Entscheidungsstichwort (Thema)

Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters

 

Leitsatz (amtlich)

Maßgeblich für die Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters nach § 11 Abs 2 ArbGG ist, daß er kraft Satzung oder kraft Vollmacht des Verbandes zur Vertretung befugt und die von ihm vertretene Partei Mitglied des Verbandes ist.

Die Befugnis oder gar der Wille einer Arbeitgebervereinigung, für sich oder für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen, ist keine Zulassungsvoraussetzung für ihre Vertreter vor den Gerichten für Arbeitssachen.

 

Normenkette

ArbGG § 11 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 07.03.1988; Aktenzeichen 4 Sa 44/87)

ArbG Hamburg (Urteil vom 27.03.1987; Aktenzeichen 13 Ca 129/86)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. März 1988 – 4 Sa 44/87 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 1. Mai 1977 bei dem Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Der Beklagte ist seit dem Jahre 1982 Mitglied im “Verband der südostholsteinischen Wirtschaft e.V. (VSW)” mit Sitz in Reinbek. In der Satzung des VSW vom 20. März 1969 heißt es:

“§ 1 Name, Rechtsfähigkeit, Sitz und Verbandsbereich

  • Der Verbandsbereich erstreckt sich auf das Gebiet Südostholstein.

§ 2 Zweck

  • Zweck des Verbandes ist es, die allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen sowie die arbeits- und sozialrechtlichen Belange seiner Mitglieder wahrzunehmen. Insbesondere soll er an der Erhaltung des Arbeitsfriedens unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Erfordernisse mitwirken, sich für den solidaren Zusammenhalt der Mitglieder einsetzen und kooperative Aufgaben übernehmen.

    Der Erfüllung dieses Zwecks dienen insbesondere folgende Aufgaben:

    • Vertretung der arbeits- und sozialpolitischen Interessen der Unternehmer,
    • Abschluß von Tarifverträgen, sofern Mitglieder nicht an Fachtarife gebunden sind oder gebunden sein wollen,
    • gerichtliche und außergerichtliche Vertretung in allen arbeits- und sozialrechtlichen Verfahren.

§ 3 Erwerb der Mitgliedschaft

  • Mitglieder des Verbandes können Unternehmer und Unternehmen aus Industrie, Landwirtschaft, Handel, Handwerk, Verkehr und allen übrigen Berufsgruppen werden, die im Verbandsbereich ansässig sind oder dort eine Betriebsstätte unterhalten.
  • Werden innerhalb des Verbandes Fachgruppen gebildet, so können Firmen der jeweiligen Fachgruppe die Mitgliedschaft im Verband auch ohne Rücksicht auf ihren Sitz erwerben.

Durch Beschluß der Mitgliederversammlung vom 20. März 1987 wurde hinter § 3 Nr. 2 der Satzung eine neue Nr. 3 mit folgendem Wortlaut eingefügt:

  • Mitglieder können in Ausnahmefällen auch Unternehmen außerhalb des Verbandsbereichs werden.

Mit seiner am 29. April 1986 erhobenen Klage hat der Kläger von dem Beklagten die Gewährung von drei zusätzlichen Urlaubstagen begehrt, die Zahlung zusätzlichen Urlaubsgeldes in Höhe von 484,-- DM brutto und eine Jahressonderzahlung für 1985 in Höhe von 747,44 DM brutto.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Urlaubsgewährung und zur Zahlung von 523,44 DM brutto verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Die hiergegen am 14. Mai 1987 eingelegte und von dem Geschäftsführer des VSW, S…, unterzeichnete Berufung hat das Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen mit der Begründung, der Beklagte sei im zweiten Rechtszug nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. März 1987 zu Unrecht als unzulässig angesehen.

I. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. März 1987 zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der VSW sei nach seiner Satzung nicht zur Vertretung der Beklagten befugt. Verbände seien gemäß § 11 ArbGG nur insoweit postulationsfähig, wie auch ihre Tarifzuständigkeit reiche. Der Verbandsbereich des VSW erstrecke sich gemäß § 1 Nr. 3 seiner Satzung auf das Gebiet Südostholstein, hingegen habe der Beklagte seinen Sitz in Hamburg. Damit könne der VSW für den Beklagten keine Tarifverträge abschließen. Hieraus folge gleichzeitig das Fehlen seiner Vertretungsbefugnis vor dem Landesarbeitsgericht und die Unzulässigkeit der Berufung.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, der Verband sei nicht postulationsfähig, kann dem schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil die Postulationsfähigkeit nach § 11 Abs. 2 ArbGG nicht einem Verband sondern einer natürlichen Person zusteht, die von einer Vereinigung von Arbeitgebern kraft Satzung oder Vollmacht mit der Vertretung eines Mitgliedes beauftragt wird (Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 11 Rz 10). Nach § 11 Abs. 2 ArbGG ist damit diesen Personen für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine den Anwälten entsprechende Rechtsstellung zugestanden und dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie zu einer interessen- und sachgerechten Vertretung der Mitglieder ihrer jeweiligen Verbände in der Lage sind (BAGE 40, 228 = AP Nr. 3 zu § 76 ArbGG 1979). Maßgeblich für ihre Postulationsfähigkeit ist lediglich, daß sie kraft der Satzung oder kraft der Vollmacht des Verbandes zur Vertretung befugt sind und die vertretene Partei Mitglied des Verbandes ist.

2. Der VSW ist eine Vereinigung von Arbeitgebern. Der Beklagte ist Mitglied des VSW. Der Geschäftsführer des VSW, S…, ist zur Vertretung von Verbandsmitgliedern befugt. Dies wird auch vom Landesarbeitsgericht nicht in Zweifel gezogen. Weitere Voraussetzungen für die Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters sind § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht zu entnehmen.

3. Die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, ein Repräsentant des VSW sei nicht zur Vertretung des Beklagten befugt, findet in der Satzung keine Stütze. In § 2 Buchst. f der Satzung ist ausdrücklich die gerichtliche Vertretung der Mitglieder in allen arbeits- und sozialrechtlichen Verfahren genannt. Hierzu gehört auch die Unterzeichnung einer Berufungsschrift an das Landesarbeitsgericht.

Auch soweit das Landesarbeitsgericht die Postulationsfähigkeit im Hinblick auf § 1 Nr. 3 der Satzung ablehnt, kann ihm nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht hat daraus, daß diese Vorschrift den Verbandsbereich auf das “Gebiet Südostholstein” begrenzt, geschlossen, ein Mitglied, das seinen Sitz nicht in diesem Gebiet hat, könne nicht von einem vom VSW abgeschlossenen Tarifvertrag erfaßt werden. Für die Tarifbindung eines Verbandsmitgliedes kommt es nicht darauf an, ob es im räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags seinen Sitz hat, denn auch eine Niederlassung in diesem Bereich würde für die Annahme der Tarifgebundenheit ausreichen (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 2 Rz 40). Ob der Beklagte eine Niederlassung im “Gebiet Südostholstein” tatsächlich unterhält, hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft. Einer Entscheidung des Senats hierüber bedarf es nicht, weil der Auffassung des Landesarbeitsgerichts aus einem weiteren Grund nicht zuzustimmen ist.

Die Befugnis oder gar der Wille einer Arbeitgebervereinigung, für sich oder für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen, ist keine Zulassungsvoraussetzung für ihre Vertreter vor den Gerichten für Arbeitssachen. Das ergibt sich bereits aus der Aufzählung der Vereinigungen in § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Diese Vorschrift gewährt nämlich nicht nur Vertretern der Arbeitgeberverbände, sondern auch solchen der Spitzenorganisationen die Postulationsfähigkeit. Letzteren ist es indes ausdrücklich freigestellt, ob sie sich eigene Tariffähigkeit beimessen. So bestimmt § 2 Abs. 3 TVG, daß Spitzenorganisationen im Gegensatz zu Vereinigungen von Arbeitgebern nur dann Parteien eines Tarifvertrages sein können, wenn sie sich diese Aufgabe in ihrer Satzung zuweisen. Weil § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG aber nicht zwischen Verbandszusammenschlüssen, die sich Tariffähigkeit zuschreiben, und anderen Spitzenverbänden unterscheidet, sind auch Vertreter von Verbandszusammenschlüssen postulationsfähig, die nicht Tarifvertragspartei sein können. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 51, 163 = AP Nr. 8 zu § 11 ArbGG 1979 Prozeßvertreter). Dort ist die Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters verneint worden, weil der Arbeitgeber nur Gastmitglied eines Arbeitgeberverbandes war, dessen wesentliche Mitgliedschaftsrechte ihm nicht zustanden, und außerdem der Prozeßvertreter dieses Verbandes das Gastmitglied in einem Rechtsstreit vertreten hatte, dessen Gegenstand nicht in den Aufgabenbereich des Verbandes fiel. Diese Merkmale sind hier nicht gegeben, so daß dahingestellt bleiben kann, ob der Entscheidung zu folgen wäre.

4. Daher ist die Berufung des Beklagten nicht wegen fehlender Postulationsfähigkeit des Geschäftsführers des VSW unzulässig. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist danach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

II. Dem Senat ist es verwehrt, über die Begründetheit der Berufung selbst zu entscheiden, wenn das Gericht der Tatsacheninstanz die Berufung lediglich wegen fehlender Zulässigkeit verworfen hat (BGHZ 11, 222; 31, 279; 33, 398, 401; 46, 281; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl., § 563 Anm. 1 C). Feststellungen zur Sache hat das Landesarbeitsgericht bisher nicht getroffen. Es wird das nachzuholen haben.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Weiss, R. Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 873932

BAGE, 255

RdA 1990, 127

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