Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS. Falschbeantwortung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626; KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 25. März 1996 – 7 Sa 951/95 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
VonRechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) bzw. auf personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe stützt.
Der im Jahre 1961 geborene Kläger leistete von November 1980 bis Oktober 1983 Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA). Am 5. März 1982 unterzeichete er gegenüber dem MfS folgende maschinenschriftliche Verpflichtungserklärung:
„Ich, F. B., verpflichte mich, mit dem Ministerium für Staatssicherheit inoffiziell zusammenzuarbeiten. Mir ist bewußt, daß die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der Sicherheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung dient und es einen Kampf gegen die subversiven Angriffe des Feindes führt.
Ich bin bereit, die mir übertragenen Aufgaben gewissenhaft, ehrlich und unter Einsatz meiner ganzen Persönlichkeit zu erfüllen.
Zu den vereinbarten Treffs werde ich pünktlich erscheinen.
Alle mir bekannten Hinweise einer staatsfeindlichen Tätigkeit gegen die DDR werde ich objektiv und ohne Ansehen der Person dem Mitarbeiter des MfS mitteilen. Bei Notwendigkeit werden diese Informationen von mir in schriftlicher Form niedergelegt und mit dem Decknamen „S.” unterschrieben.
Über die Zusammenarbeit mit dem MfS werde ich gegenüber keiner außenstehenden Person, auch nicht gegenüber meinen Verwandten und Vorgesetzten, sprechen.
Ich bin mir bewußt, daß ich bei einem Bruch dieser Verpflichtung dem Ansehen des MfS und der DDR Schaden zufüge und mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen muß.”
Ziel der Werbung des Klägers war die Aufdeckung von Erscheinungsformen der politisch-ideologischen Diversion und die Absicherung der Kampftechnik. Der Kläger berichtete auftragsgemäß über Soldaten und Unteroffiziere seiner Einheit, besonders über politisch negative Äußerungen und Diskussionen sowie über negative Verhaltensweisen. Zuwendungen oder Auszeichnungen erhielt er nicht. Aufgrund einer Abschlußeinschätzung vom 12. April 1984 wurde die GMS-Akte beim MfS archiviert.
Seit dem 1. November 1983 arbeitete der Kläger im Brandschutzamt der Beklagten, zuletzt als Truppführer.
Am 5. Juni 1991 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, er sei zu keiner Zeit hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit gewesen, er habe keine materiellen Zuwendungen oder Vergünstigungen von diesen Dienststellen erhalten und niemals wissentlich Informationen über ihm bekannte Personen an diese Dienststellen weitergegeben.
Die Beklagte erhielt Mitte Januar 1995 durch eine Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (künftig: Gauck-Auskunft) Kenntnis von der MfS-Tätigkeit des Klägers. Sie hörte den Kläger hierzu am 30. Januar 1995 an und räumte ihm eine Bedenkzeit bis zum 10. Februar 1995 für eine einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 1995 ein. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 21. Februar 1995 den Gesamtpersonalrat über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet hatte, erklärte dieser am 27. Februar 1995, er widerspreche der außerordentlichen Kündigung und nehme die ordentliche Kündigung zur Kenntnis.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Februar 1995, das dem Kläger frühestens am 1. März 1995 und spätestens am 13. März 1995 zugegangen ist, außerordentlich zum 3. März 1995, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin.
Mit der am 22. März 1995 beim Arbeitsgericht eingereichten und der Beklagten am 30. März 1995 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht, es lägen weder Gründe für eine außerordentliche, noch für eine ordentliche Kündigung vor. Die Anwerbung durch das MfS sei unter Druck erfolgt, nachdem er bei einer Übung einen Verkehrsunfall verursacht und die unehrenhafte Entlassung aus der NVA gedroht habe. Er habe lediglich zwei Berichte geliefert. Die darin erwähnten Soldaten hätten keine Nachteile erlitten, sondern seien normal aus dem Dienst entlassen worden. Deren Verhalten und Äußerungen seien nicht erst durch seine Information dem MfS bekannt geworden. Das Verhalten insbesondere des einen Soldaten sei kompaniebekannt gewesen. Die Kontakte zum MfS hätten nur bis Mitte Mai 1982 bestanden. Sie hätten sich immer in Uniform und in Diensträumen der Kaserne gegenüber ihm auch ansonsten vorgesetzten Offizieren abgespielt. Er habe die Frage nach der MfS-Tätigkeit nicht vorsätzlich falsch beantwortet und keinesfalls arglistig gehandelt; denn er habe den kurzzeitigen Kontakt mit dem MfS innerlich dem Armeedienst zugeordnet. Die Erläuterungen des Stasi-Offiziers hätten sich ausschließlich auf die Sicherheit der Armee bezogen. Zudem habe die Beklagte ein etwaiges Kündigungsrecht verwirkt und den zuständigen Personalrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß beteiligt.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 1995 weder zum 3. März 1995 noch zu einem späteren Termin aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die außerordentliche Kündigung, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung sei wirksam. Der Kläger sei vom 5. März 1982 bis zum 16. Februar 1983, dem Zeitpunkt eines letzten Treffberichts, als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) für das MfS tätig gewesen. Er habe vier Berichte selbst angefertigt und Informationen zu einem weiteren Bericht geliefert; außerdem seien fünf Treffberichte des Führungsoffiziers vorhanden. Die Werbung sei nicht unter Zwang, sondern aufgrund politischer Überzeugung erfolgt. Deshalb erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis des Klägers nicht zumutbar. Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ergebe sich auch aus der wahrheitswidrigen Erklärung des Klägers vom 5. Juni 1991. Die Beteiligung der Personalvertretung sei ordnungsgemäß erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat nur die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klagabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Zwar sei die Personalratsbeteiligung ordnungsgemäß gewesen. Jedoch lägen die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht vor. Für die Beklagte sei es nicht unzumutbar, den Kläger trotz dessen Tätigkeit für das MfS weiterzubeschäftigen, da erhebliche Umstände des Falles für den Kläger sprächen. Dieser sei anläßlich der Ableistung seines Wehrdienstes – in einem besonderen Gewaltverhältnis zur NVA und letztendlich als Befehlsempfänger in einer streng hierarchischen Institution – von einem Mitarbeiter des MfS angesprochen worden. In bezug auf die Zuverlässigkeit der Armeeangehörigen habe eine gewisse Interessenüberschneidung zwischen der NVA und dem MfS bestanden. Es lasse sich auch nachvollziehen, daß der in der Position des Wehrpflichtigen zur Mitarbeit Verpflichtete davon ausgegangen sei, durch seine Mitarbeit gegenüber dem MfS komme er (auch) seinen soldatischen Pflichten nach. Denn die MfS-Führungsoffiziere seien den Wehrpflichtigen in Uniform der NVA und als Vorgesetzte gegenübergetreten. Wie sehr die MfS-Mitarbeit im Zusammenhang mit dem Wehrdienst gestanden habe, zeige sich auch deutlich im „Bericht über die durchgeführte Gewinnung” des Führungsoffiziers vom 5. März 1982 sowie an den vom Kläger gefertigten Berichten. Weiter sei zu berücksichtigen, daß der Kläger damals zwischen 20 und 21 Jahre alt und die politische Großwetterlage zwischen den militärischen Blöcken noch auf Konfrontation ausgerichtet gewesen sei. Auch habe sich die Mitarbeit auf die Dauer von lediglich einem Jahr erstreckt und liege mehr als 12 Jahre zurück. Der Kläger sei nach seiner Wehrdienstzeit offenkundig nicht mehr für das MfS tätig gewesen. Er arbeite nunmehr im Brandschutz und sei gerade verpflichtet, sich für die Allgemeinheit, notfalls unter Einsatz seines Lebens, einzusetzen. Daß er für einen ihm unterstellten Mitarbeiter verantwortlich sei, hebe ihn ebensowenig in eine exponierte Stellung wie seine Berechtigung, Sonderfahrzeuge zu führen.
Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung beendet worden. Soweit sich die Beklagte auf die unwahren Angaben des Klägers vom 5. Juni 1991 berufe, scheitere die Einführung dieses Kündigungsgrundes zwar nicht an der Personalratsbeteiligung. Der Kläger habe aber nicht arglistig gehandelt. Er habe durchaus davon ausgehen können, seine MfS-Tätigkeit sei im Rahmen der Stellung als Soldat zu erfüllen gewesen. Ihm sei daher vorzuwerfen, allein auf seine subjektive Vorstellung abgestellt und nicht über den Sinn und Zweck der Frage nachgedacht zu haben. Dies reiche für den Vorwurf eines arglistigen Verhaltens nicht aus. Eine irgendwie geartete Belastung des Arbeitsverhältnisses durch die unwahren Angaben sei nicht ersichtlich. Die Kündigung sei angesichts der untergeordneten Stellung des Klägers im Brandschutz und angesichts seiner im übrigen beanstandungsfreien Tätigkeit unverhältnismäßig.
II. Die Angriffe der Revision hiergegen bleiben erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
1. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Arbeitsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Kündigungsregelungen. Unstreitig hat das im Jahre 1983 begründete Arbeitsverhältnis des Klägers beim Zugang der Kündigungserklärung mit der Beklagten fortbestanden. Das Landesarbeitsgericht hat daher zu Recht angenommen, daß Art. 20 EV Anwendung findet (vgl. Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 269/93 – BAGE 75, 266, 272 ff. = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Einigungsvertrag, zu B II der Gründe, und – 8 AZR 502/93 – BAGE 75, 280, 282 f. = AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1, 2 der Gründe).
2. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend die ständige Rechtsprechung des Senats zu den Voraussetzungen einer Kündigung wegen Tätigkeit für das frühere MfS zugrunde gelegt.
Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 474/91 – BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4, aaO, zu B II 1c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.
Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob er nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Maßgebend ist, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt würde, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.
Bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist ferner die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – BVerfGE 96, 189, 199 ff. = AP Nr. 67 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu I 2 b der Gründe). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer.
3. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Tätigkeit des Klägers für das MfS rechtfertige die Kündigung nicht, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
a) Der Kläger ist bewußt und gewollt als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig geworden. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des Abs. 5 Ziff. 2 EV Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zu § 1 KSchG u.a. Urteil vom 21. Mai 1992 – 2 AZR 10/92 – BAGE 70, 262, 268 f. = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Stellung des Klägers in einem „besonderen Gewaltverhältnis” bei der NVA als einen wesentlichen Gesichtspunkt gewürdigt. Für die Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis kommt es in erheblichem Maße darauf an, in welchem Zusammenhang die Tätigkeit für das MfS stand. Das Landesarbeitsgericht hat unangefochten festgestellt, die MfS-Offiziere seien den Wehrpflichtigen als Vorgesetzte in Uniform der NVA gegenübergetreten. Durch diese starke Einflußnahme war die Entschließungsfreiheit des Soldaten erheblich gemindert. Entgegen der Auffassung der Revision bedarf es nicht eines „unabwendbaren Drucks”, um einen minderen Grad der persönlichen Verstrickung annehmen zu können. Die Beklagte hat auch den vom Landesarbeitsgericht herausgestellten spezifischen Zusammenhang der Berichtstätigkeit des Klägers mit dem Wehrdienst nicht in Abrede gestellt. Zwar rechtfertigt auch eine Art von soldatischer Verpflichtung und damit ein nahezu dienstlicher Charakter nicht die Verletzung der Persönlichkeitssphäre anderer Soldaten. Doch erscheint die persönliche Verstrickung geringer, wenn ausschließlich interne Vorgänge zum Zwecke der (angeblichen) militärischen Absicherung der NVA berührt werden.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat die vorgelegten Berichte nur pauschal und partiell, gleichwohl im Ergebnis zutreffend gewürdigt. Der Senat kann die notwendige Würdigung im einzelnen selbst ergänzen. Die Berichtstätigkeit bezog sich auf Äußerungen und Verhalten anderer Soldaten in der Kaserne und während des Dienstes. Es handelte sich in keinem Fall um vertrauliche oder rein persönliche Dinge. Die Beklagte hat der Wertung des Klägers, das Verhalten des Soldaten H. sei „kompaniebekannt” gewesen, nicht widersprochen. In der Tat kann das „provozierende Auftreten gegenüber Vorgesetzten” oder das unerlaubte Entfernen den MfS-Offizieren auch als Soldaten der NVA nicht verborgen geblieben sein. Entgegen der Auffassung der Beklagten können die Berichte über den Unteroffizier, der immer wieder offen über die SED und die Parteigenossen geschimpft hat, nicht im engeren Sinne als Bespitzelung gewertet werden. Der Unteroffizier hat Beschwerden geradezu herausgefordert und mußte damit jedenfalls rechnen. Auch die Kenntnisnahme durch das MfS war durchaus zu erwarten. Die Tätigkeit des Klägers lag demnach in einem Bereich, in dem die Persönlichkeitssphäre durch den Wehrdienst ohnehin stark eingeschränkt war. Sie kann als nicht schwerwiegend gewertet werden. Insofern unterscheidet sich der Streitfall von dem Fall, der dem Senatsurteil vom 22. Mai 1997 (– 8 AZR 361/95 – n.v.) zugrunde lag und ebenfalls eine MfS-Tätigkeit während der Wehrdienstzeit betraf (vgl. aaO, zu II 3 b der Gründe). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger nur zwei Berichte geliefert hat oder ob alle vorgelegten Berichte von ihm stammen und die Treffberichte zutreffen.
cc) Das Landesarbeitsgericht hat die sonstigen maßgeblichen Umstände berücksichtigt und widerspruchsfrei abgewogen. Es konnte die genaue Dauer der MfS-Tätigkeit dahinstehen lassen. Der Kontakt des Klägers zum MfS dauerte unstreitig jedenfalls weniger als ein Jahr, wobei die eigentliche Tätigkeit nur in den ersten Wochen stattfand. Nach den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen bestanden ab Mai 1982 kaum noch nennenswerte Kontakte. Die weiteren Umstände der Anwerbung sind, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht annimmt, angesichts der entlastenden Gesichtspunkte nicht maßgebend. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Vortrag des Klägers hierzu plausibel ist. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ferner die untergeordnete Stellung des Klägers im Brandschutz berücksichtigt. Das Abwägungsergebnis des Landesarbeitsgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Revision hält dem lediglich ihre Auffassung entgegen, angesichts der Belastung des Klägers erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr zumutbar.
4. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die falsche Erklärung des Klägers vom 5. Juni 1991 rechtfertige die Kündigung nicht, hält ebenfalls der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
a) Soweit die Beklagte die außerordentliche Kündigung auf diesen Grund stützt, ist Prüfungsmaßstab § 626 BGB. Abs. 5 Ziff. 2 EV betrifft nur die aus der früheren MfS-Tätigkeit resultierende Unzumutbarkeit (vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 1996 – 8 AZR 523/95 – n.v., zu B II 2 b der Gründe). Zwar kann die falsche Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB darstellen. Wie das Landesarbeitsgericht aber zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten.
b) Wie der Senat wiederholt entschieden hat, begründet die Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit regelmäßig erhebliche Zweifel an der persönlichen Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Der Arbeitnehmer muß diese Frage wahrheitsgemäß beantworten. Wer hierzu falsche Angaben macht, mißbraucht das Vertrauen seines Dienstherrn gröblich. Das Fragerecht ist für den öffentlichen Arbeitgeber von besonderer Bedeutung. Es dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut (vgl. nur Senatsurteile vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 125 f. = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 5 der Gründe; vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1 der Gründe). Die Falschbeantwortung belegt aber nicht zwangsläufig die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers. Neben dem Maß individueller Schuld des Arbeitnehmers sind vielmehr alle sonstigen Umstände des Einzelfalles, die für oder gegen die persönliche Eignung des Arbeitnehmers sprechen, in die Beurteilung einzubeziehen (vgl. BAG Urteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BAG Urteil vom 14. Dezember 1995, aaO, zu B III 2 der Gründe). Eine andere Beurteilung der Falschbeantwortung kann sich z.B. ergeben, wenn der Tätigkeit für das MfS nur mindere Bedeutung zukam (vgl. nur Senatsurteil vom 22. Mai 1997 – 8 AZR 361/95 – n.v., zu II 4 der Gründe; zuletzt BAG Urteil vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 750/96 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 2 c der Gründe, m.w.N.).
c) Die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Februar 1995 kann nicht auf mangelnde persönliche Eignung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützt werden, da diese besondere Kündigungsvorschrift mit Ablauf des 31. Dezember 1993 außer Kraft getreten ist. Zur Anwendung kommt der strengere Prüfungsmaßstab des § 1 KSchG. Die Berechtigung der Kündigung ist danach unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Vertragsparteien zu beurteilen (vgl. hierzu nur BAG Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 26. September 1996 – 2 AZR 594/95 – n.v.; BAG Urteil vom 13. März 1997 – 2 AZR 506/96 – n.v.).
d) Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, die ordentliche Kündigung sei nicht durch Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Soweit es eine „Arglist” des Klägers verneint hat, reicht diese Begründung freilich nicht aus. Allerdings begründen die vom Landesarbeitsgericht unangefochten herausgestellten Umstände durchaus Zweifel an einem Vorsatz des Klägers; denn zu einer vorsätzlichen Falschbeantwortung gehört das Bewußtsein, die Unwahrheit zu erklären. Eine derartige subjektive Vorstellung hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Jedenfalls trifft angesichts der Vorstellung des Klägers, Pflichten im Rahmen seiner Stellung als Soldat erfüllt zu haben, die Wertung des Landesarbeitsgerichts zu, ein erheblicher Vertrauensverstoß liege nicht vor. Zu berücksichtigen ist dabei, daß der Kläger nach der Verpflichtungserklärung vom 5. März 1982 Hinweise auf „staatsfeindliche Tätigkeit gegen die DDR” mitteilen sollte. Die individuelle Schuld des Klägers im Hinblick auf die Falschbeantwortung erscheint danach gering. Seiner Tätigkeit für das MfS kam – wie oben ausgeführt – nur mindere Bedeutung zu, wovon der Kläger bei seiner Erklärung am 5. Juni 1991 auch selbst ausgehen durfte. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die persönliche Eignung des Klägers werde durch die Falschbeantwortung nicht entscheidend in Frage gestellt, ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
5. Die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 1995 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien demnach nicht aufgelöst.
III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Haible, Brückmann
Fundstellen