Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für Masseverbindlichkeit?. Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
Der Insolvenzverwalter haftet nach § 61 InsO, wenn er in Kenntnis der drohenden Masseunzulänglichkeit weitere Masseverbindlichkeiten begründet und damit pflichtwidrig handelt. Daher ist der Gläubiger so zu stellen, wie er ohne die die Masseverbindlichkeit begründende Handlung stünde, nicht aber wie bei Erfüllung der Verbindlichkeit. § 61 InsO gewährt nur einen Anspruch auf das negative Interesse.
Normenkette
InsO § 61; ZPO § 139
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt als Schadenersatz den Bruttolohnbetrag für Januar 2000 und für die Zeit vom 1. bis 21. Februar 2000 in Höhe von insgesamt 2.230,32 Euro brutto.
Die Klägerin war bei einer Textilfirma beschäftigt. Am 1. August 1999 wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 3. August 1999 beschloss der vorläufige Gläubigerausschuss die Fortführung des Geschäftsbetriebes unter Reduzierung des Personals. Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin waren etwa 60 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Gläubigerversammlung bestätigte am 3. September 1999 die Fortführung des Geschäftsbetriebes für sechs Monate. Am 15. Februar 2002 beschloss der Gläubigerausschuss die Stilllegung des Betriebes, nachdem er am 10. Februar 2002 ein Übernahmeangebot abgelehnt hatte.
Der Beklagte stellte die Klägerin und weitere Mitarbeiter ab 21. Februar 2000 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Das Arbeitsverhältnis wurde in der Folgezeit durch betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende beendet.
Der Beklagte erteilte der Klägerin Lohnabrechnungen für Januar 2000 und für die Zeit vom 1. Februar bis 21. Februar 2000 über insgesamt 2.230,32 Euro brutto. In dem Prozessvergleich vom 30. August 2001 (Arbeitsgericht Chemnitz – 4 Ca 1884/01 –) wurde vereinbart:
“Es wird festgestellt, dass der Klägerin gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. b GmbH für die Zeit vom 01.01.2000 bis 21.02.2000 ein Lohnanspruch in Höhe von
3.218,99 DM netto
(i.W. dreitausendzweihundertachtzehn 99/100 Deutsche Mark)
als sogenannte Altmasseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zusteht.”
Dieser Vergleich war bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 13. Oktober 2004 nicht erfüllt. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht beendet. Die Zwangsversteigerung der Betriebsimmobilie ist im Gange.
Die Klägerin fordert mit der am 18. Juli 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage Schadenersatz in Höhe des bisher nicht bezahlten Bruttolohnes. Der Beklagte hätte bereits im Zeitraum Oktober oder November 1999 oder spätestens per 1. Januar 2000 erkennen müssen, dass die vorhandene Masse keinesfalls ausreiche, die Lohnschulden für die Monate Januar und Februar 2000 zu begleichen. Der Beklagte habe sich nicht auf Liquiditätspläne des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin verlassen dürfen. Aus den Aufstellungen habe er bereits zum 1. Januar 2000 erkennen können, dass er keinesfalls mehr in der Lage sein werde, die für die Monate Januar und Februar 2000 anfallenden Lohnforderungen aus der Masse zu befriedigen. Der Beklagte habe auch nicht davon ausgehen können, dass es zu einem Verkauf des Betriebes kommen werde. Er habe folgerichtig auch nicht von einer Erhöhung der Masse um einen Anteil am Gesamtkaufpreis ausgehen können. Der Beklagte hätte spätestens Anfang des Jahres 2000 das Unternehmen nicht mehr fortführen dürfen. Somit hätte der Beklagte die Klägerin bereits zu Beginn des Jahres 2000 und nicht erst am 21. Februar 2000 von der Arbeit freistellen müssen, um ihr die Möglichkeit zu geben, Leistungen vom Arbeitsamt zu beziehen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.230,32 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit der Klage (31. Juli 2000) zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, er habe mit der Fortführung des Geschäftsbetriebes seine spezifischen Verpflichtungen als Verwalter nicht verletzt. Es sei seine gesetzliche Aufgabe gewesen, die Schuldnerfirma oder zumindest einen Teil von ihr durch eine übertragende Sanierung zu retten. Wie sich aus den Liquiditätsübersichten und den Ertragsvorschauen ergebe, hätten die Löhne der Mitarbeiter bis einschließlich Dezember 1999 problemlos ausgezahlt werden können. Im Ergebnis hätten die betriebswirtschaftlichen Zahlen in einem Bereich gelegen, bei dem er davon habe ausgehen dürfen, dass nach einer erfolgreichen Übertragung die streitige Lohnforderung aus der Masse bezahlt werden könnte. Bei einer Übernahme des Betriebes der Insolvenzschuldnerin mit allen Aktiva und Passiva wären 80.000,00 DM der Einnahmenseite in voller Höhe zuzusetzen gewesen. Das vom Gläubigerausschuss letztlich am 15. Februar 2000 abgelehnte Angebot des Interessenten verdeutliche, dass das von der Gläubigerversammlung verfolgte Konzept für eine übertragende Sanierung ausreichend gewesen sei. Gescheitert sei das Übernahmekonzept an der ablehnenden Haltung des Betriebsrats der Insolvenzschuldnerin und des die Arbeitnehmerinteressen im Gläubigerausschuss vertretenden Mitglieds. Es habe bei ihnen keine Bereitschaft bestanden, der vom Übernahmeinteressenten vorgesehenen radikalen Personalreduzierung auf nur noch zehn Mitarbeiter zuzustimmen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin der Sache nach ihren Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf Schadenersatz deswegen abgewiesen, weil die Klägerin einen Schaden in Höhe des bisher nicht gezahlten Arbeitsentgelts geltend gemacht habe, also das Erfüllungsinteresse – positives Interesse –, während § 61 InsO die Haftung des Insolvenzverwalters auf den Vertrauensschaden, das negative Interesse begrenze. Die Klägerin sei – nur – so zu stellen, wie sie stünde, wenn der Insolvenzverwalter pflichtwidrige Handlungen nicht begangen hätte. Die Klage sei selbst dann nicht schlüssig, wenn man der Klägerin darin folge, dass der Beklagte sie frühzeitig hätte freistellen müssen. Im Fall der Freistellung wäre zwar auch Annahmeverzugslohn angefallen, die Klägerin hätte sich aber arbeitslos melden können und wäre zum Bezug von Arbeitslosengeld berechtigt gewesen. Einen Schaden in Höhe des entgangenen Arbeitslosengeldes mache die Klägerin aber weder vorrangig noch hilfsweise geltend. Die Klägerin habe auch nicht vorgetragen, dass es ihr im Falle der Freistellung ab 1. Januar 2000 möglich gewesen wäre, ihre Arbeitskraft anderweitig gegen Entgelt einzusetzen und ihr Verdienst dann dem geltend gemachten Betrag entsprochen hätte.
II. Dem folgt der Senat.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf den geltend gemachten Betrag von 2.230,32 Euro brutto für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 21. Februar 2000 als Schadenersatz nach § 61 InsO.
a) Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 6. Mai 2004 – IX ZR 48/03 – (BGHZ 159, 104), auf die sich das Landesarbeitsgericht stützt, erkannt, dass die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO in der Rechtsfolge auf das negative Interesse gerichtet ist. § 61 InsO führt zu einem Schadenersatzanspruch. Den Umfang des Schadenersatzanspruchs regelt § 249 BGB. Schließt der Insolvenzverwalter einen Vertrag, obwohl er erkennen kann, dass die Insolvenzmasse nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreicht, so kann ihm nur der Vertragsschluss als solcher vorgeworfen werden, nicht aber die Unfähigkeit zur Befriedigung des Vertragspartners. Haftungsrechtlich tritt er zu keinem Zeitpunkt an die Stelle der Masse und muss daher nur den Schaden ersetzen, den der Massegläubiger dadurch erleidet, dass er auf die Zulänglichkeit der Masse vertraut (Franke/Böhme Anm. zu OLG Celle 13. Juli 2004 – 16 U 11/04 – DZWIR 2004, 425, 427). Die Schadenersatzpflicht wird für den Fall angeordnet, dass der Insolvenzverwalter in Kenntnis der drohenden Masseunzulänglichkeit weitere Masseverbindlichkeiten begründet und damit pflichtwidrig handelt. Er hätte davon absehen müssen. Daher ist der Gläubiger so zu stellen, wie er ohne die die Masseverbindlichkeit begründende Handlung stünde. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn § 61 InsO gegenüber § 249 BGB die speziellere Norm wäre. Dafür finden sich aber keine Anhaltspunkte, wie der BGH in der Entscheidung vom 6. Mai 2004 – IX ZR 48/03 – (aaO) im Einzelnen ausgeführt hat. Dem schließt sich der Senat an.
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass § 311a Abs. 2 BGB zwar an eine bei Begründung des Vertragsverhältnisses begangene Pflichtverletzung anknüpft, gleichwohl aber den Schuldner zum Schadenersatz statt der Leistung verpflichtet, dh. zum Ersatz des positiven Interesses. Obwohl Anknüpfungspunkt die Haftung für ein Verschulden bei Vertragsschluss ist, sieht das Gesetz die haftungsbegründende Pflichtverletzung des Schuldners in dem Bruch seines nach § 311a Abs. 1 BGB wirksamen Leistungsversprechens. Abgesehen davon, dass auch insoweit für die Beschränkung der Ersatzpflicht des Schuldners auf das negative Interesse plädiert wird (vgl. nur Palandt/Heinrichs 65. Aufl. § 311a BGB Rn. 7 mwN), lässt sich das auf die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO nicht übertragen. Denn der Insolvenzverwalter verspricht, wenn er als solcher fungiert, stets nur Leistung “aus der Masse”, nicht eine Leistung aus seinem Vermögen (vgl. von Olshausen ZIP 2002, 237, 239).
b) Die Haftung auf das negative Interesse gilt entgegen der Revision auch für Arbeitsverträge. Es ist zwar richtig, dass sich die Entscheidung des Neunten Senats des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 2004 – IX ZR 48/03 – (BGHZ 159, 104) auf eine Warenlieferung bezieht, die auf eine Bestellung des Insolvenzverwalters zurückging, während es hier um ein Arbeitsverhältnis bzw. Lohnansprüche aus einem Arbeitsverhältnis geht, das bereits mit der Insolvenzschuldnerin begründet worden war. Für Dauerschuldverhältnisse wie das Arbeitsverhältnis gilt indes im Ergebnis nichts anderes.
aa) Ist zB ein Mietverhältnis fortgesetzt worden und sind dadurch Mietzinsansprüche entstanden, so ist der Insolvenzverwalter, wenn eine Haftung nach § 61 InsO dem Grunde nach besteht, nur verpflichtet, den Vermieter so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis gekündigt hätte. Ein Schaden wäre dem Vermieter aber nur entstanden, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, die Räume anderweitig zu vermieten. Denn nur dann wäre die unterbliebene Kündigung kausal für den Mietzinsausfall (OLG Celle 13. Juli 2004 – 16 U 11/04 – DZWIR 2004, 425).
bb) Es kann dahinstehen, ob der Beklagte die Masseverbindlichkeiten iSv. § 61 Satz 1 InsO pflichtwidrig begründet hat bzw. ob er die Klägerin früher hätte freistellen müssen. Außerdem kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte den Entlastungsbeweis nach § 61 Satz 2 InsO geführt hat.
Die Klägerin verkennt, dass sie nicht mit Erfolg die Erfüllung des Vertrages, die arbeitsvertragliche Gegenleistung, den Lohn verlangen kann. Die Pflicht des Insolvenzverwalters, der erkennen kann, dass er die Verbindlichkeit aus einem von ihm aufrechterhaltenen Arbeitsverhältnis nicht (voll) aus der Masse wird erfüllen können, geht dahin, den Arbeitsvertrag zu kündigen, nicht aber dahin, die Erfüllung des Vertrages, dh. die Zahlung des Arbeitsentgelts persönlich zu garantieren. Die Klägerin kann ggf. nur verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünde, wenn der Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht pflichtwidrig fortgeführt hätte. Dazu hat die Klägerin, wie sie selbst einräumt, nichts vorgetragen.
2. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge der Klägerin ist unzulässig.
Sie macht geltend, nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts gem. § 139 ZPO hätte sie zum Schaden iSd. negativen Interesses, nämlich zum entgangenen Arbeitslosengeld im Einzelnen vorgetragen.
Abgesehen davon, dass es als zweifelhaft erscheint, ob der Hinweis nach § 139 ZPO hätte ergehen müssen, nachdem der Beklagte bereits auf Seite 8 des Schriftsatzes vom 6. November 2002 der Sache nach auf das negative Interesse verwiesen hatte, ist die Verfahrensrüge deswegen unzulässig, weil die Klägerin nicht vorgetragen hat, was sie auf den vermissten Hinweis geantwortet hätte. Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum muss derjenige, der eine Verletzung des § 139 ZPO durch das Berufungsgericht rügt, im Einzelnen angeben, was er auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss vollständig nachgeholt und über die Rüge aus § 139 ZPO schlüssig gemacht werden (so schon Reichsgericht 17. März 1931 – II 347/30 – JW 1931, 1795, 1796; BAG 5. Juli 1979 – 3 AZR 197/78 – BAGE 32, 56, 66; BGH 8. Oktober 1987 – VII ZR 45/87 – LM VOB/B 1973 § 8 Nr. 16; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 27. Aufl. § 551 Rn. 8). Nur dann ist es gerechtfertigt, die Sache zurückzuverweisen, worauf die Revision gerade hinaus will. Fehlt die Angabe dessen, was die Partei vorgetragen hätte, so lässt sich nicht absehen, ob die Erfüllung der Hinweispflicht zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (BAG 5. Juli 1979 – 3 AZR 197/78 – aaO).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Friedrich, B. Schipp, Hoffmann
Fundstellen