Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Sprungrevision. Zustimmung des Gegners
Normenkette
ArbGG § 76 Abs. 1; ZPO § 170 Abs. 2, §§ 233, 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Tarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes die vom Beklagten getroffene Anordnung von Bereitschaftsdienst für Rettungssanitäter “in der Weise” zuläßt, daß dieser “sich an seiner Arbeitsstelle (der Rettungswache) aufzuhalten hat und bei Alarmierung unverzüglich mit dem Rettungsfahrzeug zum Einsatzort auszurücken hat”. Der Kläger erstrebt die Bewertung dieser Schichten als Arbeitszeit und deren entsprechende Bezahlung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und auf den übereinstimmenden Antrag der Parteien die Sprungrevision im Urteil zugelassen. Gegen das ihm am 11. Mai 2000 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte am Dienstag, dem 13. Juni 2000 (11. Juni = Pfingstsonntag) Sprungrevision eingelegt. Der per Brief übersandten Revisionsschrift war die von dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten beglaubigte Kopie der diesem per Fax übermittelten “Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision” des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 9. Juni 2000 beigefügt. Durch gerichtliche Verfügung vom 28. August 2000, dem Beklagten zugegangen am 30. August 2000, wurde der Beklagte darauf hingewiesen, es bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit der Sprungrevision, weil die Zustimmungserklärung des Klägers nicht im Original und damit nicht formgerecht eingereicht worden sei. Mit dem am 13. September 2000 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 12. September 2000, dem das Fax vom 9. Juni 2000 beigefügt war, hat der Beklagte – wie auch in allen Parallelsachen – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand “bezüglich der Einreichung der gegnerischen Zustimmungserklärung und damit für die Einlegung der Sprungrevision” beantragt und dies damit begründet, sein Bevollmächtigter habe nach dem Studium der einschlägigen Kommentare unverschuldet davon ausgehen dürfen, die Übersendung einer von ihm gefertigten und beglaubigten Kopie der Zustimmungserklärung des Klägers entspreche den gesetzlichen Formerfordernissen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß
Der Kläger beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückzuweisen und die Sprungrevision als unzulässig zu verwerfen. Er macht geltend, diese sei unzulässig, da die der Revisionsschrift beigefügte Zustimmungserklärung nicht der Form des § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG entspreche.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Beklagten ist unzulässig.
- Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar die Revision (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn die Sprungrevision vom Arbeitsgericht auf Antrag im Urteil oder nachträglich durch Beschluß zugelassen wird. Ist, wie im vorliegenden Verfahren, die Sprungrevision im Urteil zugelassen, so ist der Revisionsschrift gem. § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die – schriftliche (§ 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) – Zustimmung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen.
Die Revision des Beklagten genügt diesen Anforderungen nicht. Der Beklagte hat die Zustimmungserklärung des Klägers vom 9. Juni 2000 in der Frist zur Einlegung der Revision nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform beim Bundesarbeitsgericht eingereicht. Dieser Formfehler führt zur Unzulässigkeit der Revision (BAG 19. September 1985 – 2 AZR 533/84 – nv.; BGHZ 92, 76, 77; allg. Meinung).
Zugunsten des Beklagten wird unterstellt, daß das Rechtsmittel formgerecht eingelegt worden wäre, wenn der Beklagte die ihm unmittelbar vor Ablauf der Revisionsfrist per Telefax übermittelte, vom Revisionsgegner eigenhändig unterzeichnete Zustimmungserklärung der Revisionsschrift beigefügt, das Gericht also das “Original” des beim Beklagten eingegangenen Telefax erhalten hätte (bejahend BSG AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 11 mwN; zweifelnd BSG SozR 3-6935 Allg. Nr. 1). Denn jedenfalls erfüllt die der Revisionsschrift beigefügte, vom zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Beklagten mit einem bedeutungslosen Beglaubigungsvermerk versehene Kopie der ihm per Telefax übermittelten Zustimmungserklärung nicht das gesetzliche Schriftformerfordernis.
- Schreibt das Gesetz – wie § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG – die Schriftform vor, bedeutet dies, daß die Erklärung schriftlich niedergelegt und vom Erklärenden eigenhändig unterschrieben sein muß (vgl. § 126 Abs. 1 BGB). Dies gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den insoweit gleiche Anforderungen stellenden Vorschriften des § 76 ArbGG, § 161 SGG und § 566a ZPO auch für die Form der Zustimmungs- bzw. Einwilligungserklärung des Gegners zur Einlegung der Sprungrevision. Die – in dieser Form abgegebene – Zustimmungserklärung ist nach § 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG der Revisionsschrift beizufügen (BAG 19. September 1985 – 2 AZR 533/84 – nv.; BSG SozR 3-1500 § 161 SGG Nr. 3; BGH aaO). Das Schrifttum teilt diese Auffassung weitaus überwiegend (zB Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 59. Aufl. § 566a Rn. 4; ArbGV-Bepler § 76 Rn. 13; MünchKomm/Wenzel ZPO 2. Aufl. § 566a Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozeßrecht 15. Aufl. § 142 I 3 S 864; Schellhammer Zivilprozeß 6. Aufl. Rn. 1074; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 21. Aufl. § 566a Rn. 4; Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 566a Rn. 4; zweifelnd: Bepler NJW 1989, 686, 689; Meyer NZS 1995, 356, 357, 358; Schreiber JR 1985, 157; Zöller/Gummer ZPO 22. Aufl. § 566a Rn. 2).
- Der Beklagte mißversteht das von ihm angeführte Schrifttum, wenn er diesem entnimmt, das von ihm gewählte Verfahren der Einreichung der Zustimmungserklärung, also die Übersendung einer von seinem Prozeßbevollmächtigten beglaubigten Fotokopie des Telefax der vom Gegner unterzeichneten Zustimmungserklärung per Brief, entspreche den gesetzlichen Formerfordernissen nach § 76 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG. Die von ihm in Bezug genommenen Ausführungen behandeln vielmehr die Frage, ob – wie bei bestimmenden Schriftsätzen – die papierlose Übermittlung der Zustimmungserklärung mittels moderner Kommunikationstechniken (Fax usw.) den gesetzlichen Formvorschriften entspricht. Bei bestimmenden Schriftsätzen gehört zur Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift. Daran hält auch die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000 (– GmS-OGB 1/98 – BGHZ 144, 160) fest. Ausnahmen von diesem Grundsatz läßt die Rechtsprechung bei der Übermittlung von bestimmenden Schriftsätzen mittels papierloser Kommunikationstechniken – Telegramm, Fernschreiben, Telefax und neuerdings Computerfax – zu (GmS-OGB aaO), um die Ausschöpfung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen zu ermöglichen (BSG SozR 3-1500 § 161 SGG Nr. 12). Dementsprechend hat das Bundessozialgericht entschieden, daß das Schriftformerfordernis des § 161 Abs. 1 Satz 3 SGG auch dann gewahrt ist, wenn der Revisionskläger das Schriftstück, in dem der Rechtsmittelgegner die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erteilt, per Telefax an das Gericht weiterleitet (SozR 3-1500 § 161 SGG Nr. 12). Dem stimmt ein Teil des vom Beklagten angeführten Schrifttums zu (zB GK-ArbGG/Ascheid Stand September 2000 § 74 Nr. 8; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 76 Rn. 17; Hauck ArbGG § 76 Rn. 9). Hingegen vertreten die von ihm angeführten Autoren nicht die Auffassung, die Übersendung der Revisionsschrift per Brief unter Beifügung einer beglaubigten oder unbeglaubigten Kopie der vom Gegner unterzeichneten Zustimmungserklärung wahre die Formerfordernisse des § 76 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG. Vielmehr besteht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Übereinstimmung darin, daß die Einreichung einer unbeglaubigten Fotokopie der Zustimmungs- bzw. Einwilligungserklärung das Schriftformerfordernis nicht erfüllt (BAG aaO; offengelassen BAG 28. Oktober 1986 – 3 AZR 218/86 – AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 7; BGH aaO; BSG SozR 3-1500 § 161 SGG Nr. 2, 3 und 11). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung gebilligt (15. Februar 1993 – 1 BvR 1045/92 – AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 8). Es geht ausdrücklich davon aus, daß “eine besondere Einwilligungserklärung i.S. des § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG im Original vorzulegen” ist.
- Der Auffassung des Beklagten, “wenn schon die Weiterleitung per Telefax, einem anderen Wort für Fernkopie, ausreichend ist, dann kann für die Weiterleitung einer – sogar beglaubigten – sonstigen/normalen Kopie nichts anderes/strengeres gelten”, kann nicht gefolgt werden. Sie wird, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Schrifttum nirgends vertreten. Die Auffassung des Beklagten läuft darauf hinaus, eine Ausnahme von dem gesetzlichen Formerfordernis, die schriftliche Zustimmungserklärung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen, ohne einen diese rechtfertigenden sachlichen Grund zuzulassen. Wenn der Revisionskläger im Besitz des Originals der schriftlichen Zustimmungserklärung des Gegners – hier des “Originals” des unmittelbar vor Ablauf der Revisionsfrist bei ihm eingegangenen Telefax – ist und die Revisionsschrift per Brief an das Revisionsgericht übersendet, besteht kein technisches Hindernis, das gesetzliche Formerfordernis – Einreichung des Originals der schriftlichen Zustimmungserklärung – uneingeschränkt zu erfüllen. Der Beklagte verkennt, daß die Unterscheidung zwischen einer gewöhnlichen Kopie und einer Fernkopie berechtigt ist: Denn die gewöhnliche Kopie (“Nahkopie”) stellt keine Form der Nachrichtenübermittlung dar. Sie entsteht dort, wo sich das Original des kopierten Schriftstücks befindet, und ihre Übersendung per Brief nimmt dieselbe Zeit in Anspruch wie diejenige des Originals. Ihr fehlen zugleich die Transport- und die Beschleunigungsfunktion der Fernkopie. Für ihre Verwendung besteht daher im Rechts- und Geschäftsverkehr kein Bedürfnis. Wird sie dennoch zum Nachweis einer Erklärung benutzt, drängt sich stets die Frage auf, weshalb nicht das Original verwendet wurde. Deswegen ist der Beweiswert einer Nahkopie – im Vergleich zur Fernkopie – von vornherein gemindert (BSG 12. November 1996 – 9 RVs 4/96 – AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 11).
- Die Revision des Beklagten erfüllt nicht die dargelegten Zulässigkeitsanforderungen des § 76 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG. Er hat seiner – per Brief übersandten, am Tage des Ablaufs der Revisionsfrist beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen – Revisionsschrift nicht das damals in seinem Besitz befindliche “Original” der ihm per Telefax übermittelten Zustimmungserklärung des Klägers zur Einlegung der Sprungrevision beigefügt, sondern stattdessen eine von ihm gefertigte Fotokopie des Telefax. Diese muß trotz des darauf gesetzten Beglaubigungsvermerks des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten rechtlich als unbeglaubigte Kopie bewertet werden. Denn der Beglaubigungsvermerk des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, mit dem dieser die Übereinstimmung der Kopie mit der Urschrift bescheinigen will, ist wirkungslos. Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten ist als Rechtsanwalt nicht allgemein zur Beglaubigung oder Beurkundung befugt. Nach § 170 Abs. 2 ZPO ist er zur Beglaubigung lediglich aus Anlaß der Zustellung von Abschriften im Verfahren nach der Zivilprozeßordnung befugt. Die Wirksamkeit der Beglaubigung durch den Rechtsanwalt nach § 170 Abs. 2 ZPO ist auf den Zustellzweck beschränkt; außerhalb dessen hat sie nicht die Kraft einer Beglaubigung (RGZ 56, 374, 377; BGH aaO; Stein/Jonas/Roth aaO § 170 Rn. 28; MünchKomm/Wenzel aaO § 170 Rn. 12). Vorliegend geht es aber nicht um die Zustellung von Abschriften an den Gegner oder einen nicht am Verfahren beteiligten Dritten, sondern um die Einreichung einer Prozeßerklärung des Gegners beim Revisionsgericht, hinsichtlich derer dem Rechtsanwalt keine Beglaubigungsbefugnis zukommt (BGH aaO).
Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten vom 12. September 2000 wegen des vorbehandelten Formmangels hat keinen Erfolg.
Ob gegen die Versäumung der fristgerechten Einreichung der Zustimmungserklärung des Gegners nach § 76 Abs. 1 ArbGG durch den Revisionskläger überhaupt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden kann, ist streitig (zB BAG 28. Oktober 1986 – 3 AZR 218/86 – AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 7). Diese Streitfrage bedarf hier keiner Erörterung. Denn auch wenn man dies zugunsten des Beklagten unterstellt, kann seinem Antrag nicht stattgegeben werden. Der Beklagte war nicht ohne sein Verschulden (§ 233 ZPO) gehindert, innerhalb der Revisionsfrist eine dem gesetzlichen Formerfordernis des § 76 Abs. 1 Satz 1 ArbGG entsprechende Zustimmungserklärung des Gegners beim Bundesarbeitsgericht einzureichen. Denn der ihm unterlaufene Formfehler beruht auf dem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, das sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Die Auffassung des Beklagten, die gesetzlichen Formanforderungen des § 76 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG seien auch bei Einreichung einer – mit einem bedeutungslosen Beglaubigungsvermerk versehenen – Kopie per Brief an das Revisionsgericht erfüllt, findet, wie bereits dargelegt, in der Rechtsprechung und dem Schrifttum – insbesondere auch dem vom Beklagten angeführten – keine Stütze. Dieses zeigt vielmehr die Übermittlung der Zustimmungserklärung ua. per Telefax/Telekopie an das Gericht als eine den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechende Möglichkeit auf (so insbesondere aus dem vom Beklagten zitierten Schrifttum: GK-ArbGG/Ascheid aaO; Germelmann/Matthes/Prütting aaO; Hauck aaO). Der Beklagte kann oder will den Unterschied zwischen beidem nicht erkennen. Von einem dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum, bei dem ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne, kann vorliegend keine Rede sein.
- Damit war die Sprungrevision des Beklagten als unzulässig zu verwerfen.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Wolter, Bott, Fieberg, Jürgens
Fundstellen