Entscheidungsstichwort (Thema)
Kurzarbeit. Betriebsvereinbarung. Annahmeverzug
Leitsatz (amtlich)
Eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit muss die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten so deutlich regeln, dass diese für die Arbeitnehmer zuverlässig zu erkennen sind. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer.
Orientierungssatz
Hat der Arbeitgeber durch unwirksame Einteilung eines Arbeitnehmers zur Kurzarbeit erklärt, in diesem Zeitraum keine weiteren Arbeitsleistungen anzunehmen, genügt ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers nach § 295 Satz 1 BGB, um den Arbeitgeber in Annahmeverzug zu versetzen.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1, § 615 S. 1, § 295 S. 1; BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. Juni 2014 – 11 Sa 1566/13 – werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Zinsen erst ab dem 11. November 2011 (Buchstabe a), 12. Dezember 2011 (Buchstabe b) und 11. Januar 2012 (Buchstabe c) zu zahlen sind.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger zu 47 % und die Beklagte zu 53 % zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs für Zeiten der Kurzarbeit.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 1988 beschäftigt. Der Geschäftsführer der Beklagten und der Vorsitzende des Betriebsrats unterzeichneten am 7. März 2011 eine „Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit” (im Folgenden BV Kurzarbeit), die ua. regelt: „Präambel
Ziel der Einführung von Kurzarbeit ist es, Entlassungen zu vermeiden. Die Geschäftsleitung wird die Produktion so verteilen, dass der Zweck der Kurzarbeit, nämlich die Reduzierung der Produktionsmenge an den verringerten Absatz, nicht gefährdet wird.
In der Zeit vom 11.03.2011 bis zum 31.12.2011 wird Kurzarbeit im ganzen Betrieb eingeführt.
Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Beschäftigten im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Von der Kurzarbeit ausgenommen werden:
- Auszubildende und Studierende in dualen Studiengängen
- Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis während des Kurzarbeitszeitraums aufgrund Kündigung oder Aufhebungsvertrag endet
- Schwangere Frauen und werdende Väter, die Elterngeld in Anspruch nehmen werden, …
- Geringfügig Beschäftigte
- Arbeitnehmer, bei denen die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld nicht vorliegen …
- Die Beschäftigten, die von der Geschäftsführung aufgrund ihrer Aufgabenstellung ausgenommen werden müssen.
- Die Kurzarbeit erfolgt flexibel und wird an den Arbeitsanfall in den jeweiligen Arbeitsbereichen angepasst. Die Planung erfolgt in den Abteilungen mit dem Vorgesetzten.
- Die Kurzarbeitertage der Mitarbeiter werden von den Vorgesetzten in die Urlaubsplanungsdatei mindestens eine Woche im Voraus eingetragen, so dass Geschäftsleitung und Betriebsrat zeitnah Einsicht nehmen können.”
In der Zeit vom 11. März bis zum 31. Dezember 2011 ordnete die Beklagte ua. für den Kläger Kurzarbeit an. Für ihn entfielen insgesamt 385 Arbeitsstunden. Dadurch minderte sich das Bruttoentgelt um insgesamt 7.618,93 Euro. Der Kläger bezog Kurzarbeitergeld iHv. 2.814,37 Euro netto.
Der Betriebsrat kündigte am 12. Oktober 2011 die BV Kurzarbeit fristlos. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitsleistung „voll umfänglich per sofort” an.
Der Kläger fordert Nachzahlung der Differenz zwischen der vereinbarten und der tatsächlich bezogenen Vergütung unter Anrechnung des Kurarbeitergelds. Die Beklagte habe sich im Annahmeverzug befunden. Die BV Kurzarbeit sei unwirksam. Ein tatsächliches oder wörtliches Angebot sei entbehrlich gewesen. Jedenfalls habe er mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 seine Arbeitsleistung ausreichend angeboten.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.618,93 Euro brutto abzüglich 2.814,37 Euro netto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Kurzarbeit sei wirksam eingeführt worden. Im Übrigen wäre ein tatsächliches Angebot des Klägers erforderlich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert, die Klage für die Zeit vom 11. März bis zum 17. Oktober 2011 abgewiesen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit ihren vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen beide Parteien ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Durch die Anordnung von Kurzarbeit wurde die Arbeitspflicht des Klägers nicht wirksam eingeschränkt. Die Beklagte geriet erst in Annahmeverzug, als der Kläger seine Arbeitsleistung wörtlich anbot.
I. Der Vergütungsanspruch für die Zeit vom 18. Oktober bis zum 31. Dezember 2011 folgt aus § 611 Abs. 1 iVm. § 615 Satz 1 BGB.
1. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug kommt. Der Arbeitnehmer muss die infolge des Annahmeverzugs ausgefallene Arbeit nicht nachleisten.
a) In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich grundsätzlich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Diese bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen (vgl. BAG 16. April 2014 – 5 AZR 483/12 – Rn. 13; 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 14).
b) Unstreitig hätte die Arbeitspflicht des Klägers im Streitzeitraum ohne Anordnung von Kurzarbeit weitere 385 Stunden umfasst.
2. Durch die Anordnung von Kurzarbeit wurde die Arbeitspflicht des Klägers nicht wirksam eingeschränkt. Die BV Kurzarbeit war mangels Konkretisierung des betroffenen Arbeitnehmerkreises unwirksam.
a) Kurzarbeit ist die vorübergehende Kürzung des Volumens der regelmäßig geschuldeten Arbeitszeit bei anschließender Rückkehr zum vereinbarten Zeitumfang. Die Einführung von Kurzarbeit bedarf einer besonderen normativen oder einzelvertraglichen Grundlage. Allein das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist kein geeignetes Instrument, die vertragliche Vergütungspflicht einzuschränken (vgl. BAG 16. Dezember 2008 – 9 AZR 164/08 – Rn. 27 mwN, BAGE 129, 46). Hingegen kann aufgrund § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG durch eine Betriebsvereinbarung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) Kurzarbeit eingeführt werden (vgl. BAG 11. Juli 1990 – 5 AZR 557/89 – zu I 2 der Gründe, BAGE 65, 260; 16. Dezember 2008 – 9 AZR 164/08 – Rn. 28, BAGE 129, 46). Eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit muss die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten so deutlich regeln, dass diese für die Arbeitnehmer zuverlässig zu erkennen sind. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer (Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 47 Rn. 6).
b) Die BV Kurzarbeit entsprach nicht diesen Mindesterfordernissen. Durch sie wurde Kurzarbeit für den Kläger nicht wirksam eingeführt.
Aus der BV Kurzarbeit ergibt sich insbesondere nicht, für welche Arbeitnehmer Kurzarbeit angeordnet wird. Vielmehr konnte nach § 2 Satz 2 Nr. 6 BV Kurzarbeit die Geschäftsführung allein darüber entscheiden, welche Arbeitnehmer über die in § 2 Satz 2 Nrn. 1 – 5 BV Kurzarbeit Genannten hinaus wegen ihrer „Aufgabenstellung” von der Kurzarbeit ausgenommen werden. Bereits dieser Mangel der Betriebsvereinbarung steht der wirksamen Einführung von Kurzarbeit entgegen, denn die Auswahl nach einem mehr oder minder gebundenen Ermessen der Geschäftsführung genügt nicht den Anforderungen an einen wirksamen Eingriff in die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten der Arbeitnehmer des Betriebs. Die Unbestimmtheit des von der Anordnung betroffenen Personenkreises folgt zudem aus § 3 Abs. 2 BV Kurzarbeit. Danach sollten die Vorgesetzten über die Anordnung der Kurzarbeit durch Aufnahme in die Urlaubsplanungsdatei bestimmen. Damit fehlt es an einer aus der Betriebsvereinbarung resultierenden Bestimmbarkeit der durch diese Norm beeinflussten Arbeitsverhältnisse.
3. Der Kläger hat seine Arbeitsleistung mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 in ausreichender Weise angeboten.
a) Der Arbeitgeber kommt gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) genügt, wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder er sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Streiten die Parteien über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses, genügt ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers. Dieses kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses protestiert und/oder eine Bestandsschutzklage einreicht. Lediglich für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen, ein Angebot der Arbeitsleistung sei regelmäßig nach § 296 BGB entbehrlich. Zudem kann ein Angebot der Arbeitsleistung ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Arbeitgeber auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt, insbesondere er durch einseitige Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit auf das Angebot der Arbeitsleistung verzichtet hat (vgl. BAG 18. November 2015 – 5 AZR 814/14 – Rn. 50 mwN).
b) Das wörtliche Angebot des Klägers mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 war nach § 295 Satz 1 BGB ausreichend, um die Beklagte in Annahmeverzug zu versetzen. Durch die Einteilung des Klägers zur Kurzarbeit gab die Beklagte zu erkennen, in diesen Zeiträumen jede weitere Arbeitsleistung des Klägers nicht annehmen zu wollen.
4. Die Höhe des Anspruchs ist unstreitig.
5. Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) werden grundsätzlich ab dem jeweils 11. des Folgemonats geschuldet, denn die Vergütung des Klägers war am 10. des Folgemonats zur Zahlung fällig. Wegen § 193 BGB sind Verzugszinsen für den Monat November 2011 ab dem 12. Dezember 2011 geschuldet. Der 11. Dezember 2011 war ein Sonntag.
II. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der Kläger hat keinen weiteren Vergütungsanspruch für die Zeit vom 11. März bis 17. Oktober 2011, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt hat. In dieser Zeit befand sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug. Der Kläger hatte seine Arbeitsleistung vor dem 18. Oktober 2011 weder tatsächlich noch wörtlich angeboten, sondern war der Arbeit widerspruchslos ferngeblieben. Er hätte zumindest gegen die Anordnung der Kurzarbeit protestieren und damit seine Arbeitsleistung wörtlich anbieten müssen (vgl. BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 42; 18. November 2015 – 5 AZR 814/14 – Rn. 51).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Biebl, Volk, Reinders, Ilgenfritz-Donné
Fundstellen
Haufe-Index 9089834 |
BAGE 2016, 256 |
BB 2016, 627 |
DB 2016, 7 |
DStR 2016, 14 |
NJW 2016, 10 |
FA 2016, 120 |
JR 2020, 271 |
NZA 2016, 565 |
ZTR 2016, 211 |
AP 2016 |
EzA-SD 2016, 12 |
EzA 2016 |
JuS 2016, 846 |
MDR 2016, 1155 |
NZA-RR 2016, 5 |
AUR 2016, 170 |
ArbRB 2016, 135 |
ArbR 2016, 140 |
NJW-Spezial 2016, 179 |