Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung. Steuerschaden
Normenkette
BGB § 286 Abs. 1, §§ 284-285, 249
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. März 1997 – 7 Sa 467/96 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Lohnzahlung zum Ausgleich von Steuerschäden.
Der Kläger war bei dem Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 28. März 1994 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos „wegen unentschuldigter Fehlzeiten”. Diese Kündigung ging dem Kläger am 29. März 1994 zu. Mit Schreiben vom 30. März 1994 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich zum 31. August 1994.
Die gegen diese Kündigungen vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage wurde dadurch erledigt, daß die Parteien am 5. April 1995 vor dem Landesarbeitsgericht Köln in dem Rechtsstreit – 4 Sa 1322/94 – folgenden Vergleich schlossen:
- "Die Parteien sind sich darin einig, daß das zwischen ihnen gegründete Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.03.1994 zum 31.08.1994 beendet worden ist.
- Die Parteien sind sich darin einig, daß diese Kündigung nicht durch verhaltensbedingte Gründe gerechtfertigt war. Der Kläger erkennt jedoch an, daß der Beklagten betriebsbedingte Gründe zur Seite standen.
- Der Beklagte zahlt dem Kläger als Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes gem. §§ 9, 10 KSchG einen Betrag von 63.000,00 DM.”
Aufgrund dieses Vergleichs zahlte der Beklagte im Juni 1995 dem Kläger die vereinbarte Abfindung und die Gehälter für Ende März bis August 1994 nach. Für die berechnete Nachzahlung führte der Beklagte Lohnsteuer nach den im Jahre 1995 geltenden steuerrechtlichen Bestimmungen ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aufgrund des Vergleichs vom 5. April 1995 hätte er so gestellt werden müssen, wie er gestanden hätte, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Beklagten zum 31. August 1994 beendet worden wäre. Bei fristgerechter Zahlung der Gehälter von Ende März bis August 1994 hätte er im Jahre 1994 ein Jahreseinkommen von 5.250,00 DM mal acht gleich 42.000,00 DM zu versteuern gehabt. Dabei hätten sich 4.419,00 DM Steuern ergeben. Im Jahre 1995 hätte er nichts zu versteuern gehabt. Tatsächlich seien im Jahre 1994 keine Steuern angefallen, dafür im Jahre 1995 7.390,00 DM und der Solidaritätszuschlag von 554,25 DM, insgesamt 7.944,25 DM. Die Differenz zu den 4.419,00 DM betrage 3.525,25 DM. Diesen Steuerschaden müsse der Beklagte ersetzen. Der Schadensersatzanspruch sei ein Anspruch auf Erfüllung des geschlossenen Vergleichs. Der Anspruch ergebe sich daneben auch aus dem Gesichtspunkt einer positiven Vertragsverletzung wegen der unberechtigten fristlosen Kündigung.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.525,25 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, daß er aufgrund des vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleichs nicht verpflichtet sei, den Kläger nettolohnmäßig so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn die Gehälter im Jahre 1994 ausbezahlt worden wären. Der Vergleich sei in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag die Rechtsgrundlage für den Gehaltsnachzahlungsanspruch. Die im Juni 1995 erbrachte Gehaltsnachzahlung sei mithin nicht verspätet erfolgt. Im übrigen treffe der Vergleich keine Aussage darüber, ob die ursprüngliche außerordentliche Kündigung unberechtigt gewesen sei. Die im Vergleich enthaltene Wendung, daß die Kündigung „nicht durch verhaltensbedingte Gründe gerechtfertigt war”, beziehe sich nur auf die Kündigung vom 30. März 1994 und sei eine typische Aufhebungsklausel zur Vermeidung einer Sperrzeit nach § 119 AFG.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Abweisung der Klage im wesentlichen wie folgt begründet:
Als Anspruchsgrundlage komme nur § 286 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach habe der Schuldner dem Gläubiger den durch Verzug entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Beklagte sei zwar mit der Zahlung der (Rest-) Gehälter für die Monate März bis August 1994 in Verzug gekommen, weil er nicht pünktlich an den jeweiligen Monatsenden gezahlt habe. Aus der Darlegung des Klägers ergebe sich aber nicht, daß er dadurch einen Lohnsteuerschaden erlitten habe. Einen solchen Schaden habe er nur erlitten, wenn er in den Jahren 1994 und 1995 mehr Lohnsteuer gezahlt habe, als er hätte zahlen müssen, wenn der Beklagte die Gehälter pünktlich gezahlt hätte. Davon gehe der Kläger zwar aus. Er mache bei seiner Rechnung aber zu Unrecht geltend, er hätte dann im Jahre 1994 nur 42.000,00 DM zu versteuern und im Jahre 1995 nichts zu versteuern gehabt. Bei der Frage, welchen Betrag der Kläger im Jahre 1994 bei pünktlicher Zahlung zu versteuern gehabt hätte, sei nicht nur die Zeit bis zum 31. August 1994 zu betrachten, sondern das ganze Jahr, weil die Lohnsteuer eine Jahressteuer sei. Bei normalem Verlauf der Dinge, d.h. ohne die fristlose Kündigung des Beklagten, hätte der Kläger aber Gehalt nicht nur bis August 1994 bekommen, sondern bis Dezember 1994 und auch noch im Jahre 1995. Damit hätte der Kläger auch ohne fristlose Kündigung des Beklagten 1994 höhere Steuern bezahlen müssen als die 4.419,00 DM, die er sich habe anrechnen lassen.
II. Die Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht allerdings davon ausgegangen, der Klageanspruch ergebe sich nicht als Anspruch auf Erfüllung des von den Parteien am 5. April 1995 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs. In diesem Vergleich haben die Parteien sich geeinigt, daß das zwischen ihnen gegründete Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30. März 1994 zum 31. August 1994 beendet worden sei. Hieraus lassen sich i.V.m. § 615 BGB Gehaltsnachzahlungsansprüche des Klägers für Ende März und die Monate April bis August 1994 herleiten. Dagegen enthält der Vergleich keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte sich über die bloßen Gehaltsnachzahlungen hinaus zu einem Ausgleich der durch die Nachzahlungen bedingten steuerlichen Nachteile verpflichtete. Der Kläger hat auch keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, er habe so gestellt werden sollen, wie er gestanden hätte, wenn ihm die entsprechenden Nettovergütungen im Jahre 1994 ausgezahlt worden wären.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält der Vergleich vom 5. April 1995 allerdings auch keine Regelung über eine neue Fälligkeit der Gehaltsnachzahlungsansprüche (Novation). Verzugsansprüche des Klägers sind durch den Vergleich nicht ausgeschlossen worden.
3. Ob dem Kläger ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs zusteht (§ 286 Abs. 1 i.V.m. § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB), kann aufgrund der bisher vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen noch nicht entschieden werden.
a) Nach § 285 BGB setzt Schuldnerverzug die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistungen aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln die §§ 276 bis 279 BGB. Danach hat der Schuldner für eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter einzustehen. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung auch dadurch in Verzug geraten, daß er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist. Anders verhält es sich, wenn der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht. Ist die Rechtslage nämlich nicht eindeutig, handelt der kündigende Arbeitgeber so lange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen durfte. Dieses Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kündigung kann im Laufe eines Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zum Ergebnis geführt hat, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug. Hätte der Arbeitgeber allerdings schon im Zeitpunkt der Kündigung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist, so gerät er bereits von vornherein bei nicht fristgerechter Zahlung des Arbeitsentgelts in Schuldnerverzug. Nach § 285 BGB trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzuges hindern. Der kündigende Arbeitgeber, der keine Arbeitsvergütung mehr zahlt, hat somit nach § 285 BGB zum Ausschluß eines Schuldnerverzuges darzulegen und zu beweisen, daß aus seiner Sicht Kündigungsgründe vorlagen, die einen sorgfältig erwägenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen konnten, so daß er auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte.
b) Im Streitfall steht lediglich fest, daß der Beklagte ab Ende März bis August 1994 die termingerecht zum Monatsende an den Kläger zu leistenden Gehaltszahlungen nicht rechtzeitig entrichtete. Da die Zahlungen nach dem Kalender bestimmt waren, bedurfte es keiner Mahnung zum Eintritt des Verzuges (§ 284 Abs. 2 BGB).
Es fehlen jedoch Feststellungen darüber, ob der Beklagte zu Recht nicht leistete. So ist nicht festgestellt, ob die fristlose Kündigung vom 28. März 1994 wirksam war. Durch den Vergleich vom 5. April 1995 steht die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, nicht zwischen den Parteien fest. Der Vergleich ist kein rechtskräftiges Urteil. Ein Nachgeben im Vergleich kann auch Gründe haben, die mit dem ursprünglich geltend gemachten Anspruch gar nicht unmittelbar zusammenhängen. Im übrigen trifft der Vergleich vom 5. April 1995 keinerlei Aussage über die fristlose Kündigung vom 28. März 1994, sondern befaßt sich lediglich mit der ordentlichen Kündigung vom 30. März 1994.
Im Falle der Unwirksamkeit ist nicht festgestellt, ob der Beklagte die Unwirksamkeit der Kündigung im Jahre 1994 bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Der Beklagte handelte nur schuldhaft, wenn dies der Fall war. Zu seiner Entlastung nach § 285 BGB trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast.
4. Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht bereits deshalb abzuweisen, weil der Kläger keinen Schaden dargelegt habe.
Der Kläger macht einen Verzugsschaden geltend, weil der Beklagte ihm die Gehälter für Ende März bis August 1994 wegen der fristlosen Kündigung vom 28. März 1994 nicht termingerecht ausgezahlt, sondern erst im Jahre 1995 nachgezahlt habe, so daß der Kläger einen Steuerschaden erlitten habe. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, hat der Kläger dann einen Steuerschaden erlitten, wenn er für die Jahre 1994 und 1995 mehr Steuern entrichten mußte, als er hätte Steuern zahlen müssen, wenn der Beklagte die Gehälter von Ende März bis August 1994 fristgerecht gezahlt hätte. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist allerdings in die Vergleichsberechnung nicht die Steuer einzubeziehen, die der Kläger für 1994 zu zahlen hätte, wenn er bis zum 31. Dezember 1994 Gehaltszahlungen erhalten hätte. Zwischen den Parteien ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung vom 30. März 1994 zum 31. August 1994 unstreitig. Ohne die angegriffene fristlose Kündigung vom 28. März 1994 hätten somit Gehaltsnachzahlungen lediglich bis einschließlich August 1994 geleistet und entsprechende Lohnsteuer für 1994 abgeführt werden müssen. Die Berechnung des Steuerschadens, wie sie der Kläger vorträgt, ist somit jedenfalls im Ansatz richtig.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Noack, R. Iskra
Fundstellen