Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers wegen positiver Vertragsverletzung
Normenkette
BGB §§ 611, 254
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.04.1991; Aktenzeichen 1 Sa 1/91) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 13.12.1990; Aktenzeichen 5 Ca 1646/90) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. April 1991 – 1 Sa 1/91 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Speditionsunternehmen mit Transporten im internationalen Fernverkehr. Der Beklagte war bei ihr in den Monaten September und Oktober 1988 als Fernfahrer beschäftigt. Zu seinen vertraglichen Aufgaben gehörte auch die Erledigung aller erforderlichen und vorgeschriebenen Zollformalitäten bei Grenzüberschreitungen.
Anfang Oktober 1988 erhielt der Beklagte den Auftrag, bei der Firma I. in Enns/Österreich Ladung aufzunehmen und diese im Transit über Deutschland zur Firma I. in Seraing/Belgien zu transportieren und dort zu entladen. Die für den Zoll notwendigen Begleitpapiere (u.a. das Formular EUR 1) wurden ihm ausgefüllt von der Firma I. mitgegeben. An der österreichisch/deutschen Grenze wurde das Ausfuhrpapier EUR 1 ordnungsgemäß abgestempelt. Von der Firma S. in Suben wurde mittels eines dafür vorgesehenen Formulars (T 1) die Anmeldung für die Zollabfertigung in Belgien eröffnet. Hierzu erhielt der Beklagte den entsprechenden Formularsatz zwecks Zollabfertigung beim Überschreiten der deutsch/belgischen Grenze ausgefüllt ausgehändigt. Darunter war eine vom Beklagten unterzeichnete Verpflichtungserklärung im T 1-Verfahren, in der als vorgesehene Grenzübergangsstelle der Grenzübergang Aachen-Nord und als Bestimmungszollstelle das Zollamt Bressoux in Belgien angegeben waren.
Der Beklagte wickelte das T 1-Verfahren nicht beim Bestimmungszollamt Bressoux bei Lüttich ab. Vielmehr nahm er die Zollformalitäten am Zollamt Aachen/Süd-Lichtenbusch in Angriff. Der Verbleib des T 1-Formulars und des bei ordnungsgemäßer Abwicklung des T 1-Verfahrens ausgestellten Empfängerexemplars des T 1-Formulars sind ungeklärt.
Dadurch, daß das T 1-Verfahren nicht ordnungsgemäß abgewickelt worden war, wurde bei der später durchgeführten Nachverzollung das Ausfuhrpapier nicht mehr als Präferenznachweis anerkannt. Die Klägerin mußte deshalb – was bei ordnungsgemäßer Zollabwicklung entfallen wäre – Drittlandzoll, Zollstrafe sowie Zinsen auf Zollrechte, Einfuhrumsatzsteuer und Kosten für die nachträgliche Abwicklung der Anmeldung nach dem Formular für das T 1-Verfahren in Gesamthöhe von 3.539,95 DM sowie weitere Kosten in Höhe von 20,– DM bezahlen.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe bei der Einfuhr nach Belgien schuldhaft und pflichtwidrig entgegen dem ihm an der Grenze ausgehändigten Laufzettel wie auch entgegen einer von ihm selbst unterzeichneten Verpflichtungserklärung die Anmeldung der transportierten Ware nach dem T 1-Formular unterlassen. Der Beklagte habe ihr deshalb den Schaden in voller Höhe zu ersetzen, denn eine Haftungserleichterung nach den Grundsätzen schadensgeneigter Arbeit scheide aus. Von einem Betriebsrisiko könne im vorliegenden Fall keine Rede sein. Dem Beklagten sei die Tätigkeit bekannt gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.559,95 DM nebst 8 % Zinsen hieraus seit 2. Januar 1990 zu bezahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, er habe sich bei der Abwicklung der Zollformalitäten strikt an den ihm ausgehändigten Laufzettel gehalten. Daher sei ihm keine positive Vertragsverletzung anzulasten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.779,97 DM nebst 8 % Zinsen hieraus seit dem 2. Januar 1990 stattgegeben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Die Klägerin macht mit der Revision die Zahlung von weiteren 1.779,98 DM nebst 8 % Zinsen hieraus seit dem 1. Februar 1990 geltend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Beklagte schuldet der Klägerin keinen über den rechtskräftig ausgeurteilten Betrag hinausgehenden Schadensersatz.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe seine Vertragspflicht schuldhaft verletzt. Der Beklagte habe das T 1-Verfahren beim Zollamt Bressoux nicht abgewickelt. Die nicht ordnungsgemäße Abwicklung der Zollformalitäten habe zu einem Schaden von 3.559,95 DM geführt.
Die Grundsätze über die Haftungserleichterung bei schadensgeneigter Tätigkeit seien auf alle vom Arbeitnehmer verursachten und verschuldeten Schadensfälle anzuwenden, die Ausfluß einer durch den Betrieb des Arbeitgebers veranlaßten und aufgrund des Arbeitsverhältnisses geleisteten Tätigkeit seien.
Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Schadensverteilung im Verhältnis 50:50 werde aufrechterhalten, denn der Beklagte habe nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt. Er habe von den verschiedenen auf dem „Laufzettel” aufgeführten Anlaufstellen nur eine, die für das T 1-Verfahren, nicht angelaufen. Eine leichte Schuld komme nicht in Betracht, weil sich der Beklagte nicht lückenlos an den Laufzettel gehalten habe. Da der Beklagte mit mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt habe, sei in Übereinstimmung mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts unter Berücksichtigung von Schadensanlaß. Schadens folgen und Gesamtumständen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten der Schaden hälftig zu teilen.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen es eine weitergehende Haftung des Beklagten verneint hat, sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
I. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, für den gesamten Schaden einzustehen. Es kommen ihm die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung zugute.
Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 27. September 1994 – GS 1/89 (A) – für die Amtliche Sammlung bestimmt) gelten die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn die Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind. Auch bei nicht gefahrgeneigter Arbeit gilt nun, daß ein mit normaler Fahrlässigkeit verursachter Schaden vom Arbeitnehmer nur anteilig zu tragen ist.
II. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe bei einer betrieblichen Tätigkeit seine vertraglichen Pflichten mit mittlerer Fahrlässigkeit und nicht grob fahrlässig verletzt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere kann die grobe Fahrlässigkeit nicht mittels Anscheinsbeweises bewiesen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 20. März 1973 – 1 AZR 337/72 – AP Nr. 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Urteil vom 11. August 1988 – 8 AZR 721/85 – AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers).
III. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung analog § 254 BGB ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verteilung der Verantwortlichkeit für einen entstandenen Schaden im Rahmen des § 254 BGB ist in erster Linie Sache tatrichterlicher Würdigung. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob die Tatsachengerichte alle Unterlagen ordnungsgemäß festgestellt, bei der Abwägung verwertet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben (BAG Urteil vom 14. April 1967 – 5 AZR 535/65 – AP Nr. 12 zu § 565 ZPO, zu 3 der Gründe). Dies gilt auch bei entsprechender Anwendung des § 254 BGB zum Zwecke des innerbetrieblichen Schadensausgleichs (BAG Urteil vom 24. November 1987 – 8 AZR 524/82 – BAGE 57, 55, 72 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Die der hälftigen Schadensteilung zugrundeliegende Abwägung des Landesarbeitsgerichts läßt weder Defizite in tatsächlicher Hinsicht noch Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennen. Das Landesarbeitsgericht hat sich in ausdrücklicher Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht, das für seine Entscheidung vor allem den Grad des Verschuldens und die relativ geringe Schadenshöhe ausschlaggebend sein ließ, für eine hälftige Schadensteilung entschieden. Es hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise über die Erwägungen des Arbeitsgerichts hinaus den Schadensanlaß und die Schadens folgen, die Gesamtumstände des Falles sowie Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte in die Abwägung mit einbezogen. Erhebliche Rügen hat die Klägerin hiergegen nicht vorgebracht.
C. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Harnack, Mache
Fundstellen