Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Entlassung nach früherem DDR-Recht
Leitsatz (amtlich)
- Die fristlose Entlassung einer Lehrerin aus politischen Gründen in der ehemaligen DDR (hier im Jahre 1973) ist nach den damals geltenden Rechtsvorschriften der DDR zu beurteilen. Hierzu gehören auch Vorschriften über den fristgerechten Einspruch gegen die Entlassung.
- Ergibt sich danach die Wirksamkeit der fristlosen Entlassung, kommt ein Ausgleich der beruflichen Benachteiligung nur nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1311) in Betracht (im Anschluß an BAG Urteil vom 9. November 1994 – 7 AZR 19/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 3, 17-19; Erster Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537) Art. 4; Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 unterzeichneten Einigungsvertrages vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 1239) Art. 3 Nr. 6 zu Kapitel III; Richtlinie Nr. 7 des Obersten Gerichts vom 20. November 1956 (GBl. II S. 425); Verordnung über die Tätigkeit der Kreis- und Bezirksarbeitsgerichte – Arbeitsgerichtsordnung – vom 29. Juni 1961 (GBl. II S. 271) § 34; Verordnung über die Pflichten und Rechte der Lehrkräfte und Erzieher – Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte der Volksbildung – vom 22. September 1962 (GBl. II S. 675) § 16; Verordnung über die Pflichten und Rechte der Lehrkräfte und Erzieher – Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte der Volksbildung – § 17; Verordnung über die Pflichten und Rechte der Lehrkräfte und Erzieher – Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte der Volksbildung – § 18; Gesetzbuch der Arbeit – GBA – i.d.F. vom 23. November 1966 (GBl. I S. 127) § 36; Gesetzbuch der Arbeit – GBA – § 107; Arbeitsgesetzbuch – AGB – vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) § 60; Arbeitsgesetzbuch - AGB - i.d.F. vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371) § 60; Rehabilitierungsgesetz der DDR vom 6. September 1990 (GBl. I S. 1459) § 37; Rehabilitierungsgesetz der DDR §§ 38-42; GG Art. 33 Abs. 2; BGB §§ 138, 242, 626; EGBGB Art. 6, 220, 230, 232 § 5; EGBGB a.F. Art. 30; KSchG §§ 1, 4, 7, 13; Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1311) Art. 2 – Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz); ZPO § 580 ff.
Verfahrensgang
LAG Mecklenburg-Vorpommern (Teilurteil vom 04.12.1992; Aktenzeichen 2 Sa 379/92) |
KreisG Schwerin-Stadt (Urteil vom 20.05.1992; Aktenzeichen 8d Ca 8976/91) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Dezember 1992 – 2 Sa 379/92 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Kreisgerichts Schwerin-Stadt vom 20. Mai 1992 – 8d Ca 8976/91 – wird zurückgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Entlassung vom 11. Juli 1973 und die Verurteilung zu ihrer Wiedereinstellung begehrt.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz über die Wirksamkeit einer fristlosen Entlassung aus dem Jahre 1973 und über die Wiedereinstellung der Klägerin als Grundschullehrerin.
Die im Jahre 1942 geborene Klägerin war seit dem 1. August 1964 als Unterstufenlehrerin an einer Polytechnischen Oberschule in B… beschäftigt. Im Juni 1973 erzählte sie im Unterricht vor einer 4. Schulklasse als Witz, die Abkürzung SED werde auch interpretiert als: “So Ein Dreck”. Deswegen eröffnete der zuständige Kreisschulrat am 29. Juni 1973 ein Disziplinarverfahren gegen sie und beurlaubte sie mit sofortiger Wirkung. In der Sitzung der Betriebsgewerkschaftsleitung der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung am 3. Juli 1973 wurde das Disziplinarverfahren in Anwesenheit der Klägerin behandelt. Die Betriebsgewerkschaftsleitung stimmte der Forderung nach fristloser Entlassung ebenso wie Schulkollegium und Elternversammlung zu. Am 4. Juli 1973 beschloß der Rat des Kreises B… die fristlose Entlassung der Klägerin aus dem Schuldienst. Am 11. Juli 1973 wurde die Klägerin fristlos entlassen.
Die Klägerin war dann über ein Jahr arbeitslos. Sie wurde mehrfach von der Staatssicherheit verhört und auch nach ihrem Umzug nach Rostock weiter beobachtet. Im Anschluß an eine eineinhalbjährige Tätigkeit als Schreibkraft fand sie eine Anstellung als Hortnerin.
Mit Schreiben vom 16. September 1991 wandte sich die Klägerin an den Senat der Hansestadt Rostock und beantragte ihre Wiedereinstellung als Grundschullehrerin. Am 22. November 1991 nahm sie in einem Archiv in B… Einsicht in ihr bis dahin unbekannte Unterlagen zu dem Disziplinarverfahren des Jahres 1973. Nachdem das Schulamt Rostock mitgeteilt hatte, eine Einstellung könne bei einer freien Planstelle erfolgen, die derzeit aber nicht vorhanden sei, reichte die Klägerin am 11. Dezember 1991 Klage beim Kreisgericht ein.
Die Klägerin hat geltend gemacht, eine frühere Klagerhebung sei ihr nicht möglich gewesen, weil sie erst am 22. November 1991 Einsicht in die zur Klagebegründung notwendigen Dokumente habe erhalten können. Ihre Ansprüche könnten nicht daran scheitern, daß sie 1973 keinen Einspruch eingelegt habe, da dieser nach den damaligen politischen Verhältnissen aussichtslos gewesen wäre. Die fristlose Entlassung sei eine Unrechtsentscheidung gewesen, die nach den Art. 17 bis 19 des Einigungsvertrages nicht bestehen bleiben dürfe; sie sei gem. § 138 BGB als nichtig anzusehen. Die eingeleitete Disziplinarmaßnahme hätte innerhalb von drei Wochen nach Verfügung der Beurlaubung zum Abschluß gebracht werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Ihr sei die Disziplinarmaßnahme der fristlosen Entlassung im Juli 1973 weder mündlich noch schriftlich mitgeteilt worden. Auch einen Einschreibebrief des Kreisschulrates vom 8. August 1973 habe sie nie erhalten. Deshalb seien die Vorgänge des Jahres 1973 nach wie vor nur als Beurlaubung und nicht als Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Entlassung zu würdigen. Auch hätte die Entscheidung darüber der Vorsitzende des Rates des Kreises oder dessen Stellvertreter unterschreiben müssen, nicht der Kreisschulrat.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß die am 11. Juli 1973 durch den Rat des Kreises B… ausgesprochene fristlose Entlassung unwirksam sei,
- den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin als Grundschullehrerin wieder einzustellen,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 34.365,00 DM entgangenen Verdienst nachzuzahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die fristlose Entlassung im Jahre 1973 sei nach den damaligen Vorschriften wirksam gewesen. Sie sei der Klägerin mündlich bekannt gegeben worden, was gem. § 107 Abs. 4 GBA ausgereicht habe. Nach § 16 Abs. 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte der Volksbildung sei die Entscheidung über eine Disziplinarstrafe schriftlich festzulegen und dem Betreffenden unter Angabe des Rechtsmittels mündlich bekannt zu geben gewesen. Der Schriftwechsel aus dem Jahre 1973 wegen des Zeugnisses ergebe, daß die fristlose Entlassung der Klägerin bekannt gegeben worden sei. Es sei richtig, daß es damals für die Klägerin aussichtslos gewesen wäre, sich mit dem Rechtsbehelf des Einspruches zur Wehr zu setzen. Die Klägerin habe jedoch Kenntnis davon gehabt, daß es sich um eine Entlassung aus politischen Gründen gehandelt habe. Dies zeige ihr Schreiben vom 16. September 1991 an den Senat der Hansestadt Rostock. Sie hätte deshalb nach dem 3. Oktober 1990 innerhalb der Frist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erheben müssen. Allerdings sei die fristlose Entlassung rechtsstaatswidrig gewesen. Er, der Beklagte, sei bemüht, der Klägerin eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der Tätigkeit als Lehrerin einzuräumen. Gegenwärtig seien jedoch die entsprechenden Planstellen besetzt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Vernehmung des früheren Kreisschulrats als Zeugen den Klaganträgen 1 und 2 durch Teilurteil stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klage ist, soweit das Landesarbeitsgericht über sie durch Teilurteil entschieden hat, unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die fristlose Entlassung vom 11. Juli 1973 habe das Arbeitsverhältnis der Klägerin rechtlich nicht beendet. Entgegen §§ 16 Abs. 3, 9 und 18 Abs. 1 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte vom 22. September 1962 sei das Disziplinarverfahren nicht innerhalb von drei Wochen nach der Beurlaubung der Klägerin durch Bekanntgabe der Entscheidung abgeschlossen worden. Es genüge nicht, daß die Klägerin nach dem 8. August 1973 aufgrund der gegebenen Umstände zu der Erkenntnis gekommen sei, daß ihr Arbeitsverhältnis als Lehrerin durch eine fristlose Entlassung beendet sein sollte. Die fehlerhafte Bekanntgabe habe auch ohne Einspruch von Seiten der Klägerin zur Nichtigkeit der fristlosen Entlassung geführt. Ein weiterer Mangel des Disziplinarverfahrens habe darin bestanden, daß die Klägerin entgegen §§ 16 Abs. 2, 17 Abs. 1c der Arbeitsordnung nicht von dem zuständigen Rat des Kreises angehört worden sei. Schließlich seien die Gesichtspunkte der sozialistischen Erziehung und die Gesamtheit aller Umstände einschließlich der Leistungen des Werktätigen offensichtlich nicht berücksichtigt worden. Die Berufung hierauf sei auch jetzt noch möglich, da ein Einspruch wegen der Parteilichkeit der damaligen Rechtspflege aussichtslos gewesen wäre. Wegen der zunächst bestehenden großen Rechtsunsicherheit sei nach dem 3. Oktober 1990 keine Verwirkung eingetreten. Da das Arbeitsverhältnis nach dem ehemaligen DDR-Recht unrechtmäßig gekündigt worden sei und rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere der Maßstab der Verhältnismäßigkeit, verletzt worden seien, müsse der Beklagte die Klägerin in entsprechender Anwendung von Art. 19 Satz 2 EV als Lehrerin wiedereinstellen.
B. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Die fristlose Entlassung vom 11. Juli 1973 ist nach der maßgeblichen Rechtslage des Jahres 1973 wirksam. Sie bleibt auch nach dem 2. Oktober 1990 wirksam. Die Klägerin ist auf die zukunftsorientierten Ausgleichsansprüche nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz verwiesen.
1. Die Wirksamkeit der Entlassung ist nach dem Recht der ehemaligen DDR zu beurteilen. Nach Art. 232 § 5 EGBGB gelten für die am Tage des Wirksamwerdens des Beitritts bestehenden Arbeitsverhältnisse unbeschadet des Art. 230 EGBGB von dieser Zeit an die Vorschriften des BGB. Zu beurteilen ist jedoch die Entlassung im Jahre 1973. Es handelt sich um einen abgeschlossenen Tatbestand, der nach den Grundsätzen des intertemporären Kollisionsrechts nach den Vorschriften des alten Rechts zu beurteilen ist (vgl. BGH Beschluß vom 16. Oktober 1974 – IV ZB 12/74 – BGHZ 63, 107, 111; von Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 1, § 4 Rz 305; Kropholler, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., § 27 II 1; Horn, AcP 1994, 177, 202). Altes Recht in diesem Sinne ist hier das Recht der DDR.
2. Nach § 36 Gesetzbuch der Arbeit – GBA – in der Fassung vom 23. November 1966 (GBl. I S. 127) konnte der Werktätige innerhalb von 14 Tagen nach Zugang einer fristlosen Entlassung Einspruch gegen diese bei der Konfliktkommission bzw. der Kammer für Arbeitsrechtssachen des Kreisgerichts erheben.
a) Das GBA hatte nicht ausdrücklich geregelt, welche Rechtsfolge beim Unterbleiben des Einspruchs eintrat. Erst § 60 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgesetzbuchs vom 16. Juni 1977 – AGB – (GBl. I S. 185), welches das GBA ablöste, bestimmte: “Er (der Werktätige) muß in jedem Fall Einspruch einlegen, wenn er die Rechtsunwirksamkeit herbeiführen will” (dazu Kunz/Baumgart u.a., Arbeitsrecht, Grundriß, Berlin 1980, S. 92, unter 3.8.; Kunz/Thiel u.a., Arbeitsrecht, Lehrbuch, Berlin 1984, S. 144, unter 6.2.1 f); Kunz/Baumgart u.a., Arbeitsrecht von A bis Z, Berlin 1987, S. 213, unter Kündigung). Jedoch ergab sich aus § 34 der Verordnung über die Tätigkeit der Kreis- und Bezirksarbeitsgerichte (Arbeitsgerichtsordnung) vom 29. Juni 1961 (GBl. II S. 271), daß das Kreisarbeitsgericht im Falle der Versäumung einer Frist zur Anrufung dieses Gerichts ähnlich der Wiedereinsetzung die säumige Partei von den nachteiligen Folgen der Fristversäumung “befreien” konnte. Aus dem Zusammenwirken von § 36 GBA und § 34 Arbeitsgerichtsordnung ist deshalb zu folgern, daß der Werktätige bei Versäumung der zweiwöchigen Einspruchsfrist und unterbliebener Wiedereinsetzung durch das Kreisarbeitsgericht die fristlose Entlassung als wirksam hinzunehmen hatte.
Diese Rechtsfolge galt anders als im Falle der §§ 7, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht nur beim Fehlen eines Kündigungsgrundes im Sinne von § 1 Abs. 2, 3 KSchG oder eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB. Vielmehr mußte jede Kündigung nach § 36 GBA angegriffen werden, um die erfolgte Auflösung des Arbeitsvertrags zu vermeiden (so ausdrücklich Michas u.a., Arbeitsrecht der DDR, 2. Aufl., S. 215 f., unter 6.5; Mampel, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, 1966, S. 226, unter § 29b) 7). Soweit das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts unter Hinweis auf Schlegel (Leitfaden des Arbeitsrechts, 5. Aufl., S. 240 f., unter § 19 2.; vgl. auch schon 3. Aufl., S. 127 Fn. 104a) von einer anderen Rechtslage ausgeht, betrifft das noch § 12 der Kündigungsverordnung und die dazu ergangene Richtlinie Nr. 7 des Obersten Gerichts vom 20. November 1956 (GBl. II S. 425). Seit dem Inkrafttreten des GBA vom 12. April 1961 (GBl. I S. 27) ist diese Auffassung überholt. Im übrigen weist auch Schlegel (aaO, 5. Aufl., S. 241, unter § 19 2.) im Anschluß an die genannte Richtlinie des Obersten Gerichts auf die Möglichkeit der Verwirkung hin; der Werktätige sei verpflichtet, seine Rechte alsbald geltend zu machen, wenn ihm klar geworden sei, daß der Betrieb ihn nicht mehr als zum Betrieb gehörend betrachte.
b) Von der Anwendbarkeit des § 36 GBA sind nicht solche fristlosen Entlassungen ausgenommen, deren Anfechtung von vorneherein als aussichtslos erscheinen mußte.
aa) Die Regelung des § 36 GBA wurde im Kern durch § 60 AGB in den Fassungen vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) und vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371) aufrechterhalten.
bb) Das Rehabilitierungsgesetz der DDR vom 6. September 1990 (GBl. I S. 1459) enthielt in den §§ 37 bis 42 Vorschriften zur Regelung der beruflichen Rehabilitierung. Diese waren auf eine in die Zukunft gerichtete “Folgenbeseitigung” beschränkt und ließen die bereits eingetretene Unanfechtbarkeit ausgesprochener fristloser Entlassungen unberührt. Sie setzten die Wirksamkeit der Beendigungstatbestände gerade voraus. Die §§ 18 bis 42 des Rehabilitierungsgesetzes wurden gem. Art. 3 Nr. 6 zu Kapitel III der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 unterzeichneten Einigungsvertrages vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 1239) nicht aufrechterhalten, so daß sie mit Ablauf des 2. Oktober 1990 außer Kraft traten (vgl. BAG Urteil vom 9. November 1994 – 7 AZR 19/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1 der Gründe).
cc) Die Bestimmungen des Einigungsvertrages (insbesondere Art. 17 bis 19) hatten keinen Einfluß auf die bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts abgeschlossenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Die fristlose Entlassung ist kein Verwaltungsakt im Sinne von Art. 19 EV.
dd) Erst durch das Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz), das als Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht vom 23. Juni 1994 (BGBl. I S. 1311) am 1. Juli 1994 in Kraft getreten ist, hat, wie der Siebte Senat mit Urteil vom 9. November 1994 (aaO, zu II 2, 3 der Gründe) entschieden hat, die berufliche Rehabilitierung für die in der früheren DDR aufgrund politischer Verfolgung erlittenen beruflichen Nachteile eine abschließende Regelung gefunden. Auch dieses Gesetz geht, wie die durch den Einigungsvertrag nicht aufrecht erhaltenen §§ 37 bis 42 des Rehabilitierungsgesetzes der DDR von der Wirksamkeit benachteiligender arbeitsrechtlicher Maßnahmen aus und gibt den Verfolgten Ansprüche auf bevorzugte berufliche Fortbildung und Umschulung, laufende wirtschaftliche Ausgleichsleistung und vor allem den Ausgleich von Nachteilen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es gewährt dagegen keine arbeitsrechtlichen Restitutionsansprüche, etwa Ansprüche auf Aufhebung betrieblicher Maßnahmen oder auf bevorzugte Einstellung, sondern geht davon aus, daß rechtswidrige Maßnahmen im beruflichen Bereich als solche nicht rückgängig gemacht werden. Da es an einer analogiefähigen Gesetzeslücke fehlt, kommt eine ergänzende Rechtsfindung nicht in Betracht (BAG Urteil vom 9. November 1994, aaO, zu II 2, 3 der Gründe, m.w.N.).
Die gesetzlichen Regelungen der beruflichen Rehabilitierung enthalten keine Ermächtigungsgrundlage, in einem nach dem Wirksamwerden des Beitritts geführten Arbeitsrechtsstreit die Wirksamkeit einer durch Versäumung der zweiwöchigen Einspruchsfrist nach § 36 GBA unanfechtbar gewordenen fristlosen Entlassung auf ihre Rechtswirksamkeit hin überprüfen zu können. Die Entlassung ist als gegeben hinzunehmen.
c) Soweit Arbeitnehmer die arbeitsrechtliche Maßnahme bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts durch gerichtliche Entscheidung überprüfen ließen und unterlegen waren, kommt bestätigend Art. 18 EV hinzu. Danach bleiben die vor dem Wirksamwerden des Beitritts – auch unter Anwendung des § 36 GBA – ergangenen Entscheidungen der Gerichte der DDR wirksam. Lediglich Art. 17 EV und die darauf gestützten Rehabilitierungsgesetze bleiben unberührt (Art. 18 Abs. 1 Satz 3 EV). Die Restitutionsvorschriften der §§ 580 ff. ZPO sind jedoch nicht erweitert worden. Dann können nicht diejenigen besser gestellt werden, die gar keinen Einspruch bei Gericht eingelegt haben.
d) Die Klägerin hat keinen Einspruch im Sinne von § 36 GBA eingelegt. Deshalb ist die fristlose Entlassung wirksam und unanfechtbar geworden. Auf die von der Klägerin geltend gemachten und vom Landesarbeitsgericht angenommenen Mängel des Disziplinarverfahrens gem. den §§ 16 bis 18 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte der Volksbildung vom 22. September 1962 (GBl. II S. 675) kommt es nicht an. Auch diese Mängel hätten durch Einspruch geltend gemacht werden müssen. Die Klägerin ist nicht nur beurlaubt, sondern fristlos entlassen worden, wie sie selbst geltend macht. Auf eine Verletzung von Vorschriften über die Form der Entlassung und deren Zugang kann sie sich nicht mehr berufen. Selbst wenn insoweit § 36 GBA nicht anwendbar wäre, müßte eine Verwirkung der Rechte schon nach dem Recht der ehemaligen DDR angenommen werden (oben a). Und selbst dann, wenn eine fristlose Entlassung gar nicht ausgesprochen worden wäre, käme nach der Rechtsprechung des Senats die heutige Berufung auf eine fehlende Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) kaum mehr in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 24. August 1995 – 8 AZR 134/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die tatsächliche Grundlage des Arbeitsrechtsverhältnisses der Klägerin dürfte durch die Entwicklung nach 1973 für unabsehbare Zeit entfallen sein (vgl. Senatsurteil vom 24. August 1995, aaO). Es macht keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer aus der DDR abgeschoben oder ob er in der DDR stellenlos blieb oder unangemessen beschäftigt wurde.
3. Es verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, daß die Entlassung auch unter der Geltung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland weiterhin wirksam bleibt.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nicht nur das fortgeltende Recht der DDR am Grundgesetz zu messen. Auch das kraft intertemporären Kollisionsrechts maßgebliche Recht der ehemaligen DDR darf nur angewendet werden, wenn und soweit es mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BGH Urteil vom 22. Juni 1993 – VI ZR 302/92 – BGHZ 123, 65, 69; BGH Urteil vom 1. Dezember 1993 – IV ZR 261/92 – BGHZ 124, 270, 277 f.; BGH Urteil vom 3. Mai 1994 – VI ZR 278/93 – BGHZ 126, 87, 91 f.). Der Bundesgerichtshof leitet dies aus Art. 4 des Ersten Staatsvertrags vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 537) und aus Art. 3 EV ab. Danach bedarf es keiner Anwendung des deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) mehr. Nach diesem kam es darauf an, ob die Anwendung der Norm mit den Grundrechten unvereinbar war oder zu einem mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbaren Ergebnis führte (vgl. BGH Urteil vom 22. September 1988 – IX ZR 263/87 – NJW 1989, 1352 f.; MünchKomm/BGB-Sonnenberger, 2. Aufl., Art. 6 EGBGB Rz 42; Erman/Hohloch, BGB, 2. Band, 9. Aufl., Art. 6 EGBGB Rz 25). Für vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Tatbestände fand gem. der Übergangsregelung des Art. 220 Abs. 1 EGBGB noch Art. 30 EGBGB a.F. Anwendung. Hiernach war die fremde Rechtsnorm nicht anzuwenden, wenn das Ergebnis der Anwendung zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stand, daß es von uns für untragbar gehalten wurde (BGH Beschluß vom 17. September 1968 – IV ZB 501/68 – BGHZ 50, 370, 375 f.; BVerfG Beschluß vom 30. November 1988 – 1 BvR 37/85 – BVerfGE 79, 203, 209 f.; Palandt/Heldrich, BGB, 55. Aufl., Art. 6 EGBGB Rz 4 f.).
b) Die Anwendbarkeit des § 36 GBA scheitert im Streitfalle nicht an einer Unvereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das gilt unabhängig davon, ob man die Anwendung von § 36 GBA unmittelbar am Grundgesetz mißt oder (nur) gem. Art. 30 EGBGB a.F. auf grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen abstellt. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin (Urteil vom 5. Februar 1992 – 13 Sa 61/91 – NZA 1992, 696, 698 f.), es verstoße gegen das grundgesetzlich verankerte Rechtsstaatsprinzip, wenn ein Rechtssuchender auf eine von vorneherein aussichtslose Einspruchsmöglichkeit verwiesen werde, kann nicht gefolgt werden. Die zweiwöchige Einspruchsfrist stellt insoweit, vergleichbar mit § 7 KSchG, formelles, alle Kündigungen betreffendes Recht dar. Die eigentliche Problematik liegt in der – staatlich verordneten – politisch motivierten Kündigung, einer völligen Überreaktion zum (vermeintlichen) Schutz der SED-Herrschaft. Deren Wirksamkeit konnte praktisch nicht in Frage gestellt werden (vgl. auch LAG Berlin, aaO). Die auch nach fast zwanzig Jahren weiterhin gegebene Wirksamkeit dieser Kündigung verstößt jedoch weder gegen das Grundgesetz noch gegen grundlegende deutsche Gerechtigkeitsvorstellungen. Wenn der Gesetzgeber bei der von ihm gewählten Konzeption des Ausgleichs politisch motivierter Benachteiligungen im beruflichen Bereich davon ausging, daß in der ehemaligen DDR getroffene unrechtmäßige Maßnahmen wirksam bleiben und nicht rückgängig gemacht werden, ist das jedenfalls im Regelfall hinzunehmen. Denn die Betroffenen erhalten – wie aufgezeigt – einen zukunftsorientierten Ausgleich. Die Belange der Rechtssicherheit, die besondere Schwierigkeit einer arbeitsrechtlichen Restitution, die Interessen derer, die eine vergangenheitsbezogene Folgenbeseitigung ermöglichen und finanzieren müßten, und fiskalische Gründe rechtfertigen diese Konzeption des Gesetzgebers. Insofern bestehen auch gegen Art. 18 EV keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
II. Aus der Wirksamkeit der fristlosen Entlassung und dem Fehlen eines gesetzlichen Anspruchs auf Wiedereinstellung ergibt sich, daß auch der Klagantrag 2 unbegründet ist. Ein Wiedereinstellungsanspruch käme nur nach Art. 33 Abs. 2 GG in Betracht, dessen Voraussetzungen von der Klägerin aber nicht dargelegt worden sind.
C. Die Klägerin hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen, da sie in der Revisionsinstanz vollständig unterlegen ist. Im übrigen wird das Landesarbeitsgericht im Schlußurteil über die Kostentragung zu entscheiden haben.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Rödder, Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 872506 |
BAGE, 11 |
BB 1996, 1724 |
NZA 1996, 1098 |