Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

Allein dadurch, daß eine Einrichtung der Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik nach Art. 38 Abs. 2 Satz 3 EV zunächst bis zum 31. Dezember 1991 als Einrichtung eines Landes fortbestand, hat das Land die Aufgaben dieser Einrichtung nicht i.S.v. Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschrift § 19 BAT-O übernommen. Zeiten der Tätigkeit bei einer solchen Einrichtung (hier: ehemaliges Zentralinstitut für Kybernetik in Dresden) vor dem 1. Januar 1991 gelten somit allein deshalb noch nicht als Beschäftigungszeiten nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 BAT-O.

 

Normenkette

BAT-O § 19, Nr. 2 Buchst. b; BAT-O Übergangsvorschrift zu § 19; Einigungsvertrag Art. 13, 38

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 30.09.1994; Aktenzeichen 3 Sa 180/94)

ArbG Dresden (Urteil vom 09.12.1993; Aktenzeichen 9 Ca 4191/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt die Anrechnung von Zeiten seiner früheren Tätigkeit als Beschäftigungszeiten bei der Beklagten.

Der Kläger war als wissenschaftlicher Mitarbeiter vom 13. September 1976 bis zum 12. Mai 1991 bei dem Zentralinstitut … in Dresden, einer Einrichtung der Akademie der Wissenschaften der DDR, beschäftigt. In der Zeit vom 1. November 1990 bis zum 30. April 1991 ruhte das Arbeitsverhältnis, da der Kläger als Systemingenieur bei der O… GmbH in Bremen arbeitete. Ab dem 13. Mai 1991 war der Kläger als Referent bei der Sächsischen Staatskanzlei und ab dem 1. Januar 1993 ist er als Beauftragter des Beklagten für die Verwaltung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit tätig. Der Beklagte führte das Zentralinstitut … nach Art. 38 Abs. 2 Einigungsvertrag bis zum 31. Dezember 1991 fort. Am 1. Oktober 1991 beschloß die Sächsische Staatsregierung die Auflösung des Instituts. Dieses ging nach dem 31. Dezember 1991 auf die Fraunhofer-Gesellschaft über.

Auf Antrag des Klägers vom 7. April 1992 setzte der Beklagte den Beginn der Beschäftigungzeit des Klägers auf den 2. April 1991 fest. Weitere Zeiten der früheren Tätigkeit des Klägers wurden nicht anerkannt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe ihm die Zeiten ab dem 13. März 1977 als Beschäftigungszeiten anzurechnen. Dieser Zeitpunkt ergebe sich, wenn man von der Zeit seit der Arbeitsaufnahme bei dem Zentralinstitut … am 13. September 1976 die sechs Monate des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen der Beschäftigung bei der O… GmbH in Bremen abziehe. Der Anspruch auf Anerkennung seiner früheren Tätigkeit bei dem Institut … als Beschäftigungszeit ergebe sich aus Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschrift § 19 BAT-O, weil der Beklagte die Aufgaben des Instituts bis zum 31. Dezember 1991 übernommen habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beschäftigungszeit des Klägers im Sinne des BAT-O am 13. März 1977 beginnt.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die vorläufige Fortführung des Zentralinstituts … mit dem Ziel der Auflösung sei keine Übernahme von Aufgaben durch den Beklagten im Sinne der Tarifbestimmung gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Anrechnung seiner früheren Tätigkeit bei dem Zentralinstitut … als Beschäftigungszeit nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschrift § 19 BAT-O. Nach dieser Tarifbestimmung gelten für Angestellte der Länder als Beschäftigungszeiten auch Zeiten der Tätigkeit bei nicht nach Art. 13 Einigungsvertrag überführten Einrichtungen von Arbeitgebern, die infolge des Beitritts der DDR weggefallen sind, wenn das Land die Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche der Einrichtung ganz oder überwiegend übernommen hat.

1. Das ehemalige Zentralinstitut … war als ein Institut der Akademie der Wissenschaften eine Einrichtung der ehemaligen DDR. Diese ist durch die Wiedervereinigung als Arbeitgeberin weggefallen.

2. Das Zentralinstitut … wurde nicht nach Art. 13 Einigungsvertrag überführt. Die Überführung erforderte nicht nur eine vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Tätigkeit. Wurde die Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziel der Auflösung fortgeführt, lag darin keine Überführung im Sinne von Art. 13 Einigungsvertrag (vgl. BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – BAGE 72, 176 = AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag).

3. Der Beklagte hat die Aufgaben des Zentralinstituts … nicht, auch nicht vorübergehend, übernommen. Dies ergibt eine Auslegung der Tarifbestimmung.

a) Das Zentralinstitut … bestand nach Art. 38 Abs. 2 Einigungsvertrag bis zum 31. Dezember 1991 als Einrichtung des Beklagten fort. Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 und Abs. 2 Einigungsvertrag handelte es sich hierbei um eine Übergangslösung, mit welcher die Begutachtung und Einpassung der Einrichtungen in eine gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht werden sollte. Diese Zielsetzung wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß gebilligt (BVerfG Urteil vom 19. Dezember 1991 – 1 BvR 454 u.a./91 – BVerfGE 85, 167; BVerfG Urteil vom 10. März 1992 – BvR 454 u.a./91 – BVerfGE 85, 360).

Durch die Regelung in Art. 38 Abs. 2 Satz 3 Einigungsvertrag, wonach die Forschungsinstitute zunächst bis zum 31. Dezember 1991 als solche der Länder fortbestanden, wurde den Ländern nur die Aufgabe der vorläufigen Fortführung der Forschungsinstitute übertragen, nicht dagegen deren Aufgaben. Die Entscheidung, ob und wie die Aufgaben der Forschungsinstitute fortgeführt werden sollten, war landesrechtlich zu treffen (Art. 38 Abs. 2 Satz 2 Einigungsvertrag). Eine Übernahme der Aufgaben der Forschungsinstitute ist deshalb nur dort erfolgt, wo das Land sich in irgendeiner Weise die Aufgaben der Forschungsinstitute zu eigen gemacht hat, d.h. als Land eine entsprechende Forschung betrieben hat, oder, wo es hat erkennen lassen, daß es künftig eine solche Forschung betreiben möchte.

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das beklagte Land hat die Auflösung des Zentralinstituts … beschlossen. Die Aufgaben des Instituts werden seit dem 1. Januar 1992 von der Fraunhofer-Gesellschaft erfüllt. Damit hat das beklagte Land nicht, auch nicht kurzfristig, die Aufgaben des Zentralinstituts … im Sinne von Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschrift § 19 BAT-O übernommen.

b) Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Tarifbestimmung. Dieser besteht offenbar darin, diejenigen Arbeitnehmer nicht zu benachteiligen, die längere Beschäftigungszeiten hätten, wenn es die deutsche Teilung nicht oder bereits früher ein wiedervereinigtes Deutschland gegeben hätte. Normtechnisch wird dies dadurch erreicht, daß man darauf abstellt, in wessen Zuständigkeit die Aufgabe der Beschäftigungseinrichtung endgültig übergegangen ist. Die Aufgabe der Beschäftigungseinrichtung des Klägers ist im wiedervereinigten Deutschland in die Zuständigkeit eines landesunabhängigen Forschungsinstituts übergegangen. Dem Kläger könnte deshalb seine frühere Tätigkeit ab 13. März 1977 auch dann nicht als Beschäftigungszeit bei dem Beklagten angerechnet werden, wenn die Wiedervereinigung schon früher stattgefunden hätte.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Schmidt, Schneider

 

Fundstellen

Haufe-Index 872282

BB 1996, 1564

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