Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1, Abs. 5 Ziff. 2; Einigungsvertrag Art. 36; BPersVG §§ 72, 79 Abs. 1; BGB § 613 a
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 05.09.1995; Aktenzeichen 4 Sa 1090/94) |
ArbG Halle (Saale) (Urteil vom 29.06.1994; Aktenzeichen 9 Ca 397/93) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. September 1995 – 4 Sa 1090/94 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) stützt.
Der am 10. Juli 1944 geborene Kläger war seit 1969 beim „Deutschen Fernsehfunk der DDR” (DFF) und seit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 bei der Einrichtung gem. Art. 36 Einigungsvertrag (EV) tätig. Die Einrichtung nach Art. 36 EV löste sich gemäß Art. 36 Abs. 6 Satz 1 EV mit Ablauf des 31. Dezember 1991 auf.
Mit Arbeitsvertrag vom 6. Januar 1992 stellte der Beklagte den Kläger ab 1. Januar 1992 als Betriebsaufsichtsingenieur für das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt ein. Der Kläger war für den Sendeablauf einer Schicht verantwortlich und gegenüber zehn technischen Mitarbeitern weisungsbefugt. Im Arbeitsvertrag ist in § 3 u.a. geregelt:
„Dem Arbeitnehmer werden für die Festsetzung seiner Vergütung an Berufszelten mit gleicher oder höherwertiger Bedeutung angerechnet:
a) |
Tätigkeit bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Rundfunk und Fernsehen der DDR sowie deren Studiotechniken |
19 Jahre, – Monate |
b) |
sonstige Tätigkeiten |
– Jahre, – Monate |
Dienstzeit
Als Betriebszugehörigkeit (Streichung auch im Original) werden gem. Tarifvertrag angerechnet |
22 Jahre, – Monate.” |
In § 5 des Vertrages ist bestimmt:
„Die beim MDR gültigen tarifvertraglichen Bestimmungen, Dienstvereinbarungen und Dienstvorschriften (Richtlinien, Dienstanweisungen) gelten als Bestandteil des Vertrages, soweit nicht ausdrücklich schriftlich etwas Abweichendes vereinbart wird.”
Am 1. Juli 1993 trat der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Mitteldeutschen Rundfunks (fortan: MTV) in Kraft, in dem zur fristgerechten Kündbarkeit der Arbeitnehmer folgendes geregelt ist:
Ziffer 2.5.6
„Ausschluß der ordentlichen Kündigung;
Außerordentliche Kündigung
Im übrigen ist nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren eine ordentliche Kündigung durch den MDR unzulässig. Das Recht beider Parteien zur Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) bleibt jedoch unberührt.
Protokollnotiz zu Ziffer 2, 5, 6
Wurde eine Arbeitnehmerin bis spätestens 31.12.1992 beim MDR eingestellt und hat sie zu diesem Zeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet, so werden für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit beim MDR je zwei Jahre der Beschäftigung in öffentlichen Rundfunkeinrichtungen bzw. bei dem Rundfunk zuzuordnenden Bereichen der Deutschen Post in den neuen Ländern bzw. der DDR wie ein weiteres Jahr der Betriebszugehörigkeit gerechnet, sofern die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt einer beabsichtigten Kündigung das 45. Lebensjahr vollendet hat.”
Am 22. Dezember 1992 versicherte der Kläger schriftlich gegenüber dem Beklagten, nicht für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) tätig gewesen zu sein. In einer Anlage zu dieser Erklärung gab er an, daß er Mitte 1987 eine Bombendrohung anläßlich einer Fernsehübertragung zur Anzeige gebracht habe. Deshalb sei er durch das MfS, welches die Ermittlungen führte, mehrfach befragt worden. Ansonsten habe er nicht aktiv mit dem MfS zusammengearbeitet.
Am 29. Juni 1993 erstellte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: Bundesbeauftragter) einen Einzelbericht über den Kläger. Danach verweist eine auf den Namen des Klägers angelegte Karteikarte des MfS auf eine Akte mit der Registriernummer XV 1016/87, von der nur ein Blatt aufgefunden wurde. Hieraus ergibt sich, daß am 9. Januar 1987 ein IM-Vorlauf über den Kläger angelegt und dieser dann am 4. Dezember 1987 in einen IM-Vorgang zu dem Decknamen „H. O.” umregistriert wurde. Angaben über eine Verpflichtungserklärung, Zahl und Inhalt der Berichte oder den möglichen Inhalt der Akte mit der Nr. XV 1016/87 konnte der Bundesbeauftragte nicht machen. Als MfS-Mitarbeiter der zuständigen Diensteinheit wurde ein Herr N. benannt.
Zu einem im Rechtsstreit nicht näher mitgeteilten Zeitpunkt stieß ein ehemaliger Mitarbeiter des DFF, Herr F., auf einen ihn betreffenden Bericht eines IM H. O. an das MfS. Der inhaltlich nicht vorgetragene Bericht enthält neben einer negativen Persönlichkeitseinschätzung Angaben zu einem Gespräch zwischen Herrn F. und dem damaligen Beauftragten der Staatssicherheit W., bei dem der Kläger als einzige weitere Person zugegen war. Der Beklagte erfuhr hiervon im Sommer 1993, als Herr F. einen Vorgesetzten des Klägers ansprach.
Am 27. September 1993 führten der damalige Vorsitzende des Personalausschusses des Rundfunkrats und der Landesfunkhausdirektor mit dem Kläger ein Gespräch, ob er als IM für das MfS tätig gewesen sei. Es ist streitig, ob der Kläger dies einräumte. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1993 teilte der Beklagte dem bei ihm gebildeten Gesamtpersonalrat mit, daß dem Kläger zum 31. Dezember 1993 ordentlich gekündigt werden solle. Der Kläger sei entgegen seiner Angaben doch für das MfS tätig gewesen und habe als IM H. O. über seinen früheren Kollegen F. berichtet. Der Gesamtpersonalrat antwortete am 2. November 1993, er bezweifle, daß der Kläger tatsächlich für das MfS gearbeitet habe. Am 9. November 1993 begründete der Beklagte gegenüber dem Gesamtpersonalrat, warum er an der Kündigungsabsicht festhalte, und erklärte dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1993. Der Kläger erhielt das Kündigungsschreiben am 11. November 1993.
Der Kläger hat mit der am 26. November 1993 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage geltend gemacht, nicht für das MfS tätig gewesen zu sein und als IM H. O. Berichte geliefert zu haben. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, gemäß Ziff. 2.5.6 MTV nebst Protokollnotiz sei eine ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen. Seine 19-jährige Beschäftigungszeit beim DFF sei aufgrund der tariflichen Regelung wie auch kraft einzelvertraglicher Vereinbarung anzurechnen. Im übrigen sei der Beklagte gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB Rechtsnachfolger der Einrichtung nach Art. 36 EV geworden. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 9. November 1993 zum 31. Dezember 1993 nicht beendet worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, der Kläger habe Berichte für das MfS verfaßt, u.a. über den ehemaligen DFF-Mitarbeiter F. Herr F. habe die Unterschrift des Klägers unter diesem Bericht erkannt. In dem am 27. September 1993 geführten Gespräch habe der Kläger eingeräumt, bewußt und aufgrund eigenen Entschlusses ohne Zwang für das MfS gearbeitet zu haben. Eine weitere Beschäftigung des Klägers sei unzumutbar. Der Kläger habe eine herausgehobene Vertrauensstellung. Die (unstreitigen) parlamentarischen Antragen im Sächsischen Landtag zur MfS-Vergangenheit von Mitarbeitern im MDR zeigten, wie sehr das Ansehen des Beklagten Schaden nehmen könne.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat der Senat die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassen. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kündigungsschutzklage kann mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht stattgegeben werden. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung durch den Senat ist aber nicht möglich, weil eine Beweisaufnahme durchgeführt werden muß. Die Sache ist deshalb zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung vom 9. November 1993 nicht aufgelöst worden. Der Beklagte habe nicht substantiiert dargelegt, daß der Kläger tatsächlich für das MfS tätig geworden sei. Es sei keine Verpflichtungserklärung des Klägers vorgefunden worden, ebenso existierten keine Hinweise darauf, daß der Kläger selbst Berichte für das MfS verfaßt habe. Allein aus der Tatsache, daß ein IM-Vorlauf in einen IM-Vorgang umregistriert worden sei, könne nicht auf ein bewußtes und gewolltes Tätigwerden des Klägers geschlossen werden. Die Behauptung des Beklagten, der den früheren Kollegen F. betreffende Bericht stamme vom Kläger, sei nicht einlassungsfähig. Es fehlten tatsächliche Angaben dazu, wodurch Herr F. die Unterschrift des Klägers erkannt habe. Auch der Vortrag, der Kläger habe in dem Gespräch am 27. September 1993 eingeräumt, als IM H O. Berichte geliefert zu haben, sei ungeeignet, eine Tätigkeit des Klägers für das MfS zu belegen. Die Richtigkeit der Behauptung unterstellt, handele es sich nur um ein außergerichtliches Geständnis. Dieses lasse aber keinen ausreichend sicheren Schluß darauf zu, daß der Kläger in einer Weise für die Staatssicherheit tätig geworden sei, die seine Kündigung rechtfertige. Die beantragte Vernehmung des MfS-Mitarbeiters N. als Zeugen zu einer IM-Tätigkeit des Klägers laufe auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Andere Gründe für eine mangelnde persönliche Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV seien nicht ersichtlich. Mangels nachgewiesener MfS-Tätigkeit des Klägers könne nicht davon ausgegangen werden, daß dieser bei Abgabe der Erklärung vom 22. Dezember 1992 gelogen habe. Dem Beklagten sei daher auch verwehrt, sich auf ein Kündigungsrecht nach § 1 Abs. 2 KSchG zu berufen.
II. Das angefochtene Urteil ist nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig war, kann seine fehlende persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV begründen.
Wird die fehlende persönliche Eignung aus dem Umstand hergeleitet, daß der Arbeitnehmer für das MfS tätig war, ist der Tatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV erfüllt, wenn die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV vorliegen (Senatsurteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 274/92 – AP Nr. 10 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; Senatsurteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 123).
a) Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. AfNS tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS erfolgte (Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, mit weiteren Nachweisen). Diese Kündigungstatsachen sind vom kündigenden Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Die Anforderungen sind nicht geringer, wenn fristgemäß gekündigt und damit die Kündigung auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützt wird (Senatsurteil vom 25. Februar 1993, a.a.O.).
b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß der Beklagte zum Kündigungsgrund unzureichend vorgetragen und unzulässigen Beweis angetreten habe. Der Beklagte rügt mit Recht, daß er nicht darlegen mußte, was der Grund der Tätigkeit für das MfS war, wie lange diese dauerte sowie ob und gegebenenfalls warum die Tätigkeit beendet wurde. Ebenfalls gehörte es nicht zur Substantiierungspflicht des Beklagten, den Inhalt und die Anzahl etwaiger Berichte für das MfS vorzutragen.
Damit hat das Berufungsgericht die nach der Senatsrechtsprechung bei einer Kündigung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV zu stellenden Anforderungen überschritten. Der Kündigungstatbestand des Abs. 5 Ziff. 2 EV stellt nicht auf besondere Einzelakte ab, sondern auf die Tätigkeit als solche. Steht diese in Umrissen fest, kann die Einzelfallprüfung ergeben, daß ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint (Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257, 263 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Die gerichtliche Feststellung und Beurteilung einer mit geheimdienstlichen Methoden durchgeführten Tätigkeit hat sich an den Erkenntnismöglichkeiten auszurichten, die dem Arbeitgeber offenstehen. Die zivilprozessualen Möglichkeiten der Tatsachenfeststellungen sind daher auszuschöpfen, wenn die für eine bewußte und finale Zusammenarbeit mit dem MfS vorgetragenen und unter Beweis gestellten Indizien erheblich sind (Senatsurteil vom 23. September 1993, a.a.O.). Wenn eine Tätigkeit für die Staatssicherheit geleugnet wird und die Auskunft des Bundesbeauftragten wenig ergiebig ist, weil Akten fehlen oder „gesäubert” wurden, ist nicht auszuschließen, daß bei einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung neue und weitere Sachverhaltsumstände zutage treten, die der kündigenden Partei nützlich sind, von ihr aber nicht vorgetragen werden konnten. Dies ist durch die konspirative Vorgehensweise des MfS bedingt und hinzunehmen. Es handelt sich dann entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Ein Eintritt in die Beweisaufnahme kann nur unterbleiben, wenn die behaupteten Hilfstatsachen ungeeignet sind, eine Tätigkeit des Arbeitnehmers für die Staatssicherheit zu indizieren (Senatsurteil vom 23. September 1993, a.a.O.).
Eine Pflicht des Arbeitgebers, im Rechtsstreit wegen einer MfS-Mitarbeit zwingend zu deren Dauer, Qualität und Grund vorzutragen, kann auch nicht aus der Notwendigkeit gefolgert werden, daß bei jeder Kündigung eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist (Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 474/91 – BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – NZA 1997, 935, 936). Die Darlegungslast des Arbeitgebers zu den in der Vergangenheit liegenden Umständen, die aus seiner Sicht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen, wird ebenfalls durch die Erkenntnismöglichkeiten über das Maß der individuellen Verstrickung des Arbeitnehmers begrenzt. Leugnet der Arbeitnehmer seine MfS-Mitarbeit und sind auch durch den Bundesbeauftragten nur Indizien ermittelt worden, reicht es aus, daß aus der abgestrittenen Tätigkeit für die Staatssicherheit auf die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Arbeitnehmers, bezogen auf seine Stellung im gekündigten Arbeitsverhältnis und die mögliche Außenwirkung seiner Tätigkeit, zu schließen ist.
c) Das Landesarbeitsgericht wird Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Kläger für das ehemalige MfS tätig war.
aa) Der Einzelbericht des Bundesbeauftragten vom 29. Juni 1993 läßt keinen sicheren Schluß darauf zu, daß der Kläger bewußt und zielgerichtet für die Staatssicherheit arbeitete. Anhand dieser Unterlagen verbleiben Zweifel, ob der Kläger nicht ohne sein Wissen als IM geführt und lediglich „abgeschöpft” wurde, zumal keine Verpflichtungserklärung, eigenhändig verfaßte Berichte oder andere Aufzeichnungen des MfS zum Aktenzeichen „XV 1016/87” vorgefunden wurden. Die darauf bezogene Wertung des Berufungsgerichts ist rechtsfehlerfrei.
bb) Das Landesarbeitsgericht hätte jedoch den Beweisantritten zu folgenden streitigen Behauptungen nachgehen müssen:
Der Beklagte hat behauptet, der Kläger habe am 27. September 1993 in einem Gespräch mit dem damaligen Vorsitzenden des Personalausschusses des Rundfunkrates, Herrn B., und dem Landesfunkhausdirektor, Herrn Dr. R., eingeräumt, aus freiem Willensentschluß ohne ihn entschuldigenden Zwang für das MfS gearbeitet und unter dem Decknamen H. O. Berichte geliefert zu haben. Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, daß die Richtigkeit dieses außergerichtlichen Geständnisses unterstellt werden könne, ohne daß sich daraus Schlüsse auf die Wahrheit der Hauptsachenbehauptung, nämlich einer Berichtstätigkeit als IM K. O. ergeben würden. Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar.
Auch die Vernehmung des als Zeugen benannten MfS-Mitarbeiters N. ist fehlerhaft als unzulässiger Ausforschungsbeweis abgelehnt worden. Der Beklagte hat in das Wissen des Zeugen N. gestellt, daß der Bericht über den früheren DFF-Mitarbeiter F. vom Kläger stammt. Dies scheint das Landesarbeitsgericht übersehen zu haben, wie auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Zeugen im Schriftsatz vom 29. Mai 1995. Der Zeuge N. ist schließlich entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nur „… allgemein für das Tätigwerden des Klägers als IM …” benannt worden, sondern dafür, daß der Kläger unter dem Decknamen H. O. während der Zusammenarbeit mit dem MfS Berichte lieferte. Dies ist ausreichend. Die vom Berufungsgericht an die Darlegung des Arbeitgebers gestellten Anforderungen wären nur zu erfüllen, wenn der als Zeuge benannte frühere Mitarbeiter des MfS dem Beklagten freiwillig Angaben zu Inhalt und Häufigkeit einer Berichtstätigkeit des Klägers gemacht hätte, was weder gefordert noch erwartet werden kann.
Schließlich durfte das Landesarbeitsgericht eine Vernehmung des Zeugen F. nicht als ungeeignet für den Nachweis einer MfS-Tätigkeit ablehnen. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn der völlige Unwert des Beweismittels festgestanden hätte (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257, 264 = AP, a.a.O.). Die im Berufungsurteil angeführten Bedenken gegen die Erhebung des Zeugenbeweises betreffen Fragen der Beweiswürdigung. Es kann tatsächlich zweifelhaft sein, ob der Zeuge in der Lage war, aus der mit Decknamen erfolgten Unterschrift die Charakteristika der Handschrift des Klägers zu erkennen. Möglicherweise unterliegt der Zeuge auch dem Bedürfnis, die als anonym erfahrene Bespitzelung durch das MfS konkreten Personen zuzuordnen, ohne daß dies anhand objektiver Umstände verifizierbar ist. Dies kann jedoch erst nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter dem Eindruck der Zeugenvernehmung beurteilt werden.
cc) Sollte das Landesarbeitsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt sein, daß der Kläger als IM der Staatssicherheit arbeitete, wird es zu prüfen haben, ob dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen ist. Hierbei wird neben möglicherweise erst aufgrund der weiteren Verhandlung bekanntgewordenen Umständen der MfS-Tätigkeit maßgeblich sein, ob Schäden für das Ansehen der Sendeanstalt wegen der MfS-Vergangenheit eines Rundfunkmitarbeiters zu befürchten sind und welche berufliche Stellung der Kläger innerhalb des MDR einnimmt.
2. Falls das Landesarbeitsgericht den Kündigungsgrund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht als erfüllt ansieht, wird es bei Gewißheit über eine MfS-Tätigkeit des Klägers weiter zu prüfen haben, ob diesem die persönliche Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst zumindest wegen falscher Angaben über seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit fehlt.
Die in Personalfragebögen gestellten Fragen nach einer MfS-Tätigkeit sind zulässig und vom Arbeitnehmer wahrheitsgemäß zu beantworten (Senatsurteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 126 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Die Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit offenbart regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV. Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung festzustellen haben, ob trotz des andauernden Leugnens einer MfS-Verstrickung andere Umstände eine positive Prognose über die Eignung des Klägers zulassen.
3. Schließlich sind auch weitere Feststellungen des Landesarbeitsgerichts notwendig, um die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 38 Abs. 1 des Staatsvertrages zur Errichtung des MDR (GVBl. LSA 1991 S. 111, 120) in Verbindung mit § 79 Abs. 1, § 72 BPersVG überprüfen zu können. Dies betrifft insbesondere die Zuständigkeit des beteiligten Gesamtpersonalrats.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).
1. Die Möglichkeit zur fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger war weder durch eine tarifliche noch eine einzelvertragliche Regelung ausgeschlossen. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert daher nicht an einem Kündigungsverbot.
a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifbindung und einzelvertraglicher Vereinbarung der MTV für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Mitteldeutschen Rundfunks, in Kraft seit dem 1. Juli 1993, anzuwenden. Die ausschließliche Verwendung von Begriffen in ihrer weiblichen Form im Tarifvertrag schließt die Anwendbarkeit dieser Regelungen auf männliche Arbeitnehmer nicht aus, wie die Tarifvertragsparteien in der Anmerkung zur Bezeichnung des Tarifvertrages klargestellt haben.
b) Der Kläger ist nicht nach Ziff. 2.5.6 MTV ordentlich unkündbar, denn er war zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine zehn Jahre beim MDR beschäftigt. Auch die Protokollnotiz zu Ziff. 2.5.6 untersagt nicht die ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Es kann daher dahinstehen, ob die Tarifpartner überhaupt das Kündigungsrecht nach Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam einschränken können.
Die Protokollnotiz sieht die Berücksichtigung der bei anderen Sendeanstalten und -einrichtungen zurückgelegten Beschäftigungszeiten nur anteilig und in Relation zur Dauer des Arbeitsverhältnisses mit dem MDR vor. Dies ergibt sich aus der Formulierung, daß „… für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit beim MDR je zwei Jahre der Beschäftigung in öffentlichen Rundfunkeinrichtungen (…) wie ein weiteres Jahr der Betriebszugehörigkeit gerechnet (werden) …”. Mit „jedem Jahr der Betriebszugehörigkeit” ist jedes tatsächlich im Arbeitsverhältnis zum Beklagten zurückgelegte Jahr gemeint. Pro vollendetem Jahr der Betriebszugehörigkeit können also zwei Jahre einer früheren Beschäftigungszeit wie ein weiteres Jahr Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden. Ein beim Beklagten beschäftigter Arbeitnehmer kann folglich frühestens nach einer effektiven Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren ordentlich unkündbar werden. Die vom Kläger vertretene Auslegung der Protokollnotiz, nach der er aufgrund seiner 19-jährigen Beschäftigung ab Inkrafttreten des Tarifvertrages ordentlich unkündbar gewesen sei, wird bereits vom Wortlaut dieser Vorschrift nicht gedeckt. Es ist nicht geregelt worden, daß frühere Beschäftigungszeiten „statt” Jahren der Betriebszugehörigkeit beim MDR im Faktor 2:1 gerechnet werden dürfen. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten sofort ab Eintritt des Arbeitnehmers in das Arbeitsverhältnis zum Beklagten beabsichtigt, wäre eine Regelung wie durch die Protokollnotiz zu Ziff. 8.2.3 getroffen worden, in der die Anrechnung von Beschäftigungszeiten als Berufszeit im Sinne des Tarifvertrages für die Einstufung innerhalb einer Vergütungsgruppe festgelegt wurde. Der Vergleich der Protokollnotizen läßt ihre unterschiedlichen Regelungsziele hervortreten und bestätigt die vorgenommene Auslegung der Notiz zu Ziff. 2.5.6 MTV.
c) Auch für den Fall, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den MDR übergegangen sein sollte, wäre eine ordentliche Kündigung nicht durch Ziff. 2.5.6 MTV ausgeschlossen. Es kann dahinstehen, ob die Rechtsauffassung des Klägers zutrifft, der Landessender Sachsen-Anhalt sei als Betrieb oder Betriebsteil von dem Beklagten durch Rechtsgeschäft übernommen worden (vgl. dazu: Senatsurteil vom 18. Januar 1996 – 8 AZR 672/94 – nicht veröffentlicht; Senatsurteil vom 20. März 1997 – 8 AZR 856/95 – AP Nr. 24 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Anknüpfungspunkt für das Verbot der fristgemäßen Kündigung ist nach Ziff. 2.5.6 MTV eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit. Damit ist ausschließlich die beim MDR zurückgelegte Betriebszugehörigkeit gemeint und keine wegen Betriebsübergangs oder aufgrund einer Überführung nach Art. 13 Abs. 1 EV zu berücksichtigenden Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern.
Die Tarifnorm verstößt auch nicht gegen § 613 a BGB. Eine mögliche Rechtsnachfolge des Beklagten wird durch sie nicht ausgeschlossen. Die Tarifvertragsparteien haben keine Regelung über die Betriebszugehörigkeit der tarifunterworfenen Arbeitnehmer getroffen, sondern nur darüber, welche Zeiten einer Betriebszugehörigkeit unter welchen Voraussetzungen zur Einschränkung des Rechts auf ordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer Berücksichtigung finden sollen. Hiergegen bestehen keine Bedenken.
d) Schließlich ist auch die Rechtsansicht des Klägers unzutreffend, er sei kraft einzelvertraglicher Anerkennung seiner früheren Betriebszugehörigkeit zum DFF mit Inkrafttreten des MTV unkündbar geworden.
Die Parteien haben in § 3 des Arbeitsvertrages die Anrechnung von Berufszeiten für die Einstufung des Klägers innerhalb der ihm zuerkannten Vergütungsgruppe sowie die Anrechnung von „Dienstzeiten gemäß Tarifvertrag” vereinbart. Ob damit Dienstzeiten für eine betriebliche Altersversorgung anerkannt werden sollten, wie die Beklagte behauptet, kann dahinstehen. Der letzte Absatz des § 3 regelt zumindest keine fiktive Betriebszugehörigkeit des Klägers mit Folgen für die Kündbarkeit. Der Begriff der „Betriebszugehörigkeit” ist in der Vertragsurkunde gestrichen und durch den der „Dienstzeit” ersetzt worden. Dies läßt darauf schließen, daß die Dienstzeit nicht als Synonym für Betriebszugehörigkeit verstanden wurde und die Parteien keine Regelungen über diese treffen wollten.
2. Die Rechtsauffassung des Klägers, der Beklagte sei nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten seines Arbeitsverhältnisses zur Einrichtung nach Art. 36 EV eingetreten, kann sich jedoch auf die einzuhaltende Kündigungsfrist auswirken.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, H. Brückmann, Morsch
Fundstellen