Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung eines Berufungsurteils. Entscheidung ohne Gründe
Normenkette
ZPO § 543 I, § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25. Februar 1998 – 4 Sa 860/96 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
3. Gerichtskosten für die Revisionsinstanz werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Klägerin ist seit dem 1. März 1994 für die Beklagte als Versicherungsvertreterin tätig. Nach dem zugrundeliegenden Vertrag vom 4. März 1994 ist sie “als selbständiger Versicherungsvermittler gem. §§ 84 Abs. 1, 92 HGB … ständig damit betraut, Versicherungen und Bausparverträge zu vermitteln” und gehört es zu ihren vertraglichen Aufgaben, “alle mit dem Versicherungsauftrag zusammenhängenden Arbeiten auszuführen und aufgabenbezogenen Weisungen nachzukommen”. Die Klägerin wird ausschließlich in Form vom Abschlußprovisionen vergütet.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie stehe zur Beklagten in einem Arbeitsverhältnis.
Mit ihrer am 16. Juni 1995 erhobenen Klage hat sie beantragt
festzustellen, daß sie seit dem 1. März 1994 als Arbeitnehmerin der Beklagten beschäftigt ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und diese mit einem umfangreichen Schriftsatz begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Sein Urteil enthält einen Tatbestand von 33 Seiten und anschließend folgende Entscheidungsgründe:
“Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Nach Ansicht der Berufungskammer ist den Entscheidungsgründen des Ersturteils zu folgen. Insoweit wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils verwiesen.
Die Ausführungen der Berufung überzeugen die Kammer nicht.
Die Berufung der Beklagten war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.”
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte u. a. einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 551 Nr. 7 ZPO.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht mit Gründen versehen, § 551 Nr. 7 ZPO. Die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils gem. § 543 Abs. 1 ZPO reicht für eine ordnungsgemäße Begründung der getroffenen Entscheidung nicht aus. Es fehlt eine Auseinandersetzung mit den von der Beklagten in der Berufungsinstanz neu vorgebrachten Tatsachen.
1. Zwar kann das Berufungsgericht auch dann, wenn gegen sein Urteil die Revision stattfindet, von der Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil so feststellt, § 543 Abs. 1 ZPO. Dies gilt aber dann und insoweit nicht, als der Berufungskläger in der Berufungsinstanz neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht hat, selbst wenn diese vom Berufungsgericht als nicht begründet angesehen werden (BGH Urteil vom 25. Januar 1980 – NJW 1980, 2418; BGH Urteil vom 30. Januar 1990 – VI ZR 133/89 – dokumentiert in juris; Rimmelspacher in MünchKomm ZPO, § 543 Rz 7; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 543 Rz 5, § 551 Rz 32). Zu dem neuen Vorbringen kann das erstinstanzliche Urteil keine Gründe enthalten, denen das Berufungsgericht folgen könnte. § 543 Abs. 1 ZPO hat den Zweck, das Berufungsgericht von unnötiger Arbeit zu entlasten, um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Vorschrift gestattet es dagegen nicht, die durch den Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs gebotenen Mindestanforderungen an die Begründung richterlicher Entscheidungen zu mißachten. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt es, daß jedes Gericht die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfG in ständiger Rechtsprechung, vgl. nur Beschluß vom 22. November 1983 – BVerfGE 65, 293, 295, m. w. N.). Zwar sind die Gerichte nicht verpflichtet, sich mit jedem Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Zumindest mit den für die Rechtsverfolgung und -verteidigung bedeutsamen Tatsachenbehauptungen muß sich das Gericht jedoch auseinander setzen (BSG Urteil vom 14. November 1996 – MDR 1997, 373).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte das Landesarbeitsgericht in seinen Entscheidungsgründen nicht ausschließlich auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils verweisen und von einer eigenen Begründung vollständig absehen. Die Beklagte hatte in der Berufungsbegründung eine Reihe von neuen Verteidigungsmitteln, insbesondere neue Tatsachen vorgebracht, die nicht als schlechthin ungeeignet angesehen werden können, das Begehren der Klägerin zu Fall zu bringen. So hat die Beklagte vorgetragen, wenn sie die Klägerin angehalten habe, sich zur Versicherungskauffrau weiterzuqualifizieren, so habe es sich dabei nicht um eine an ihren – der Beklagten – Vorstellungen und Nutzungsmöglichkeiten ausgerichtete Ausbildung gehandelt. Des weiteren sei die Klägerin frei gewesen, auch außerhalb des Gruppenversicherungsgeschäfts Versicherungen zu vermitteln. Ein Viertel bis ein Drittel ihrer Gesamtproduktion entfalle jedoch auf solche Versicherungsnehmer. Der gegenteiligen Annahme des Arbeitsgerichts ist die Beklagte substantiiert und unter Beweisantritt entgegengetreten. Ferner hat sie dargelegt, daß die Untersagung der Tätigkeit für ein anderes Versicherungsunternehmen nicht den Aufbau einer eigenen Organisation ausschließe. Es sei der Klägerin nicht untersagt, Dritte zu beschäftigen und an diese Adressenmaterial weiterzugeben. Sie sei nicht beschränkt gewesen, für sich zu werben. Der Einschätzung des Arbeitsgerichts, die Klägerin habe keine unternehmerischen Chancen gehabt, hat die Beklagte auf der Grundlage eines Vergleichs der Einkünfte der Klägerin mit denen anderer Kollegen widersprochen. Auch mit weiteren Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils hat sich die Beklagte kritisch auseinandergesetzt.
Für das Landesarbeitsgericht war es rechtsstaatlich geboten, zumindest in diesen Punkten auf das Vorbringen der Berufung einzugehen.
3. Ob die Verteidigung der Beklagten im Ergebnis zum Erfolg führen kann, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu erörtern. Das Fehlen einer Begründung im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO stellt einen absoluten Revisionsgrund dar. Sein Vorliegen begründet die unwiderlegliche Vermutung für die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn eine Kausalitätsprüfung ohne besondere Schwierigkeiten möglich ist. So ist das Übergehen einzelner Angriffs- oder Verteidigungsmittel dann unschädlich, wenn sie sich sachlich ohne weiteres als fehlsam erweisen (BGH Beschluß vom 21. Dezember 1962 – BGHZ 39, 333, 339, m. w. N., insbesondere aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 56. Aufl., § 551 Rz 16).
Im Streitfall ist dem Senat eine solche einfache Prüfung angesichts der Vielzahl der vom Berufungsgerichts nicht gewürdigten Verteidigungsmittel nicht möglich.
4. Der Senat hat gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG angeordnet, daß Gerichtskosten für die Revisionsinstanz nicht zu erheben sind.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Ackert, Mandrossa
Fundstellen