Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung – Verweisung auf tarifliche Bestimmungen
Leitsatz (amtlich)
Bietet der Arbeitgeber den Abschluß eines Formulararbeitsvertrags mit der Klausel „Der Jahresurlaub richtet sich nach den Bestimmungen des (einschlägigen) Tarifvertrags” an, muß der Arbeitnehmer das regelmäßig als Verweisung auf den gesamten tariflichen Regelungskomplex „Urlaub” verstehen. Ist in den in Bezug genommenen urlaubsrechtlichen Bestimmungen des Tarifvertrags ein erhöhtes Urlaubsentgelt geregelt, so wird mit dem Abschluß des Vertrags der Arbeitgeber auch zur Anwendung dieser tariflichen Regelung verpflichtet.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 20.01.1997; Aktenzeichen 2 Sa 650/96) |
ArbG München (Urteil vom 08.05.1996; Aktenzeichen 10b Ca 2641/93 I) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Januar 1997 – 2 Sa 650/96 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München, Kammer Ingolstadt, vom 8. Mai 1996 – 10 b Ca 2641/93 I – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die nicht tarifgebundenen Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Urlaubsgeld. Der Kläger war seit 1. Juni 1984 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Vertriebsleiter. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1996 gekündigt; über die vom Kläger hiergegen erhobene Klage ist noch nicht rechtskräftig entschieden.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt der am 2. Mai 1989 geschlossene Anstellungsvertrag. Dieser lautet auszugsweise:
„§ 4 Arbeitsentgelt
(1) Die Vergütung erfolgt als Monatsgehalt und setzt sich wie folgt zusammen:
Gehalt: …
(2) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, soweit erforderlich, Überstunden …
Überstunden werden nur vergütet, wenn…
§ 5 Dienstreisen
(1) Für die Tätigkeit am Projekt im Lande des Kunden erhält der Arbeitnehmer eine kalendertägliche (incl. Sonn- und Feiertage) Sondervergütung in Höhe von DM 70,–, sofern der Auslandsaufenthalt länger als eine Woche dauert.
(2) Zusätzlich erhält der Arbeitnehmer die allgemein zulässigen Auslandsspesen.
§ 6 Urlaub
Der Jahresurlaub richtet sich nach den Bestimmungen der Bayer. Metallindustrie und beträgt 30 Arbeitstage.
§ 7 Sonderzahlungen
(1) Für alle Sonderleistungen, die den Betriebsangehörigen gewährt werden, gelten die bereits bekannten oder noch bekannt werdenden Grundsätze.
Ein Rechtsanspruch auf Sonderleistungen, gleich welcher Art, ist ausdrücklich ausgeschlossen. Ausnahmen bedürfen einer Sondervereinbarung.
(2) Soweit der Arbeitgeber allgemein eine Weihnachtsgratifikation …”
In § 13 Schlußbestimmungen (richtig: § 14) ist u.a. bestimmt:
„…
(2) Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.
(3) Mündliche Nebenabreden sind nicht getroffen.”
Im ursprünglichen Anstellungsvertrag vom 22. Mai 1984 hieß es unter § 6 Jahresurlaub:
„Der Jahresurlaub beträgt 30 Tage/richtet sich nach den Bestimmungen der Bay. Metallindustrie.”
In dem zwischen dem Verein der Bayerischen Metallindustrie und der IG Metall geschlossenen Manteltarifvertrag vom 1. November 1970 (MTV) wird der Urlaub in „VIII. Urlaub § 14” geregelt. Die Vorschrift gliedert sich in „A. Allgemeine Bestimmungen” Nr. 1 bis 9; sie betreffen u.a. Entstehen und Erlöschen des Urlaubsanspruchs, Wartezeit und Kürzung bei unterjähriger Beschäftigung, die Anrechnung von Feier-, Kur- und Krankheitstagen. Nach „B. Urlaubsdauer” beträgt diese bei einer Verteilung der Arbeitszeit auf fünf Tage je Kalenderwoche einheitlich 30 Arbeitstage. Unter C ist bestimmt:
- „Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem 1,5fachen durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Angestellte in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. …
- Das Urlaubsentgelt ist bei Urlaubsantritt auszuzahlen. Eine hiervon abweichende Regelung kann durch Betriebsvereinbarung getroffen werden.”
Die Beklagte zahlte seit Beginn des Arbeitsverhältnisses bis 1992 an den Kläger jeweils zusammen mit dem Juligehalt neben dem Gehalt einen weiteren Betrag, der in den Gehaltsabrechnungen als „Urlaubsgeld 50 %” ausgewiesen wurde. Die Beklagte errechnete das Urlaubsgeld nach der Formel: Durchschnittsgehalt der letzten 65 Arbeitstage: 3 × 0,5. Danach hätten sich für den Kläger 1993 5.896,38 DM ergeben.
Im Juli 1993 teilte die Beklagte allen Arbeitnehmern schriftlich mit, wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten könne sie das Urlaubsgeld nicht zahlen; sie widerrufe das Urlaubsgeld.
Mit seiner am 3. Dezember 1993 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte u.a. auf Zahlung des Urlaubsgeldes 1993 in Anspruch genommen. Er hat sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und auf die vereinbarte Geltung der tariflichen Urlaubsregelung berufen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.896,38 DM nebst 4 % Zinsen seit 3. Dezember 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der durch Beschluß des Bundesarbeitsgerichts am 26. August 1997 zugelassenen Revision. Die Beklagte bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger 5.896,38 DM nebst Prozeßzinsen zu zahlen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers verneint, weil sich § 6 des Anstellungsvertrags nur auf die in § 14 A MTV geregelten allgemeinen Urlaubsbestimmungen beziehe. Die Entgeltregelungen in § 14 C MTV seien nicht erfaßt. Das vom Kläger geforderte Urlaubsgeld sei als Sonderzahlung i.S. von § 7 Abs. 1 des Anstellungsvertrags zu verstehen. Darauf habe der Kläger selbst dann keinen Rechtsanspruch, wenn zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werde, daß nach der Vorstellung beider Parteien § 7 Abs. 1 des Anstellungsvertrags nur die Sonderzahlung für den UdSSR-Einsatz habe erfassen sollen.
2. Dem stimmt der Senat nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat die Verweisungsklausel des § 6 des Formularvertrags fehlerhaft ausgelegt. Die nach §§ 133, 157 BGB gebotene Auslegung ergibt, daß auch die Anwendung der Entgeltbestimmungen des § 14 C MTV Inhalt des Arbeitsvertrags geworden sind. Daher steht dem Kläger das auf 150 % des durchschnittlichen Arbeitsverdiensts erhöhte Urlaubsentgelt zu.
a) Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß mit den in § 6 des Anstellungsvertrags genannten „Bestimmungen der Bayer. Metallindustrie”, die tariflichen Regelungen gemeint sind, die bei beiderseitiger Tarifbindung zur Anwendung kämen; damit ist die tarifliche Urlaubsregelung des § 14 MTV in Bezug genommen. Gegen die Bezugnahme auf einen Teil eines Tarifvertrags bestehen keine Bedenken. Die Parteien eines Arbeitsvertrags können sich nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB) auf die Übernahme einzelner Tarifvorschriften oder auch einzelner Regelungsbereiche beschränken.
b) Für die umfassende Einbeziehung von § 14 C MTV spricht bereits der Wortlaut der Vertragsklausel.
In der Überschrift wird der Inhalt von § 6 des Anstellungsvertrags mit dem Begriff „Urlaub” gekennzeichnet. Darin kommt zum Ausdruck, daß alle urlaubsrechtlichen Fragen abschließend geregelt werden sollen. Das betrifft die Freistellung von der Arbeitspflicht die Dauer des Urlaubs wie auch die vom Arbeitgeber aus Anlaß des Urlaubs zu erbringenden Leistungen.
Dem entspricht der Inhalt der Vorschrift. Die Formulierung „Der Jahresurlaub richtet sich nach den Bestimmungen … und beträgt 30 Arbeitstage” enthält zwar eine Begrenzung der Urlaubsdauer, aber keine weitere Einschränkung. Die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, entsprechend der Begrifflichkeit im Urlaubsrecht sei zwischen Urlaub als Freistellung von der Arbeitspflicht, dem Urlaubsentgelt und dem zusätzlichen Urlaubsgeld sowie der Urlaubsabgeltung zu unterscheiden, ist zwar vom Ansatz her zutreffend. Für die Auslegung der Verweisungsklausel ist diese rechtliche Differenzierung aber unergiebig. Maßgeblich ist, daß die in Bezug genommenen tariflichen Bestimmungen des § 14 MTV den gesamten Regelungskomplex Urlaub einschließlich der Vorschrift, nach der die Urlaubsvergütung um 50 % aufzustocken ist, zusammengefaßt haben. Der von den Parteien als „Urlaubsgeld” bezeichnete Aufstockungsbetrag ist somit Bestandteil des für die Dauer des Urlaubs nach § 14 A Nr. 1 MTV zu zahlenden Entgelts.
c) Auch in dem weiteren Text des Anstellungsvertrags finden sich für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, das Urlaubsgeld habe von der Verweisung auf den Tarifvertrag ausgenommen werden sollen, keine Anhaltspunkte.
Allein der Umstand, daß das sogenannte Urlaubsgeld nicht ausdrücklich als geschuldete tarifliche Leistung im Vertrag aufgeführt ist, bewirkt nicht, daß es sich bei ihm um eine freiwillige Leistung i. S. d. § 7 Abs. 1 des Anstellungsvertrags handelt. Dagegen spricht auch, daß die dem Urlaubsgeld vergleichbare Weihnachtsgratifikation in § 7 Abs. 2 des Anstellungsvertrags ausdrücklich genannt wird. Der Wille der Beklagten, auch das Urlaubsgeld nach § 7 Abs. 1 des Anstellungsvertrags zu behandeln, wird jedenfalls im Vertrag nicht hinreichend deutlich. Als Erstellerin des Vertragsformulars hat die Beklagte die sich aus einer Unklarheit ergebenden Nachteile zu tragen (vgl. BAG Urteil vom 16. Oktober 1991 – 5 AZR 35/91 – AP Nr. 1 zu § 19 BErzGG).
d) Dieses Auslegungsergebnis entspricht der von der Beklagten langjährig gehandhabten Praxis.
Die Beklagte hat die jährlich gewährte Leistung in den Abrechnungen als „Urlaubsgeld 50 %” bezeichnet und nicht als „Sonderzahlung”. Daß es sich bei dieser Leistung auch nach Vorstellung der Beklagten um eine tarifliche Leistung handelte, ergibt sich aus ihrem eigenen Vorbringen. Denn sie hat zur Rechtfertigung der vom Kläger gerügten Ungleichbehandlung vorgetragen, sie habe die Zahlung des „tariflichen Urlaubsgeldes” mit anderen Arbeitnehmern ausdrücklich vereinbart.
e) Schließlich spricht auch § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG gegen die Auslegung des Landesarbeitsgerichts. Nach dieser Bestimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für einzelvertragliche Abweichungen vom BUrlG, daß die Parteien eine tarifliche Urlaubsregelung insgesamt übernehmen (ErfK Dörner § 13 BUrlG Rz 54; Leinemann/Linck Urlaubsrecht § 13 BUrlG Rz 27).
3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291, § 288 Abs. 1 BGB.
II. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung und nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der für den Kläger erfolgreichen Revision zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Friedrich, Reinecke, Jungermann, Klosterkemper
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.11.1998 durch Brüne, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1999, 1388 |
DB 1998, 2421 |
DB 1999, 1456 |
ARST 1999, 23 |
ARST 1999, 230 |
FA 1999, 275 |
FA 1999, 72 |
NZA 1999, 938 |
RdA 1999, 421 |
SAE 1999, 252 |
AP, 0 |
AuA 1999, 33 |
AuA 1999, 469 |
RdW 1999, 505 |