Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerhaftung. Privathaftpflichtversicherung
Normenkette
BGB §§ 280, 286, 823, 611
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.12.1991; Aktenzeichen 4 Sa 804/91) |
ArbG Trier (Urteil vom 24.07.1991; Aktenzeichen 3 Ca 1262/90) |
Tenor
I. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1991 – 4 Sa 804/91 – teilweise aufgehoben und aus Gründen der Klarheit insgesamt wie folgt neu gefaßt:
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 24. Juli 1991 – 3 Ca 1262/90 – unter Aufrechterhaltung im übrigen teilweise abgeändert: der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.140,18 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 22. November 1990 zu zahlen,
- Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz haben der Kläger zu 2/3, der Beklagte zu 1/3 zu tragen.
II. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten der Revision haben der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte war vom 1. April 1990 bis 30. September 1990 bei dem Kläger als landwirtschaftlicher Praktikant beschäftigt. Die Parteien hatten eine Ausbildungsvergütung von monatlich 200,– DM netto zuzüglich Kost und Logis vereinbart. Der Beklagte hatte vor Beginn des Praktikums eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, die mögliche Schäden aus der betrieblichen Tätigkeit ersetzt. Dem Kläger war bekannt, daß die Hochschule den Abschluß einer solchen Versicherung empfahl. Er hatte erklärt, ohne eine solche Haftpflichtversicherung wolle er keinen Praktikanten mehr einstellen.
Der Kläger hatte den Beklagten zu Beginn seiner Tätigkeit über das Traktorfahren und hierbei insbesondere über das Fahren mit einem Hänger eingewiesen. Die Funktion der Auflaufbremse wurde dabei genau erläutert. Der Beklagte hatte erklärt, ihm sei das alles bekannt, er habe bereits bei seiner vorherigen Arbeitsstelle mehrere Monate lang größere Traktorenzüge gefahren.
Im Juni 1990 schob der Beklagte mit einem 65 PS-Schlepper einen 2-achsigen Hänger, der mit Düngemitteln beladen war, mit der Frontpartie des Schleppers rückwärts in eine Scheune. Um dieses Manöver durchführen zu können, hatte er zuvor die an der Anhängerdeichsel angebrachte Auflaufbremse außer Betrieb gesetzt. Er hatte zu diesem Zweck den Blockierhebel bei der Bremse mit einem Drahtseil festgebunden. Nach der Mittagspause befestigte der Beklagte den Hänger wieder hinter dem Traktor. Dabei vergaß er, die arretierte Auflaufbremse zu lösen. Auf der anschließenden Fahrt drückte der Anhänger den Traktor, bedingt durch die Funktionsunfähigkeit der Auflaufbremse, bei einer Bremsung auf einer abschüssigen Wegstrecke von dem Fahrweg weg. Traktor und Anhänger schlugen um und wurden ebenso wie die Ladung zum Teil zerstört. Hierbei entstand unstreitig ein Schaden in Höhe von 15.880,55 DM. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten erstattete dem Kläger 3.800,– DM.
Der Kläger hat die Zahlung von weiteren 12.779,95 DM begehrt. Er hat vorgetragen, die Reparaturkosten für den Schlepper beliefen sich auf 10.383,27 DM. Außerdem hätten ihm Traktor und Anhänger vier Tage nicht zur Verfügung gestanden, wofür insgesamt 200,– DM Nutzungsausfall pro Tag in Ansatz zu bringen seien.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 12.779,95 DM nebst 10 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, seine Haftung sei nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Tätigkeit gemindert. Den Kläger treffe ein Eigenverschulden wegen fehlender Kontrolle. Außerdem habe es der Kläger verabsäumt, eine zumutbare Kaskoversicherung abzuschließen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 6.787,03 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22. November 1990 verurteilt. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die völlige Klagabweisung erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet. Der Kläger kann von dem Beklagten nur die Hälfte des entstandenen Schadens, abzüglich der bereits von der Versicherung geleisteten Zahlung, verlangen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, der Beklagte hafte in Höhe von 2/3 der Schadens summe von 15.880,55 DM aus positiver Forderungsverletzung und unerlaubter Handlung. Der Schaden sei bei der Ausübung einer gefahrgeneigten Arbeit entstanden. Den Beklagten treffe eine mittlere Fahrlässigkeit „mit Tendenz nach oben”. Bei der Schadensteilung sei zugunsten des Beklagten das allgemeine Betriebsrisiko des Klägers anzusetzen. Ein Überwachungsverschulden treffe den Kläger nicht. Er habe dennoch 1/3 des Schadens zu tragen, weil er durch Zurverfügungstellung des für die Arretierung der Bremse erforderlichen Stahlseils das Unfallrisiko beträchtlich erhöht habe. Eine weitere Haftungsminderung zugunsten des Beklagten scheide aus. Eine Rechtspflicht des Klägers zum Abschluß einer Kaskoversicherung habe nicht bestanden. Entscheidend gegen eine entsprechende Obliegenheit spreche, daß der Beklagte als Praktikant in einem Ausbildungsverhältnis zum Kläger gestanden habe und speziell für die betriebliche Tätigkeit eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen habe, was der Kläger auch zur Vorbedingung gemacht habe.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Der Beklagte ist dem Kläger aus positiver Forderungsverletzung, §§ 280, 286 BGB analog, und unerlaubter Handlung, § 823 Abs. 1 BGB, zum Schadensersatz verpflichtet. Er hat den Schleppzug des Klägers gefahren, obwohl er die an der Anhängerdeichsel befindliche und von ihm arretierte Auflaufbremse vor dem Fahrtantritt nicht gelöst hatte. Dadurch hat er den späteren Unfall mit den Schadens folgen schuldhaft verursacht.
II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Beklagte habe 2/3 des Schadens zu ersetzen. Nach den hinreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß der Schaden zwischen den Parteien zu teilen ist.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Grundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit im vorliegenden Fall Anwendung finden.
a) Wie der Große Senat in dem Beschluß vom 12. Juni 1992 (– GS 1/89 – AP Nr. 101 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) ausgeführt hat, geht das Bundesarbeitsgericht seit der Entscheidung seines Großen Senats vom 25. September 1957 (BAGE 5, 1 = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO) davon aus, daß der Arbeitnehmer für Schäden, die er bei der Verrichtung gefahrgeneigter Arbeit fahrlässig verursacht hat, dem Arbeitgeber nur nach folgenden Grundsätzen haftet: Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden allein zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadens folge nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind (vgl. statt aller: BAGE 7, 290 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAG Urteil vom 29. Juni 1964 – 1 AZR 434/63 – AP Nr. 33 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Die Voraussetzungen für die Annahme einer gefahrgeneigten Arbeit liegen vor.
Das Außerbetriebsetzen der Auflaufbremse, das Abstellen des Fahrzeughängers und die spätere Weiterfahrt stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den vom Beklagten zu verrichtenden Arbeiten.
b) Die Grundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit sind auch nicht deshalb nicht anzuwenden, weil der Beklagte eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die des Bundesgerichtshofs geht bei der Frage, ob der Arbeitnehmer, der bei Ausübung gefahrgeneigter Arbeit einen Arbeitskollegen geschädigt hat, für den Schaden aufzukommen habe, davon aus, es fehle an Gründen für eine Haftungsbeschränkung, wenn das Risiko der schadensgeneigten Arbeit durch eine Pflichtversicherung gedeckt sei (vgl. Beschluß vom 25. September 1957 – GS 4/56 (GS 5/56) – BAGE 5, 1, 19 = AP, a.a.O., unter IV der Gründe; im folgenden: BAG Urteil vom 14. Februar 1958 – 1 AZR 576/55 – AP Nr. 18 zu §§ 898, 899 RVO; Urteil vom 11. Januar 1966 – 1 AZR 361/65 – AP Nr. 36 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BGHZ 27, 62 = AP Nr. 19 zu §§ 898, 899 RVO). Der Bundesgerichtshof hat darüber hinaus angenommen, es mache keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer seinen Arbeitskollegen oder den Arbeitgeber selbst schädige, ebenso sei es unerheblich, ob die zugunsten des Arbeitnehmers eingreifende Pflichtversicherung vom Arbeitgeber selbst oder einem Dritten abgeschlossen worden sei (BGH Urteil vom 8. Dezember 1971 – IV ZR 102/70 – AP Nr. 68 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 378/90 – NJW 1992, 900).
c) Diese bei Bestehen einer Pflichtversicherung geltenden Grundsätze können nicht auf den Fall übertragen werden, daß der Arbeitnehmer sich gegen das Risiko seiner betrieblichen Tätigkeit freiwillig selbst versichert hat. Die private Haftpflichtversicherung, für deren Abschluß kein gesetzlicher Zwang besteht, haftet nur in dem Umfang, in dem der Arbeitnehmer selbst haftet. Bei Bestehen einer Pflichtversicherung liegen Risiken vor, die der Gesetzgeber als so gefahrträchtig erachtet hat, daß er den Handelnden im Hinblick auf mögliche Gefahren für andere ohne Versicherungsschutz nicht tätig sehen wollte. Diese Tatsache überlagert gleichsam die Grundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit. Für die Anwendung dieser Grundsätze besteht kein Raum in der vom Gesetzgeber durch die Pflichtversicherung vorgesehenen Wertung. Besteht ein solcher Pflichtversicherungsschutz nicht, hängt die Anwendung der Grundsätze der Gefahrgeneigtheit nicht von der Zufälligkeit des Bestehens einer privaten Haftpflichtversicherung ab.
d) Das Bestehen einer privaten Haftpflichtversicherung führt jedoch dazu, daß bei der internen Betriebsrisikoverteilung nicht zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden darf, daß das gezahlte Entgelt im Verhältnis zu dem von ihm zu tragenden Risiko unangemessen gering ist. Insofern kann der Kläger sich zu Recht darauf berufen, er habe die Einstellung eines Praktikanten, der im Hinblick auf die zu erledigenden Arbeiten nur ein geringes Entgelt erhält, davon abhängig gemacht, daß der Praktikant eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen habe.
2. In Anwendung dieser Grundsätze ist der Schaden vorliegend zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu teilen. Besondere Umstände, die eine andere Abwägung rechtfertigen könnten, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.
a) Soweit das Landesarbeitsgericht ein Mitverschulden des Klägers verneint hat, ist diese Prüfung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens sind Rechtsbegriffe. Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze. Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAGE 57, 47, 50 = AP Nr. 92 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu II 2 der Gründe). Dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Ausführungen des Berufungsgerichts im Ergebnis stand. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, den Kläger treffe kein Überwachungsverschulden. Nach den unangegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war der volljährige Beklagte in den Aufgabenkreis eingewiesen. Vor diesem Hintergrund bestand keine Veranlassung, jede seiner Tätigkeiten zu beaufsichtigen. Tatsachen, die Anhaltspunkte für eine gesteigerte Überwachungspflicht des Klägers im konkreten Fall ergeben könnten, sind nicht festgestellt. Der Beklagte hat nicht dargetan, daß der Kläger bei dem fraglichen Rückstoßmanöver zugegen war oder daß er, der Beklagte, zu diesem Zeitpunkt oder bereits früher bei der Durchführung dieser Tätigkeit unachtsam gewesen sei oder solche Schwierigkeiten gehabt habe, die ein Tätigwerden des Arbeitgebers hätten angezeigt sein lassen können.
b) Soweit das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, der Beklagte habe mit mittlerer Fahrlässigkeit „mit Tendenz nach oben” gehandelt, ist daraus zu entnehmen, daß das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Beklagte habe den Unfall noch im Bereich des normalen Verschuldens verursacht.
c) Daraus folgt, daß der Schaden zwischen den Beteiligten zu teilen ist, wobei das Landesarbeitsgericht zu Recht zu Lasten des Klägers berücksichtigt hat, daß dieser das Stahlseil, das zur Außerbetriebsetzung der Auflaufbremse erforderlich ist, dem Anhänger dauerhaft angefügt hat. Dies führt aber wiederum nicht zur Entlastung des Beklagten, da diesem die damit verbundenen Gefahren bekannt waren und er in die Arbeitsweise des Traktorfahrens mit Hänger eingewiesen war.
d) Unter Berücksichtigung dieser quotalen Verteilung und der bereits erfolgten Zahlungen durch die Versicherung hat der Beklagte den noch ausgeurteilten Betrag zu leisten.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, wobei die unterschiedlichen Werte der Streitgegenstände in den Instanzen zu beachten waren.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Morsch, Rosendahl
Fundstellen