Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeld und tarifliche Ausschlußfrist

 

Normenkette

SchwbG § 42; BGB §§ 362, 816, 409; SGB I § 53; BAT vom 23. Februar 1961 § 62; BAT vom 23. Februar 1961 § 63; BAT vom 23. Februar 1961 § 70

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 27.02.1980; Aktenzeichen 5 Sa 115/79)

ArbG Berlin (Urteil vom 11.10.1979; Aktenzeichen 19 Ca 75/79)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 27. Februar 1980 – 5 Sa 115/79 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Der am 5. September 1915 geborene Kläger war vom 26. Januar 1959 bis zum 31. Dezember 1977 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Er erhielt zuletzt Vergütung nach Gruppe IVb des Gehaltstarifvertrages für Sparkassen. Das Arbeitsverhältnis richtete sich im übrigen nach dem Bundesangestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 in seiner jeweiligen Fassung. Der Kläger ist Schwerbehindeter mit einer Erwerbsminderung von 60 v.H.

Für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis zum 30. April 1978 zahlte ihm die Beklagte ein Übergangsgeld in einer Gesamthöhe von 12.205,12 DM. Bereits am 17. Juli 1977 trat der Kläger seine Rentenansprüche gegen die BfA in der Höhe an die Beklagte ab, wie sie ihm Übergangsgeld gewährte. Desgleichen übertrug er seine Versorgungsansprüche gegen die VBL auf die Beklagte. Mit Bescheid vom 11. November 1977 bewilligte die BfA dem Kläger vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. Januar 1978 in einer monatlichen Höhe von 1.541,10 DM. Die VBL bewilligte eine Versorgungsrente ab 30. Januar 1978 in Höhe von 1.064,90 DM. Sie errechnete später noch einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 96,-- DM. Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 1978 überwies die BfA 6.164,40 DM und die VBL einen nicht näher festgestellten Betrag an die Beklagte.

Am 10. Mai 1978 entschied der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts, daß die Schwerbehinderten gezahlten vorgezogenen Versorgungsbezüge nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden dürften. Hiervon erfuhr der Kläger im November 1978 aus der Tagespresse. Mit Schreiben vom 27. November 1978, 22. Januar 1979, 24. Februar 1979 und 6. März 1979 verlangte er die Auszahlung der von der Beklagten eingezogenen Gelder. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 18. Januar 1979 und 9. April 1979 ab, weil die tarifliche Ausschlußfrist abgelaufen sei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß seine Ansprüche von der tariflichen Ausschlußfrist nicht erfaßt werden, jedenfalls die Beklagte ihm den Ablauf der Ausschlußfrist nach Treu und Glauben nicht entgegenhalten dürfe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, 10.520,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 31. Juli 1979 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Ansprüche des Klägers seien nach § 70 BAT verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Ob die Ansprüche des Klägers nach § 70 BAT verfallen sind, läßt sich noch nicht beurteilen. Dies macht die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erforderlich.

I. Dem Kläger stand bei seinem Ausscheiden aus den Diensten der Beklagten ein Übergangsgeld in Höhe von 12.205,12 DM brutto zu. Dieser Anspruch ist jedoch erfüllt worden und damit erloschen.

Nach § 62 Abs. 1 BAT erhält ein Angestellter bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein Übergangsgeld, wenn er das 21. Lebensjahr vollendet und in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber gestanden hat. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit dem 26. Januar 1959 bei der Beklagten beschäftigt, als er mit Erreichen des 62. Lebensjahres aus deren Diensten schied. Daraus ergibt sich nach den Berechnungsgrundsätzen des § 63 BAT unstreitig ein Übergangsgeld in Höhe von 12.205,12 DM. Diesen Betrag hat die Beklagte an den Kläger bis zum 30. April 1978 in Raten ausgezahlt und damit den Anspruch auf Übergangsgeld erfüllt (§ 362 BGB).

II. Auf seinen Anspruch auf Auszahlung des Übergangsgeldes brauchte sich der Kläger weder seine vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch die Zusatzversorgungsrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL anrechnen zu lassen. Die Abtretung seiner Versorgungsbezüge, die eine Anrechnung ermöglichen sollte, war nichtig.

1. In § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT i.d.F. des 14. und 22. ÄndTarifvertrags vom 15. Dezember 1965 und 7. Juli 1969 ist vorgesehen, daß ein Angestellter, dem laufende Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden, nur Übergangsgeld insoweit erhält, wie die Rentenbezüge für denselben Zeitraum hinter dem Übergangsgeld zurückbleiben. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages durfte die Beklagte die Rentenbezüge bei der Bemessung des Übergangsgeldes berücksichtigen.

Die Vorschrift des § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT aaO, ist jedoch insoweit rechtsunwirksam, wie sie sich auf das vorgezogene Altersruhegeld von Schwerbehinderten bezieht. Nach § 42 SchwbG i.d.F vom 29. April 1974 (BGBl I, 1006) dürfen bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der Dienstbezüge Renten eines Schwerbehinderten und vergleichbare Leistungen, die wegen der Behinderung bezogen werden, nicht berücksichtigt werden. Vor allem ist es unzulässig, sie ganz oder teilweise auf das Arbeitsentgelt oder die Dienstbezüge anzurechnen. Der Gesetzgeber will sicherstellen, daß die dem Schwerbehinderten zum Ausgleich seiner Leiden gewährten Sozialleistungen nicht mit dem vom Arbeitgeber geschuldeten Arbeitsentgelt verrechnet werden. Das Gericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß das Übergangsgeld nach § ??*2 BAT zum Arbeitsentgelt zählt (BAG Urteil vom 13. Juli 1982 – 3 AZR 576/80 – AP Nr. 3 zu § 42 SchwbG, zu 3a der Gründe mit weit. Nachweis). Ferner hat das Gericht entschieden, daß das vorgezogene Altersruhegeld für Schwerbehinderte (§ 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG??* zu den nicht anrechnungsfähigen Renten gehört (BAG Urteile vom 10. Mai 1978 – 4 AZR 740/76 – AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 160/82 – AP Nr. 9 zu § 4??* SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG).

2. Die Verträge über die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente und der Zusatzversorgungsrente sind nichtig (§ 134 BGB). Sie sollen die Anrechnung der Renten auf das Übergangsgeld bewirken und verstoßen daher gegen das in § 42 SchwbG enthaltene Anrechnungsverbot. Unabhängig hiervon ist die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente auch nach § 53 Abs. 1 SGB I nichtig; eine Ausnahme vom Abtretungsverbot ist nicht gegeben. Ansprüche auf Geldleistungen eines Sozialleistungsträgers können nur dann übertragen werden, wenn die Abtretung nur der Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung dient. Die Beklagte konnte jedoch keinen Rückzahlungsanspruch erwerben.

III. Es kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger Ansprüche gegen die Beklagte zustehen, weil ihr die Rentenzahlungen zu Unrecht ausgezahlt worden sind.

1. Für den Kläger ist ein Bereicherungsanspruch gegen die Beklagte erwachsen. Nach § 816 Abs. 2 BGB ist der Nichtberechtigte dem Berechtigter zur Herausgabe verpflichtet, wenn der Nichtberechtigte eine Leistung erhalten hat, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Beklagte war zur Einziehung der Rentennachzahlung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder nicht berechtigt. Die entsprechenden Abtretungserklärungen des Klägers waren nichtig, wie bereits dargelegt worden ist (oben II 2). Gleichwohl muß der Kläger die Zahlungen der Rententräger an die Beklagte als Erfüllungsgeschäfte gegen sich gelten lassen. Er hat die Auszahlung der Rentennachzahlung an die Beklagte stillschweigend gebilligt.

Er verlangt von der Beklagten nicht die Rückabwicklung der Rentenzahlung, sondern die Weiterleitung der Erlangten. Deshalb ist er auf Bereicherungsansprüche gegen die Beklagte verwiesen.

2. Das Landesarbeitsgericht muß noch weitere Feststellungen treffen, ob der Anspruch des Klägers wegen angerechtfertigter Bereicherung erloschen ist, weil der Kläger die tarifliche Ausschlußfrist versäumt hat.

a) Nach § 70 Abs. 1 BAT in der Fassung vom 23. Februar 1961 müssen Vergütungsansprüche innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag verfallen nach § 70 Abs. 2 BAT, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich erhoben werden.

Der Kläger verfolgt Ansprüche auf Auszahlung der unberechtigten Rentenüberweisungen. Dies sind “andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT. Zu diesen Ansprüchen gehören nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern auch solche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für die Frage, ob “ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT vorliegt, ist nicht die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage entscheidend, sondern der Entstehungsbereich der Forderung (BAG Urteile vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 7??*8/77 – AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu I der Gründe; vom 11. Juni 198??* – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Bl. 1; vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG). Dieser stammt im vorliegenden Fall aus dem Arbeitsvertrag; die Forderung des Klägers beruht allein darauf, daß er zur Sicherung einer vermeintlichen Anrechnungsmöglichkeit der Beklagten rückständige Rentenansprüche abgetreten hat.

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann das vorgezogene Altersruhegeld und die Versorgungsrente der VBL an die Beklagte ausgezahlt worden sind. Die Verfallfrist begann, als der Anspruch aus ungerecht fertigter Bereicherung entstanden ist, also im Zeitpunkt der Rentenauszahlung an die Beklagte. Zu diesem Zeitpunkt mußte der Kläger endgültig eine Vermögenseinbuße gewärtigen. Dies ist auch in den Fällen so, in denen sich erst aus der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte die Rechtserkenntnis ergibt, daß die bisherige Verwaltungspraxis nicht dem Schwerbehindertengesetz entsprach. Eine Ungewißheit eines Gläubigers über Umfang und Grenzen seiner Forderung steht der unstreitigen Geltendmachung nicht entgegen, da er bei besserer Rechtskenntnis die Forderung erheben und notfalls auch einklagen kann. Der Kläger hat seine Forderung erst am 27. November 1978 erhoben. Ob dies rechtzeitig war, kann mangels Feststellung des Zahlungstermins nicht beurteilt werden. Zwar hatte der Kläger Rente sowie Übergangsgeld beantragt, aber damals erkannte er ausdrücklich die Anrechnung der Renten an. Als die Beklagte ihm das Übergangsgeld auszahlte, machte sie ihm deutlich, daß die Zahlung nur unter dem Vorbehalt der Rentenabfindung erfolgte, ohne daß der Kläger widersprach.

c) Soweit dagegen die Revision geltend macht, die Beklagte dürfe sich nicht auf den Ablauf tariflicher Ausschlußfrister berufen, kann ihr nicht gefolgt werden.

Den öffentlichen Arbeitgeber trifft keine allgemeine Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer über etwaige Ansprüche zu belehren, wenn darüber rechtlich verschiedene Ansichten möglich sind (BAG 8, 279, 284 = AP Nr. 25 zu § 256 ZPO, Bl. 4). Dies gilt zumindest dann, wenn es um Ansprüche geht, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwickeln waren. Kein Arbeitnehmer kann darauf vertrauen, daß sein Arbeitgeber bei Bekanntwerden neuer Entscheidungen oberster Bundesgerichte bereits abgewickelte Ansprüche aus beendeten Arbeitsverhältnisses erneut aufnimmt und ausgeschiedene Arbeitnehmer auf mögliche Ansprüche hinweist. Ob die Rechtslage eine andere ist, wenn der öffentliche Arbeitgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (BAG 14, 193, 195 = AP Nr. *? zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 22. November 1963 – 1 AZR 17/63 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu 4 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Mai 1974 – 3 AZR 422/73 – AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt – VBL, zu II 2a der Gründe; Urteil vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, zu III 2c der Gründe), kann unentschieden bleiben. Die Beklagte hat bei dem Kläger nicht den Eindruck erweckt, er werde weitere Rechtsbelehrungen erhalten. Daß sie die Formulare zur Erhebung von Ansprüchen auf Übergangsgeld entworfen hat, ändert daran nichts.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Schoden, Dr. Menzel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1766798

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