Entscheidungsstichwort (Thema)
Materialprüfer als Angestellter
Orientierungssatz
Die Tätigkeitsbeispiele des Gehaltsrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 19.2.1975 erfassen alle Materialprüfungen in Laboratorien, beginnend mit der einfachen Prüfung nach festgelegtem Verfahren (Gehaltsgruppe T 2) und endend mit der Durchführung schwieriger, umfassender oder neuartiger Versuche (Gehaltsgruppe T 6). Für Arbeitertätigkeiten bei der Durchführung von Materialprüfungen in Laboratorien bleibt danach kein Raum.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 16.03.1983; Aktenzeichen 7 Sa 764/82) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 20.04.1982; Aktenzeichen 1 Ca 2731/81) |
Tatbestand
Der Kläger, der gelernter Werkstoffprüfer (Physik) ist, steht seit 1971 in den Diensten der Beklagten und wird seit 1979 in der Automobilfabrik der Beklagten in einem Labor beschäftigt. Dort ist er an der Untersuchung von verschiedenen Materialien mit Hilfe von hochmodernen technischen Meßgeräten der Infrarot-Spektroskopie, Gas-Chromatografie und der Thermoanalyse beteiligt. Er bereitet die Analysegeräte und die zu untersuchenden Materialproben nach Art und Menge vor und führt sodann die Analysen unter Beachtung schriftlicher Prüfvorschriften und mündlicher Anweisungen seines Vorgesetzten durch. Vorgesetzter des Klägers ist ein Diplomchemiker. Die Analysen dienen der generellen Qualitätsüberprüfung aller in der Kraftfahrzeugherstellung benötigten Materialien, den Untersuchungen von Reklamationen und der Gütebeurteilung von Konkurrenzprodukten.
Beide Parteien sind Mitglieder der Tarifvertragsparteien für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen. Der Kläger erhält Lohn nach der Lohngruppe 8 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 26. September 1967/15. April 1970 in der Fassung vom 19. Februar 1975 (LRA).
Der Kläger meint, er sei Angestellter, weil er im Rahmen der Vorgaben selbständig mit den komplizierten Geräten arbeite, wobei die gedankliche Arbeit im Vordergrund stehe.
Der Kläger hat demgemäß beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis
bei der Beklagten dem "Angestelltentarif"
unterliegt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, weil für sie kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Sie sei nicht geeignet, etwaige Streitigkeiten zwischen den Parteien zu regeln. Im übrigen sei die Klage auch unbegründet, weil der Kläger auf Anweisung seines Vorgesetzten lediglich routinemäßige Tätigkeiten ohne geistige Anforderungen ausübe. Der Kläger sei Chemielaborfacharbeiter und damit Arbeiter.
Das Arbeitsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich die Feststellung des Arbeitsgerichts auf den Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 und das Gehaltsrahmenabkommen für denselben Bereich vom 19. Februar 1975 bezieht.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt den tariflichen Bestimmungen für Angestellte im Sinne des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1980 (MTV) und des Gehaltsrahmenabkommens für denselben Bereich vom 19. Februar 1975 (GRA). Denn der Kläger ist Angestellter im Sinne dieser Tarifverträge.
Die Klage ist zulässig. Das für den Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse, das auch noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BAG Urteil vom 2. April 1958 - 4 AZR 486/55 -, AP Nr. 5 zu § 549 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl. 1985, § 256 Anm. 1 B), liegt vor. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien den angeführten tariflichen Bestimmungen unterliegt. Durch die Klärung der Frage, ob diese Tarifvorschriften auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung finden, wird eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien endgültig entzogen. Der Feststellungsantrag führt zu einer grundsätzlichen Klärung der tariflichen Rechte und Pflichten beider Parteien. Beide Parteien wissen nach der rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits, welche tariflichen Bestimmungen sie ihrem Arbeitsverhältnis - auch künftig - zugrunde zu legen haben. Das genügt zur Annahme eines rechtlichen Interesses (BAG 35, 239, 244 = AP Nr. 24 zu § 59 HGB).
Hierbei ist es unschädlich, daß bei einem der Klage stattgebenden Urteil nicht alle Streitfragen zwischen den Parteien beseitigt sind, z. B. die zutreffende Eingruppierung des Klägers nach dem GRA. Denn es reicht aus, daß mit der Klärung des rechtlichen Status des Klägers für eine Vielzahl von Einzelfragen feststeht, von welchen tariflichen Bestimmungen auszugehen ist, die für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich geregelt sind, z. B. für den Begriff der Mehrarbeit (§ 4 MTV), für die Berechnung von Zuschlägen für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie für die Vergütung von Dienstreisen (§ 5 MTV), für die Berechnung der Urlaubsvergütung (§ 12 MTV), für die Berechnung des Arbeitsverdienstes (§ 15 MTV) und für die Kündigungsfristen (§§ 6, 13 MTV). Auch für die Eingruppierung wird durch die rechtskräftige Entscheidung über den Klageantrag eine Vorfrage zwischen den Parteien endgültig geklärt, nämlich ob die Eingruppierungsbestimmungen des Lohnrahmenabkommens (LRA) oder des Gehaltsrahmenabkommens (GRA) zugrunde zu legen sind.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die tariflichen Vorschriften für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Der Kläger wird vom Geltungsbereich des MTV und des GRA erfaßt. Er ist Angestellter im Sinne dieser Tarifverträge. Beide Tarifverträge regeln zwar nicht ausdrücklich, was sie unter dem Begriff eines Angestellten verstehen. Aus dem für die Tarifauslegung maßgebenden Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen (BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) folgt jedoch, daß die Tarifvertragsparteien alle Untersuchungstätigkeiten in Laboratorien als Angestelltentätigkeit ansehen. So ist Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe T 2 (Tätigkeitsbeispiel 125) das "Durchführen einfacher Materialprüfungen nach festgelegtem Verfahren", Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe T 3 (Tätigkeitsbeispiel 139) das "Fachkundige Ausführen von Untersuchungen und Messungen nach bekannten Verfahren in Laboratorien", Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe T 4 (Tätigkeitsbeispiel 157) das "Ausführen von Untersuchungen analytischer, synthetischer oder messender Art bei komplizierter Handhabung der Apparatur", Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe T 5 (Tätigkeitsbeispiel 182) das "Durchführen von schwierigen Untersuchungen oder Entwicklungsarbeiten in Laboratorien", Tätigkeitsmerkmal der Gehaltsgruppe T 6 (Tätigkeitsbeispiel 204) das "Durchführen schwieriger, umfassender oder neuartiger Prüfungen und Versuche" sowie (Tätigkeitsbeispiel 206) das "Überwachen einer Arbeitsgruppe in der Werkstoffprüfung". Damit erfassen die Tätigkeitsbeispiele des GRA alle Materialprüfungen in Laboratorien, beginnend mit der einfachen Prüfung nach festgelegtem Verfahren (Gehaltsgruppe T 2) und endend mit der Durchführung schwieriger, umfassender oder neuartiger Versuche (Gehaltsgruppe T 6). Für Arbeitertätigkeiten bei der Durchführung von Materialprüfungen in Laboratorien bleibt danach kein Raum.
Hätten die Tarifvertragsparteien Untersuchungstätigkeiten in Laboratorien nicht stets als Angestelltentätigkeit im tariflichen Sinne angesehen, sondern solche Tätigkeiten auch - gegebenenfalls unter bestimmten Voraussetzungen - in den Geltungsbereich des LRA und der Vorschriften des MTV für Arbeiter einbeziehen wollen, hätten sie dies entweder durch einen entsprechenden Zusatz bei den Tätigkeitsbeispielen des GRA ("soweit nicht als Arbeiter eingruppiert") oder durch einschlägige Tätigkeitsbeispiele im LRA zum Ausdruck gebracht. Beides ist nicht geschehen.
Wenn die Beklagte meint, der Kläger erfülle das Tätigkeitsmerkmal der Lohngruppe 8 LRA (Arbeiten schwieriger Art, deren Ausführung Fertigkeiten und Kenntnisse erfordert, die über jene der Gruppe 7 wegen der notwendigen mehrjährigen Erfahrung hinausgehen) und der Lohngruppe 7 (Arbeiten, deren Ausführung ein Können voraussetzt, das erreicht wird durch eine entsprechende ordnungsgemäße Berufslehre (Facharbeiten); Arbeiten, deren Ausführung Fertigkeiten und Kenntnisse erfordert, die Facharbeiten gleichzusetzen sind), so wird damit die Durchführung von Materialprüfungen in Laboratorien nicht erfaßt. Insoweit handelt es sich nicht um die Beschreibung einer konkreten Tätigkeit (Tätigkeitsbeispiel), sondern um allgemeine (abstrakte) Tätigkeitsmerkmale, die erst dann zu prüfen sind, wenn feststeht, daß der entsprechende Arbeitnehmer als Arbeiter zu qualifizieren ist. Das ist im vorliegenden Fall jedoch aufgrund der Bestimmungen des GRA zu verneinen.
Da der Kläger mit seiner Tätigkeit als Werkstoffprüfer im Labor der Beklagten nach dem Willen der Tarifvertragsparteien als Angestellter im tariflichen Sinne anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob er im Sinne einer allgemeinen Verkehrsanschauung Angestellter ist, ob er bei der Rentenversicherung für Arbeiter oder Angestellte versicherungspflichtig ist, ob und inwiefern seine Tätigkeit gedanklich-geistige Anforderungen stellt oder wie der Gesetzgeber bestimmte Berufsbilder ausgestaltet hat. Deshalb ist es auch unerheblich, ob die Tätigkeit des Klägers dem Berufsbild eines Chemielaborfachwerkers entspricht, wie die Beklagte meint. Abgesehen davon ist der von der Beklagten gezogene Vergleich der Tätigkeit des Klägers mit der Tätigkeit eines Chemielaborfachwerkers nicht überzeugend. Denn einerseits handelt es sich bei der Tätigkeit eines Chemielaborfachwerkers um eine qualifizierte Berufstätigkeit, die in erster Linie in Produktionsbetrieben der chemischen Industrie ausgeübt wird (vgl. Blätter zur Berufskunde, Band 1-IV C 101, S. 1), während der Kläger in einem Betrieb der Metallindustrie tätig ist; andererseits übt der Kläger als Werkstoffprüfer eine Spezialtätigkeit aus, die mit den anders gearteten Tätigkeiten eines Chemielaborfachwerkers nach dessen gesamtem Berufsbild (Arbeitsgebiet sowie Fertigkeiten und Kenntnisse) nur entfernte Ähnlichkeiten aufweist.
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Weller Dr. Etzel
Polcyn Brocksiepe
Fundstellen