Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliches 13. Monatsgehalt. Erziehungsurlaub
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. September 1997 – 4 Sa 832/97 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24. April 1997 – 1 Ca 982/97 – wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen 13. Monatsgehalts.
Die Klägerin ist beim Beklagten seit 1. April 1994 als Arzthelferin beschäftigt. Seit 1995 befindet sie sich ununterbrochen im Erziehungsurlaub. Sie verlangt für das Jahr 1996 die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes nach dem auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme anwendbaren Manteltarifvertrages für Arzthelferinnen in privaten ärztlichen Praxen in der Bundesrepublik Deutschland vom 16. September 1992 (im folgenden: MTV). Dieser lautet – soweit hier von Interesse:
Ҥ 10
Gehalt, 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen
(4) Die Arzthelferin erhält spätestens zum 1. Dezember eines jeden Kalenderjahres ein 13. Monatsgehalt in Höhe des letzten vollen Monatsgehaltes. Unregelmäßige Zahlungen (für Mehr-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie für Arbeit am 24. und 31. Dezember gem. § 7) oder unregelmäßige Abzüge (z.B. wegen unbezahlten Urlaubs oder Krankheit) werden bei der Bemessung nicht berücksichtigt.
(5) Hat das Arbeitsverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres bestanden, so ermäßigt sich das 13. Monatsgehalt; für jeden angefangenen Monat des Arbeitsverhältnisses zu diesem Arbeitgeber ist ein Zwölftel des 13. Monatsgehaltes zu zahlen. Ein angefangener Monat wird bei der Berechnung des 13. Gehaltes voll einbezogen, wenn die Arzthelferin in diesem Monat mindestens 15 Kalendertage im Arbeitsverhältnis stand. Bei der Berechnung werden nur solche Monate gerechnet, in denen die Arzthelferin Entgelt oder während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz Mutterschaftsgeld oder bei weiterbestehendem Arbeitsverhältnis Krankengeld erhalten hat.
Bei Änderung der Vergütungshöhe während des Kalenderjahres aufgrund einer Änderung des Beschäftigungsumfanges oder Übernahme einer Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis ist aus den Bezügen für das gesamte Kalenderjahr das durchschnittliche Monatsgehalt zu ermitteln und bei der Berechnung des 13. Gehaltes zugrunde zu legen.”
Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 4. Dezember 1996 vom Beklagten bis spätestens 20. Dezember 1996 die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 2.603,00 DM. Nachdem der Beklagte die Zahlung verweigert hatte, erhob die Klägerin Klage zum Arbeitsgericht.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.603,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 21. Dezember 1996 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Er ist der Ansicht, die Klägerin habe für das Jahr 1996 keinen Anspruch auf das tarifliche 13. Monatsgehalt, weil sie während des gesamten Jahres im Erziehungsurlaub gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und im Urteil die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht für das Jahr 1996 das tarifliche 13. Monatsgehalt in der unstreitigen Höhe von 2.603,00 DM brutto zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Der MTV enthalte keine ausdrückliche Regelung darüber, ob eine Arbeitnehmerin, die während des ganzen Kalenderjahres im Erziehungsurlaub sei und deren Arbeitsverhältnis deshalb ruhe, Anspruch auf das 13. Monatsgehalt habe. Aus den einschlägigen Bestimmungen des MTV ergebe sich aber der Wille der Tarifvertragsparteien, daß eine rein entgeltbezogene Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin Voraussetzung für einen Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt sei.
II. Dem Landesarbeitsgericht kann nicht gefolgt werden.
1. Zunächst ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der MTV keine ausdrückliche Regelung darüber enthält, ob ein Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt dann besteht, wenn das Arbeitsverhältnis im Bezugszeitraum ganz oder teilweise wegen Erziehungsurlaubs der Arbeitnehmerin geruht hat.
a) Insbesondere stellt § 10 Abs. 5 MTV keine solche Regelung dar.
So führt § 10 Abs. 5 Satz 3 MTV nicht zu einem Anspruchsausschluß. Dort ist festgelegt, daß bei der “Berechnung” des 13. Monatsgehaltes nur solche Monate “gerechnet” werden, in denen die Arzthelferin Entgelt oder während der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz Mutterschaftsgeld oder bei weiterbestehendem Arbeitsverhältnis Krankengeld erhalten hat. Diese Bestimmung ist im Kontext mit dem Satz 1 des Absatzes 5 MTV zu sehen, der regelt, daß dann, wenn das Arbeitsverhältnis der Arzthelferin nicht während des gesamten Kalenderjahres bestanden hat, für jeden angefangenen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des 13. Monatsgehaltes zu zahlen ist. Damit betrifft § 10 Abs. 5 Satz 3 MTV ausschließlich die Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis im Laufe des Kalenderjahres begründet oder beendet worden ist. Nur dann sollen der Berechnung des 13. Monatsgehaltes lediglich solche Monate zugrunde gelegt werden, in denen die Arbeitnehmerin Entgelt, Mutterschaftsgeld oder Krankengeld erhalten hat.
Ob diese tarifliche Regelung, die nur eine sehr begrenzte Anzahl von Fällen erfaßt, ausgewogen und sinnvoll ist, hatte der Senat nicht zu entscheiden (vgl. BAG Urteil vom 6. November 1996 – 10 AZR 214/96 – n.v.; Urteil vom 12. November 1997 – 10 AZR 772/96 – AP Nr. 15 zu § 33 BAT). Es ist allein Sache der Tarifvertragsparteien, wenn sie eine Regelung treffen, daß nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Laufe des Kalenderjahres begründet oder beendet worden ist, ausschließlich diejenigen Monate der Berechnung des 13. Monatsgehaltes zugrunde gelegt werden, in denen die Arzthelferin Arbeitsentgelt, Mutterschaftsgeld oder Krankengeld bezogen hat.
Die eindeutige systematische Einordnung dieser in § 10 Abs. 5 Satz 3 MTV getroffenen Regelung in den Kontext des § 10 Abs. 5 verbietet es, diese Berechnungsvorschrift auch auf den von § 10 Abs. 4 MTV erfaßten Fall anzuwenden, daß das Arbeitsverhältnis einer Arzthelferin während des gesamten Kalenderjahres bestanden hat. Da der MTV in § 10 Abs. 5 Satz 1 den Begriff “hat das Arbeitsverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres bestanden” gebraucht, stellt dies eine Abweichung vom Regelfall des § 10 Abs. 4 MTV dar. Deshalb ist davon auszugehen, daß § 10 Abs. 4 MTV dann einschlägig ist, wenn das Arbeitsverhältnis “während des gesamten Kalenderjahres bestanden” hat.
Letzteres war bei der Klägerin im Kalenderjahre 1996 der Fall. Das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs führt nämlich nicht dazu, daß ihr Arbeitsverhältnis im Jahre 1996 als “nichtbestehend” im Sinne der Tarifvorschriften zu betrachten ist.
Das “Bestehen eines Arbeitsverhältnisses” ist ein in der Rechtssprache gebräuchlicher Begriff; so wird er z.B. in § 1 Abs. 1 KSchG und in § 622 Abs. 2 BGB verwendet. Darunter wird allgemein der rechtliche Bestand eines Arbeitsverhältnisses, d.h. das Vorliegen arbeitsvertraglicher Beziehungen im Sinne des § 611 BGB zwischen den Parteien verstanden. Nicht hingegen wird mit dem Begriff “Bestehen eines Arbeitsverhältnisses” gemeint, daß auf Grund des rechtlichen Bestandes eines Arbeitsverhältnisses auch eine tatsächliche Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer erbracht worden sein muß. Vielmehr wirkt sich die tatsächliche Unterbrechung der Beschäftigung, z.B. wegen Krankheit oder Urlaubs, auf den “Bestand des Arbeitsverhältnisses” regelmäßig nicht aus. Das Ruhen eines Arbeitsverhältnisses wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub durch den Arbeitnehmer führt ebenfalls nicht zu einer Unterbrechung des “Bestandes” eines Arbeitsverhältnisses, weil durch dieses Ruhen lediglich die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, nämlich die Vergütungs- und die Arbeitspflicht suspendiert sind, während die Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis fortbestehen. Damit “besteht” auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis weiter (BAG Urteil vom 6. Dezember 1995 – 10 AZR 210/95 – n.v.).
b) Die Anwendung des § 10 Abs. 5 Satz 4 MTV scheidet ebenfalls aus. Dieser bestimmt, daß bei Änderungen der Vergütungshöhe während des Kalenderjahres auf Grund einer Änderung des Beschäftigungsumfanges aus den Bezügen für das gesamte Kalenderjahr das durchschnittliche Monatsgehalt zu ermitteln und bei der Berechnung des 13. Monatsgehaltes zugrunde zu legen ist. Dies hätte zur Folge, daß sich für die Klägerin ein durchschnittliches Monatseinkommen von “Null” errechnen würde, welches der Berechnung des 13. Monatsgehaltes zugrunde zu legen wäre. Allerdings hat sich die Vergütungshöhe der Klägerin während des Kalenderjahres 1996 nicht auf Grund einer Änderung des Beschäftigungsumfanges verändert.
§ 10 Abs. 5 Satz 4 MTV spricht von der “Änderung der Vergütungshöhe” auf Grund einer “Änderung des Beschäftigungsumfanges”. Dies ist bei einer sachgerechten Tarifauslegung so zu verstehen, daß nur die Fälle gemeint sind, in denen es kraft Vereinbarung oder Änderungskündigung zu einer Verringerung oder Erhöhung des Umfanges der Arbeitsleistung der Arzthelferin gekommen ist, mit der Folge, daß sich dadurch auch die Höhe ihres Arbeitsentgeltes verändert hat. Der völlige Wegfall der Arbeitspflicht und des Vergütungsanspruchs wegen des auf Grund des Erziehungsurlaubes der Klägerin eintretenden Ruhens des Arbeitsverhältnisses im gesamten Kalenderjahr 1996 stellt aber keine “Änderung der Vergütungshöhe” auf Grund einer “Änderung des Beschäftigungsumfanges” dar. Solche “Änderungen” setzen nämlich voraus, daß auch weiterhin ein Vergütungsanspruch und eine tatsächliche Beschäftigung der Arzthelferin bestehen bleibt. Der völlige “Wegfall” der Vergütung und der Beschäftigung infolge des Erziehungsurlaubes ist keine “Änderung” im Sinne des § 10 Abs. 5 Satz 4 MTV.
2. Somit enthält der MTV keine Regelung, wie sich der Erziehungsurlaub auf den Anspruch einer Arzthelferin auf ein 13. Monatsgehalt auswirkt, obwohl eine solche Regelung in einem Tarifvertrag, der ausschließlich Arbeitnehmerinnen betrifft, nahegelegen hätte.
Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation) und vom 10. Juli 1996 (– 10 AZR 204/96 – n.v.) ausgeführt, daß eine tarifliche Regelung über eine jährliche Sonderzahlung, deren Zweck es – auch – ist, im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, im einzelnen bestimmen kann, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend für die Sonderzahlung sind. Der Zweck einer betrieblichen oder tariflichen Sonderzahlung (z.B. zusätzliche Vergütung für geleistete Dienste oder Belohnung für erwiesene Betriebstreue) ergibt sich aus den festgelegten Anspruchsvoraussetzungen und den Ausschluß- bzw. Kürzungstatbeständen. Dieser Zweck kann für die Auslegung der jeweiligen Regelung von Bedeutung sein. Auf Grund des Zweckes einer Sonderzahlung können aber nicht über die konkreten Regelungen hinaus weitere Ausschluß- oder Kürzungsgründe hergeleitet werden (BAG Urteil vom 24. März 1993 – 10 AZR 160/92 – AP Nr. 152 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – BAGE 76, 134 = AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation). Es gibt auch kein allgemeines Rechtsprinzip, daß der Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung entfällt, wenn der Arbeitnehmer während des Bezugszeitraumes überhaupt keine oder keine nennenswerte Arbeitsleistung erbracht hat (BAG Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – aaO; von da an ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt Urteil vom 10. Juli 1996, aaO).
Im MTV haben die Tarifvertragsparteien eine Kürzung bzw. den Ausschluß des Anspruchs auf ein 13. Monatsgehalt für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs nicht vorgesehen.
Damit hat die Klägerin nach § 10 Abs. 5 MTV für das Kalenderjahr 1996 trotz ihres Erziehungsurlaubes Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt in der unstreitigen Höhe von 2.603,00 DM.
3. Diese Rechtsprechung steht nicht im Widerspruch zu den vom Landesarbeitsgericht zitierten Entscheidungen des Senats vom 19. April 1995 (– 10 AZR 49/94 – AP Nr. 173 zu § 611 BGB Gratifikation) und vom 14. August 1996 (– 10 AZR 70/96 – AP Nr. 19 zu § 15 BErzGG).
Diese Rechtsstreitigkeiten betrafen keine tariflichen Ansprüche auf Sonderzahlungen. Vielmehr hatte sich der Senat in den genannten Entscheidungen damit zu befassen, inwieweit es revisionsrechtlich überprüfbar ist, wenn ein Landesarbeitsgericht eine einzelvertragliche Vereinbarung über die Zahlung eines “Weihnachtsgeldes” dahingehend auslegt, daß es sich dabei nicht um die Gegenleistung für geleistete Arbeit handelt (BAG Urteil vom 14. August 1996, aaO) bzw. daß es sich bei einer arbeitsvertraglich zugesagten Sonderzahlung um einen Vergütungsbestandteil handelt, der derart in das vertragliche Austauschverhältnis zwischen Vergütung und Arbeitsleistung eingebunden ist, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung im Falle der Nichterbringung einer Arbeitsleistung infolge Erziehungsurlaubs nicht entsteht (so für ein 13. Monatsgehalt: BAG Urteil vom 19. April 1995, aaO).
Die vom Senat in diesen Urteilen für die Auslegung von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen über die Gewährung von Sonderzahlungen aufgestellten Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall des Anspruchs auf eine tarifliche Sonderzahlung nicht anwendbar.
III. Der geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 284 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Dr. Jobs, Böck, Köhnen, Kay Ohl
Fundstellen
Haufe-Index 2629094 |
ArztR 1999, 164 |