Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluß. keine Teilnahme am allgemeinen Verkehr
Normenkette
RVO § 636 Abs. 1; BGB §§ 611, 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 27.01.1983; Aktenzeichen 3 Sa 909/82) |
ArbG Siegburg (Urteil vom 19.05.1982; Aktenzeichen 4 Ca 2741/81) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 27. Januar 1983 – 3 Sa 909/82 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten, ihrem früheren Arbeitgeber, Schmerzensgeld, weil dieser seiner Pflicht zur Schneeräumung nicht nachgekommen sei.
Die Klägerin war in der Verwaltung des Beklagten beschäftigt. Das Gebäude, in dem sie arbeitete, befindet sich auf einem größeren Grundstück, zu dem neben weiteren Gebäuden auch Parkplätze gehören. Der Parkplatz 2 steht den Arbeitnehmern der Beklagten zur Verfügung. Er ist vom Arbeitsplatz der Klägerin aus zu Fuß ohne Benutzung einer öffentlichen Straße über einen Bürgersteig und einen von diesem abbiegenden Gehweg erreichbar. Sie ging bei starkem Schneefall, der erst nach 17.00 Uhr nachließ, zu ihrem auf dem Parkplatz 2 abgestellten Pkw. Die Schneehöhe betrug etwa 20 cm. Geräumt war der Neuschnee noch nicht. Kurz vor dem Einbiegen in den Gehweg stürzte die Klägerin auf den Bürgersteig und verletzte sich erheblich. Mit Bescheid vom 22. September 1981 gewährte ihr der zuständige Unfallversicherungsträger eine Unfallrente.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Hausmeister habe am Vortag den Bürgersteig nicht ordnungsgemäß gestreut. An der Unfallstelle hätten sich noch Reste vereisten Schneematsches befunden, die sie zwar morgens bemerkt, nachmittags jedoch nicht mehr in Erinnerung gehabt habe. Allerdings sei die Straße zum Verwaltungsgebäude des Beklagten kein öffentlicher Weg. Gleichwohl sei der Beklagte nach der Ortssatzung der Stadt G… wie seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gehalten, ihn zu räumen und abzustreuen, weil er von den Besuchern und seinen Bediensteten benutzt werde. Diese Pflicht habe er schuldhaft verletzt. Ihm sei bekannt gewesen, daß der Hausmeister bereits in den vergangenen jahren der Streupflicht nur unvollkommen genügt habe. Ein Mitverschulden ihrerseits komme nicht in Betracht.
Sie habe dem Hausmeister, dessen unsorgfältiges Arbeiten auch ihr bekannt gewesen sei, nur Ermahnungen erteilen, ordnungsgemäßes Verhalten jedoch nicht erzwingen können. Allenfalls lasse sie sich eine Mithaftungsquote von 50 % anrechnen. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- DM als angemessen bezeichnet und beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Arbeitsunfall habe sich in seinem Organisationsbereich ereignet. Seine Haftung sei mithin nach § 636 RVO ausgeschlossen. Im übrigen habe die Klägerin auf die behaupteten Altschneereste achten müssen, zumal ihr diese nach ihrem eigenen Vortrag bekannt gewesen seien. Zu den dienstlichen Aufgaben der Klägerin habe die Beaufsichtigung des Hausmeisters gehört. Eine förmliche Beschwerde über dessen nachlässiges Verhalten habe sie nie erhoben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht zu. Dieser ist nach § 636 Abs. 1 RVO ausgeschlossen. Hiernach ist ein Arbeitgeber nur dann zum Schadenersatz aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschriften und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes (§ 847 BGB) verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder dieser bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist. Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, daß der Beklagte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Vielmehr ist er bei dem innerbetrieblichen Verkehr eingetreten.
1. Für die Frage, ob ein Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist, kommt es darauf an, ob der betroffene Arbeitnehmer den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitten hat. Maßgebend ist, ob sich der Unfall für den Betroffenen in einem Bereich ereignet hat, der sich in dem Verhältnis zum Schädiger als ein innerbetrieblicher Vorgang darstellt, oder ob insoweit zu dem Betrieb kein oder nur ein loser Zusammenhang bestanden hat (vgl. BGH AP Nr. 7 zu § 636 RVO m.w.N.).
2.a) Die Klägerin befand sich im Unfallzeitpunkt im räumlichen Bereich des Betriebes des Beklagten. Das Verwaltungsgebäude, der Personalparkplatz sowie Bürgersteig und Gehweg dorthin gehören nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu seinem Betriebsgelände. Der Gang der Klägerin vom Verwaltungsgebäude zum Personalparkplatz war somit der betrieblichen Sphäre zuzurechnen. Das gleiche gilt von dem Arbeitsunfall, den die Klägerin auf diesem Weg erlitten hat.
b) Der Zusammenhang zwischen Unfall und Betrieb wird nicht dadurch ausgeschlossen oder auch nur gelockert, daß die Klägerin sich auf dem Heimweg befand. Der Hinweis der Klägerin, sie habe nach Beendigung der Dienstzeit keinen dienstlichen Weisungen mehr unterlegen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
Soweit die Klägerin damit sagen will, daß sie nach Beendigung der Arbeitszeit ihre dienstlichen Pflichten erfüllt hatte, schließt dies nicht aus, daß sie sich noch im räumlichen und organisatorischen Bereich des Betriebes befand. Im übrigen ist der Einwand der Klägerin nicht richtig. Die Klägerin hätte auch auf dem Heimweg, soweit dieser über das Betriebsgelände führte, dienstliche Weisungen für den Zu- und Abgang zum Betriebsgelände befolgen müssen.
c) Auch der Umstand, daß Besucher des Verwaltungsgebäudes an der gleichen Stelle ebenso wie die Klägerin hätten verunglücken können, löst nicht den Zusammenhang zwischen Unfall und Betrieb.
Für die Beurteilung, ob ein Arbeitsunfall oder die Teilnahme am allgemeinen Verkehr vorliegt, kann nicht allein auf den Ort abgestellt werden, an dem sich der Unfall ereignet hat, und auf den Personenkreis, der zu diesem Ort Zugang hat. Entscheidend ist allein, ob ein sachlicher Zusammenhang mit dem Aufgaben- und Funktionsbereich des Arbeitgebers besteht. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung.
Nach der amtlichen Begründung zu dem Gesetz über die erweiterte Zulassung von Schadenersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 (DJ 1944, 21), aus dem die Ausnahmeregelung in die gesetzliche Unfallversicherung übernommen wurde, sollen die Dienst- und Arbeitsunfälle, bei denen Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber zugelassen sind, in der Regel so gelagert sein, daß sich “Vergleiche zwischen der Stellung eines Versorgungsberechtigten oder eines Versicherten und der eines anderen Verletzten, für den der gleiche Unfall sich nicht als Dienst- oder Arbeitsunfall darstellt, aufdrängen”. Der Gesetzgeber hat also Ausnahme vom Haftungsausschluß nur dort zugelassen, wo sonst “Ärgernis erregende Vergleiche zu befürchten wären” (Hartung, VersR, 25 Jahre Karlsruher Forum, Jubiläumsausgabe 1983, S. 105, 110). Es kommt somit darauf an, ob sich ein Vergleich der unfallversicherten Klägerin mit in gleicher Weise geschädigten betriebsfremden Besuchern aufdrängen würde, ob es also unbillig wäre, die Klägerin auf die Leistungen der Unfallversicherung zu verweisen. Dies ist zu verneinen.
Ein Besucherverkehr, aus dem die Klägerin herleiten will, daß sie im Unfallzeitpunkt am allgemeinen Verkehr teilgenommen hat, findet in vielen Betrieben und in den meisten Verwaltungen, um die es in dem genannten Gesetz von 1943 in erster Linie ging, statt. In solchen Fällen drängt es sich nicht auf, dem geschädigten Betriebsangehörigen in Durchbrechung des Haftungsausschlussses nach § 636 RVO Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber zuzusprechen. Vielmehr spricht hier der Zweck des Gesetzes dafür, es bei dem Haftungsausschluß zu belassen. Andernfalls würde der vom Gesetzgeber gewollte Haftungsausschluß überall dort entfallen, wo auf dem Betriebsgelände Besucherverkehr stattfindet. Das kann aber nicht gewollt sein. Der Gesetzgeber hat den Haftungsausschluß des Arbeitgebers, der die Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung zu tragen hat, als Grundsatz geregelt. Die von der Klägerin beanspruchte Ausnahme hat er nur zur Vermeidung von Unbilligkeiten später eingeführt. Welche Voraussetzungen das Verkehrsgeschehen auf einem Betriebsgelände im Einzelfall erfüllen muß, um bei einem dort verunglückten Arbeitnehmer unter den vorgenannten Wertungsgesichtspunkten ausnahmsweise die Voraussetzungen einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr i.S. des § 636 RVO bejahen zu können, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Der von der Klägerin behauptete Besucherverkehr (“mindestens 25 Personen täglich”) erreicht jedenfalls nicht den Umfang, der zur Durchbrechung des Grundsatzes der Haftungsfreistellung des Arbeitgebers zwingt.
Unterschriften
Schaub, Dr. Steckhan, Dr. Peifer, Kynast, Dr. Menzel
Fundstellen