Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 07.07.1993; Aktenzeichen 8 Sa 38/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.10.1992; Aktenzeichen 86 Ca 14341/92) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Juli 1993 – 8 Sa 38/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der 1953 geborene Kläger trat im Jahre 1971 als Anwärter in die Dienste der Volkspolizei der ehemaligen DDR im Bereich der Transportpolizei. Nach Besuch der Transportpolizeischule versah er ab 1974 den Streifendienst beim Transportpolizei-Revier Ostbahnhof in Berlin. Im Jahre 1979 wurde er zum Streifenführer befördert. Nach Besuch der Offiziersschule, die er 1981 als Unterleutnant verließ, wurde er bis 1985 als Diensthabender auf dem Transportpolizei-Revier Ostbahnhof in Berlin eingesetzt. Am 1. Oktober 1985 wurde er zum Stellvertreter für politische Arbeit (Politstellvertreter) im Transportpolizei-Revier Ostbahnhof ernannt und übte dieses Amt bis zum 31. März 1990 aus. Während dieser Zeit als Politstellvertreter absolvierte der Kläger an der Bezirksparteischule ein Fernstudium und erhielt den Dienstrang eines Hauptmanns der Volkspolizei. Am 1. April 1990 wurde er Stellvertreter für operative Arbeit des Leiters des Transportpolizei-Reviers Hauptbahnhof.
Nach Übernahme der Polizeihoheit in Ost-Berlin durch den Polizeipräsidenten im Oktober 1990 wurde der Kläger zunächst als Wachpolizist und danach als Schutzpolizist beschäftigt. Als Schutzpolizist war der Kläger teilweise im Funkstreifenwagen, überwiegend jedoch in einer Notruf zentrale eingesetzt. Er verdiente zuletzt etwa 2.300,00 DM brutto monatlich.
Mit Schreiben vom 27. März 1992 bat der Polizeipräsident den für die Dienststelle des Klägers zuständigen Personalrat unter Beifügung eines Entwurfs des Kündigungsschreibens nebst Personalvorgang um Mitwirkung und vorsorglich auch im Rahmen der Mitbestimmung um Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers. Der Personalrat stimmte mit Schreiben vom 16. April 1992 der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers im Rahmen der Mitbestimmung sowie auch der Mitwirkung zu.
Mit Schreiben des Polizeipräsidenten vom 21. April 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen mangelnder persönlicher Eignung zum 30. Juni 1992.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er hat die Auffassung vertreten, er habe keine herausragenden politischen Funktionen ausgeübt. Als Politstellvertreter habe er nur an ein bis zwei Tagen monatlich eine Politschulung durchgeführt und zusätzlich das eigene kleine Kollektiv fünf- bis sechsmal monatlich einige Stunden geschult. Er sei auch weiterhin seiner eigentlichen fachlichen Tätigkeit nachgegangen und viel „draußen vor Ort” im Einsatz gewesen. Er habe auch keine Informationen an das Ministerium für Staatssicherheit weitergegeben, sondern normale kriminalistische Arbeit, örtlich beschränkt auf das Bahngelände, geleistet. Von einer „Bereinigung” seiner Personalakte wisse er nichts. Ohne den Nachweis konkreten Fehlverhaltens könne nicht seine mangelnde persönliche Eignung für den Polizeidienst angenommen werden. Im übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beteiligung könne nicht im Eventualverhältnis der Mitwirkung und Mitbestimmung erfolgen.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 21. April 1992 nicht beendet sei, sondern ungekündigt fortbesteht;
- den Beklagten zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, aus dem beruflichen und politischen Werdegang des Klägers seien ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungstreue abzuleiten, die ihn als persönlich ungeeignet für den Dienst in der Polizei erscheinen ließen. Der Kläger habe sich frühzeitig als verlängerter Arm des Staates und damit als Träger des durch die SED geprägten Unrechtsstaates DDR verstanden und sich bis zuletzt mit den politischen Zielen im Sinne einer einseitigen politischen ideologischen Ausrichtung im kommunistischen System identifiziert. Der Kläger sei ständig politisch aktiv gewesen. Seine Entwicklung sei dabei kontinuierlich verlaufen. Er sei Mitglied in fast allen maßgeblichen Massenorganisationen der ehemaligen DDR gewesen und in der SED. Dabei habe er sich nicht auf eine bloße Mitgliedschaft beschränkt, sondern habe an diversen Lehrgängen teilgenommen, um dann in führenden Positionen eingesetzt zu werden. Als Schulungsleiter habe er aktiv an der ideologischen Verbreitung des Marxismus/Leninismus teilgenommen. Durch sein berufliches und politisches Wirken habe er mit entscheidend dazu beigetragen, daß das Staats- und Parteisystem der DDR über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren habe existieren können. Wer, wie der Kläger, in so maßgeblicher Weise in der Theorie und Praxis der Polit- und Parteiarbeit der SED ausgebildet worden sei und dessen agitatorische Tätigkeit für das SED-Regime besonders augenfällig erscheine, bei dem stehe nicht zu erwarten, daß er sich nunmehr aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetze. Gerade das Polizeiamt setze Redlichkeit und Integrität voraus, die beim Kläger angesichts seines beruflichen und parteipolitischen Werdeganges nicht erwartet werden könnten. Im Hinblick auf die vom Kläger innegehabten Ämter und Funktionen und unter Berücksichtigung der „bereinigten” Personalakte sei es Sache des Klägers, unter Anführung konkreter Tatsachen darzustellen, daß er sich nicht in besonderer Weise mit den Partei- und Staatszielen der DDR identifiziert habe.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe keine herausgehobenen Positionen in der Parteihierarchie ausgeübt, die ihn allein deswegen als Repräsentanten des SED-Unrechtsregimes erscheinen ließen. Seine Tätigkeiten in der SED-Parteiorganisation seien lediglich der untersten Funktionärsebene zuzuordnen. Allerdings habe der Kläger in der Funktion des Politstellvertreters die Aufgabe der Schulung und Kontrolle sowohl des ihm unterstellten Dienstkollektivs als auch anderer Parteisekretäre gehabt. Diese Position belege eine deutlich das Engagement auf unterster Funktionärsebene übersteigende Identifikation des Klägers mit den Zielen der SED und verstärke die Zweifel an seiner Verfassungstreue. Es lasse sich aber nicht feststellen, ob diese Zweifel im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch begründet waren. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte sei seiner Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Er habe dem Kläger nicht konkret die Gelegenheit gegeben, sich zu seiner früheren Tätigkeit, insbesondere zu seinem derzeitigen Verfassungsverständnis zu äußern. Auch habe vor Ausspruch der Kündigung keine inhaltliche Auseinandersetzung und Bewertung der Stellungnahme des Klägers vom 18. Februar 1992 stattgefunden. Dazu hätte Veranlassung bestanden, da die Äußerungen des Klägers immerhin Ansätze zu einer kritischen Betrachtung der Vergangenheit erkennen ließen. Das Schreiben des Klägers belege zumindest die Bereitschaft des Klägers, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine eigenständige Überprüfung der Verfassungstreue durch das Gericht komme nicht in Betracht, weil das Gericht nur die Beurteilung des beklagten Landes zu überprüfen, nicht aber seine eigene an deren Stelle zu setzen habe.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne dieser Bestimmung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
a) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361, 364 f. = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe).
b) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – BAGE 72, 176, 182 = AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
c) Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit den Zielsetzungen der SED identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 3 b der Gründe).
d) Bei der Auslegung und Anwendung des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen. Danach begründet die für Verbleib und Aufstieg im öffentlichen Dienst der DDR notwendige und übliche Loyalität und Kooperation für sich allein keine mangelnde Eignung. Die Kündigung erfordert – auf der Grundlage des Parteivortrags – eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach seinem gesamten Verhalten vor und nach dem Beitritt. Abs. 4 Ziff. 1 EV eröffnet nicht die Möglichkeit, die Tragbarkeit eines Arbeitnehmers für den öffentlichen Dienst allein nach seiner Stellung in der Hierarchie der DDR und seiner früheren Identifikation mit den Zielen der SED pauschal zu beurteilen. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürger der DDR nach 1989 gemacht haben, können eine solche Änderung herbeigeführt haben (BVerfG Beschluß des 1. Senats vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 3 b aa der Gründe). Der besondere Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist in dieser – der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechenden – Auslegung verfassungsgemäß (BVerfG, a.a.O., zu C I der Gründe).
2. Ob nach diesen Grundsätzen die Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers wirksam ist, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilt werden.
a) Es fehlt bereits an ausreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über die Aufgaben und die Stellung eines Politstellvertreters in einem Transportpolizei-Revier, um zu entscheiden, ob die jahrelange Ausübung dieses Amtes für die persönliche Ungeeignetheit des Klägers im Sinne einer Indizwirkung spricht. Nach den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hatte der Kläger als Politstellvertreter die Aufgabe „der Schulung und Kontrolle sowohl des ihm unterstellten Dienstkollektivs als auch anderer Parteisekretäre”. Nähere Feststellungen über Art und Umfang der Schulung und der Kontrolle fehlen. Insbesondere die Kontrollbefugnisse des Politstellvertreters sind für die Frage der Indizwirkung von Bedeutung. Bei einem Schutzpolizisten wird nämlich die bloße frühere Schulungstätigkeit für die SED nicht so belastend ins Gewicht fallen. Insoweit sind bei einem Schutzpolizisten nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie bei Lehrern. Während ein Lehrer die Aufgabe hat, ihm anvertrauten jungen Menschen glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes zu vermitteln, hat ein Schutzpolizist in einem demokratischen Rechtsstaat keinen vergleichbaren Erziehungsauftrag. Allerdings ist von einem Schutzpolizisten zu verlangen, daß er seine Aufgaben im Rahmen der Gesetze nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfüllt. Daher bestehen Zweifel an der persönlichen Eignung eines Polizisten, wenn dieser jahrelang in rechtsstaatlich bedenklicher Weise für die SED politische Kontrolltätigkeiten ausgeübt hat. Für die Frage der Indizwirkung wird es damit insbesondere auf Art und Umfang der Kontrolltätigkeit eines Politstellvertreters ankommen. War der Politstellvertreter z.B. verpflichtet, regelmäßig an die SED-Kreisleitung über das politische Klima im Revier und über die politische Zuverlässigkeit der Mitarbeiter zu berichten? Welchen Personenkreis hatte er zu überwachen? Welche Methoden nutzte der Politstellvertreter bei seiner Kontroll- und Überwachungstätigkeit?
Zwar ist es Aufgabe des kündigenden Arbeitgebers des öffentlichen Dienstes, die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen. Den Arbeitnehmer kann jedoch eine Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung treffen. So hat der Arbeitnehmer Auskunft zu Fragen nach einer früheren Tätigkeit zu geben, wenn diese Tätigkeit geeignet ist, Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers zu begründen (vgl. BAG Urteil vom 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 –, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine Umkehr der Beweislast ist damit nicht verbunden.
Der Kläger wird daher darzulegen haben, welche Aufgaben er als Politstellvertreter hatte, insbesondere welche Kontrollbefugnisse mit diesem Amt verbunden waren und gegebenenfalls welche Berichte er zu schreiben hatte. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag des Klägers über seine Tätigkeit als Politstellvertreter vor, so hat der Arbeitgeber gegebenenfalls darzulegen und zu beweisen, daß die behaupteten, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen und ein anderer Sachverhalt zutrifft.
b) Sollten die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben, daß die Funktion eines Politstellvertreters in einem Transportpolizei-Revier bei langjähriger Ausübung die Nichteignung für den Beruf eines Polizisten indiziert, wäre dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich durch substantiierten Sachvortrag zu entlasten. Ob die aufgrund der Indizwirkung bestehenden Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers für den Polizistenberuf noch im Zeitpunkt der Kündigung bestanden, wäre im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu entscheiden, die sich auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Zielen der SED gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen, wobei eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach seinem gesamten Verhalten vor und nach dem Beitritt vorzunehmen wäre.
Eine solche Einzelfallprüfung hat das Landesarbeitsgericht bisher nicht vorgenommen. Es hat die Auffassung vertreten, eine eigenständige Überprüfung der Verfassungstreue des Klägers durch das Gericht komme nicht in Betracht. Zu Unrecht ist das Landesarbeitsgericht offenbar von einem gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum des kündigenden öffentlichen Arbeitgebers ausgegangen. Soweit das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung daraus herleitet, daß der Beklagte dem Kläger „nicht konkret Gelegenheit gegeben habe, sich zu seinem derzeitigen Verfassungsverständnis zu äußern”, überzeugt dies nicht. Das Verfassungsverständnis des Klägers zum Zeitpunkt der Kündigung ist Teil der Einzelfallprüfung. Deshalb wird das Landesarbeitsgericht den Inhalt des Schreibens des Klägers vom 18. Februar 1992 selbst zu prüfen und zu bewerten haben. Bei der Einzelfallprüfung wird das Landesarbeitsgericht weiteren Entlastungsvortrag des Klägers zu berücksichtigen haben und, soweit ein geeigneter Vortrag vorliegt, darüber Beweis zu erheben haben. Eine Umkehr der im Kündigungsprozeß bestehenden Beweis last des Arbeitgebers findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994, a.a.O.).
3. Auch der Umstand, daß die Personalakte des Klägers für die Zeit seiner Tätigkeit als Politstellvertreter von 1985 bis 1990 lückenhaft ist, führt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zu einer Beweislastenumkehr. Daß der Kläger seine Personalakte selbst „bereinigt” habe, hat auch der Beklagte nicht behauptet.
4. Soweit der Kläger rügt, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dem Landesarbeitsgericht zu folgen ist, daß für die vorliegende Kündigung nicht die Zustimmung des Personalrats nach § 87 Nr. 9 PersVG Berlin erforderlich, sondern das bloße Beteiligungsverfahren nach § 79 PersVG-DDR durchzuführen war. Zur Auslegung von § 6 Nr. 4 a des Zweiten Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 10. Dezember 1990 (GVBl. S. 2289) gibt es in der Rechtsprechung unterschiedliche Entscheidungen. Das angefochtene Urteil folgt der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin im Beschluß vom 4. September 1992 (– OVG PV Berlin 27.91 – Der Personalrat 1993, 318). Eine abweichende Auffassung hat mit beachtlicher Begründung die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin vertreten (LAG Urteil vom 25. November 1991 – 12 Sa 64/91 – n. v.). Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Streitfrage nicht entscheidungserheblich. Der Personalrat war mit Schreiben vom 27. März 1992 gemäß § 79 PersVG-DDR und vorsorglich gemäß § 87 PersVG Berlin beteiligt worden. Der Personalrat hat mit Schreiben vom 16. April 1992 ausdrücklich im Hinblick auf beide Beteiligungsformen der Kündigung zugestimmt. Dieses Verfahren ist nicht zu beanstanden.
III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist in vollem Umfange aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat in Abhängigkeit von seiner erneuten Entscheidung zum Kündigungsschutzantrag auch über den Weiterbeschäftigungsantrag neu zu befinden. Bis dahin besteht die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung durch das Arbeitsgericht vorläufig weiter.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Rödder, Hennecke
Fundstellen