Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsschulung über Gesetzentwürfe
Leitsatz (amtlich)
Die Schulung von Betriebsratsmitgliedern über Gesetzentwürfe ist jedenfalls dann nicht erforderlich im Sinne des § 37 Abs 6 BetrVG, wenn nach dem Stand des Gesetzgebungsverfahrens nicht damit gerechnet werden kann, daß der Gesetzentwurf ohne wesentliche Änderungen verabschiedet werden wird.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 2. Juni 1987 – 7 Sa 94/85 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Arbeitnehmer I… ist seit 6. April 1984 nicht freigestelltes Mitglied des bei der Beklagten bestehenden neunköpfigen Betriebsrats. Am 11. Januar 1985 lud die Klägerin für den 7. Februar 1985 zu einer eintägigen Betriebsräteschulung unter dem Thema
ein und wies daraufhin, diese Schulung werde gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG durchgeführt.
Der Betriebsrat der Beklagten beschloß, sechs seiner Mitglieder zu dieser Veranstaltung zu entsenden. Nach einem Hinweis der Beklagten, zwei bis drei Betriebsratsmitglieder würden genügen, nahmen schließlich fünf Betriebsratsmitglieder, darunter Herr I…, an der Veranstaltung teil. Gegenstand der Schulung waren die Gesetzentwürfe der Bundesregierung über ein Beschäftigungsförderungsgesetz und ein Arbeitszeitgesetz; über die Einzelheiten verfaßte der Geschäftsführer der Verwaltungsstelle N… der Klägerin, Herr M…, eine Aktennotiz.
Während der Zeit der Teilnahme an der Schulung hätte Herr I… einen Lohn von 120,40 DM netto verdient; diesen Betrag zahlte die Beklagte an Herrn I… nicht aus. Die Klägerin, die den entsprechenden Betrag an Herrn I… gezahlt hat, nimmt insoweit die Beklagte unter Bezugnahme auf eine Abtretungserklärung vom 15. März 1985 in Anspruch.
Die Klägerin hat im wesentlichen vorgetragen, die Teilnahme des Herrn I… an der Schulungsveranstaltung vom 7. Februar 1985 sei erforderlich gewesen. In der Veranstaltung seien arbeitsrechtliche Angelegenheiten mit konkretem betrieblichen Bezug behandelt worden, die zum notwendigen Grundwissen eines Betriebsratsmitglieds gehörten und insbesondere für die Betriebsratstätigkeit des Herrn I… als erforderlich anzusehen seien. Dies gelte zunächst für Themen, die das zur Zeit der Veranstaltung geltende Individualarbeits-, Betriebsverfassungs- und Tarifrecht zum Inhalt hätten, wie befristete Arbeitsverträge, kapazitätsorientierte Verteilung der Arbeitszeiten, Auswirkungen der bestehenden Tarifverträge, Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 BetrVG, Job-Sharing, Arbeitnehmerüberlassung und Mehrarbeit. Die Veranstaltung habe sich daher nicht ausschließlich auf die zwei Gesetzesvorhaben der Bundesregierung bezogen. Überwiegend habe man sich mit Fragen des geltenden Rechts und nur am Rande mit den neuen Gesetzesvorhaben beschäftigt. Auch insoweit sei jedoch die Teilnahme an der Veranstaltung erforderlich gewesen, denn das Beschäftigungsförderungsgesetz regele Rechtsmaterien, die für die tägliche Arbeit eines Betriebsratsmitglieds von besonderer Bedeutung seien.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 120,40 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 15. März 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat mit Nichtwissen bestritten, daß auf der Veranstaltung überhaupt Themen behandelt worden seien, die mit dem Arbeitsrecht im Zusammenhang stünden. überdies könne eine Schulung über gesetzgeberische Zukunftsprojekte nicht als notwendig angesehen werden. Im Januar 1985 sei nicht absehbar gewesen, ob das Beschäftigungsförderungsgesetz überhaupt in Kraft treten werde. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung sei auf den Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats abzustellen; zu diesem Zeitpunkt habe die Erforderlichkeit einer Teilnahme nicht bejaht werden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen; die Berufung der Klägerin ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß im Sinne des § 37 Abs. 6 in Verb. mit Abs. 2 BetrVG die auf der Schulungsveranstaltung vom 7. Februar 1985 vermittelten Kenntnisse für die Arbeit des Betriebsrats nicht erforderlich waren.
I. Zur Begründung seiner Würdigung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, auch vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus betrachtet könne die durchgeführte Schulung nicht als erforderlich angesehen werden. Dies gelte jedenfalls, wenn man die vom Geschäftsführer M… erstellte Aktennotiz, von deren Zuverlässigkeit ausgegangen werde könne, zugrundelege. Danach seien Gegenstand der Schulung der Entwurf eines Beschäftigungsförderungesetzes und des Arbeitszeitgesetzes gewesen; in diesem Rahmen seien die gegenwärtige und die künftige Rechtslage dargestellt und diskutiert worden. Somit habe sich die Veranstaltung in erster Linie mit künftigen Gesetzesänderungen befaßt, wie im übrigen auch schon aus der Einladung vom 11. Januar 1985 zu entnehmen gewesen sei. Zwar könnten auch Gesetzesvorhaben Gegenstand von Schulungen sein; dafür sei jedoch erforderlich, daß ihr alsbaldiges Inkrafttreten zuverlässig abzusehen sei. Bevor Gesetzentwürfe die wichtigsten parlamentarischen Hürden genommen hätten, komme eine Schulung über sie nicht in Betracht. Vor diesem Zeitpunkt müsse mit erheblichen Änderungen der Gesetzentwürfe gerechnet werden, die Schulungen weitgehend wertlos machten, da ein unzutreffender Wissensstand vermittelt werde. Mit derartigen Änderungen müsse auch bei solchen Entwürfen gerechnet werden, die auf Absprachen der die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen beruhten.
II. Die Würdigung des Berufungsgerichts, ob eine Schulungsmaßnahme für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich ist, kann vom Revisionsgericht nur beschränkt nachgeprüft werden. Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung den Tatsachengerichten ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Anwendung des Rechtsbegriffs durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur darauf überprüfbar, ob sie frei von Rechtsirrtum ist und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgenommen worden ist (BAGE 14, 117, 120 f. = AP Nr. 8 zu § 37 BetrVG, zu 2 der Gründe; BAGE 25, 348, 354 f. = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972, zu III 2 und 3 der Gründe; BAG Urteil vom 6. August 1981 – 6 AZR 505/78 – AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 16. Oktober 1986 – 6 ABR 14/84 – AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
Derartige Rechtsfehler sind dem Landesarbeitsgericht nicht unterlaufen.
1. Zum Rechtsbegriff der Erforderlichkeit im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG ist das Landesarbeitsgericht zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend Beschluß vom 9. Oktober 1973, BAGE 25, 325 = AP Nr. 4 zu § 37 BetrVG 1972; vgl. zuletzt z.B. Beschluß vom 15. Mai 1986 – 6 ABR 74/83 – AP Nr. 54 zu § 37 BetrVG 1972, m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) ausgegangen. Danach ist die Vermittlung von Kenntnissen nur dann für die Betriebsratsarbeit erforderlich, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können. Kenntnisse, die für die Betriebsratsarbeit nur verwertbar und nützlich sind, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Soweit es sich nicht um für die Betriebsratsarbeit stets aktuelle Fragenbereiche handelt, wie es z.B. beim Betriebsverfassungsrecht und Fragen des allgemeinen Arbeitsrechts der Fall ist, muß daher ein aktueller betriebsbezogener Anlaß für die Annahme bestehen, daß die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann.
2. Das Landesarbeitsgericht hat ferner zutreffend erkannt, daß auch der Betriebsrat bei seiner Beschlußfassung über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, deren Schulung er zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Betriebsrat für erforderlich hält, einen gewissen Beurteilungsspielraum hat. Dabei hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nur nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob aus späterer Sicht rückblickend betrachtet die Freistellung im streng objektiven Sinn erforderlich war. Die gerichtliche Kontrolle muß sich daher darauf beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter den im Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebenen Umständen ebenfalls eine derartige Entscheidung getroffen hätte (vgl. z.B. BAG Beschluß vom 27. September 1974, BAGE 26, 269 = AP Nr. 18 zu § 37 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 16. Oktober 1986 – 6 ABR 14/84 – AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972).
3. Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus betrachtet habe die Erforderlichkeit der durchgeführten Schulungsmaßnahme nicht bejaht werden können, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Landesarbeisgericht zu Recht entscheidend darauf abgestellt, daß sich die beiden auf der Schulungsveranstaltung behandelten Gesetzgebungsvorhaben noch in einem Stadium befanden, in dem wesentliche Änderungen nicht auszuschließen waren, und deshalb damit gerechnet werden mußte, daß ein sich später als wertlos erweisender Wissensstand vermittelt würde. Damit hat das Landesarbeitsgericht eine Würdigung getroffen, die sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats auch einem verständigen Dritten aufdrängen mußte. Denn zu jenem Zeitpunkt ließ sich noch nicht zuverlässig absehen, ob und ggf. mit welchem konkreten Inhalt die auf der Schulungsveranstaltung behandelten Gesetzentwürfe je Gesetz werden würden; es ließ sich daher zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Aussage darüber treffen, ob es für die Betriebsratsarbeit auf sie überhaupt jemals ankommen würde. Auf die Frage, ob, wie das Landesarbeitsgericht meint, bei Gesetzentwürfen in fortgeschrittenerem Stadium eine Schulung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG in Betracht kommt oder ob bei Gesetzentwürfen die Erforderlichkeit einer Schulung stets zu verneinen ist, brauchte der Senat daher nicht grundsätzlich einzugehen.
4. Unbegründet ist die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls den Teil der auf der Schulungsveranstaltung vom 7. Februar 1985 behandelten Themen als erforderlich ansehen müssen, der sich mit der geltenden Rechtslage befaßt habe. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang darauf abhebt, das Landesarbeitsgericht habe selbst festgestellt, daß Gegenstand der Schulung der Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes und des Arbeitzeitgesetzes waren, wobei in diesem Rahmen auch die gegenwärtige Rechtslage dargestellt und diskutiert worden sei, beachtet sie nicht hinreichend, daß das Landesarbeitsgericht mit der Einschränkung “in diesem Rahmen” erkennbar seine Würdigung zum Ausdruck gebracht hat, daß die Erörterung der gegenwärtigen Rechtslage nur untergeordnete, d.h. der Erläuterung der geplanten Rechtsänderung dienende Funktion hatte und damit selbst gerade nicht “Gegenstand” der Schulung war. Die Darstellung der geltenden Rechtslage und ihrer Problematik ist stets unerläßliche Voraussetzung zum Verständnis einer geplanten Rechtsänderung. Gerade die Darstellung der auf der Schulungsveranstaltung vom 7. Februar 1985 behandelten Themen in der Aktennotiz des Geschäftsführers M… macht deutlich, daß auch im vorliegenden Falle die aufgezeigten Aspekte der geltenden Rechtslage jeweils nur Mittel zum Zweck waren, die geplanten Rechtsänderungen zu verdeutlichen. Dies hat das Landesarbeitsgericht hinreichend klar zum Ausdruck gebracht.
Daher gibt das Berufungsurteil auch keinen Anhaltspunkt für die Behauptung der Revision, das Landesarbeitsgericht habe den Sachvortrag der Klägerin “völlig außer Acht gelassen”, die Schulungsveranstaltung habe sich weitgehend mit Fragen des geltenden Rechts befaßt. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Sachvortrag vielmehr gerade im Zusammenhang mit der von der Klägerin vorgelegten Aktennotiz des Geschäftsführers M… gewürdigt und ist in tatsächlicher Hinsicht zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Behandlung von Fragen des geltenden Rechts, selbst wenn sie den von der Klägerin behaupteten Umfang gehabt haben sollte, eben nur die oben dargestellte dienende Funktion zur Erklärung der geplanten Gesetzänderungen hatte und damit nicht selbst Gegenstand der Schulungsveranstaltung war. Einen Rechtsfehler dieser allein dem Tatrichter obliegenden tatsächlichen Würdigung hat die Revision nicht aufgezeigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Kleeschulte, Jubelgas
Richter Schliemann befindet sich im Urlaub
Dr. Seidensticker
Fundstellen