Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflegungsgeld nach dem Seemannsgesetz
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitnehmer, die im Schiffsbetrieb an Bord von Fähren als Personal des Pächters der Serviceeinrichtungen tätig sind, sind keine Besatzungsmitglieder im Sinne des Seemannsgesetzes. Das gilt auch dann, wenn sie aufgrund einer Vereinbarung zwischen Pächter und Reeder verpflichtet sind, als Feuerschutz- oder Rettungsbootsmänner an Übungsmanövern und Sicherheitsübungen teilzunehmen.
2. Sonstige im Schiffsbetrieb an Bord tätige Personen, die zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften über die Schiffssicherheit vom Kapitän herangezogen werden, haben nach § 79 i.V.m. § 39 Seemannsgesetz keinen Anspruch auf Verpflegungsgeld für nicht an Bord gewährte Verpflegung.
Normenkette
Seemannsgesetz (SeemG) §§ 3, 7, 29, 39, 79, 91; Manteltarifzusatz- und Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der MITROPA AG auf den Fährschiffen vom 31. März 1992 Ziff. 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Juni 1996 - 6 (5) Sa 58/95 - aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 7. Dezember 1994 - 2 Ca 124/93 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der im Servicebetrieb eines unter der deutschen Flagge fahrenden Fährschiffes beschäftigte Kläger berechtigt ist, eine Abgeltung für die an dienstfreien Tagen nicht gewährte Bordverpflegung (sogenanntes Verpflegungsgeld) zu fordern.
Der Kläger ist 1984 von der M AG eingestellt worden, die auf den in der Ostsee fahrenden Eisenbahnfährschiffen der D den Servicebetrieb wahrnahm. 1993 hat die D O mbH, eine Tochtergesellschaft der D , die Fährschiffe übernommen. 1996 hat die M AG den Servicebetrieb auf eine neugegründete Tochtergesellschaft, die Beklagte, übertragen. Sie ist in den zwischen der M AG und dem früheren Reeder bestehenden Pachtvertrag als Betriebsnachfolgerin eingetreten. Seit Beginn des Arbeitverhältnisses wird der Kläger damit beschäftigt, die Erlöse aus der Cafeteria, dem Kiosk, der Information, dem Fahrkartenverkauf, dem Personalverkauf und dem Restaurant abzurechnen und zu kontrollieren. Der Dienst ist im Zwei-Schicht-System so organisiert, daß der Kläger abwechselnd sieben Tage Dienst an Bord und sieben freie Tage an Land verbringt. Während der Zeit an Bord nimmt er an der Verpflegung der Besatzung teil. Er erhielt für die dienstfreien, an Land verbrachten Tage ein Verpflegungsgeld. In einer Protokollnotiz zu dem Manteltarifzusatz- und Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der M auf den Fährschiffen ist am 19. März 1991 von der M AG einerseits und der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten andererseits niedergelegt worden:
"(Besitzstand)...
4. Verpflegungsgeld
Für AN, die bis zum 31.12.90 Verpflegungsgeld erhielten, wird das Verpflegungsgeld von 5,80 DM pro Tag der zustehenden Freiwoche weiter gezahlt."
Am 19. Juni 1991 vereinbarte die M AG mit dem Kläger die Anwendung dieser Tarifverträge und zahlte das in der Protokollnotiz festgesetzte Verpflegungsgeld bis zum Inkrafttreten des neuen Manteltarifzusatz- und Entgelttarifvertrages am 1. April 1992, dessen Schlußklausel lautet:
"9. ...
...
Sämtliche diesem Vertrag entgegenstehenden bisher vereinbarten Bedingungen, Zuschläge und Anrechnungszahlungen entfallen beim Inkrafttreten dieses Vertrages".
Der Kläger war bis zum 30. September 1995 auf dem Fährschiff W eingesetzt. Der Reeder setzte für jede Schicht auf dem Schiff außer dem Kapitän 21 Besatzungsmitglieder ein. Nach dem von der See-Berufsgenossenschaft ausgestellten Schiffsbesatzungszeugnis war das Schiff nur dann als ordnungsgemäß besetzt anzusehen, wenn es zusätzlich mit mindestens vierzig Rettungsbootsmännern, neun Feuerschutzmännern, einem Koch, einem Steward sowie einer Hilfskraft gefahren wird. Der Kläger war in der Sicherheitsrolle als Feuerschutzmann und Rettungsbootsmann eingetragen. Er nahm entsprechend den im Pachtvertrag getroffenen Vereinbarungen ein- bis zweimal in jeder Woche an Sicherheitsübungen und etwa alle zwei Monate zusätzlich an ganztägigen Übungsmanövern teil.
Der Kläger hat Verpflegungsgeld für 163 Landtage zwischen dem 1. April und dem 31. Dezember 1992 und 60,5 Landtage zwischen dem 1. Januar und dem 28. Mai 1993 verlangt. Mit der am 27. Juli 1993 erhobenen Klage hat er zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.646,20 DM brutto Verpflegungsgeld zu zahlen für die Zeit vom 1. April 1992 bis zum 28. Mai 1993 nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem 27. Juli 1993;
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger pro Landtag Verpflegungsgeld in entsprechender Anwendung des jeweiligen Heuertarifvertrages für die Deutsche Seeschiffahrt, abgeschlossen zwischen der ÖTV und der Tarifgemeinschaft im Verband Deutscher Reeder, für an Land verbrachte freie Tage zu zahlen, und zwar nach dem geringsten Satz:
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu 2)
3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger pro Landtag Verpflegungsgeld in der Höhe zu zahlen, wie es Besatzungsmitgliedern von der D mbH (bzw. deren Rechtsvorgängerin D ) gezahlt wird entsprechend zwischen der D mbH und der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands abgeschlossenen Tarifverträgen - niedrigster Satz -.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert. Die Beklagte ist verurteilt worden, an den Kläger 1.293,40 DM Verpflegungsgeld nebst Zinsen zu zahlen. Weiter ist festgestellt worden, daß die Beklagte verpflichtet ist, pro Landtag Verpflegungsgeld nach dem niedrigsten Satz der für die Heuerverhältnisse des Reeders geltenden Tarifverträge zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung. Der Kläger verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflegungsgeld.
1. Die Beklagte haftet zwar nach § 613 a Abs. 2 Satz 1 BGB als neue Inhaberin des Service-Betriebes auf den Ostsee-Fährschiffen für die Verpflichtungen der M AG, die vor dem Übergang entstanden sind. Die M AG hat jedoch weder das geltend gemachte Verpflegungsgeld für die aus 1992 geltend gemachten 163 noch für die aus 1993 geltend gemachten 60,5 Landtage geschuldet.
2. Ein tarifvertraglicher Anspruch auf Verpflegungsgeld ist nicht entstanden. Das hat bereits zutreffend das Arbeitsgericht erkannt.
a) Zwar gelten nach § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG die Rechtsnormen der von der M AG einerseits und der Gewerkschaft NahrungGenuß-Gaststätten andererseits abgeschlossenen Manteltarifzusatzund Entgelttarifverträge für die Arbeitnehmer der M AG auf den Fährschiffen im Verhältnis des Klägers zur Beklagten unmittelbar. Aber die Tarifvertragsparteien haben die in der Protokollnotiz vom 19. März 1991 vereinbarte Besitzstandswahrung für die Empfänger von Verpflegungsgeld durch den nachfolgenden Manteltarifzusatz- und Entgelttarifvertrag vom 31. März 1992 aufgehoben. Die Regelung in der Protokollnotiz vom 19. März 1991 ist durch die neue Abmachung ersetzt worden, nach der die Besitzstandswahrung entfallen soll. Das ergibt sich aus der Schlußklausel des Tarifvertrags vom 31. März 1992.
b) Die sonstigen Tarifverträge, auf die sich der Kläger beruft, sind auf das Rechtsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.
Die Heuertarifverträge für die Deutsche Seeschiffahrt, abgeschlossen zwischen dem Verband Deutscher Reeder und der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, und die Tarifverträge, abgeschlossen zwischen der Deutschen Fährgesellschaft Ostsee mbH und der Gewerkschaft Eisenbahner Deutschlands, sind nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Die nicht durch Mitgliedschaft in den tarifvertragsschließenden Verbänden gebundenen Parteien haben auch nicht die Anwendung dieser Tarifverträge vertraglich vereinbart.
3. Der Kläger hat keinen Anspruch nach dem Seemannsgesetz (SeemG). Zwar hat nach § 39 Abs. 1 SeemG das Besatzungsmitglied bis zur Beendigung des Heuerverhältnisses für die Zeit an Bord Anspruch auf angemessene Verpflegung und für die gesetzlich geregelten Fälle des Aufenthalts an Land während einer Krankheit (§ 42 SeemG), während des Urlaubs (§ 57 Abs. 1 Satz 2 SeemG), während der Rückbeförderung (§ 72 Abs. 2, 3, § 73 SeemG) und während der dienstfreien Tage, die als Ersatz für auf See verbrachte Sonn- und Feiertage zu gewähren sind (§ 91 Abs. 4 SeemG), Anspruch auf Abgeltung für nicht gewährte Verpflegung. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Abgeltungsanspruchs sind jedoch hier nicht erfüllt.
a) Der Kläger ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kein Mitglied der Schiffsbesatzung i.S.v. § 3 SeemG. Da er nicht in einem Heuerverhältnis zu dem damaligen Reeder, der D , stand, war er ein sonstiger Arbeitnehmer i.S.v. § 7 Abs. 1 SeemG. Das hat auch das Landesarbeitsgericht erkannt, ist jedoch fehlerhaft davon ausgegegangen, daß "aus Gründen der Schiffssicherheit" der Kläger als Besatzungsmitglied gelten müsse.
Zwar hat nach § 18 Abs. 3 des Pachtvertrages die Pächterin ihre Arbeitnehmer, darunter den Kläger, für Dienste an der Schiffssicherheit zur Verfügung stellen müssen. Durch die Überlassung dieses Teils der Direktionsbefugnis ist jedoch nicht die Arbeitgeberstellung mit der Folge übertragen worden, daß ein Heuerverhältnis nach dem Seemannsgesetz begründet worden ist. Die im Pachtvertrag übernommene Verpflichtung entspricht der gesetzlichen Regelung in § 79, § 29 Abs. 2 SeemG. Danach hat der für den Reeder handelnde Kapitän von Gesetzes wegen die Anordnungsbefugnis auch über die sonstigen im Rahmen des Schiffsbetriebs an Bord tätigen Arbeitnehmer, die kein Heuerverhältnis zum Reeder haben. Das Seemannsgesetz hat hier für die Erfüllung der öffentlichrechtlichen Vorschriften über die Schiffssicherheit eine Spezialregelung getroffen. Ist die im Heuerverhältnis zum Reeder stehende Schiffsbesatzung i.S.v. § 3 SeemG zu gering, kann der Kapitän zur Aufrechterhaltung der Schiffssicherheit auf die sonstigen während der Reise im Rahmen des Schiffsbetriebs an Bord tätigen Arbeitnehmer zurückgreifen. So ist das in den Jahren 1992 und 1993 auf dem Fährschiff "W " geschehen.
b) Der Kläger hat als sonstiger Angestellter i.S.v. § 7 Abs. 1 SeemG keinen Anspruch auf Abgeltung nicht gewährter Bordverpflegung.
Zwar soll nach § 79 SeemG diesem Personenkreis ein Teil der Rechte gewährt werden, die Besatzungsmitglieder haben. Der in § 39 SeemG geregelte Verpflegungsanspruch ist davon jedoch ausgenommen.
c) Das Landesarbeitsgericht hat im übrigen die Voraussetzungen für die Abgeltung des Verpflegungsanspruchs nach § 39 SeemG verkannt. Es ist davon ausgegangen, das sogenannte Verpflegungsgeld sei als Abgeltung für nicht gewährte Verpflegung schon dann zu gewähren, wenn das Besatzungsmitglied einen dienstfreien Tag an Land verbringe. Das entspricht nicht der gesetzlichen Regelung. Nach § 91 Abs. 1 SeemG ist dem Besatzungsmitglied für jeden Sonnund Feiertag, an dem sich das Schiff weniger als 12 Stunden im Hafen befunden hat, ein Ausgleich durch einen arbeitsfreien Werktag zu geben. Nur soweit diese Ausgleichstage anfallen, ist nach § 91 Abs. 4 SeemG ein angemessner Abgeltungsbetrag für die entgangene Bordverpflegung zu gewähren.
II. Da das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts wiederhergestellt worden ist, hat der Kläger nach § 91 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Unterschriften
Leinemann Reinecke Düwell Fr. Holze Gaber
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.02.1998 durch Brüne, Regierungssekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436552 |
BB 1998, 1540 |
DB 1998, 2374 |
ARST 1998, 237 |
FA 1998, 130 |
FA 1998, 260 |
NZA 1998, 1068 |
RdA 1998, 316 |
ZTR 1998, 429 |
AP, 0 |
ArbuR 1998, 333 |
PersR 1998, 81 |