Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsansprüche eines arbeitsunfähigen Schwerbehinderten
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 1991 – 5 AZR 383/90 –, zur Veröffentlichung vorgesehen
Normenkette
BGB §§ 615, 297; SchwbG n.F. § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. April 1991 – 9 Sa 1167/90 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet war, dem schwerbehinderten Kläger ab November 1989 einen anderen leidensgerechten Tätigkeitsbereich zuzuweisen und ob er dafür die Fortzahlung der bisher vereinbarten Vergütung beanspruchen kann.
Der am 4. Dezember 1940 geborene Kläger hat den Beruf eines Elektroinstallateurs erlernt und war seit dem 3. Oktober 1967 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hat im Wege der Betriebsübernahme das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortgesetzt und ihn als Kundendienstmonteur beschäftigt. Er hat zuletzt 3.325,– DM brutto monatlich verdient und wurde im Verkaufsbüro der Beklagten in D. eingesetzt. Dort beschäftigt die Beklagte 65 Arbeitnehmer, davon 40 im Innendienst. Zu den Aufgaben des Klägers gehörte die Aufstellung, Wartung und Reparatur von Waschmaschinen, Trocknern, Bügelgeräten und entsprechenden Haushalts- und Gewerbegeräten.
Wegen eines Herzinfarkts war der Kläger in der Zeit vom 23. April 1988 bis zum 26. Oktober 1989 arbeitsunfähig. Er ist seit dem 27. Oktober 1988 vom Versorgungsamt M. als Schwerbehinderter mit einer Erwerbsminderung von 50 % anerkannt und ist nach einem fachärztlichen Gutachten vom 5. Januar 1990 wie folgt beschrankt einsatzfähig:
„Vollschichtige Arbeiten in der Tagesschicht in Werkshallen, in geschlossen Räumen, in temperierten Räumen; ständig leichte, überwiegend leichte Arbeit (z.B. Tragen bis ca. 5 kg) und zeitweise leichte Arbeiten (z.B. Tragen bis ca. 10 kg) bei ständig stehender, gehender oder sitzender Arbeitshaltung. Folgende Arbeiten oder Belastungen sind für den Kläger auszuschließen: Arbeit mit Zeitdruck und Heben und Tragen über 12 kg.”
Darüber hinaus hat der Gutachter festgestellt:
„Tätigkeiten als Kundendiensttechniker im Außendienst sind nicht mehr möglich, die übrigen vorgesehenen Tätigkeiten können ausgeübt werden, sofern das konkrete Arbeitsplatzangebot dem vorstehenden Leistungsbild entspricht. Vollschichtige körperlich leichte Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Wechselschicht sind nach dem derzeitigen Befund dauerhaft möglich.”
Nach dem 26. Oktober 1989 hat er der Beklagten für die Zeit ab November 1989 mehrfach angeboten, statt als Kundendienstmonteur in der Materialausgabe der Kundendienstabteilung oder der Kundendienstauftragsannahme zu arbeiten.
Der Kläger hat in der Zeit vom 24. November 1989 bis zum 28. Februar 1990 Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 5.056,40 DM erhalten.
Die Parteien haben am 3. Dezember 1990 eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. März 1991 gegen Zahlung einer Abfindung von 10.000,– DM gemäß §§ 9, 10 KSchG beendet wird und damit alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung mit Ausnahme der in diesem Rechtsstreit verfolgten Forderungen abgegolten sind.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei durch sein Angebot, in der Materialausgabe der Kundendienstabteilung oder in der Kundendienstauftragsannahme zu arbeiten, in Annahmeverzug geraten und müsse ihm daher die Arbeitsvergütung ab November 1989 zahlen. Diese Vergütung könne er auch als Schadensersatz beanspruchen, weil die Beklagte verpflichtet sei, ihn als Schwerbehinderten seiner eingeschränkten Einsatzfähigkeit entsprechend auf einem anderen Arbeitsplatz als bisher zu beschäftigen.
Der Kläger verlangt in diesem Rechtsstreit für die Zeit vom 1. November 1989 bis zum 28. Februar 1990 die Fortzahlung seiner Vergütung (4 × 3.325,– DM brutto = 13.300,– DM brutto) unter Anrechnung des Arbeitslosengeldes in Höhe von 5.056,40 DM netto und hat daher zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 13.300,– DM brutto abzüglich 5.056,40 DM netto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu vorgetragen: Im Verkaufsbüro in D. gebe es keinen freien Arbeitsplatz für den Kläger. Die dort zu verrichtenden Tätigkeiten seien auch nicht streßfrei. In der mit zwei Arbeitnehmern besetzten Kundendienstauftragsannahme habe man häufig mit unzufriedenen und in der Materialausgabe ständig mit auf Abfertigung drängenden Kunden zu tun. Abgesehen davon, daß diese vom Kläger angestrebten Arbeitsplätze nach dem ärztlichen Gutachten für ihn nicht in Betracht kommen, seien sie von anderen Arbeitnehmern besetzt. Die Beklagte könne keinen davon zugunsten des Klägers entlassen, weil diese Mitarbeiter teils älter, teils länger beschäftigt und vereinzelt selbst schwerbehindert seien, wie die Beklagte unter Darlegung der Sozialdaten im einzelnen vorgetragen hat.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er sein Klageziel weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, denn die Vorinstanzen haben dem Kläger zu Recht einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für den geltend gemachten Zeitraum versagt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Vergütungsanspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahme Verzuges (§ 615 BGB) abgelehnt, weil er die vertraglich geschuldete Tätigkeit eines Kundendienstmonteurs unstreitig nicht ausführen könne. Darüber hinaus könne der Kläger eine Weiterbeschäftigung in der Auftragsannahme oder in der Materialausgabe nicht verlangen, weil es an einem freien Arbeitsplatz fehle. Außerdem kämen diese Tätigkeiten wegen Zeitdrucks und wegen körperlicher Belastung für ihn nicht in Betracht. Angesichts der Sozialdaten der in den vorgenannten Abteilungen beschäftigten anderen Arbeitnehmer sei die Beklagte nicht verpflichtet, für den Kläger einen Arbeitsplatz freizukündigen.
II. Die Angriffe der Revision dagegen können keinen Erfolg haben.
1. Dem Kläger steht kein Lohnanspruch aus dem Gesichtspunkt des Annahme Verzuges (§ 615 BGB) zu. Voraussetzung dafür ist, daß der Arbeitnehmer zu der vertraglich geschuldeten Leistung auch imstande ist (§ 297 BGB). Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers und nach dem ärztlichen Gutachten vom 5. Januar 1990 ist der Kläger nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit eines Kundendiensttechnikers im Außendienst auszuüben. Die von ihm beanspruchte Zuweisung einer anderen Tätigkeit außerhalb der vertraglich geschuldeten Beschäftigung als Kundendienstmonteur entsprach nicht der vertraglich geschuldeten Leistung.
2. Der Kläger kann deswegen auch keine Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Fürsorgepflicht geltend machen.
a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG (der § 11 Abs. 2 Satz 1 SchwbG a.F. entspricht) haben Arbeitgeber die Schwerbehinderten so zu beschäftigen, daß diese ihre Kenntnisse und Fähigkeiten möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Diese Vorschrift gibt dem Schwerbehinderten zwar keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz und auch kein Recht, nach seinen Neigungen und Wünschen beschäftigt zu werden (BAG Urteil vom 23. Januar 1964 – 2 AZR 289/63 – AP Nr. 2 zu § 12 SchwBeschG), wohl aber im bestehenden Arbeitsverhältnis einen klagbaren Anspruch darauf, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten so beschäftigt zu werden, daß er entsprechend seiner Vorbildung und seinem Gesundheitszustand seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (BAG Urteil vom 14. Juli 1983 – 2 AZR 34/82 –, n.v., zu IV 1 der Gründe; Gröninger/Thomas, SchwbG, Stand April 1991, § 14 Rz 6, m.w.N.). Die Verletzung der sich aus § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG ergebenden beruflichen Förderungspflicht kann nicht nur Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes auslösen. Die Norm beinhaltet auch und vor allem eine privatrechtlich gesteigerte Fürsorgepflicht gegenüber dem Schwerbehinderten (BAGE 13, 109; 16, 193 = AP Nr. 1 und 3 zu § 12 SchwBeschG; BAG Urteil vom 28. Mai 1975 – 5 AZR 172/74 – AP Nr. 6 zu § 12 SchwBeschG, mit zustimm. Anm. Schwedes; BAGE 32, 105 und 34, 250 = AP Nr. 2 und 3 zu § 11 SchwbG; Gröninger/Thomas, a.a.O., § 14 Rz 6, m.w.N.).
b) Eine erhöhte Fürsorgepflicht begründet auch § 14 Abs. 3 Satz 1 SchwbG (§ 11 Abs. 3 Satz 1 SchwbG a.F.). Danach sind die Arbeitgeber verpflichtet, den Betrieb so zu regeln, daß eine möglichst große Zahl Schwerbehinderter in ihren Betrieben dauernde Beschäftigung finden können. Die Norm begründet im bestehenden Arbeitsverhältnis mit den Schwerbehinderten eine Erweiterung der im Arbeitsverhältnis begründeten Fürsorgepflicht und gewährt den Schwerbehinderten ebenso wie § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG einen klagbaren Anspruch (BAG Urteil vom 14. Juli 1983 – 2 AZR 34/82 –, n.v., zu IV 2 a der Gründe; Gröninger/Thomas, a.a.O., § 14 Rz 12; Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Aufl., § 14 Rz 33). Ihre Grenzen findet diese Pflicht nach § 14 Abs. 3 Satz 3 SchwbG (§ 11 Abs. 3 Satz 3 SchwbG a.F.) dort, wo ihre Erfüllung mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden und daher unzumutbar ist, wobei es für die Zumutbarkeit auf betriebstechnische wie wirtschaftliche Gesichtspunkte ankommt (BAG Urteil vom 14. Juli 1983 – 2 AZR 34/82 –, n.v., m.w.N.; Gröninger/Thomas, a.a.O., § 14 Rz 15).
c) Ob der Schwerbehinderte von seinem Arbeitgeber verlangen kann, ihm einen Arbeitsplatz freizukündigen, ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 29, 140 = AP Nr. 29 zu § 14 SchwBeschG) verneint dies; nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 18, 124, 128 = AP Nr. 4 zu § 12 SchwBeschG, zu 4 der Gründe) ist dies allenfalls dann möglich, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer nicht auch behindert ist und die Kündigung für ihn keine soziale Härte darstellt. Das muß der Schwerbehinderte im Streitfall darlegen und beweisen (BAGE 18, 124, 128 f.= AP Nr. 4 zu § 12 SchwBeschG).
d) Dieser Darlegungspflicht ist der Kläger in den Vorinstanzen nicht nachgekommen. Nur die Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, daß in der Materialausgabe fünf Arbeitnehmer beschäftigt seien, die ebenfalls schon viele Jahre im Betrieb der Beklagten beschäftigt sind und bis auf einen (der etwa zwei Jahre jünger ist als der Kläger) meist wesentlich älter (etwa zehn Jahre) als der Kläger sind. Das gleiche gilt für die beiden in der Kundendienstauftragsannahme beschäftigten Arbeitnehmer, von denen außerdem einer – wie der Kläger selbst – schwerbehindert ist. Das Berufungsgericht hat bei dieser Sachlage zutreffend angenommen, die Kündigung eines jeden dieser Arbeitnehmer würde eine soziale Härte darstellen. Der Kläger hat in den Vorinstanzen trotz seiner Ankündigung in der Berufungsbegründungsschrift diesem Sachvortrag der Beklagten nichts entgegengesetzt.
Der Kläger hat mit der Revision geltend gemacht, die Beklagte hätte prüfen müssen, ob nicht durch eine Änderungskündigung für den Kläger ein seinem Gesundheitszustand entsprechender Arbeitsplatz hätte freigemacht werden können. Der Kläger hat dazu aber in der Vorinstanz nicht vorgetragen, welcher Arbeitnehmerin seiner Stelle in den Kundendienst hätte wechseln sollen und welcher Arbeitsplatz dafür für ihn freigeworden wäre. Abgesehen davon ist auch eine Änderungskündigung eine soziale Härte für den Betroffenen, wie sich schon daraus ergibt, daß der Gesetzgeber dagegen Kündigungsschutz gewährt (vgl. § 2 KSchG). Im übrigen ist nicht ersichtlich, wie ein solcher Austausch der Arbeitsplätze angesichts der von der Beklagten vorgetragenen und vom Kläger nicht bestrittenen Sozialdaten hätte erfolgen können.
Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob der Kläger zur Ausübung der Tätigkeit auf den von ihm angestrebten Arbeitsplätzen gesundheitlich überhaupt in der Lage war oder nicht.
Unterschriften
Dr. Olderog, Dr. Reinecke, Dr. Armbrüster, Dr. Kalb, Arntzen
Fundstellen