Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizeitausgleich für Überstunden. Überstundenvergütung
Normenkette
BGB §§ 611-612, 615; BetrVG § 37 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 08.05.1996; Aktenzeichen 3 Sa 1229/95) |
ArbG Herne (Urteil vom 10.05.1995; Aktenzeichen 1 Ca 2952/93) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Mai 1996 – 3 Sa 1229/95 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Fleischwaren-Industrie. Der Kläger ist bei ihr als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Betrieben der Fleischwaren-Industrie Westfalen vom 6. November 1990 (MTV) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Der tarifliche Bruttostundenlohn des Klägers betrug bis zum 31. März 1993 bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden 17,63 DM, ab dem 1. April 1993 bei einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden 18,44 DM.
Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Er nahm im Januar und Februar 1993 an fünf Arbeitstagen sowie an insgesamt 19 Arbeitstagen zwischen April und Dezember 1993 für 1,5 Stunden an den Sitzungen des Betriebsrats teil; für den Rest des Tages stellte ihn die Beklagte von der Arbeit frei. Darüber hinaus stellte ihn die Beklagte an einem Arbeitstag im Januar 1993 und weiteren 10 Arbeitstagen von April bis Dezember 1993 von der Arbeit frei. Der Kläger erhielt während dieser Zeiten stets die tarifvertragliche Wochenarbeitszeit vergütet.
Er hat geltend gemacht, ihm seien für die Sitzungstage des Betriebsrats jeweils 6,1 Stunden und für die übrigen Freistellungstage jeweils 7,6 Stunden auf der Grundlage des tarifvertraglichen Stundenlohns unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu vergüten. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihn an diesen Tagen zur Abgeltung von Überstunden, die er an anderen Tagen geleistet habe, durch einseitige Anordnung von der Arbeit und ohne Einhaltung einer Ankündigungsfrist freizustellen. Der Betriebsrat habe einer derartigen Verteilung der Arbeitszeit nicht zugestimmt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.241,19 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, die Einsatzzeiten der Fahrer müßten aus betriebsorganisatorischen Gründen kurzfristig festgelegt werden, wobei geleistete Überstunden durch Freizeit ausgeglichen würden. Der Freizeitausgleich erfolge zum Teil auch im Vorgriff auf zu erwartende Überstunden.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO. Die Ausführungen des Klägers enthalten eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils. Die Revisionsschrift läßt im einzelnen erkennen, aus welchen Gründen der Kläger die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts für fehlerhaft hält. Angesichts der auf vier Sätze beschränkten und sich mit dürftigen formelhaften Wendungen begnügenden Begründung des Berufungsgerichts zum Erlöschen der Vergütungsansprüche und zur fehlenden Schlüssigkeit des Anspruchs auf Überstundenvergütung konnten weitergehende Anforderungen an die Revisionsbegründung nicht gestellt werden.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Lohnanspruch weder nach § 615 BGB noch nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu. Ein Anspruch auf Bezahlung von Überstunden ist nicht rechtshängig geworden.
1. Der Anspruch des Klägers aus § 615 BGB bzw. § 37 Abs. 2 BetrVG i.V.m. § 611 BGB auf Bezahlung von Arbeitsstunden, in denen er von der Beklagten von der Arbeitspflicht befreit war, ist erloschen (§ 362 BGB). Nach § 3 Nr. 1 MTV hat die tarifliche Wochenarbeitszeit bis zum 31. März 1993 38,5 und danach 38 Stunden betragen. Diese Wochenarbeitszeit ist dem Kläger nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien vergütet worden. Die Beklagte hat sich wohl im Annahmeverzug hinsichtlich des klägerischen Angebots auf Arbeitsleistung befunden, nicht aber im Verzug hinsichtlich ihrer Vergütungspflicht. Das hat der Kläger ebenso wie das Arbeitsgericht verkannt.
2. Zu Unrecht rügt die Revision, daß der Klage jedenfalls wegen der unstreitig geleisteten Überstunden hätte stattgegeben werden müssen. Zwar geht die Revision zutreffend davon aus, daß der Anspruch des Klägers auf Überstundenvergütung durch die einseitige Freistellung und Fortzahlung der Vergütung auch für die Freizeit nicht erloschen ist. Denn die einseitige Freistellung war rechtswidrig. Die Revision verkennt jedoch, daß eine Überstundenvergütung klageweise nicht geltend gemacht worden ist.
a) Der Kläger kann für geleistete Überstunden eine Vergütung nach § 612 BGB i.V.m. den Bestimmungen des MTV verlangen. Ausgehend von der in § 3 Nr. 1 MTV tarifvertraglich geregelten Fünf-Tage-Woche betrug die tägliche Arbeitszeit des Klägers 7,7 bzw. 7,6 Stunden. Die über die tägliche Arbeitszeit hinaus erbrachte Arbeitsleistung war von der Beklagten zu vergüten. Sie war nicht berechtigt, Überstunden durch bezahlte Freistellung von der Arbeit an anderen Tagen auszugleichen. Zur Abgeltung von Überstunden durch bezahlte Freistellung von der Arbeit bedarf es nach § 3 Nr. 10 MTV entweder einer besonderen Abgeltungsbefugnis in Form einer Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) oder einer der Vorschrift des § 4 Abs. 3 TVG genügenden einzelvertraglichen Vereinbarung. Eine derartige Ersetzungsbefugnis hat nicht vorgelegen. Die bloße Kenntnis des Betriebsrats von der Praxis der Beklagten, Überstunden durch Freizeitgewährung auszugleichen, ist keine Betriebsvereinbarung.
b) Der Kläger hat es jedoch versäumt, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für seinen unverändert bestehenden Anspruch auf Überstundenvergütung vorzutragen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muß ein Arbeitnehmer zur Begründung eines zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitigen Anspruchs auf Vergütung von Überstunden im einzelnen darlegen, an welchen Tagen und in welchem zeitlichen Umfang er über die für ihn geltende Arbeitszeit hinaus tätig geworden ist. Ferner ist vorzutragen, ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, oder zur Erledigung der übertragenen Aufgaben notwendig waren oder vom Arbeitgeber gebilligt oder geduldet worden sind (BAG Urteil vom 25. November 1993 – 2 AZR 517/93 – BAGE 75, 153, 164 = AP Nr. 3 zu § 14 KSchG 1969, zu II 2 der Gründe, m.w.N.). Zwar hat der Beklagte vorliegend die Abgeltung von Überstunden durch Gewährung von Freizeitausgleich eingeräumt und damit allgemein das Ableisten von Überstunden durch den Kläger zugestanden. Die Beklagte hat allerdings auch ausgeführt, der von ihr angeordnete Freizeitausgleich sei nicht auf geleistete Überstunden beschränkt, sondern sei zum Teil im Vorgriff auf künftig zu erwartende Überstunden erfolgt. Daher läßt sich weder aus der Höhe des vorgetragenen Freistellungsumfangs noch aus der Höhe der Klageforderung i.V.m. den Bestimmungen des Gehaltstarifvertrags auf die Anzahl der tatsächlich geleisteten Überstunden schließen. Insoweit verkennt der Kläger, daß die anspruchsbegründenden Tatsachen des Annahmeverzugslohns nach § 615 BGB aufgrund der Einlassung der Beklagten von denjenigen der Überstundenvergütung differieren und ein bloßer Austausch der Anspruchsgrundlagen nicht zur Schlüssigkeit der Klageforderung führt.
3. Der Rechtsstreit kann nicht zur erneuten Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden, auch wenn der Kläger zu Recht eine Verletzung richterlicher Hinweispflichten durch das Berufungsgericht beanstandet und das angefochtene Urteil zu Recht als Überraschungsentscheidung bezeichnet hat.
a) Nach § 139 ZPO ist ein Gericht verpflichtet darauf hinzuwirken, daß im Rahmen der gestellten Anträge die zur Rechtsfindung notwendigen Tatsachen vorgetragen werden. Diese Vorschrift wird ergänzt durch die in § 278 Abs. 3 ZPO normierte Pflicht zum Rechtsgespräch über die von den Parteien nicht oder nicht in ihrer Erheblichkeit für die Entscheidung erkannten Gesichtspunkte (BAG Urteil vom 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 – AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Beide Vorschriften konkretisieren damit das verfassungsrechtliche Gebot des fairen Verfahrens, das Verbot von Überraschungsentscheidungen sowie das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Setzt sich das Gericht darüber hinweg, verkennt es seinen verfassungsmäßigen Auftrag zur Rechtsprechung (Zöller, ZPO, 19. Aufl., § 278 Rz. 5). Im Hinblick darauf war das Landesarbeitsgericht verpflichtet, den Kläger auf die fehlende Schlüssigkeit seines Vorbringens hinzuweisen. Dazu war das Berufungsgericht schon deswegen gehalten, weil für den Kläger aufgrund des obsiegenden Urteils erster Instanz und den dagegen gerichteten Angriffen der Beklagten kein Anlaß zum neuen Sachvortrag bestanden hat. In dieser Situation hätte das Berufungsgericht den verfassungsrechtlichen Vorgaben seiner richterlichen Tätigkeit nur genügen können, indem es den Kläger auf die Unschlüssigkeit seiner auf § 615 BGB gestützten Klage und auf aus seiner Sicht fehlende Angaben zu den tatbestandlichen Voraussetzungen einer klageweisen Geltendmachung von Überstundenvergütung aufmerksam gemacht hatte. Das hat es jedoch unterlassen. Ein entsprechender Hinweis findet sich weder in der Sitzungsniederschrift noch in den zuvor ergangenen gerichtlichen Mitteilungen.
b) Dennoch führt die Verfahrensrüge nicht zum Erfolg. Der Klägervertreter hat es versäumt anzugeben, was er auf einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts vorgetragen hätte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 5. Juli 1979 – 3 AZR 197/78 – AP Nr. 9 zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unterstützungskasse; vgl. GK-ArbGG/Ascheid, Stand Juli 1996, § 74 Rz 70; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 74 Rz 38 f.; Hauck, ArbGG, § 74 Rz 20) muß der wegen eines Verstoßes gegen § 139 ZPO unterbliebene Vortrag im Rahmen der Verfahrensrüge nachgeholt werden. Nur dann kann das Revisionsgericht prüfen, ob die Rechtsverletzung kausal war und ob ein entsprechender Hinweis des Berufungsgerichts zu einem anderen Ergebnis hätte führen können und aus diesem Grund eine Zurückverweisung des Rechtsstreits geboten ist. Diese Prüfung war dem Senat vorliegend nicht möglich. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat erneut nicht konkret dargelegt, an welchen Tagen und in welchem Umfang der Kläger auf Anordnung der Beklagten oder mit deren Wissen oder Duldung über die für ihn geltende tägliche Arbeitszeit hinaus tätig gewesen ist. Statt dessen hat er sich mit einem pauschalen und allgemeinen Hinweis auf eine mögliche Benennung täglicher Arbeitsstunden begnügt, ohne Einzelheiten anzuführen. Anhand dieser Angaben läßt sich Umfang der Zahlungspflicht der Beklagten auch nicht ansatzweise bestimmen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, Knapp, Olga Berger
Fundstellen