Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS und falscher Beantwortung der Frage nach einer solchen Tätigkeit
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 14. August 1996 – 4 Sa 138/95 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 11. Juli 1953 geborene Kläger (verheiratet, eine Tochter) schrieb und unterzeichnete am 18. Dezember 1972 während seines Grundwehrdienstes in der Nationalen Volksarmee an der Grenze zu Niedersachsen eine Erklärung, in der er sich verpflichtete, das Ministerium für Staatssicherheit (im folgenden MfS) in der Abwehrarbeit zu unterstützen, ihm alle Mängel, Mißstände, negative Erscheinungen, die ihm bekannt würden, mitzuteilen und die angefertigten Berichte aus Sicherheitsgründen mit dem Namen „Klaus M.” zu unterzeichnen. Vom 18. Dezember 1972 bis 22. April 1974 wurde der Kläger vom MfS als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) geführt. Er erstellte 14 handschriftliche Berichte, die er mit seinem Decknamen unterzeichnete, in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes befinden sich darüber hinaus neun Treffberichte des Führungsoffiziers sowie drei Berichte des Führungsoffiziers nach Informationen des Klägers.
Die handschriftlichen Berichte des Klägers enthielten u.a. folgende Ausführungen:
- „Bericht vom 27.06.1973 Bisher konnte ich folgende Verstöße sowie Mängel und Mißstände im GD feststellen:
- Alkoholgenuß im … Alkohol wurde über Küchenfrau … besorgt.
- Schlafen auf Posten. Besonders Postenbereich … Schwerpunkt Gefr.
- Unterhaltung mit Mädchen … Posten im Haus … bezieht Alkohol über Mädchen, meist Bier.
Bericht vom 26.07.1973
Soldat … kam am 19.07. aus dem Urlaub zurück und erzählte mir im Grenzdienst, …, daß er in der BRD eine Tante hat, die unmittelbar ca. 10 bis 15 km gegenüber von … wohnt. Er brachte zum Ausdruck, so eine geringe Entfernung und doch unerreichbar.
Berichte vom 09.10.1973
Mir wurde bekannt durch eigene Beobachtung, daß die Kontrollstreifen nicht entsprechend ihres Befehls durchgeführt wurden. So z.B. am 28.08.73 war der … mit Soldat … eingesetzt, hielt sich aber ungefähr von 21.00 Uhr bis gegen 24.00 Uhr in der Gaststätte … auf …. Es wurde in der Gaststätte Alkohol getrunken.
Bericht vom 13.11.73
… Ich hörte ein Gespräch zwischen Gefr. … und Soldat … mit folgendem Inhalt drehte sich um und unterhielt sich mit einem anderen Sold., den ich nicht erkennen konnte. Ich konnte aus diesem Gespräch nur die Worte entnehmen „schließlich ist ja noch die Elbe in der Nähe”.
Bericht vom 25.02.74
… Bei Aussprachen in Versammlungen spricht er betont pol. positiv und vermittelt anderen einen gefestigten Klassenstandpunkt, im Kollektiv dagegen verherrlicht er westliche Lebensweisen wie Schlagermusik und Unterhaltungssendungen des Westfernsehens.”
Nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem aktiven Wehrdienst sah das MfS keine Perspektive mehr für eine weitere inoffizielle Nutzung. Mit Beschluß vom 22.04.1974 wurde der IM-Vorgang eingestellt.
Nach Abschluß seines Studiums war der Kläger zunächst auf Vorschlag der Parteileitung der Universität Greifswald Oberreferent in der politischen Grundsatzabteilung des Außenministeriums der ehemaligen DDR. Seit dem 1. September 1979 war er im Hochschuldienst, zunächst an der pädagogischen Hochschule „K.” in … und anschließend beim beklagten Land an der Universität als … wissenschaftlicher Oberassistent mit einer Bezahlung nach VergGr. I b BAT-O tätig.
Im Jahre 1991 gab der Kläger in dem ihm vom beklagten Land vorgelegten Personalfragebogen u.a. an, er sei nicht für das MfS tätig gewesen und habe auch keine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben. Mit Schreiben vom 18. April 1994 wurde der Kläger der Dauerstelle der Professur Sportmotorik/Sportpsychologie II zugeordnet. Im Juli 1995 erhielt das beklagte Land den Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR über die oben aufgezeigten Tätigkeiten des Klägers für das MfS während seines Grundwehrdienstes.
Am 10. August 1995 fand eine Beratung der Personalkommission für das wissenschaftliche, künstlerische und sonstige Personal der Universität statt, bei der der Kläger angehört wurde. Als der Kläger über den Bericht des Bundesbeauftragten informiert und gefragt wurde, ob er sich an Kontakte zum MfS erinnern könne, erklärte er, „mit seinem heutigen Wissen um das MfS würde er seine Tätigkeit im Außenministerium so einordnen”. Auf die Frage, ob er im Außenministerium Berichte geschrieben bzw. Erklärungen unterschrieben habe, antwortete der Kläger, bei Arbeitsaufnahme im Ministerium habe er viele Erklärungen abgeben müssen, einschließlich Vertraulichkeitserklärungen. Während seiner Armeezeit habe er keine Kontakte zum MfS gehabt oder Informationen übergeben, es habe lediglich Gespräche mit einem Politoffizier gegeben, aber auch an diesen habe er keine konkreten Informationen übermittelt. Das erste Gespräch mit dem Politoffizier habe stattgefunden, nachdem er von einer Kontrolle beim Schlafen auf dem Posten überführt worden sei. Der Politoffizier sei für ihn eine Vertrauensperson gewesen, die ihn politisch beeinflußt habe. An Berichte und den Decknamen könne er sich nicht erinnern.
Mit Schreiben vom 4. September 1995 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. März 1996 wegen dessen Tätigkeit für das MfS und wahrheitswidriger Ausfüllung des Personalfragebogens. Die Parteien streiten nur noch über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung. Aufgrund des erstinstanzlichen Urteils steht rechtskräftig fest, daß die Kündigung des beklagten Landes das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht fristlos beendet hat und das beklagte Land den Kläger bis 31. März 1996 weiterzubeschäftigen hatte.
Der Kläger hält auch die ordentliche Kündigung für rechtsunwirksam. Er hat geltend gemacht, der gesamte Kontakt mit dem MfS habe ausschließlich im Dienstbereich der Grenztruppen stattgefunden. Aus seiner Verpflichtungserklärung könne deshalb nicht zwingend auf seine finale informelle Mitarbeit für das MfS geschlossen werden. Es sei ihm im Grunde auch überhaupt nicht klar gewesen, welche Aufgaben und Funktionen das MfS in der DDR gehabt habe. Anfang der 70er Jahre habe das MfS überhaupt keine bedrohliche Instanz dargestellt. Nach Ableistung seines Wehrdienstes habe er eine weitere inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS kategorisch abgelehnt, dies habe er auch den Führungsoffizieren mitgeteilt.
Er habe auch die Fragen im Fragebogen nicht falsch beantwortet, zumindest sei dies nicht vorsätzlich geschehen. An die kurze Zeit seiner IM-Tätigkeit und die Abgabe der Verpflichtungserklärung habe er nach der langen Zeit keine Erinnerung mehr gehabt. Er habe beides verdrängt. Dies sei im Hinblick auf die besonders schlimme Situation an der Grenze nachvollziehbar und glaubhaft. Zumindest könne keine grobe Unehrlichkeit mit der Folge seiner fehlenden Eignung angenommen werden. Eine zwingende Verpflichtung, ohne Ausnahme belastende MfS-Sachverhalte zu offenbaren, sei auch verfassungsrechtlich bedenklich.
Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz von Belang – beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 4. September 1995 aufgelöst worden ist und
das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits auch über den 31. März 1996 hinaus zu den bisherigen Bedingungen als wissenschaftlichen Oberassistenten am Institut für Sportwissenschaften weiterzubeschäftigen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, der Kläger sei für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst nicht geeignet. Dies folge schon allein aus der Falschbeantwortung des Fragebogens. Von besonderer Bedeutung sei dabei auch der herausgehobene Dienstposten des Klägers als Hochschuldozent. Die Erklärung des Klägers, er habe keine Erinnerung an seine IM-Tätigkeit, sei eine bloße Schutzbehauptung.
Auch die Tätigkeit des Klägers als IM rechtfertige die ordentliche Kündigung. Sie weise nicht nur eine erhebliche Intensität auf, der Kläger habe auch Kameraden konkret geschädigt. Nach Einschätzung seines Führungsoffiziers habe er „einen hohen Anteil an der Verhinderung einer Fahnenflucht” gehabt.
Das Arbeitsgericht hat die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage und den entsprechenden Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger die oben angeführten Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei nicht sozial ungerechtfertigt. Zwar rechtfertige die Tätigkeit des Klägers für das MfS allein keine ordentliche Kündigung. Sie liege lange zurück, der Kläger sei damals noch sehr jung gewesen und habe während seines Wehrdienstes in einer ihn stark belastenden Ausnahmesituation gestanden.
Die ordentliche Kündigung sei aber wegen bewußt falscher Angaben des Klägers im Personalfragebogen sozial gerechtfertigt. Das beklagte Land habe zulässigerweise nach der Tätigkeit für das MfS und der Abgabe einer Verpflichtungserklärung gefragt. Diese Fragen habe der Kläger bewußt falsch beantwortet. Dies stelle einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar. Der Kläger habe das Vertrauen des beklagten Landes grob mißbraucht und damit das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört. Selbst 1995 habe er der Personalkommission gegenüber seine Tätigkeit für das MfS während seines Wehrdienstes noch geleugnet. Die Personalkommission sei deshalb zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß der Kläger keine Bereitschaft zur Aufarbeitung des Sachverhaltes gezeigt habe. Daß sich das Verschweigen des Klägers auch in Zukunft auf das Arbeitsverhältnis belastend auswirke, werde zusätzlich dadurch belegt, daß der Kläger bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren an seinem nicht glaubhaften Sachvortrag festgehalten habe, ihm seien damals die Aufgaben und die Funktion des MfS nicht klar gewesen.
II. Dem folgt der Senat zumindest im Ergebnis. Die Klage ist – auch mit dem Weiterbeschäftigungsantrag – unbegründet, denn die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. des BAG, vgl. z.B. Urteil vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und Urteil vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – BAGE 67, 75, 79 = AP Nr. 25, a.a.O., zu II 1 der Gründe). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil im Ergebnis stand.
2. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Kündigung sei als verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt, weil der Kläger die Fragen nach seiner MfS-Tätigkeit und der Verpflichtungserklärung bewußt falsch beantwortet habe, rügt die Revision allerdings zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe bei der Prüfung des § 1 Abs. 2 KSchG nicht alle Umstände zutreffend gewürdigt.
a) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht zunächst angenommen, daß das beklagte Land den Kläger nach einer früheren Tätigkeit für das MfS und der Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS fragen durfte und die entsprechenden Fragen von diesem grundsätzlich wahrheitsgemäß beantwortet werden mußten (vgl. Senatsurteile vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; so auch BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 –). Das beklagte Land konnte die aus dem öffentlichen Dienst der Deutschen Demokratischen Republik übernommenen Arbeitnehmer vor der Übernahme nicht der sonst üblichen Einstellungsüberprüfung unterziehen, hatte aber andererseits in verhältnismäßig kurzer Zeit eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung, die nunmehr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet war, zu schaffen. Die Eignungsüberprüfung konnte damit nur nachträglich erfolgen mit dem Ziel, ungeeigneten Arbeitnehmern zu kündigen, was für eine begrenzte Übergangszeit durch die Sonderkündigungsvorschriften des Einigungsvertrages erleichtert wurde. Der legitime Zweck der Eignungsüberprüfung rechtfertigte grundsätzlich die gestellten Fragen nach einer MfS-Tätigkeit und der Abgabe einer Verpflichtungserklärung und es war den übernommenen Arbeitnehmern auch regelmäßig zumutbar, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.
b) Auch die Tatsache, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS schon 1974 beendet war, stand der Zulässigkeit der gestellten Fragen nicht entgegen und verwehrte der Beklagten nicht, arbeitsrechtliche Konsequenzen aus einer unzutreffenden Beantwortung der Fragen zu ziehen. Zwar hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 –), der sich der Senat anschließt, der öffentliche Arbeitgeber bei der Ausübung seines Fragerechts zum Zweck einer nachträglichen Eignungsüberprüfung auch den Zeitfaktor zu berücksichtigen. Persönliche Haltungen können sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Lauf der Zeit ändern. Längere beanstandungsfreie Zeiträume können auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen. Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, können deshalb je nach dem Maß der Verstrickung des Betreffenden keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben. Den betroffenen Arbeitnehmern war es danach regelmäßig nicht zuzumuten, die zeitlich unbeschränkte Frage nach Tätigkeiten für das MfS in vollem Umfang wahrheitsgemäß zu beantworten, und sie durften vor dem Jahre 1970 abgeschlossene Vorgänge verschweigen (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997, a.a.O.).
Auch die Berücksichtigung des Zeitfaktors führt im vorliegenden Fall aber nicht zu einer Beschränkung des Fragerechts des beklagten Landes und einem Wegfall der Verpflichtung des Klägers zur wahrheitsgemäßen Antwort auf die gestellten Fragen. Die Tätigkeit des Klägers für das MfS war erst nach dem Jahre 1970 abgeschlossen. Das Berufungsgericht hat im übrigen bei der Prüfung der Zulässigkeit der Fragen des beklagten Landes den Zeitfaktor durchaus berücksichtigt und angenommen, bei länger zurückliegenden Vorgängen könne sich eine Einschränkung des Fragerechts ergeben, angesichts der Tätigkeit des Klägers im höheren Dienst im Hochschulbereich sei jedoch die Frage nach der 1974 beendeten MfS-Tätigkeit des Klägers zulässig gewesen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
c) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die bewußt wahrheitswidrige Beantwortung einer zulässigen Frage nach einer früheren Tätigkeit für das MfS je nach den Umständen geeignet sein kann, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen (Senatsurteile vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 und vom 13. März 1997 – 2 AZR 506/96 –, n.v.).
d) Die Revision rügt jedoch zu Recht, das Berufungsgericht habe bei der erforderlichen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände zutreffend gewürdigt. Die Entlastungsmomente, die das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung der Tätigkeit des Klägers für das MfS geprüft hat, waren auch zu berücksichtigen, soweit es um die Frage ging, ob die Falschbeantwortung der Frage nach dieser Tätigkeit eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen kann.
aa) Auch im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, ob die durch den öffentlichen Arbeitgeber gestellte Frage nach einer Tätigkeit für das MfS einen lange zurückliegenden Vorgang betrifft, der für die Eignungsüberprüfung nur noch eine äußerst geringe Bedeutung haben kann. Bei der erforderlichen einzelfallbezogenen Würdigung der Belastung des Arbeitnehmers durch eine wahrheitswidrige Antwort auf eine zulässige Frage ist zu berücksichtigen, daß derartige Umstände wie die Tätigkeit für das MfS umso weniger als Indiz für eine mangelnde Eignung taugen, je länger sie zurückliegen. Auch bei einer Tätigkeit für das MfS, die erst nach dem Jahre 1970 abgeschlossen worden ist, kann deshalb die Falschbeantwortung der entsprechenden Frage durch den Arbeitnehmer an Kündigungsrelevanz verlieren. Auch das Verschweigen einer Tätigkeit für das MfS, die erst kurz nach 1970 abgeschlossen worden ist, kann damit je nach den Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung möglicherweise nicht mehr rechtfertigen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Tätigkeit für das MfS noch vor dem 31. Dezember 1975 beendet worden ist, also nach § 19 Abs. 1 Satz 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in der Fassung des 3. Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I, S. 2026) heute nicht einmal mehr zur Mitteilung über den Inhalt von Akten des MfS berechtigen würde. Es trifft zwar zu, daß die Neufassung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Diese Vorschrift belegt jedoch ebenso wie die strafrechtlichen Verjährungsfristen und die Tilgungsvorschriften der Strafregisterbestimmungen, daß auch die Rechtsordnung dem Zeitablauf Rechnung trägt und davon ausgeht, daß ein Fehlverhalten nach einem längeren Zeitablauf ganz erheblich an Bedeutung verliert.
Das Berufungsgericht hat diesen Gesichtspunkt nicht hinreichend berücksichtigt, wenn es allein die Zulässigkeit der Fragen des beklagten Landes geprüft und dann ohne Eingehen auf das Zeitmoment nur noch erörtert hat, die damals geplante Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes könne im Rahmen der Interessenabwägung keine Bedeutung erlangen.
bb) Ebenfalls durfte, wie die Revision zu Recht rügt, der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS sich während seines Wehrdienstes abgespielt hat. Während der Ableistung des Wehrdienstes bei einer kasernierten Truppeneinheit waren die Einflußmöglichkeiten der Staatsorgane und damit auch des MfS größer, als etwa in einem Fall, in dem ein Arbeitnehmer durch ein betriebsfremdes MfS-Mitglied an seinem Arbeitsplatz angeworben wurde. So ist auch im vorliegenden Fall die Anwerbung des Klägers bei der Truppeneinheit durch einen Politoffizier erfolgt und auch die Treffen haben ganz überwiegend in einem für derartige Treffs vorgesehenen Dienstzimmer bei der Truppeneinheit stattgefunden. Diese Verquickung zwischen Dienstbetrieb und Geheimdiensttätigkeit durfte als Entlastungsmoment für den Kläger nicht unberücksichtigt bleiben, denn die Tatsache, daß sich die Tätigkeit für das MfS in einem derartigen besonderen Gewaltverhältnis abgespielt hat, ist möglicherweise geeignet, deren Gewicht und entsprechend das Gewicht einer Falschbeantwortung der Frage nach dieser Tätigkeit abzuschwächen.
cc) Schließlich rügt die Revision zu Recht, daß das Berufungsgericht bei der Interessenabwägung auch nicht hinreichend berücksichtigt hat, daß der Kläger bei Abschluß der Tätigkeit für das MfS erst 20 Jahre (nicht, wovon das Landesarbeitsgericht in anderem Zusammenhang ausgeht, 21 Jahre) alt war. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß Verhaltensweisen eines derart jungen Menschen je nach den Umständen wenig geeignet sind als ein Element, aus dem man einen hinreichend sicheren Schluß auf die Persönlichkeit des Betreffenden ziehen kann (vgl. BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG). Die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes bestätigen, daß die Rechtsordnung „Jugendsünden” als eher verzeihlich ansieht als die Straftat eines erwachsenen Menschen. Dabei kommt es nicht darauf an, daß der Kläger bei Abschluß der Tätigkeit für das MfS nach dem Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968 (GBl. I Nr. 1/1968, §§ 65, 79) nicht wie im Jugendgerichtsgesetz als Heranwachsender, sondern als voll strafmündig behandelt wurde. Jedenfalls erscheint, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgeht, die Tätigkeit des Klägers für das MfS aufgrund seines damals noch jugendlichen Alters in einem milderen Licht. Dies muß sich dann aber auch auf die Beurteilung seines späteren Verhaltens bei der Beantwortung der Fragen nach einer derartigen MfS-Tätigkeit auswirken.
3. Die Revision ist jedoch zurückzuweisen, weil sich das Berufungsurteil im Ergebnis als inhaltlich richtig erweist (§ 563 ZPO). Auch wenn man die oben aufgezeigten Entlastungsmomente zugunsten des Klägers mitberücksichtigt, ist die ordentliche Kündigung des beklagten Landes nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt. Dies kann der Senat abschließend entscheiden, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt festgestellt ist und eine weitere Sachaufklärung nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten ist.
a) Die Tätigkeit des Klägers für das MfS hat das Landesarbeitsgericht zwar – für sich betrachtet – nicht als ausreichend angesehen, eine Verhaltens- bzw. personenbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Aufgrund des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts ist jedoch, und dies muß sich auf die Beurteilung einer Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit auswirken, davon auszugehen, daß das Maß der Verstrickung des Klägers beachtlich war. Der Kläger hat nicht nur im mehr oder weniger dienstlichen Bereich einige Informationen an das MfS weitergegeben, er hat vielmehr in zahlreichen Fällen über einen längeren Zeitraum personenbezogene Daten preisgegeben, die geeignet waren, den Betroffenen erheblich zu schaden. Der Kläger hat auch nach Beendigung seines Wehrdienstes, wie sich aus seinen eigenen Einlassungen vor der Personalkommission ergibt, nicht von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS grundsätzlich Abstand genommen, sondern war, ungeachtet dessen, was er bei Schließung der MfS-Akte seinem Führungsoffizier gesagt haben mag, nach seinem Studium in einem politisch sensiblen Bereich in der politischen Grundsatzabteilung des Außenministeriums der früheren DDR tätig, was zumindest nach seiner heutigen Einschätzung wiederum mit Kontakten mit dem MfS verbunden war.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgericht hat der Kläger die berechtigte Frage des beklagten Landes nach dieser – insgesamt als gewichtig anzusehenden – Tätigkeit für das MfS mehrfach und damit über einen längeren Zeitraum beharrlich falsch beantwortet. Zu Unrecht rügt die Revision in diesem Zusammenhang, der Kläger habe nicht vorsätzlich gehandelt, weil er sich an die entsprechenden Vorgänge nicht erinnert habe. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts in diesem Punkt lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere war das Landesarbeitsgericht nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Von der Möglichkeit, daß entsprechende Erlebnisse verdrängt werden bzw. der Betroffene sich nicht mehr an sie erinnert, ist das Berufungsgericht ausgegangen, ohne daß dazu die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen wäre. Die einzelfallbezogene Würdigung, beim Kläger sei aufgrund der Gesamtumstände eine solche Möglichkeit auszuschließen und das entsprechende Vorbringen des Klägers enthalte eine reine Schutzbehauptung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
c) Nach den Gesamtumständen spricht schon alles dafür, daß die Kündigung als personenbedingte Kündigung wegen mangelnder Eignung des Klägers nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Das Berufungsgericht hat zwar – von seinem Standpunkt her konsequent – die Prüfung unterlassen, ob die Falschbeantwortung der Fragen nach der MfS-Tätigkeit einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellt. In der Sache hat es aber die entscheidenden Gesichtspunkte aufgezeigt und angenommen, daß angesichts des Gesamtverhaltens des Klägers das vom beklagten Land zu Recht geforderte Vertrauen in die besondere Ehrlichkeit eines wissenschaftlichen Oberassistenten so schwer und dauerhaft erschüttert war, daß das Interesse des beklagten Landes an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwog. Bei einem Arbeitnehmer in der herausgehobenen Stellung des Klägers als Hochschullehrer kann schon eine frühere Tätigkeit für das MfS zu einem weitreichenden Ansehensverlust führen, der auch geeignet ist, den Ruf der Hochschule zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – NJW 1997, 2305). Umso mehr spricht es für eine mangelnde Eignung, wenn der Betreffende, wie dies der Kläger getan hat, auch noch im Jahre 1995 auf seinen falschen Angaben zur MfS-Tätigkeit beharrt und durch sein Gesamtverhalten vor der Personalkommission bis hin in den vorliegenden Prozeß offenbart, daß er nicht zu einer ehrlichen Aufarbeitung seiner Vergangenheit bereit oder in der Lage ist.
d) Jedenfalls stellt die beharrliche Falschbeantwortung der Fragen nach seiner MfS-Tätigkeit durch den Kläger einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG dar. Der Kläger hat, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, durch seine falschen Angaben vor der Personalkommission gegenüber dem beklagten Land einen Vertrauensbruch zu einem Zeitpunkt begangen, zu dem unzweifelhaft von einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an einer wahrheitsgemäßen Beantwortung seiner Fragen auszugehen war, und dadurch das für eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört. Auch wenn man die oben aufgezeigten entlastenden Momente (lange zurückliegende Tätigkeit, jugendliches Alter und besonderes Gewaltverhältnis) berücksichtigt, was das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang durchaus getan hat, überwiegt insoweit das Interesse des beklagten Landes an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
e) Es kommt damit nicht mehr darauf an, daß sich das Berufungsurteil erst recht im Ergebnis als richtig und die Kündigung als nicht sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG erweist, wenn man sowohl die Tätigkeit des Klägers für das MfS, als auch seine beharrlich falsche Beantwortung der entsprechenden Fragen des beklagten Landes zusammengenommen berücksichtigt.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Piper, Engelmann
Fundstellen