Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Verringerung wegen gesetzlicher Rente
Leitsatz (redaktionell)
Verringerung des Abfindungsanspruchs auf Null wegen Entstehung eines Anspruchs auf gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses; hier ohne die Problematik der Rentenberechtigung nach dem Rentenüberleitungsgesetz (vgl. dazu Urteil des Senats vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP Nr. 31 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR)
Normenkette
SGB VI §§ 34, 36, 115; SGB IV § 19
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 9. August 1996 – 2 Sa 94/96 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt eine Abfindung wegen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses.
Der am 17. Januar 1931 geborene Kläger war bei dem beklagten Land und dessen Rechtsvorgängern vom 1. September 1986 bis zum 30. Juni 1995 an der landwirtschaftlichen Fakultät der …-Universität … beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts-Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Die Parteien schlossen am 25. Februar 1994 einen Aufhebungsvertrag. In diesem heißt es:
„…
AUFHEBUHGSVERTRAG
zwischen
dem Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen-Anhalt, Herrenkrugstraße 66, 39114 Magdeburg, vertreten durch die Universität …, vertreten durch den Kanzler (Arbeitgeber) … und … Herrn Dr. Ernst K. (Arbeitnehmer) ….
Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.1995 beendet wird.
Die Aufhebung erfolgt wegen hochschulstruktureller Veränderungen und Personalabbau.
Hätte der Arbeitnehmer dem Auflösungsvertrag nicht zugestimmt, so wäre zum gleichen Beendigungstermin eine arbeitgeberseitige Kündigung aus betriebsbedingten Gründen – mangels Bedarf – ausgesprochen worden. Dieser Kündigung hätte kein arbeitsvertragswidriges Verhalten zugrunde gelegen.
Die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses erfolgt unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfrist.
Unter den Voraussetzungen des § 2 des Tarifvertrages zur sozialen Sicherung vom 06.07.1992 wird eine Abfindung gezahlt.
…”
Der Kläger verlangte von dem beklagten Land die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung). Der Beklagte lehnte dies mit dem Hinweis ab, daß der Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente beziehen könne und der Anspruch auf Abfindung somit ausgeschlossen sei. Im TV soziale Absicherung heißt es:
§ 2
Abfindung
(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil
- er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder
- …
erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der letzten Monatsvergütung …. Sie darf den Betrag von 10000 DM nicht übersteigen; …
(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. …
…
(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch auf Abfindung werde dadurch, daß er Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen könne, nicht ausgeschlossen. Im übrigen sei sein Rentenanspruch bereits mit Vollendung des 63.
Lebensjahres am 17. Januar 1994 und damit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 40.821,49 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. August 1995 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, ein Anspruch des Klägers auf Abfindung scheide aus, da der Kläger aufgrund seines Anspruchs auf Altersrente einer Absicherung durch eine Abfindung nach dem TV soziale Absicherung nicht bedürfe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger vorgetragen, daß ihm von dem zuständigen Dezernenten der Beklagten die Zahlung einer Abfindung ausdrücklich zugesagt worden sei. Da er über den Ausschluß eines Abfindungsanspruchs nicht aufgeklärt worden sei, fechte er den Aufhebungsvertrag wegen arglistiger Täuschung hilfsweise an und mache für die Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum 31. Januar 1996 einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung aufgrund Annahmeverzugs des beklagten Landes geltend. Hilfsweise verlange er, daß ihm das beklagte Land für diesen Zeitraum den entgangenen Verdienst als Schadenersatz zu leisten habe. Mit der Berufung hat der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 1. Dezember 1995 – 6 Ca 3451/95 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 40.821,49 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. August 1995 zu zahlen,
hilfsweise,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch den Aufhebungsvertrag vom 25. Februar 1994 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 30. Juni 1995 hinaus fortbesteht,
- den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 54.792,55 DM brutto abzüglich eines Betrags von 16.768,30 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe gegen das beklagte Land einen tariflichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 40.821,49 DM brutto. Dieser Anspruch verringere sich nicht nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung. Eine Rente, die der Angestellte bereits vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis beanspruchen könne, führe nicht zur Verringerung und zum Verlust des Anspruchs auf Abfindung, da die Rente nicht den Zweck einer anderweitigen sozialen Absicherung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfülle. Sie habe schon vor diesem Zeitpunkt den sozialen Status des Angestellten bestimmt.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ob dem Kläger ein Anspruch auf Abfindung aufgrund individualrechtlicher Zusage oder ein Anspruch auf Zahlung aufgrund der in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge zusteht, kann aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden.
1. Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem TV soziale Absicherung.
Ein möglicher Abfindungsanspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Satz 2 TV soziale Absicherung hat sich nach § 2 Abs. 7 i.V.m. Abs. 6 TV soziale Absicherung auf Null verringert, weil unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch des Klägers auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist.
a) Nach § 2 Abs. 6 TV soziale Absicherung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der wegen mangelnden Bedarfs ausgeschiedene Arbeitnehmer wieder in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen Beendigung des alten und Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Zahl von Bruchteilen der Monatsvergütung (Abs. 2) ist. Die in diesem Fall eintretende entsprechende Verringerung der Abfindung bewirkt den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs, wenn das neue Arbeitsverhältnis unmittelbar an das alte anschließt.
Nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung gilt Abs. 6 entsprechend, „wenn innerhalb des gleichen Zeitraums” ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht. Mit dem „gleichen Zeitraum” im Sinne dieser Bestimmung ist, wie im Falle des Absatzes 6, ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnender Zeitraum gemeint, der die tarifliche Rechtsfolge der Verringerung der Abfindung dann auslöst, wenn die Zahl der ihn umfassenden Kalendermonate die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung unterschreitet. An die Stelle der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses (Abs. 6) tritt in Abs. 7 die Entstehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der in § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung bezeichnete Zeitraum liegt, ebenso wie der in Abs. 6 bezeichnete, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Urteile des Senats vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – BAGE 80, 158 = AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP Nr. 31 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; vom 20. März 1997 – 6 AZR 732/95 – n.v. und vom 20. November 1997 – 6 AZR 215/96 – AP Nr. 47 zu § 551 ZPO).
b) Der Anspruch des Klägers auf Altersrente ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden und hat daher den völligen Wegfall des Anspruchs auf Abfindung zur Folge.
aa) Nach § 36 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Diese nach § 34 Abs. 1 SGB VI erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen waren bei dem Kläger am 17. Januar 1994 gegeben. Er hatte zu diesem Zeitpunkt das 63. Lebensjahr vollendet. Nach § 51 Abs. 3 SGB VI werden auf die Wartezeit von 35 Jahren grundsätzlich alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet. Da der Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ununterbrochen im Arbeitsverhältnis gestanden hat, ist die nach § 36 SGB VI erforderliche Wartezeit von 35 Jahren erfüllt.
bb) Das Rentenstammrecht ist am 17. Januar 1994 entstanden, obwohl der Kläger zu diesem Zeitpunkt die Rente nicht beantragt hat.
Zwar wird die Altersrente nach § 36 SGB VI auf Antrag geleistet (vgl. § 19 SGB IV, § 115 Abs. 1 SGB VI). Unabhängig vom Antrag entsteht jedoch das Stammrecht auf die Rente schon in dem Zeitpunkt, in dem alle materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen. Allein auf diesen Zeitpunkt kommt es für die Rechtsfolge des § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung an. Der erkennende Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im Urteil vom 1. Juni 1995 (BAGE 80, 158, 161 = AP, aaO, zu I 1 der Gründe).
cc) Der Rentenanspruch des Klägers ist nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, was die Verringerung der Abfindung nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung ausschließen könnte (vgl. dazu für die Berufsunfähigkeitsrente: Urteil des Senats vom 1. Juni 1995, a.a.O. und Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – aaO).
In der Zeit zwischen der Vollendung des 63. Lebensjahres am 17. Januar 1994 und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 1995 konnte der Rentenanspruch nach § 36 SGB VI nicht entstehen, weil der Kläger weiterhin voll berufstätig war und somit die den Rentenanspruch ausschließende gesetzliche Hinzuverdienstgrenze überschritt. Nach § 34 Abs. 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 SGB VI nicht überschritten wird. Die Einhaltung dieser Grenze ist negative Anspruchsvoraussetzung (vgl. KassKomm-Niesel, Stand Januar 1998, § 34 SGB VI Rz 5). Obwohl der Kläger bereits am 17. Januar 1994 das 63. Lebensjahr vollendet hatte, konnte er, weil er weiterhin in seinem bisherigen Arbeitsverhältnis voll berufstätig war, bis zu dessen Beendigung am 30. Juni 1995 den Rentenanspruch nach § 36 SGB VI nicht erwerben.
2. Nicht abschließend beurteilen kann der Senat, ob dem Kläger gegen das beklagte Land ein einzelvertraglicher Anspruch aufgrund behaupteter individueller Zusage zusteht oder ob die vom Kläger in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge wegen erfolgreich geltend gemachter Anfechtung des zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrages vom 25. Februar 1994 begründet sind. Insoweit bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht.
III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision befinden müssen.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, Klabunde, R. Schwarck
Fundstellen
Haufe-Index 1127010 |
ZTR 1999, 133 |