Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 28.04.1992; Aktenzeichen 5 Sa 2/92)

ArbG Berlin (Urteil vom 12.09.1991; Aktenzeichen 98 Ca 2097/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 28. April 1992 – 5 Sa 2/92 – aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. September 1991 – 98 Ca 2097/91 – wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anl. I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2) stützt.

Der 1954 geborene Kläger arbeitete nach seinem Schulabschluß 1973 bei dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der ehemaligen DDR. Während der Dauer dieses Arbeitsverhältnisses absolvierte er von 1975 bis 1979 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin, das er als Diplom-Jurist abschloß.

Von 1980 bis 1990 war der Kläger im Referat 3 „Wirtschaft” der Abteilung IX „Untersuchung” der Bezirksverwaltung Berlin des Ministeriums für Staatssicherheit (fortan: MfS) tätig. Aufgabe dieses Referates war die Untersuchung von Untreue- und Betrugshandlungen von Mitarbeitern staatlicher Organe bis zur Bezirksebene sowie die Untersuchung von Vertrauensmißbrauch und anderer Straftatbestände gegen sozialistisches Eigentum und Privateigentum von Betriebsdirektoren oder leitenden Mitarbeitern von Betrieben. Zwischenzeitlich war der Kläger für ein knappes Jahr zu der Morduntersuchungskommission bei dem Polizeipräsidenten Berlin zur Aufklärung eines Gewaltverbrechens abgeordnet.

Anfang 1990 schied der Kläger im Rang eines Hauptmanns der Volkspolizei aus dem MfS aus.

Am 1. März 1990 stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Deutsche Post, den Kläger für eine Tätigkeit im Kleingutumschlag des Bahnpostamtes Berlin ein. Er hatte im Dreischichtsystem Bahnpostwagen zu be- und entladen und Paketsendungen nach Leitzahlen zu verteilen.

Die Beklagte hörte den Kläger am 17. Dezember 1990 zu seiner Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit an und fertigte darüber ein Verhandlungsprotokoll.

Mit Schreiben vom 31. Januar 1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos und berief sich darauf, ein Festhalten am Arbeitsvertrag sei ihr wegen der Tätigkeit des Klägers für das frühere Ministerium für Staatssicherheit unzumutbar. Zuvor hatte sie den Personalrat des Bahnpostamtes mit Schreiben vom 17. Januar 1991, das auf das Verhandlungsprotokoll vom 17. Dezember 1990 Bezug nimmt, von ihrer Kündigungsabsicht unterrichtet.

Mit seiner am 4. Februar 1991 eingereichten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

Der Kläger hat vorgetragen, hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Schließlich reiche die Tätigkeit für das MfS allein als Kündigungsgrund nicht aus. Außerdem sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Ihm seien keine Personaldaten mitgeteilt worden.

Der Kläger hat, soweit in der Revision erheblich, beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 31. Januar 1991 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ergebe sich aus der Tätigkeit des Klägers für das MfS. Dieses habe früher eng mit der Post zusammengewirkt. Außerdem habe es der Kläger abgelehnt, irgendwelche Angaben zu seiner früheren Tätigkeit beim MfS zu machen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und nach dem Klageantrag erkannt. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil ist zurückzuweisen. Die Klage ist nicht begründet.

I. Einem Beschäftigten des öffentlichen Dienstes kann nach Abs. 5 Ziff. 2 aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn er für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis als unzumutbar erscheint. Absatz 5 regelt eigenständig und abschließend unbeschadet von § 626 BGB die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Dienst. Absatz 5 schafft keinen absoluten Kündigungsgrund. Die Unzumutbarkeit muß sich aus einer Einzelfallprüfung ergeben. Vorrangiger Maßstab sind in der Vergangenheit liegende Vorgänge. Die Einzelfallprüfung gemäß Ziffer 2 des Absatzes 5 wird bei einem früheren hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit durch seine Stellung sowie die Dauer seiner Tätigkeit bestimmt. Ob das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint, ist anhand objektiver Kriterien zu beurteilen. Dabei ist auf die vordergründige „Erscheinung” der Verwaltung mit diesem Mitarbeiter abzustellen. Die auf Absatz 5 gestützte außerordentliche Kündigung ist Ausübung eines Sonderkündigungsrechts.

§ 626 Abs. 2 BGB ist weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG findet auf außerordentliche Kündigungen gemäß Absatz 5 Anwendung (BAG Urteile vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 484/91 und 8 AZR 537/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

II. Die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 sind bei der Person des Klägers erfüllt.

1. Bei Beurteilung der Frage, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint, geht es um die Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff verkannt hat, ob es Denk- oder Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände widerspruchs- und offensichtlich fehlerfrei berücksichtigt hat. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand, wie die Revision mit Recht rügt:

a) Im Rahmen der Einzelfallprüfung hat sich das Berufungsgericht hinsichtlich der Vergangenheit des Klägers mit der Feststellung begnügt, zwischen den Parteien sei unstreitig, daß der Kläger über lange Jahre bis zum Beginn des Jahres 1990 in nicht untergeordneter Stellung und als Diplom-Jurist für das MfS tätig gewesen sei. Rechtsfehlerhaft hält es für maßgeblich, daß der Kläger nicht vollkommen typische inhaltliche Aufgaben des MfS, wie z.B. die Bespitzelung und Unterdrückung der DDR-Bevölkerung wahrgenommen habe. Abs. 5 stellt allein auf die Tätigkeit für das MfS ab, ohne nach dem Tätigkeitsbereich zu differenzieren (vgl. dazu Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – unter A II 2 b der Gründe). Der Kläger war hier auch nicht in einem völlig dem MfS nicht als typisch zuzurechnenden Bereich tätig. Das Landesarbeitsgericht hat außerdem nicht festgestellt, daß die Abteilung IX „Untersuchung” der Bezirks Verwaltung Berlin des MfSr in der der Kläger tätig gewesen sein will, außerhalb des Repressionsapparates der Staatssicherheit der DDR gestanden hätte.

b) Das Berufungsgericht beachtet ferner nicht, daß der Kläger seine Tätigkeit bei der Beklagten in einem Bereich ausübt, in dem Mitarbeiter des MfS früher an der Verletzung des Postgeheimnisses mitgewirkt haben. Das hatte die Beklagte im Prozeß unwidersprochen vorgetragen und ist auch vom Arbeitsgericht hervorgehoben worden.

c) Das Landesarbeitsgericht geht unzutreffend davon aus, daß die jetzige Tätigkeit des Klägers überhaupt nicht dem Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes entspreche. Es ist hierbei nicht entscheidend, daß der Bereich, in dem der Kläger arbeitet, auch von Privatunternehmen abgedeckt werden kann. Maßgebend ist, daß der Kleingutumschlag von der öffentlichen Hand in nicht unerheblichem Maße betrieben wird. Die Tätigkeit eines früheren MfS-Mitarbeiters in diesem Bereich ist geeignet, das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung zu beeinträchtigen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht zugunsten des Klägers angenommen, dieser komme bei Verrichtung seiner Tätigkeit nicht mit Kunden in Berührung. Die Beklagte befördert nicht ausschließlich ihre eigenen Briefe und ihre eigenen Pakete, sondern die ihrer Kunden. Die vordergründige Erscheinung der Verwaltung gegenüber dem Bürger wird nicht allein durch die Mitarbeiter bestimmt, die im unmittelbaren Publikumsverkehr eingesetzt sind. Das Vertrauen der Bevölkerung auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Postverkehrs bezieht sich auf den gesamten Bereich. Der Kläger hat in seiner Tätigkeit Zugang zu Gegenständen, die dem Postgeheimnis unterliegen.

2. Unter Berücksichtigung aller feststehenden Umstände des Einzelfalles kann der Senat hier abschließend entscheiden (vgl. dazu BAG Urteil vom 5. November 1992 – 2 AZR 287/92 – unter II 3 d der Gründe, n.v.). Weiterer Tatsachenvortrag der Parteien ist in diesem Zusammenhang nicht zu erwarten. Danach erscheint es der Beklagten unzumutbar, den Kläger wegen seiner bisherigen Tätigkeit weiter zu beschäftigen.

Der Kläger war ca. 17 Jahre für das MfS, davon mindestens 10 Jahre in der Abteilung IX „Untersuchung”, Bezirks Verwaltung Berlin, tätig. Er übt seine jetzige Tätigkeit in einem Bereich aus, in dem Mitarbeiter des MfS früher an der Verletzung des Postgeheimnisses mitgewirkt haben. Diese langjährige Tätigkeit für das MfS bis Anfang 1990, die herausragende Stellung des Klägers als Diplom-Jurist und Offizier (Hauptmann der Volkspolizei) machten der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Die besondere Verbundenheit des Klägers mit dem System kommt darin zum Ausdruck, daß ihm im Rahmen seines Dienstverhältnisses ein Jurastudium an der Humboldt-Universität Berlin ermöglicht wurde.

III. Die Kündigung des Klägers ist nicht gem. § 79 Abs. 4 PersVG-DDR/BPersVG wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrates gem. § 79 Abs. 3 PersVG unwirksam. Die Beklagte hat den Personalrat ordnungsgemäß angehört.

1. Die Beklagte war verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung den Personalrat gem. § 79 Abs. 3 PersVG-DDR/BPersVG ordnungsgemäß anzuhören, denn etwaige Beteiligungsrechte des Personalrates bleiben durch Abs. 5 EV unberührt (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 –). Die Beklagte hat hinreichend dargelegt, daß eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt ist.

2. Die dem Personalrat mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Annahme einer ordnungsgemäßen Anhörung.

Die dem Personalrat mitgeteilten Umstände ergeben sich aus dem Anhörungsschreiben i. V. mit der Verhandlungsniederschrift vom 17. Dezember 1990. Das Anhörungsschreiben verweist auf die Verhandlungsniederschrift. Auch dem Antwortschreiben des Personalrates war sie nach dessen Inhalt als Anlage beigefügt. Das hat der Kläger im Termin vor dem Landesarbeitsgericht nicht bestritten. Die Beklagte hat dem Personalrat nicht nur mitgeteilt, der Kläger sei für das MfS tätig gewesen. Durch die Beifügung des Protokolls über die Anhörung des Klägers hat sie dem Personalrat gegenüber hinreichend zum Ausdruck gebracht, aufgrund des Verhaltens des Klägers stehe dessen Tätigkeit für das MFS fest, wobei mangels Angaben des Klägers keine weiteren Erkenntnisse vorlägen. Der für die Beklagte kündigungsrelevante Sachverhalt ist danach nicht nur schlagwortartig angegeben worden. Dem Personalrat sind ferner hinreichend mitgeteilt worden, die Personalien des Klägers sowie die beabsichtigte Kündigungsart.

Demgegenüber ist die Angabe weiterer Sozialdaten nicht notwendig. Soweit das Landesarbeitsgericht meint, diese Sozialdaten seien der Arbeitnehmervertretung bei jeder Kündigung mitzuteilen, mag dies bei Kündigungen nach § 1 KSchG und § 626 BGB zutreffen. Aus der abschließenden Regelung des Abs. 5 Ziff. 2 folgt jedoch, daß bei einer Tätigkeit für das MfS bei den Kündigungserwägungen der Familienstand des zu Kündigenden sowie die Frage, ob er anderen Personen unterhaltsverpflichtet ist, nicht ausschlaggebend sein müssen. Schließlich ist der konkrete Arbeitsplatz des Klägers hinreichend mitgeteilt worden. Die Beklagte hat dem Personalrat mitgeteilt, der Kläger sei beim Bahnpostamt Berlin im Bereich Postdienst beschäftigt. Der Personalrat konnte daraus erkennen, daß er in einem der Post typischen Bereich tätig ist. Die genaue Bezeichnung der Beschäftigungsstelle dient der Konkretisierung der in der Substanz erfolgten Mitteilung.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge ist in Urlaub und daher an der Unterschriftsleistung verhindert. Michels-Holl, Morsch, H. Brückmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1082713

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