Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluss für Personenschäden nach § 104 SGB VII. Wegeunfall. Betriebsweg. vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls
Orientierungssatz
1. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den in ihrem Unternehmen tätigen gesetzlich Unfallversicherten zum Ersatz von Personenschäden nach zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.
2. Die Sperrwirkung des § 104 Abs. 1 SGB VII greift ein, sobald sich der Versicherte in die betriebliche Sphäre begibt, also in einen Bereich, der der Organisation des Unternehmers und dessen Ordnungsgewalt unterliegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Versicherte im betrieblichen Interesse innerhalb oder außerhalb der Betriebsstätte unterwegs ist, er mithin den Weg in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurücklegt, dieser Teil der versicherten Tätigkeit ist und damit der Arbeit im Betrieb gleichsteht.
3. Ein vom Arbeitgeber durchgeführter Transport der Arbeitnehmer zur und von der Arbeitsstelle mit einem betriebseigenen Fahrzeug ist ein Betriebsweg, für den der Haftungsausschluss gilt. Ein solcher Betriebsweg liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer mit dem vom Arbeitgeber organisierten Rücktransport von einer auswärtigen Einsatzstelle zu Hause hätte abgesetzt werden sollen.
4. Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls umfasst nicht nur die vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls, sondern auch des konkreten Verletzungserfolgs.
5. Hat der Unternehmer den verkehrsunsicheren Zustand des Unfallfahrzeugs gekannt, so rechtfertigt dies noch nicht die Annahme, er habe den Unfall und die konkreten Verletzungsfolgen billigend in Kauf genommen.
Normenkette
SGB VII §§ 104, 8 Abs. 1, 2 Nr. 1; BGB §§ 823, 847, 276 aF; StVG § 7 Abs. 1; PflVG § 3 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 23. Mai 2003 – 12 Sa 52/02 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall bei dem Rücktransport des Klägers von einer ausländischen Baustelle in einem Fahrzeug seiner Arbeitgeberin.
Der Kläger ist seit Februar 1997 bei der Beklagten zu 1), die sich mit dem Aufbau und der Montage von Messeständen im Inund Ausland befasst, als Messebauer beschäftigt. Die Beklagte zu 1) organisiert den Transport ihrer Arbeitnehmer zu den Messeorten und zurück mit eigenen Kraftfahrzeugen und vergütet die Fahrtzeiten als Arbeitszeit. Im September 1999 war der Kläger auf der Messe in L eingesetzt. Auf der Rückfahrt mit einem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Transporter am 14. September 1999 platzte ein Reifen des Firmenfahrzeugs, der Wagen stieß gegen eine Leitplanke und überschlug sich mehrmals. Der Kläger, der auf der mit funktionsunfähigen Sicherheitsgurten ausgestatteten Sitzbank hinter dem Fahrer saß, wurde durch die Frontscheibe auf die Fahrbahn geschleudert und erlitt schwere Verletzungen. Er befand sich mehrfach in stationärer Behandlung, wurde mehrere Male operiert und wird Dauerschäden davontragen.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden auf Grund des Unfalls. Er meint, die Haftung sei nicht ausgeschlossen, weil der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den Versicherungsfall billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich herbeigeführt habe. Ihm sei der verkehrswidrige Zustand des Fahrzeugs bekannt gewesen. Außerdem sei das Fahrzeug mit runderneuerten Reifen ausgestattet gewesen. Im Übrigen handle es sich um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, da der Kläger zu Hause abgesetzt werden sollte.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld iHv. 30.677,51 Euro nebst 8,42 % Zinsen hieraus seit 25. Mai 2000 zu zahlen;
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 14. September 1999 zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben einen Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII angenommen und vorgetragen, es habe sich um einen Unfall auf einer Betriebsfahrt gehandelt; der Versicherungsfall sei nicht vorsätzlich herbeigeführt worden. Die Pflege und Wartung der Firmenfahrzeuge habe den jeweiligen Nutzern der Fahrzeuge oblegen. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, Gurtschlösser zu montieren oder montieren zu lassen. Dies sei ihm aber offensichtlich gleichgültig gewesen. Dem Geschäftsführer der Beklagten zu 1) sei bis zu dem Unfall das Fehlen der Gurtschlösser nicht bekannt gewesen. Der Kläger habe nicht direkt zu Hause abgesetzt werden sollen. Sein Privatfahrzeug habe sich während der Rückfahrt noch auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) befunden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger stehen keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klage sei – auch hinsichtlich des Feststellungsantrags – zulässig, jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII seien gegeben. Der Unfall sei kein Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 SGB VII gewesen, sondern ein Unfall auf einem Betriebsweg. Vom Arbeitgeber organisierte und durchgeführte Sammeltransporte seien der betrieblichen – und damit der gesetzlich privilegierten – Risikosphäre zuzuordnen. Dies gelte zumindest in Fällen, in denen die Arbeitsvertragsparteien durch die Vereinbarung, dass die Fahrtzeit als Arbeitszeit vergütet wird, zum Ausdruck bringen, dass die Teilnahme an dem Transport Teil der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten des Arbeitnehmers sei. Für die Qualifikation der Fahrt als Betriebsweg sei unerheblich, ob der Kläger zum Sitz der Arbeitgeberin oder direkt nach Hause gebracht werden sollte. Der Versicherungsfall sei auch nicht vorsätzlich herbeigeführt worden. Es spreche nichts für die Annahme, dass der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den Eintritt eines Unfalls und eines Personenschadens billigend in Kauf genommen habe. Allein der Umstand, dass ihm nach dem Vortrag des Klägers die Bereifung des Unfallfahrzeuges mit runderneuerten Reifen und das Fehlen eines funktionsfähigen Sicherheitsgurtes bekannt gewesen sein solle, trage eine derartige Schlussfolgerung nicht.
B. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Die Klage ist – auch hinsichtlich des auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden gerichteten Antrages – zulässig. Das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben.
1. Das besondere Feststellungsinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO muss als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen (Senat 12. Dezember 2002 – 8 AZR 497/01 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 25). Bei Feststellungsklagen, die sich auf künftigen Schadensersatz beziehen, liegt das rechtliche Interesse bereits dann vor, wenn Schadensfolgen in der Zukunft möglich, auch wenn ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt noch ungewiss sind (BGH 23. April 1991 – X ZR 77/89 – NJW 1991, 2707 mwN). Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen (Senat 12. Dezember 2002 – 8 AZR 497/01 – aaO mwN). Insoweit reicht es aus, wenn die nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Ersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden besteht (vgl. BGH 11. Juli 1989 – VI ZR 234/88 – VersR 1989,1055 = NJW-RR 1989, 1367). Dies trifft bei schwereren Unfallverletzungen in aller Regel zu. Das Feststellungsinteresse kann in Fällen dieser Art nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen immerhin zu rechnen; es ist nicht erforderlich, dass der Kläger von dem späteren Schaden eine bestimmte Vorstellung hat (BGH 11. Juli 1989 – VI ZR 234/88 – aaO; 25. Januar 1972 – VI ZR 20/71 – VersR 1972, 459).
2. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Kläger hat bereits erstinstanzlich unter Bezugnahme auf die Arztberichte vom 6. Januar und 25. Februar 2000 vorgetragen, dass wegen der durch den Verkehrsunfall eingetretenen massiven Wirbelsäulenverletzung ein Dauerschaden bleibe, der ihm die weitere Ausübung seines bisherigen Berufes nicht mehr ermögliche. Damit liegt die nicht nur entfernte Möglichkeit künftiger Schadensfolgen vor.
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass keine Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) besteht, weil die Haftungsfreistellung gem. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eingreift. Damit ist auch die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherung nicht einstandspflichtig.
1. Die Beklagte zu 1) haftet dem Kläger nicht auf Ersatz seiner Personenschäden und auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823, 847, 276 aF BGB, § 7 Abs. 1 StVG, denn ihre Ersatzpflicht ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen.
a) Nach dieser Vorschrift sind Unternehmer den gesetzlich Unfallversicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind, zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts einschließlich der Gefährdungshaftung zB nach den Vorschriften des StVG (Geigel/Kunschert Der Haftpflichtprozess S. 938 Rn. 264; Lauterbach-Dahm UV-SGB VII § 104 Rn. 11).
b) Der Ausschluss der Haftung folgt vorliegend nicht bereits aus der Tatsache, dass die zuständige Berufsgenossenschaft eine versicherte Tätigkeit des Klägers festgestellt hat. Die Bindungswirkung dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 108 SGB VII nur auf die Feststellung des Versicherungsfalls an sich. In der Regel – so auch hier – erfolgt nämlich keine Feststellung, ob ein Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII oder ein Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 SGB VII vorliegt (vgl. Brackmann/Krasney SGB VII § 108 Rn. 10; Hauck/Nehls SGB VII K § 108 Rn. 7).
c) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Arbeitgeber den Unfall nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt. Der Unfall ereignete sich vielmehr auf einem Betriebsweg nach § 8 Abs. 1 SGB VII.
aa) Der Kläger hat den Unfall bei einer versicherten Tätigkeit erlitten. Die Frage, ob sich der Unfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII versicherten Weg oder während der versicherten Tätigkeit ereignete, ist aus der Sicht des Geschädigten, hier also des Klägers, zu beantworten. Normzweck ist es, dem Verletzten die Ansprüche gegen Arbeitgeber und Kollegen zu belassen, wenn er außerhalb betrieblicher Gegebenheiten unter solchen Umständen geschädigt wird, die ihn auch als normalen Verkehrsteilnehmer hätten treffen können (Ricke Anm. VersR 2002, 413; MünchArbR/Blomeyer § 61 Rn. 25). Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn man darauf abstellt, ob sich der Geschädigte bei der Tätigkeit befand oder nicht. Dies entspricht der allgemeinen Ansicht (vgl. Marschner BB 1996, 2090; Waltermann NJW 1997, 3401; ErfK/Rolfs § 104 SGB VII Rn. 9; Maschmann SGb 1998, 54). Soweit das Urteil des Senats vom 14. Dezember 2000 (– 8 AZR 92/00 – AP SGB VII § 105 Nr. 1 = EzA SGB VII § 105 Nr. 1) so verstanden werden könnte, dass sich der Schädiger und nicht der Geschädigte beim Unfall bei der Arbeit oder auf einem nach § 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Weg befinden müsse, hat dies der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2003 (– 8 AZR 548/02 – AP SGB VII § 104 Nr. 2 = EzA SGB VII § 105 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) klargestellt.
bb) Der Kläger hat den Unfall infolge der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten. Der Unfall war ein Arbeitsunfall und kein Wegeunfall. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind „Beschäftigte” versichert. Beschäftigte sind alle Personen, die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, leisten (§ 7 Abs. 1 SGB IV).
Sozialversicherungsrechtlich ist ein Betriebsweg ein Weg, der in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird, Teil der versicherten Tätigkeit ist und damit der Betriebsarbeit gleichsteht. Anders als der Weg nach dem Ort der Tätigkeit wird er im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und geht nicht lediglich der versicherten Tätigkeit voraus (BSG 7. November 2000 – B 2 U 39/99 R – NJW 2002, 84). Hiervon ist der Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII abzugrenzen, der sich beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ereignet.
Entgegen des Wortlauts des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII und in erweiternder Auslegung des § 8 Abs. 1 SGB VII ist ein Unfall, der sich bei einem vom Arbeitgeber durchgeführten Sammeltransport von Arbeitnehmern mittels eines betriebseigenen Fahrzeuges von der Wohnung zu einer Baustelle oder zurück ereignet, als Arbeitsunfall iSd. § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen (Senat 30. Oktober 2003 – 8 AZR 548/02 – AP SGB VII § 104 Nr. 2 = EzA SGB VII § 105 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Dabei schließt sich der Senat den Grundsätzen an, die der Bundesgerichtshof zum Sammelschülertransport im Urteil vom 12. Oktober 2000 (– III ZR 39/00 – BGHZ 145, 311 = LM SGB VII § 104 Nr. 1 mit zustimmender Anm. Schmitt = NJW 2001, 442; zustimmend ebenso Waltermann NJW 1997, 3401, 3402; Maschmann SGb 1998, 54, 57; Stern-Krieger/Arnau VersR 1997, 408, 410; KassKomm-Ricke § 104 SGB VII Rn. 13) aufgestellt hat.
(1) Der Zweck der Haftungsbeschränkung legt es nahe, sie auch in Konstellationen wie der vorliegenden eingreifen zu lassen. Für die Ausgestaltung des Rechts der sozialen Unfallversicherung war neben dem Prinzip des sozialen Schutzes auch maßgeblich, dass die zivilrechtliche Haftpflicht des Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern abgelöst werden sollte, um eine betriebliche Konfliktsituation zu vermeiden; an die Stelle der privatrechtlichen Haftpflicht des Unternehmers wurde die Gesamthaftung der in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmer gesetzt (Prinzip der Haftungsersetzung). Auf diese Weise sollten das Risiko von Arbeitsunfällen für den Arbeitgeber, der die Beiträge für die Unfallversicherung allein aufbringt, kalkulierbar und Anlässe zu Konflikten im Betrieb eingeschränkt werden (BVerfG 7. November 1972 – 1 BvL 4, 17/71 und 10/72; 1 BvR 355/71 – BVerfGE 34, 118 = NJW 1973, 502; Senat 10. Oktober 2002 – 8 AZR 103/02 – BAGE 103, 92 = AP SGB VII § 104 Nr. 1 mit Anm. Schwarze = EzA SGB VII § 105 Nr. 2; 14. Dezember 2000– 8 AZR 92/00 – AP SGB VII § 105 Nr. 1 = EzA SGB VII § 105 Nr. 1 mwN; Anm. Drong-Wilmers VersR 2001, 721). Die Kollision von Zivilund Sozialrecht wird in verfassungskonformer Weise (BVerfG 8. Februar 1995 – 1 BvR 753/94 – AP RVO § 636 Nr. 21 = EzA RVO § 636 Nr. 13; 7. November 1972 – 1 BvL 10/72 – aaO) mittels des Wegfalls zivilrechtlicher Ansprüche gelöst (Lauterbach-Dahm UV-SGB VII § 104 Rn. 4 f.).
(2) Diesem Zweck entspricht es, wenn die Sperrwirkung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eingreift, sobald sich der Versicherte in die betriebliche Sphäre begibt, also in einen Bereich, der der Organisation des Unternehmers unterliegt (vgl. Wussow/Schneider Unfallhaftpflichtrecht Kap. 80 TZ 94 ff.). Mit einem vom Arbeitgeber organisierten Sammeltransport wird hier jedenfalls ein Grad der betrieblichen Gestaltung erreicht, der die Verwirklichung des Risikos als Verwirklichung eines betrieblichen Risikos iSd. § 8 Abs. 1 SGB VII erscheinen lässt, bei dem der Arbeitgeber und die Kollegen von der Haftung freigestellt sind.
(3) Ist danach der vom Arbeitgeber organisierte Sammeltransport der Arbeitnehmer von einer Baustelle nach Hause eine Betriebsfahrt (Senat 30. Oktober 2003– 8 AZR 548/02 – AP SGB VII § 104 Nr. 2 = EzA SGB VII § 105 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob der Kläger auf der Unglücksfahrt mit dem Rücktransport aus L erst zum Betriebsgelände der Beklagten zu 1) oder direkt nach Hause gebracht werden sollte.
(4) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Arbeitsvertragsparteien auch durch die Vereinbarung der Vergütung der Fahrzeit als Arbeitszeit deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass die Teilnahme am vom Arbeitgeber organisierten Sammeltransport nicht als bloßer Heimweg von der eigentlichen Tätigkeit, sondern als deren Bestandteil anzusehen ist.
d) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht auch zutreffend angenommen, dass die Beklage zu 1) den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme des Klägers, der Geschäftsführer oder der Fuhrparkleiter der Beklagten zu 1) hätten den Verkehrsunfall und den Personenschaden des Klägers billigend in Kauf genommen.
aa) Unter Geltung des bis zum 31. Dezember 1996 nach §§ 636, 637 RVO anzuwendenden Haftungsprivilegs bei Arbeitsunfällen war in Literatur und Rechtsprechung unstreitig, dass die Haftungsbeschränkung des Unternehmers oder der im selben Betrieb Tätigen nur dann wegen Vorsatzes entfällt, wenn der Schädiger den Arbeitsunfall gewollt oder für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Danach genügte es für die Entsperrung des Haftungsausschlusses nicht, dass ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich war, gewollt und gebilligt wurde, wenn der Unfall selbst nicht gewollt und nicht gebilligt wurde. Der Vorsatz des Schädigers musste nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (BAG 27. Juni 1975– 3 AZR 457/74 – AP RVO § 636 Nr. 9 = EzA RVO § 636 Nr. 9, zu III 1 der Gründe). Ebenso wurde allgemein anerkannt, dass die bloße vorsätzliche Mißachtung von Unfallverhütungsvorschriften, auf die der Arbeitsunfall zurückzuführen war, nicht die Entsperrung des Haftungsausschlusses herbeiführte (BAG 27. Juni 1975 – 3 AZR 457/74 – aaO; 2. März 1989 – 8 AZR 416/87 –, zu I 2 der Gründe).
bb) An diesen Grundsätzen ist auch unter der ab 1. Januar 1997 an Stelle der §§ 636, 637 RVO geltenden §§ 104, 105 SGB VII festzuhalten. Die geänderte Wortwahl in der Neuregelung des SGB VII, „Versicherungsfall” statt „Arbeitsunfall”, hat bezüglich der „vorsätzlichen Herbeiführung” keine Änderung erbracht. Die tatbestandlichen Grundvoraussetzungen der §§ 104, 105 SGB VII sind nämlich gegenüber §§ 636, 637 RVO unverändert geblieben (Senat 10. Oktober 2002 – 8 AZR 103/02 – BAGE 103,92 = AP SGB VII § 104 Nr. 1 = EzA SGB VII § 105 Nr. 2).
(1) Abweichend davon wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, der Haftpflichtanspruch des Geschädigten werde nunmehr bereits dann entsperrt, wenn der Unternehmer hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität (Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall) vorsätzlich handelt, während hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität (Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Personenschaden) dieser qualifizierte Vorwurf nicht erforderlich sei. Danach wäre es nicht mehr erforderlich, dass die konkrete Verletzungsfolge bewusst und gewollt herbeigeführt wurde. Es genügte, dass sich das Wissen und Wollen des Schädigers auf die Handlung und den Unfall erstrecken, nicht aber den konkreten Schadensumfang umfassen. Dies folge daraus, dass in §§ 104, 105 SGB VII der Gesetzgeber genügen lasse, dass der „Versicherungsfall” vorsätzlich herbeigeführt worden sei, während nach §§ 636, 637 RVO die vorsätzliche Herbeiführung des „Arbeitsunfalls” die Entsperrung auslöste (ErfK/Preis 1. Aufl. § 104 SGB VII Rn. 20; Rolfs NJW 1996, 3177).
(2) Diese Auffassung überzeugt nicht. In § 7 Abs. 1 SGB VII ist definiert, was ein Versicherungsfall iSd. §§ 104, 105 SGB VII ist, nämlich ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle eines Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Damit umfasst der Versicherungsfall den Personenschaden. Der Versicherungsfall ist erst eingetreten, wenn die Verletzungshandlung auch zu einem Schaden, also zu einem Verletzungserfolg geführt hat. Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls umfasst somit nicht nur die vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls, sondern auch des konkreten Verletzungserfolgs (Senat 10. Oktober 2002 – 8 AZR 103/02 – BAGE 103, 92 = AP SGB VII § 104 Nr. 1 = EzA SGB VII § 105 Nr. 2).
(3) Dass der schädigende Erfolg auch vom Vorsatz umfasst sein muss, folgt für §§ 104, 105 SGB VII weiter aus dem Zweck dieser Vorschriften. Der Unternehmer und der Arbeitskollege sollen zur Erhaltung des Betriebsfriedens von ihrer Haftung nur in den Fällen nicht freigestellt sein, in denen sie den die Versichertengemeinschaft belastenden Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Das Versicherungsrecht soll die Haftungsfreistellung nur versagen, wenn die mit dem Unfallversicherungsschutz zusammenhängende Freistellung von der Haftung nicht mehr hinnehmbar erscheint (so zum alten Recht zutreffend BGH 20. November 1979 – VI ZR 238/78 – BGHZ 75, 328, 330 ff. = NJW 1980, 996 f.).
cc) Allerdings kommt es im vorliegenden Streitfall nicht entscheidend auf den Meinungsstreit an.
Die Beklagte zu 1) hat nämlich bereits den Verkehrsunfall selbst nicht bedingt vorsätzlich herbeigeführt. Dies folgt schon aus dem eigenen Sachvortrag des Klägers.
Der Kläger hat vorgetragen, der Geschäftsführer und der Fuhrparkleiter der Beklagten zu 1) hätten den verkehrsuntauglichen Zustand des Unfallfahrzeuges (funktionsuntüchtige Sicherheitsgurte auf der Rückbank und runderneuerte Reifen) gekannt. Dies alleine rechtfertigt nicht die Annahme, die für die Arbeitgeberin verantwortlich handelnden Personen hätten mit einem Verkehrsunfall gerechnet und diesen billigend in Kauf genommen. Allenfalls könnte ihnen – unterstellt man den Vortrag des Klägers als wahr – ein grob fahrlässiges, nicht aber ein vorsätzliches Herbeiführen des Unfalls vorgeworfen werden. Ihr Verhalten wäre vergleichbar mit dem Fall einer vorsätzlichen Missachtung von Unfallvorschriften, die auch nicht die Annahme einer vorsätzlichen Unfallverursachung rechtfertigt (BAG 27. Juni 1975 – 3 AZR 457/74 – AP RVO § 636 Nr. 9 = EzA RVO § 636 Nr. 9; 2. März 1989 – 8 AZR 416/87 –; 10. Oktober 2002– 8 AZR 103/02 – BAGE 103, 92 = AP SGB VII § 104 Nr. 1 = EzA SGB VII § 105 Nr. 2).
2. Da eine Haftung der Beklagten zu 1) als Fahrzeughalterin mithin nicht besteht, hat der Kläger auch gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer keinen Ersatzanspruch aus § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Laux, Scholz, Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 1257591 |
DB 2004, 2592 |
NWB 2004, 3113 |
ARST 2004, 286 |
FA 2004, 314 |
JR 2005, 483 |
AP, 0 |
AuA 2004, 45 |
EzA-SD 2004, 15 |
EzA-SD 2004, 3 |
EzA |
AUR 2004, 350 |
ArbRB 2005, 6 |
SJ 2005, 39 |
SPA 2004, 4 |