Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 10.02.1993; Aktenzeichen 2 Sa 184/92) |
ArbG Bautzen (Urteil vom 20.08.1992; Aktenzeichen 8 Ca 26/92) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 10. Februar 1993 – 2 Sa 184/92 – aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 20. August 1992 – 8 Ca 26/92 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Die 1950 geborene Klägerin ist seit 1972 im Schuldienst tätig. Sie arbeitete zuletzt an der Oberschule in E. und unterrichtete die Fächer Deutsch, Mathematik und Sport. An dieser Schule war die Klägerin von 1979 bis 1989 ehrenamtlicher Parteisekretär der SED.
Bei ihrer Amtsführung als Parteisekretär nahm die Klägerin eine Reihe von politischen Aufgaben, die einem Parteisekretär an einer Schule der ehemaligen DDR zustanden, nicht wahr. So kontrollierte und überwachte sie nicht den Direktor der Schule. Sie nahm keinen Einfluß auf Entscheidungen über Anträge auf Besuchsreisen in die Bundesrepublik Deutschland. Sie warb nicht für den militärischen Berufsnachwuchs und die Jugendweihe. Christlich gebundene Lehrer, die ihre Kinder zur Christenlehre schickten, mußten sich nicht bei ihr rechtfertigen. Schüler, die weder der Pionier- noch der Jugendorganisation (FDJ) angehörten, erfuhren keine Benachteiligung. Die Klägerin setzte sich als Parteisekretär der Schule bei der Nationalen Volksarmee (NVA) mit Erfolg dafür ein, daß ein Schüler, der sich zu einem 15-jährigen Dienst bei der NVA verpflichtet hatte, von dieser Verpflichtung frei kam und keine Nachteile erlitt.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 26. März 1992 zum 30. Juni 1992 unter Hinweis auf die frühere Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär wegen fehlender persönlicher Eignung.
Mit der am 16. April 1992 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Sie hat vorgetragen, ihre frühere Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär mache sie für den Beruf als Lehrerin nicht persönlich ungeeignet. Sie sei 1977 in die SED eingetreten, weil sie damals davon überzeugt gewesen sei, daß der Sozialismus die gerechtere Gesellschaftsordnung sei. 1979 habe sie sich nach anfänglichem Sträuben bereit erklärt, die Funktion eines Parteisekretärs zu übernehmen. Sie habe in dieser Funktion nur die Arbeiten erledigt, die nach außen hin unbedingt notwendig gewesen seien, damit die Schule nicht negativ aufgefallen sei. Dies ergebe sich daraus, daß sie eine Reihe von Aufgaben, die Aufgaben des Parteisekretärs gewesen seien, nicht erledigt und sich schützend vor christlich gebundene Kollegen und Andersdenkende gestellt habe.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. März 1992 nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 30. Juni 1992 hinaus fortbestehe,
ferner – für den Fall, daß sie mit dem Feststellungsantrag obsiege – den Beklagten zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, als Parteisekretär habe die Klägerin starken politischen Einfluß an ihrer Schule gehabt. Der Parteisekretär sei stets Mitglied der Schulleitung gewesen und habe bei jeder politischen Entscheidung des Direktors ein Recht zur Mitsprache gehabt. Er habe den Direktor kontrolliert, damit dieser die Parteilinie an der Schule eingehalten habe. Ferner habe der Parteisekretär die Verantwortung für die politische Bildung der Kinder. Jugendlichen und Lehrer getragen. In diesem Sinne habe er Parteiversammlungen geleitet, in denen ständig das politische Klima an der Schule besprochen worden sei. Über das politische Klima und Auffälligkeiten an der Schule habe er auch monatlich der SED-Kreisleitung berichten müssen. Ferner sei der Parteisekretär daran beteiligt worden, wenn über Anträge für Besuchsreisen in die damalige Bundesrepublik Deutschland entschieden worden sei. Er habe auch ein Mitspracherecht bei Entscheidungen über Prämierungen, Auszeichnungen und Beförderungen gehabt. Schließlich habe dem Parteisekretär die Werbung für den militärischen Berufs nachwuchs und die Jugendweiheteilnahme oblegen. Die mehrfache Wiederwahl der Klägerin als Parteisekretär ihrer Schule zeige, daß sie sich mit den Bildungszielen der SED identifizierte und diese aktiv förderte.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 26. März 1992 nicht zum 30. Juni 1992 aufgelöst worden.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Da die Klägerin mehr als zehn Jahre das Amt des ehrenamtlichen Parteisekretärs ausgeübt habe, habe sie sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert. Dabei sei entscheidend, daß sie nach außen als Parteisekretär den SED-Staat repräsentiert habe mit allen Funktionen und Merkmalen, die diesem Amt vorgeschrieben worden seien. Auch wenn die Klägerin in einzelnen Punkten Kritik geübt und ihre Stellung als Parteisekretär nicht rigoros im Sinne des SED-Staates ausgenutzt habe. habe sie ihr Amt doch so geführt, daß die SED keine Veranlassung gesehen habe, sie abzuberufen.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die Wirksamkeit der Kündigung ist aufgrund einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu beurteilen.
1. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, unter B III 1, 2 der Gründe).
Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, aaO). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist insoweit zuzustimmen, als die über zehn Jahre währende Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär an einer Schule Zweifel im vorstehend dargelegten Sinne begründet. Der Parteiapparat unterhalb der Ebene der SED-Kreisleitung umfaßte auch die ehrenamtlichen Parteisekretäre an Schulen. Sie waren Mitglied der Schulleitung, hatten Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen. Der Parteisekretär kontrollierte und überwachte den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele. Er leitete die Parteiversammlung. Er war verantwortlich für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. Er hatte über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten. Er war damit Repräsentant der staatstragenden Partei SED in der Schule. Wurde dieses wichtige Amt wiederholt ausgeübt, ist die besondere Identifikation des ehrenamtlichen Parteisekretärs mit den Zielen des SED-Staates indiziert (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 174/93 – n.v.).
3. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin die Indizwirkung des von ihr ausgeübten Amtes aber durch substantiierten Sachvortrag entkräftet, den der Beklagte nicht bestritten hat. Diesen entlastenden Sachvortrag der Klägerin zu ihrer früheren Amtsführung durfte das Landesarbeitsgericht nicht deshalb als unerheblich betrachten, weil die Klägerin ihr Amt so geführt habe, daß sie nicht abberufen worden sei. Nähere Tatsachen hierzu sind nicht festgestellt. Selbst wenn die Klägerin ihr Amt nicht so führte, daß es zur offenen Konfrontation mit der SED kam, ist es doch beachtlich, daß sie bestimmte Aufgaben, die ihr als Parteisekretär zustanden, nicht wahrnahm. So hat sie nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ihre Stellung als Parteisekretär nicht rigoros im Sinne des SED-Staates ausgenutzt, nicht den Direktor kontrolliert und überwacht, nicht Einfluß auf Entscheidungen über Besuchsreisen in den Westen genommen und nicht für den militärischen Berufsnachwuchs und die Jugendweihe geworben. Unstreitig hat sich die Klägerin als Parteisekretär schützend vor christlich gebundene Kollegen und Andersdenkende gestellt. Dies zeigt ausreichend, daß die Klägerin sich nicht in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifizierte. Der Beklagte hat nicht dargetan, daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf die persönliche Ungeeignetheit der Klägerin zu schließen sei.
Hat danach die Klägerin das Amt als Parteisekretär an ihrer Schule in Toleranz gegenüber Andersdenkenden geführt, so daß Lehrer und Schüler sich frei entfalten konnten, sind Zweifel an ihrem Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht begründet.
Der Beklagte kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf das Bekenntnis der Klägerin berufen, sie sei früher überzeugte Sozialistin gewesen. Die Kündigung wegen persönlicher Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die frühere politische Überzeugung des einzelnen Lehrers an (vgl. Urteil des Senats vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 195/93 – n.v., zu B 1 c der Gründe).
II. Der Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Richter Dr. Meyer ist infolge einer längeren Auslandsreise an der Leistung der Unterschrift verhindert. Dr. Ascheid, Brückmann
Fundstellen