Leitsatz (amtlich)

Bei einer Gesamtversorgung dürfen die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wegen der Anpassung der Sozialversicherungsrenten auch dann nicht den bei der Pensionierung festgesetzten Betrag unterschreiten, wenn die Gesamtversorgung selbst dynamisiert ist.

 

Normenkette

BetrAVG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 16.06.1977; Aktenzeichen 3 Sa 10/77)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 16. Juni 1977 – 3 Sa 10/77 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war vom 10. Oktober 1955 bis zum 28. Februar 1975 bei der Beklagten als Vorarbeiter beschäftigt. Er schied aus Altersgründen aus.

Seit dem 1. Juni 1975 erhält der Kläger von der Beklagten ein betriebliches Altersruhegeld, das in einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1958 mit nachfolgenden Änderungen geregelt ist. Als betriebliche Versorgungsleistung wird der Unterschiedsbetrag zwischen der Sozialversicherungsrente und 78 v. H. des als Ausgangsgröße zu errechnenden Bruttolohns gewährt. Der Bruttolohn wird auf der Grundlage der wöchentlichen Arbeitszeit und des jeweiligen Tariflohns ermittelt; hinzugerechnet werden eine etwaige Vorarbeiterzulage sowie eine Mehrarbeitspauschale.

Nach dieser Berechnungsmethode bezog der Kläger seit dem 1. Juni 1975 ein betriebliches Ruhegeld von 160,10 DM. Für die Zeit ab 1. Januar 1976 erhöhte die Beklagte das Ruhegeld auf 233,10 DM; das beruhte auf der Anhebung des Tariflohns, aus der sich eine Erhöhung des Gesamtversorgungsbetrages ergab. Für die Zeit ab 1. Juli 1976 kürzte die Beklagte ihre Leistung auf einen Betrag von 66,30 DM. Anlaß hierfür war die Anpassung des Altersruhegeldes der Sozialversicherung vom 1. Juli 1976. Gegen diese Kürzung wendet sich der Kläger im vorliegenden Verfahren. Er hat geltend gemacht, nach § 5 Abs. 1 BetrAVG stünden ihm als Mindestbetrag des Ruhegeldes 160,10 DM zu, die ihm bei Eintritt in den Ruhestand gewährt wurden. Der Kläger hat den Unterschiedsbetrag zu den seit dem 1. Juli 1976 gewährten Leistungen für die Zeit von Juli 1976 bis Januar 1977 gefordert und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 656,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf 638,30 DM seit dem 26. Oktober 1976 und auf 18,30 DM seit dem 19. Januar 1977 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das in § 5 Abs. 1 BetrAVG enthaltene Kürzungsverbot könne keine Anwendung finden, wenn das betriebliche Altersruhegeld, wie im vorliegenden Fall, dynamisiert sei. Bei einer solchen Versorgungsgestaltung könne es nicht zu einer Auszehrung des betrieblichen Ruhegeldes kommen, die § 5 Abs. 1 BetrAVG unterbinden wolle; bei jeder Tariferhöhung, die üblicherweise am Jahresanfang liege, werde die Gesamtversorgung angehoben. Deshalb sei es zulässig, die nachfolgende Anpassung der Sozialversicherungsrenten bei der Bemessung der betrieblichen Leistungen zu berücksichtigen. Würde man dies nicht zulassen, so ergäbe sich auch eine ungleiche Behandlung der Betriebsrentner. Derjenige, der vor der Anhebung der Sozialversicherungsrente pensioniert werde, erhalte auf Dauer einen hohen, derjenige, der kurz nach der Rentenfestsetzung in den Ruhestand trete, einen niedrigen Sockelbetrag. Zudem sei die Begrenzung der Versorgung auf 78 % des Bruttoverdienstes deshalb geboten, weil sonst die Pensionäre beim Vergleich des Nettoeinkommens verhältnismäßig besser dastehen als die vergleichbaren aktiven Arbeitnehmer.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Beklagte ist nicht berechtigt, das Ruhegeld auf einen Betrag von weniger als 160,10 DM monatlich herabzusetzen.

I. § 5 Abs. 1 BetrAVG bestimmt, daß die bei Eintritt des Versorgungsfalles festgesetzten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht mehr dadurch gemindert oder entzogen werden dürfen, daß Beträge, um die sich andere Versorgungsbezüge nach diesem Zeitpunkt durch Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung erhöhen, angerechnet oder bei der Begrenzung der Gesamtversorgung auf einen Höchstbetrag berücksichtigt werden.

Die Beklagte gewährt als betriebliche Versorgungsleistung den Unterschiedsbetrag zwischen der Sozialversicherungsrente und 78 v. H. des Bruttolohnes. Bei Eintritt in den Ruhestand erhielt der Kläger nach diesen Bestimmungen ein Ruhegeld in Höhe von 160,10 DM. Für die Zeit ab 1. Juli 1976 reichte eine betriebliche Versorgungsleistung von 66,30 DM aus, um zusammen mit der ab 1. Juli 1976 auf 1.693,70 DM erhöhten Sozialversicherungsrente die Gesamtversorgung von 78 % des Bruttolohns zu gewährleisten. Die Beklagte hat das Ruhegeld dementsprechend herabgesetzt. Das widersprach jedoch § 5 Abs. 1 BetrAVG. Nach dieser Vorschrift sind die bei der Pensionierung festgesetzten Leistungen als Mindestbetrag zu gewähren. Eine weitergehende Berücksichtigung der Anpassung der Sozialversicherungsrenten im Rahmen einer Gesamtversorgung ist nicht zulässig.

II. Die Beklagte meint, § 5 Abs. 1 BetrAVG sei hier nicht so anzuwenden, wie es dem Wortlaut der Vorschrift entspreche. Es müsse vielmehr berücksichtigt werden, daß die von ihr zugesagte Gesamtversorgung ebenfalls dynamisiert sei.

1. Hierzu vertritt die Beklagte die Ansicht, § 5 Abs. 1 BetrAVG wolle nur die Auszehrung, d. h. den völligen Wegfall der betrieblichen Versorgungsleistungen durch Anrechnung anderer dynamisierter Versorgungsbezüge ausschließen. Nach ihrem Versorgungswerk könne jedoch eine völlige Auszehrung des Ruhegeldes nicht eintreten.

a) Eine solche Einschränkung, daß nur die völlige Auszehrung verhindert werden solle, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus seiner Entstehungsgeschichte. Richtig ist zwar, daß die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs nachträgliche Kürzungen von Ruhegeldern nur insoweit als unwirksam angesehen haben, wie sie eine völlige Auszehrung der Betriebsrente bewirkten (BAG 15, 249 = AP Nr. 92 zu § 242 BGB Ruhegehalt; AP Nr. 129 zu § 242 BGB Ruhegehalt; sowie BGH AP Nr. 131 zu § 242 BGB Ruhegehalt). § 5 Abs. 1 BetrAVG geht jedoch weiter. Er verbietet jede Herabsetzung betrieblicher Pensionen unter den Betrag, der erstmalig bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzt worden ist. Das ergibt sich schon aus dem insoweit unmißverständlichen Wortlaut der Bestimmung. Auch die Gesetzesmaterialien weisen aus, daß der Gesetzgeber über die Rechtsprechung hinausgehen wollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf ist auf die Rechtsprechung zur Auszehrung hingewiesen, deren tragende Erwägungen auch für das in Absatz 3 [jetzt Abs. 1] ausgesprochene “weitergehende Verbot” gelten (vgl. BT-Drucksache 7/1281 S. 29 zu § 5 Abs. 3 des Regierungsentwurfs, der wörtlich dem § 5 Abs. 1 des Gesetzes entspricht).

b) Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung zugleich den Sinn der Regelung angesprochen. Der Betriebsrentner soll sich darauf einrichten dürfen, daß er die Bezüge behält, die bei seiner Pensionierung festgesetzt wurden. In allen Fällen, in denen die Höhe der betrieblichen Versorgungsleistung durch die Anrechnung oder – bei Höchstbegrenzungsklauseln – durch die Berücksichtigung der Sozialversicherungsrente bestimmt wird, erfährt der Arbeitnehmer im allgemeinen erst bei der Pensionierung, was er als betriebliche Versorgungsleistung erdient hat. Die bei der Pensionierung festgesetzte Rente betrachtet er als Gegenleistung für die von ihm erbrachte Betriebstreue. Es ließe sich nicht einleuchtend erklären, wenn der Betriebsrentner Abstriche an dieser Leistung hinnehmen müßte, weil ein anderer Versorgungsteil der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt wird.

2. In dem beschriebenen Sinne gilt § 5 Abs. 1 BetrAVG auch dann, wenn die Gesamtversorgung nach der Pensionierung erhöht wird. In diesem Falle unterliegen die bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Veränderungen. Sie müssen neu festgestellt werden, wenn die Gesamtversorgung erhöht wird. Dabei können die anderweitigen Versorgungsbezüge in ihrer jeweiligen Höhe berücksichtigt werden. Die bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Leistungen dürfen aber nicht unterschritten werden. Das kann, wie im vorliegenden Falle, zu einem Auf und Ab der betrieblichen Versorgungsleistungen führen, wenn Gesamtversorgung und anderweitige Versorgungsbezüge zu verschiedenen Zeitpunkten erhöht werden. Dabei kann sich ergeben, daß der nach der Versorgungsordnung vorgesehene Höchstbetrag der Gesamtversorgung überschritten wird, weil die betrieblichen Versorgungsleistungen den Ausgangswert nicht unterschreiten dürfen. Das kann sich ergeben, wenn nach einer Erhöhung der Gesamtversorgung mit einer Erhöhung der betrieblichen Versorgungsleistungen die Sozialversicherungsrenten angepaßt werden, dies sich aber nur begrenzt für die betrieblichen Versorgungsleistungen auswirken darf.

Der Gesetzgeber hat solche Möglichkeit gesehen und in Rechnung gestellt. In dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Drucksache 7/2843 S. 8 zu § 5) heißt es, der Ausschuß teile nicht die vereinzelt vorgebrachte Befürchtung, daß das in dem Gesetzentwurf formulierte Auszehrungsverbot zu unbilligen Ergebnissen in den Fällen führen könnte, in denen die Erhöhung der betrieblichen Altersversorgung und die Erhöhung der anzurechnenden Rente zeitlich auseinanderfallen und hierbei vorübergehend eine vorgesehene Versorgungsgrenze überschritten wird. Daraus ergibt sich, daß § 5 Abs. 1 uneingeschränkt auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen – wie hier – vorübergehend die Gesamtversorgungsgrenze überschritten wird (ebenso Höhne bei Heubeck-Höhne-Paulsdorff-Rau-Weinert, BetrAVG § 5 Anm. 26; Höfer, BetrAVG § 5 Anm. 13).

3. Zu einem anderen Ergebnis kann auch nicht der Einwand der Beklagten führen, diejenigen Betriebspensionäre seien benachteiligt, die kurz nach einer Rentenerhöhung in den Ruhestand treten. Stichtage und damit zusammenhängende Ereignisse führen in vielen Fällen zu Ergebnissen, die unbillig erscheinen. Die Beklagte will jedoch den Nachteil, der sich daraus für einen Teil der Rentner ergibt, auch den Betriebspensionären auferlegen, die einen “günstigeren” Pensionierungszeitpunkt hatten. Das ist kein Gesichtspunkt, der es erlaubt, die gesetzliche Regelung zu durchbrechen.

 

Unterschriften

Dr. Stumpf, Dr. Thomas, Dr. Dieterich, Jahnz, Hartmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1766834

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