Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der beschützenden Werkstatt
Leitsatz (redaktionell)
Die Tischlerwerkstatt eines Landeskrankenhauses ist keine beschützende Werkstatt im Tarifsinne und keine Werkstatt für Behinderte nach § 54 SchwbG, auch wenn darin geisteskranke oder geistig behinderte Patienten zum Zwecke der Beschäftigungs- oder Arbeitstherapie beschäftigt werden.
Orientierungssatz
Begriff des handwerklichen Erziehungsdienstes; besonders wichtige Arbeitsstätte.
Normenkette
BAT Anlage 1a; BAT § 22 Fassung: 1975-03-17
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.03.1986; Aktenzeichen 4 Sa 156/85 E) |
ArbG Hildesheim (Entscheidung vom 01.11.1985; Aktenzeichen 2 Ca 377/84 E) |
Tatbestand
Der Kläger, der Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) ist, hat im Jahre 1978 die Meisterprüfung für das Tischlerhandwerk abgelegt. Seit dem 1. April 1980 ist er als Leiter der Tischlerwerkstatt im Landeskrankenhaus W des beklagten Landes tätig. In der Tischlerwerkstatt werden Instandsetzungsarbeiten durchgeführt und Werkstücke für den Betrieb des Landeskrankenhauses neu gefertigt. Dem Kläger ist ein Geselle unterstellt. In der Werkstatt werden ferner drei Auszubildende beschäftigt und sind regelmäßig acht bis zehn psychisch kranke Patienten des Krankenhauses im Rahmen einer Beschäftigungs- und Arbeitstherapie je nach der Schwere ihrer Erkrankung tätig. Sie erhalten entsprechend der Bewertung ihrer Arbeitsleistung ein Entgelt bis zu höchstens 100,-- DM monatlich.
Der Kläger, der im Jahre 1981 die Pflegesonderprüfung für den Werkdienst an den Niedersächsischen Landeskrankenhäusern abgelegt hat, erhält Vergütung nach VergGr. VI b BAT. Ihm obliegen folgende Aufgaben:
1. Annahme von Aufträgen von den verschiedenen
Abteilungen des Landeskrankenhauses und des
Staatshochbauamtes zur Ausführung von Instand-
setzungs-, Instandhaltungsarbeiten und Neuan-
fertigungen. Terminierung der Arbeitsfolgen -
einschl. Kostenermittlung. Anfertigen von
Entwurfsskizzen, Werkszeichnungen und Funktions-
skizzen. Absprache mit beteiligten Handwerkern
über Ausführung und Form des Arbeitseinsatzes. 2 %
2. Material-Verbrauch und Arbeitsstunden ermitteln,
Bestellungen durchführen, Lagerhaltung einschl.
Karteiführung, eingehende Rechnungen prüfen,
abzeichnen, in die Lagerhaltungskartei ein-
tragen und an die Buchhaltung weiterleiten.
Führung eines Werkstattbuches mit Auflistung
aller Arbeiten, Austragung von verbrauchten
Materialien aus der Lagerhaltungskartei.
Abrechnung der einzelnen Arbeiten. Kostenver-
gleich Vor- und Nachkalkulation. 5 %
3. Planung und Überwachung des Mitarbeiterein-
satzes. Planung u. handwerkliche Anleitung
des Arbeitseinsatzes von in der Tischlerei
beschäftigten Patienten u. je nach Grad der
Behinderung übertragen von leichten bis
mittelschweren Aufgaben. Arbeitsabläufe über-
wachen, Therapiepässe führen; bewerten der
geleisteten Arbeitstherapie, die Grundlage
für die Ermittlung des Arbeitsentgelts der
Pat. ist. 55 %
(siehe Anlage 3)
4. In der Ausbildung stehende Lehrlinge mit den
vielseitigen Fertigkeiten und Kenntnissen des
Berufsbildes vertraut machen, entsprechend dem
Ausbildungsrahmenplan für Tischler der Aus-
bildungsverordnung vom 15. 7. 1971. Erstellen
eines Ausbildungsrahmenplans, zugeschnitten
auf die Gegebenheiten der Tischlerei im
Landeskrankenhaus. 12 %
5. Die Anwendung und Einhaltung der Unfallver-
hütungsvorschriften den Mitarbeitern und
Patienten vermitteln und überwachen.
Wartung und betriebsbereit halten von
Holzbearbeitungsmaschinen. Durchführung von
Reparaturen an den Holzbearbeitungsmaschinen. 2 %
6. Entwurf von Werkstücken (Entwurfsskizzen und
Funktionsskizzen). Erstellen von Werkzeichnungen
und Kostenkalkulationen. Neuanfertigung von
(Einbau-) Schränken, Anrichten, Tischen,
Regalen, anderer Kleinmöbel und Vorrichtungen
für den Krankenhausbetrieb. Neuanfertigung von
Fenstern, Türen, Treppen, Holzvertäfelungen, Gar-
dinenleisten und Verkleidungen für das Staats-
hochbauamt. Dabei sind die unterschiedlichsten
Materialien den Patienten und Behinderten zur
richtigen und fachgemäßen Verarbeitung nahezu-
bringen, z. B. Span-, Tischler-, Furnier-,
Hartfaser-, Dämmfaser- und Kunststoffplatten und
Tafeln, Massivholz unterschiedlicher Holzarten.
Kunststoffe verschiedener Art und Beschläge,
Hilfstoffe und Dämmaterialien je nach Ver-
wendungszweck.
Instandhaltung und Instandsetzung von Gebrauchs-
und kurzfristiger Anlagegüter im gesamten
Krankenhausbereich. 20 %
7. Anfertigen von schwierigen Werkstücken; wie
Modelle, Furnierarbeiten mit besonderer
Oberflächenbehandlung. 5 %
Mit Schreiben vom 21. Oktober 1983 hat der Kläger geltend gemacht, daß ihm seit dem 1. April 1983 Vergütung nach VergGr. V c BAT zustehe. Er hat die Auffassung vertreten, daß seine Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c Fallgruppe 4 a) im Teil II, Abschnitt G, Unterabschnitt II (Angestellte im Erziehungsdienst) der Anlage 1 a zum BAT erfülle, da er als Handwerksmeister im handwerklichen Erziehungsdienst in einer beschützenden Werkstatt tätig sei.
Außerdem erfülle seine Tätigkeit auch das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c Fallgruppe 2 im Teil II, Abschnitt Q der Anlage 1 a zum BAT. Seine Tätigkeit als Handwerksmeister mit aufgabenspezifischer Sonderausbildung hebe sich dadurch aus der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 heraus, daß er an einer besonders wichtigen Arbeitsstätte mit einem höheren Maß an Verantwortlichkeit beschäftigt sei. Die Tätigkeit in der Tischlerwerkstatt sei für die Behandlung der Patienten besonders bedeutsam. Er trage im Hinblick auf seine Aufgaben im Rahmen der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie auch ein hohes Maß an Verantwortung.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, ihm ab
1. 4. 1983 eine monatliche Vergütung nach
der Vergütungsgruppe V c der Anlage 1 a
zum BAT zu zahlen und die monatliche Differenz
zwischen den Vergütungsgruppen V c und VI b
BAT ab 21. 9. 1984 mit 4 % zu verzinsen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß der Kläger tarifgerecht vergütet werde. Eine Eingruppierung nach den Tätigkeitsmerkmalen für Angestellte im Erziehungsdienst komme nicht in Betracht. Der Kläger sei nicht im Erziehungsdienst tätig, da die Beschäftigung der Patienten in der Tischlerwerkstatt nicht deren Erziehung bezwecke, sondern der Heilung ihrer psychischen Erkrankung im Rahmen der medizinischen Behandlung dienen solle. Außerdem sei die Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses auch keine beschützende Werkstatt im tariflichen Sinne, da mit derartigen Einrichtungen nur anerkannte Werkstätten für Behinderte gemeint seien.
Der Kläger sei zutreffend nach VergGr. VI b Fallgruppe 1 im Teil II, Abschnitt Q der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert, da seine Tätigkeit als Leiter einer kleinen Tischlerwerkstatt und seine eigene Mitarbeit in der Werkstatt gegenüber seinen Aufgaben bei der Beschäftigung von Patienten zeitlich überwögen. Eine Heraushebung aus der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 komme nicht in Betracht, da es sich bei der Tischlerwerkstatt weder um eine besonders wichtige Arbeitsstätte handele noch die Tätigkeit des Klägers den tariflichen Anforderungen hinsichtlich der Verantwortung entspreche.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage hinsichtlich der für den Monat April 1983 geltend gemachten Vergütung wegen Versäumung der tariflichen Ausschlußfrist abgewiesen und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag auf Klageabweisung in vollem Umfange weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Dabei hat er klargestellt, daß seine Klage entsprechend dem Tenor des berufungsgerichtlichen Urteils auf die Feststellung der Zahlungsverpflichtung des beklagten Landes gerichtet ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung konnte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Der Senat kann allerdings nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger ein Anspruch auf Vergütung nach VergGr. V c BAT zusteht.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach kommt es für die Eingruppierung des Klägers darauf an, ob bei seiner Tätigkeit zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale der von dem Kläger in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe V c BAT erfüllen (§ 22 Abs. 2 Unterabsatz 1 und Unterabsatz 2 Satz 1 BAT). Hierbei ist als Arbeitsvorgang eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten anzusehen (ständige Rechtsprechung, BAG Urteil vom 29. Januar 1986 - 4 AZR 465/84 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Leitung der Tischlerwerkstatt durch den Kläger einschließlich der Anleitung und Beaufsichtigung der Patienten und seiner eigenen Mitarbeit als ein Arbeitsvorgang anzusehen sei, der 75 v. H. der Gesamtarbeitszeit in Anspruch nehme. Es hat offen gelassen, ob die übrige Arbeitszeit des Klägers, während der keine Patienten in der Werkstatt beschäftigt seien, in weitere Arbeitsvorgänge aufspaltbar sei.
Dem vermag der Senat im wesentlichen zu folgen. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes, das die Werkstattleitung durch den Kläger, seine eigene Mitarbeit und seine Tätigkeit im Rahmen der Therapiemaßnahmen jeweils als einen Arbeitsvorgang ansehen will, ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß die Leitung der Tischlerwerkstatt ein Arbeitsvorgang ist, der sowohl die eigene Mitarbeit des Klägers als auch seine Aufgaben im Bereich der Therapie der Patienten mitumfaßt. Arbeitsergebnis der Tätigkeit des Klägers ist die Leitung der Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses. Diese Leitungstätigkeit bezieht sich sowohl auf die Ausübung von Aufsichts- und Weisungsbefugnissen gegenüber dem Gesellen als auch gegenüber den in der Werkstatt beschäftigten Patienten. Deren Anleitung und Beaufsichtigung sind von der sonstigen Tätigkeit des Klägers tatsächlich nicht trennbar,sondern in einer Weise mit ihr verbunden, die es ausschließt, insoweit einen gesonderten Arbeitsvorgang anzunehmen. Dies gilt auch hinsichtlich der eigenen Mitarbeit des Klägers in der Werkstatt. Bei dieser Tätigkeit muß er nämlich jederzeit in der Lage sein, seine Aufsichts- und Weisungsbefugnisse als Werkstattleiter auszuüben. Diese Aufgabe obliegt ihm ständig und erfährt keine Unterbrechung dadurch, daß er schwierige Werkstücke selbst anfertigt oder Vorbereitungs- und Kontrollarbeiten allein durchführt (vgl. BAG Urteil vom 27. Mai 1981 - 4 AZR 1079/78 - AP Nr. 44 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Damit hat das Landesarbeitsgericht mit Recht darauf Bedacht genommen, daß nach der Rechtsprechung des Senats die Leitungstätigkeit eines Angestellten regelmäßig als ein Arbeitsvorgang anzusehen ist (BAGE 48, 17 = AP Nr. 99 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m. w. N.).
Zu dieser Leitungstätigkeit gehören auch die vom Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigten Aufgaben des Klägers bei der Annahme von Aufträgen, deren Planung, der Kontrolle ihrer Durchführung (Ziff. 1 und 2 der Arbeitsplatzbeschreibung), der Unfallverhütung und Maschinenwartung (Ziff. 5 der Arbeitsplatzbeschreibung) und der Berufsausbildung (Nr. 4 der Arbeitsplatzbeschreibung). Auch diese Tätigkeiten sind unmittelbar der Leitung der Tischlerwerkstatt zuzurechnen und sind dem Kläger allein übertragen. Der Arbeitsvorgang "Werkstattleitung" ist auch tariflich selbständig bewertbar.
Zur tariflichen Bewertung des Arbeitsvorganges hat das Landesarbeitsgericht das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c Fallgruppe 4 a) im Teil II, Abschnitt G, Unterabschnitt II (Angestellte im Erziehungsdienst) der Anlage 1 a zum BAT herangezogen. Dieses hat folgenden Wortlaut:
"VergGr. V c
4. Handwerksmeister, Industriemeister oder Gärtner-
meister im handwerklichen Erziehungsdienst
a) als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsför-
derungswerkstätten oder beschützenden Werk-
stätten,
......"
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Tätigkeit des Klägers dieses Tätigkeitsmerkmal erfülle. Der Kläger sei Handwerksmeister. Er sei im handwerklichen Erziehungsdienst tätig. Dem stehe nicht entgegen, daß er seine Tätigkeit in einem Krankenhaus ausübe. Die Tischlerwerkstatt des Krankenhauses sei als beschützende Werkstatt anzusehen, da der Begriff der beschützenden Werkstatt im tariflichen Sinne nicht mit dem Begriff der Werkstatt für Behinderte gleichzusetzen sei, sondern alle Werkstätten umfasse, in denen Kranke und/oder Behinderte Gelegenheit zur Ausübung einer ihrer Krankheit/Behinderung entsprechenden Tätigkeit hätten, weil sie nicht in der Lage seien, aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung in einer Werkstätte tätig zu werden, die mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt konkurriere. Diesen Anforderungen genüge die vom Kläger geleitete Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Es bestehen schon gewichtige Bedenken dagegen, die Tätigkeit des Klägers dem handwerklichen Erziehungsdienst zuzuordnen. Zwar ergeben sich diese Bedenken nicht daraus, daß der Kläger in einem Krankenhaus tätig ist. Die Tätigkeiten in Krankenhäusern sind von den Tarifvertragsparteien nicht abschließend in Teil II Abschnitt D der Anlage 1 a zum BAT ("Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen") geregelt (BAG Urteil vom 23. November 1983 - 4 AZR 432/81 - AP Nr. 81 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Soweit der Kläger im Rahmen der Leitung der Tischlerwerkstatt auch psychisch kranke Patienten betreut, bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, ob diese Tätigkeit Erziehungsdienst im tariflichen Sinne ist. Die Beschäftigung der Patienten erfolgt nämlich aus therapeutischen Gründen, d. h. zum Zwecke ihrer medizinischen Behandlung. Eine solche Heilbehandlung wird vom Begriff der Erziehung im weiteren Sinne, worunter der Inbegriff für alle pädagogischen Maßnahmen und Prozesse (Lern-, Entwicklungs- und Eingliederungshilfen) verstanden wird, die im Rahmen der Sozialisation zur Erwachsenheit führen (vgl. Großer Brockhaus, Stichwort: Erziehung), nicht umfaßt. Ob die Tätigkeit des Klägers als handwerklicher Erziehungsdienst anzusehen ist, bedarf jedoch keiner Entscheidung, da es sich bei der Tischlerwerkstatt, die der Kläger leitet, nicht um eine beschützende Werkstatt im tariflichen Sinne handelt.
Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff der beschützenden Werkstatt nicht selbst definiert. Damit ist der allgemeine Grundsatz der Tarifauslegung heranzuziehen, wonach die Tarifvertragsparteien, die in einer Tarifnorm einen Begriff verwenden, der in der Rechtsterminologie einen bestimmten Inhalt hat, diesen Begriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung angewendet wissen wollen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt (BAGE 42, 272 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB m. w. N.). Die Tarifvertragsparteien haben das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c BAT Fallgruppe 4 a) durch den Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT (Meister) vom 8. Juli 1970 in die Anlage 1 a eingefügt. Zu dieser Zeit hatte der Begriff der beschützenden Werkstatt in der Rechtsterminologie eine feste Bedeutung, die sich aus § 16 Abs. 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung vom 27. Mai 1964 (BGBl. I, S. 341) ergab. Diese Vorschrift hatte, soweit sie hier von Bedeutung ist, folgenden Wortlaut:
§ 16
Eingliederung in das Arbeitsleben
Zur Hilfe im Sinne des § 4O Abs. 1 Nr. 6 und 7
des Gesetzes gehören auch
1. ......
2. Die Ermöglichung einer geeigneten Tätigkeit
in einer beschützenden Werkstatt oder ähnlichen
Einrichtungen; als beschützende Werkstatt ist eine
Einrichtung anzusehen, in der Arbeitsmöglichkeiten
für Personen geschaffen sind, die wegen ihrer Be-
hinderung unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes keine Arbeit finden
können.
Die Tarifvertragsparteien haben im Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c BAT Fallgruppe 4 a) an diesem Begriff der beschützenden Werkstatt im Sinne von § 16 Abs. 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung festgehalten, obwohl nach der Neufassung des Schwerbehindertengesetzes im Jahre 1974 in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nur noch der nunmehr in § 54 SchwbG definierte Begriff der Werkstatt für Behinderte verwendet wird. Daraus folgert das Landesarbeitsgericht zutreffend, daß der Begriff der beschützenden Werkstatt nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Begriff der Werkstatt für Behinderte im Sinne von § 54 SchwbG. Darauf kommt es jedoch vorliegend nicht an, da es sich bei der Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses weder um eine beschützende Werkstatt noch um eine Werkstatt für Behinderte handelt.
Die Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses ist nicht als Werkstatt für Behinderte nach der Werkstättenverordnung anerkannt. Sie erfüllt auch nicht die Anforderungen, die an eine beschützende Werkstatt im tariflichen Sinne zu stellen sind. Dabei kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht mit Recht nicht zwischen der Beschäftigung geistig kranker Patienten und geistig behinderter Patienten unterschieden hat (vgl. BAG Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 359/85 - nicht veröffentlicht). Eine beschützende Werkstatt im tariflichen Sinne dient der Eingliederung von Behinderten in das Arbeitsleben. Sie ist eine Einrichtung, in der Arbeitsmöglichkeiten für Behinderte geschaffen sind, die wegen ihrer Behinderung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keine Arbeit finden können. Die Zweckbestimmung einer beschützenden Werkstatt liegt mithin darin, Behinderten die Eingliederung in das Arbeitsleben zu erleichtern oder ihnen zumindest die Gelegenheit zur Ausübung einer ihrer Behinderung entsprechenden Tätigkeit zu geben. Die Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses hat nach dem unstreitigen Sachvortrag die Ausführung von Instandsetzungsarbeiten und die Anfertigung neuer Werkstücke für den Betrieb des Landeskrankenhauses zur Aufgabe. Diese Arbeiten werden von dem Kläger und dem Gesellen sowie den Patienten, die in der Regel über eine entsprechende Vorbildung verfügen oder sich durch handwerkliches Geschick ausweisen, ausgeführt. Die Ausführung der Arbeiten erfolgt nicht zu dem Zweck, Hilfe zur Eingliederung in das Arbeitsleben zu leisten oder eine Gelegenheit zur Ausübung von Tätigkeiten zu geben, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht besteht.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei den Mitarbeitenden um psychisch kranke Patienten. Diese werden im Rahmen einer Beschäftigungs- und Arbeitstherapie vom Kläger angeleitet und beaufsichtigt. Dies geschieht jedoch nicht, um sie ins Arbeitsleben einzugliedern oder um ein Äquivalent für eine normale Erwerbstätigkeit zu schaffen, sondern erfolgt ausschließlich zu ihrer Heilung oder zur Linderung ihrer Krankheit. Somit besteht keinerlei Beziehung zum Arbeitsleben. Maßgebend für die Beschäftigung der Patienten sind allein medizinische, therapeutische Gründe. Diese ändern jedoch nicht die Zweckbestimmung der Tischlerwerkstatt. Dadurch, daß der Einsatz von Patienten bei der Erledigung der Aufträge auch deren Heilbehandlung dient, wird die Tischlerwerkstatt nicht zu einer beschützenden Werkstatt im tariflichen Sinne. Aus diesem Grunde war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben.
Der Senat kann aber dennoch nicht abschließend über den vom Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruch entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat sich von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht nicht damit befaßt, ob die Tätigkeit des Klägers das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c Fallgruppe 2 im Teil II, Abschnitt Q der Anlage 1 a zum BAT erfüllt. Dieses hat folgenden Wortlaut:
VergGr. V c
1. ......
2. Handwerksmeister, Industriemeister und Meister
mit erfolgreich abgeschlossener aufgabenspezifischer
Sonderausbildung, die sich aus der VergGr. VI b
Fallgruppe 1 dadurch herausheben, daß sie an einer
besonders wichtigen Arbeitsstätte mit einem höheren
Maß von Verantwortlichkeit beschäftigt sind.
Das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. VI b Fallgruppe 1 lautet:
VergGr. VI b
1. Handwerksmeister, Industriemeister und Meister mit
erfolgreich abgeschlossener aufgabenspezifischer
Sonderausbildung, soweit nicht anderweitig ein-
gruppiert.
Der Kläger nimmt für sich in Anspruch, daß seine Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. V c BAT Fallgruppe 2 erfüllt. Darauf hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals ausdrücklich hingewiesen. Die Erfüllung dieses Tätigkeitsmerkmals ist vom Arbeitsgericht in seiner Hilfsbegründung auch bejaht worden. Wenn das Arbeitsgericht das Maß der Verantwortung des Klägers im Sinne der VergGr. V c BAT Fallgruppe 2 auch nur allein damit begründet hat, daß der Kläger bei der Heilung kranker Menschen mitwirke, und daraus ebenfalls geschlossen hat, daß die Tischlerwerkstatt für das Landeskrankenhaus eine besonders wichtige Arbeitsstätte sei, ohne im einzelnen auf die Tätigkeit des Klägers abzustellen und ohne zu beachten, daß die Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals der VergGr. V c BAT Fallgruppe 2 eine Heraushebung aus der VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 erfordert, kann die Erfüllung der tariflichen Anforderungen durch die Tätigkeit des Klägers vom Senat aus Rechtsgründen nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr ist eine Subsumtion der Tätigkeit des Klägers unter das tarifliche Tätigkeitsmerkmal erforderlich, die das Landesarbeitsgericht nachholen muß.
Das Landesarbeitsgericht wird dabei darauf Bedacht zu nehmen haben, daß nach der Rechtsprechung des Senats eine "besonders wichtige Arbeitsstätte" dann anzunehmen ist, wenn sie, gemessen an den Verhältnissen auf den Arbeitsplätzen der sonstigen Handwerksmeister, für den Arbeitgeber eine außerordentliche, überdurchschnittliche Bedeutung hat. Dies ist beispielsweise zu bejahen, wenn die Aufgabenstellung an der Arbeitsstätte außergewöhnlich oder besonders bedeutsam ist, wenn besonders wertvolle oder komplizierte Anlagen oder Maschinen zu bedienen sind oder wenn beim Ausfall der Anlagen oder der Versäumung einer baldigen Wiederingangsetzung für den Arbeitgeber, Dritte oder die Allgemeinheit wesentliche Nachteile oder Gefährdungen eintreten können (BAGE 48, 17 = AP Nr. 99 zu §§ 22, 23 BAT 1975 unter Bezugnahme auf BAG Urteil vom 8. September 1971 - 4 AZR 405/70 - AP Nr. 46 zu §§ 22, 23 BAT). Bei der Beurteilung der Tischlerwerkstatt des Landeskrankenhauses nach diesen Kriterien wird zu berücksichtigen sein, daß bisher keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß die Ausstattung der Tischlerwerkstatt oder die Bedeutung der dort auszuführenden Aufträge den Anforderungen der Senatsrechtsprechung entspricht. Das Landesarbeitsgericht wird ferner darauf Bedacht zu nehmen haben, daß das "höhere Maß der Verantwortlichkeit" in VergGr. V c BAT Fallgruppe 2 mit demjenigen einer Tätigkeit nach VergGr. VI b BAT Fallgruppe 1 zu vergleichen ist.
Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Freitag
Gossen Pallas
Fundstellen
RdA 1987, 256 |
AP Nr 132 zu §§ 22, 23 BAT 1975 (LT) |
PersV 1988, 507-510 (LT1) |