche Arbeitszeit 45 Stunden betrug, zur Dienstleistung zugewiesen wurde. Diese vom Projektleiter der Beklagten jedenfalls konkludent getroffene Entscheidung war wirksam.
Die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 MTV enthält eine Bestimmungsklausel, durch die dem Arbeitgeber die Befugnis eingeräumt wird, über den Umfang der Arbeitszeit unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von der Grundregel zu entscheiden. Eine Bestimmungsklausel liegt vor, wenn der Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen nicht abschließend und nicht in allen Einzelheiten festlegt, sondern nur Rahmen und Bedingungen oder Leitlinien aufstellt, innerhalb derer die Konkretisierung der Arbeitsbedingungen den im Tarifvertrag bezeichneten Stellen oder Personen obliegt. Zu diesen kann auch, wie hier, der Arbeitgeber gehören. Die Ausfüllung des Tarifvertrags muß sich in dem von den Tarifvertragsparteien vorgegebenen Rahmen halten und alle tariflichen Vorschriften beachten; anderenfalls ist sie unwirksam. Außerdem findet § 315 BGB Anwendung. Dies hat zur Folge, daß die Entscheidung des Bestimmungsberechtigten im Falle ihrer Unbilligkeit nicht verbindlich ist und durch das Arbeitsgericht erfolgen kann (§ 315 Abs. 3 BGB; vgl. BAGE Urteil vom 12. Januar 1989 – 8 AZR 251/88 – AP Nr. 14 zu § 50 BAT, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die ausfüllende Entscheidung der Beklagten war dadurch gebunden, daß die Gegebenheiten des Projekts oder die Regelungen im Einsatzland eine höhere Stundenzahl erforderten (§ 17 Abs. 1 Satz 2 MTV). Diese Voraussetzungen lagen vor, als die Beklagte die Arbeitszeit über 40 Stunden hinaus auf 45 Stunden in der Woche festsetzte. Der Kläger hat gegenüber dem auf die Regelarbeitszeit in Saudi-Arabien hinweisenden Vortrag der Beklagten nicht geltend gemacht, daß eine Regelung in Betracht gekommen wäre, die unterschiedliche Arbeitszeiten der saudi-arabischen und der ausländischen Mitarbeiter vorsah. Eine solche wäre auch unpraktisch gewesen.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte unbillig entschieden hat. Die Beklagte hat bei der Festsetzung der Arbeitszeit des Klägers nicht nur ihr eigenes Interesse berücksichtigt, das sich daraus ergab, ihren saudi-arabischen Vertragspartnern Personal zu überlassen, das während der vollen Dauer der am Einsatzort geltenden regelmäßigen Arbeitszeit zur Verfügung stand. Sie hat auch das Interesse des Klägers berücksichtigt, indem sie für diesen eine regelmäßige Arbeitszeit festgesetzt hat, die im Hinblick auf die Verhältnisse am Arbeitsort zumutbar war und sich in dem Rahmen hielt, den § 3 AZO für eine Tätigkeit des Klägers im Inland erlaubt hätte.
b) Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von dem Urteil des Vierten Senats vom 3. Februar 1988 (–- 4 AZR 516/87 – nicht zur Veröffentlichung bestimmt) ab, auf das der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verwiesen hat. Dort ging es um die Frage, ob Bereitschaftsdienste besonders zu vergüten sind, obwohl der MTV weder über die Verpflichtung zur Leistung solcher Dienste noch über deren Vergütung Regelungen enthält. Dies hat nichts mit der hier streitigen und in § 17 Abs. 1 MTV geregelten Frage zu tun, wie die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit zu bemessen ist.
II. Die Kosten des Rechtsstreits waren, soweit über die Revision entschieden wurde, gemäß § 91 Abs. 1 ZPO dem insoweit unterlegenen Kläger aufzuerlegen. Über die Kosten des durch Vergleich erledigten Teils des Streitgegenstands war unter Beachtung der Grundsätze des § 91 a ZPO zu entscheiden, weil die Parteien nach Abschluß des Vergleichs um gerichtliche Entscheidung gebeten haben. Im Hinblick auf den bisherigen Sach- und Streitstand entsprach es billigem Ermessen, der Beklagten 1/8 der Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, was dem in dem Vergleich dem Kläger zugestandenen Teil der Klageforderung entspricht, und die restlichen 7/8 der Kosten den Kläger tragen zu lassen.
Wie der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung hat erkennen lassen, hätte der Kläger voraussichtlich nur hinsichtlich der Transportkosten (3.000,– DM) obsiegen können, während er hinsichtlich der anderen tarifvertraglichen Erfüllungsansprüche mit Klageabweisung hätte rechnen müssen und mit den Schadenersatzansprüchen einem erheblichen Prozeßrisiko ausgesetzt gewesen wäre. Dies ließ es geboten erscheinen, die Beklagte nur
in der Höhe mit Prozeßkosten zu belasten, in der sie vergleichsweise nachgegeben hat.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Weiss, Schmidt
Fundstellen