Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 1, 3, § 9; ZPO § 145 Abs. 1, § 300; MTV für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 5. Mai 1990 §§ 11-12
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 12.10.1992; Aktenzeichen 11 Sa 597/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 28.01.1992; Aktenzeichen 16 Ca 6682/91) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Oktober 1992 – 11 Sa 597/92 – wird zurückgewiesen, soweit das Landesarbeitsgericht über den Anspruch auf Krankenvergütung in Höhe von 209,37 DM brutto nebst Zinsen entschieden hat.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine dem Kläger gewährte Notdienstpauschale in die Berechnung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Berechnung des Urlaubsentgelts einzubeziehen ist.
Die Beklagte hat ihren Unternehmenssitz in N.. Sie betreibt in K. eine Niederlassung. Dort ist der Kläger als Aufzugsmonteur beschäftigt. Er erhält einen festen monatlichen Bruttolohn nebst Zulagen. Die Beklagte wendet in ihrem Unternehmen – auch in ihrer Niederlassung in K. – den Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 5. Mai 1990 an. Der Manteltarifvertrag enthält auszugsweise folgende beiden Regelungen:
„§ 11
Lohn- und Gehaltszahlung
11.1 Der Abrechnungszeitraum für Lohn und Gehalt ist jeweils der Kalendermonat.
11.2 …
11.3 Monatslohn
Die Arbeiter erhalten einen Monatslohn, der sich aus festen und variablen Bestandteilen zusammensetzt.
…
11.3.1 Feste Bestandteile des Monatslohns
Zu den festen Bestandteilen des Monatslohns gehören der Monatsgrundlohn und alle Zulagen und Zuschläge, die regelmäßig in gleicher Höhe anfallen.
11.3.2 Variable Bestandteile des Monatslohns
Variable Bestandteile des Monatslohns können sein:
- leistungsabhängige Bestandteile
- zeitabhängige Bestandteile
- sonstige Bestandteile
11.3.2.1 Die leistungsabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohns (z.B. Akkordmehrverdienst oder Prämie) sind als Prozentsatz zum Monatsgrundlohn
aus dem Vormonat,
oder
- aus dem Durchschnitt der letzten abgerechneten 2 oder 3 Monate zu berechnen.
…
11.3.2.2 Zu den zeitabhängigen variablen Bestandteilen des Monatslohns gehören die Vergütungen für Mehr-, Nacht-, Spät-, Sonn- und Feiertagsarbeit und für Reisezeit, soweit sie nicht regelmäßig anfallen.
§ 12
Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit
…
12.3 In Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundender Krankheit … ist für Arbeiter bis zur Dauer von 6 Wochen für Angestellte bis zur Dauer von 1 1/2 Monaten Lohn- bzw. Gehaltsfortzahlung zu leisten.
Der Anspruch besteht nur, soweit nicht ein anderer Kostenträger Zahlung leistet.
12.3.1 Für die Dauer der Lohn- bzw. Gehaltsfortzahlung werden die festen und leistungsabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohns (§ 11.3)/Gehalts weitergezahlt.
12.3.2 Zusätzlich erhalten die Beschäftigten die zeitabhängigen variablen Bestandteile ihres Monatslohnes/Gehaltes der letzten abgerechneten drei Monate vor Beginn der Krankheit einschließlich der Mehrarbeitsvergütung und aller laufend gewährten Zulagen und Zuschläge, soweit diese nicht in den festen Bestandteilen des Monatslohns enthalten sind, jedoch ohne Auslösungen und ähnliche Zahlungen (z.B. Reisespesen, Trennungsentschädigungen), Krankenlohn, Krankengeldzuschüsse, Urlaubsvergütung, die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers sowie einmalige Zuwendungen. Dieser Betrag wird bei der Berechnung für einen Krankheitstag durch die Anzahl der in diesem Zeitraum bezahlten Tage ohne Krankheits- und Urlaubstage geteilt.
…”
Das von der Beklagten angewandte Urlaubsabkommen für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 22. Dezember 1987 enthält in § 4.2.1 und § 4.2.2 dem § 12.3.1 und dem § 12.3.2 des Manteltarifvertrages wortgleich entsprechende Regelungen für die Berechnung des Urlaubsentgelts.
Bei der Beklagten besteht eine vom 11. Dezember 1987 datierende Betriebsvereinbarung über den Einsatz von Monteuren für den Notdienst außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit. Hiernach werden die Monteure aufgrund eines jeweils für sechs Monate im voraus zu erstellenden Notdienstplanes für wöchentliche Notdienste eingeteilt, die neben der regelmäßigen Arbeitszeit zu übernehmen sind. Während des Notdienstes muß der Monteur jederzeit erreichbar sein und das ihm übergebene Eurofunkgerät ständig abhörbereit halten. Unabhängig von den tatsächlichen Arbeitseinsätzen bei einem Notdienst erhalten die Monteure für die Bereitschaft, an den Notdiensttagen ständig zur Verfügung zu stehen, je Notdienstwoche gegenwärtig eine Pauschale von 272,– DM.
Zwischen Oktober 1990 und Januar 1991 war der Kläger zeitweise krank und hatte auch Urlaub. Soweit planmäßige Notdienstzeiten für ihn vorgesehen waren, lagen diese außerhalb der Krankheits- und Urlaubszeiten. Während der Krankheitszeiten und während des Urlaubs zahlte die Beklagte dem Kläger den Lohn fort, berücksichtigte dabei aber nicht die vom Kläger zuvor in den letzten abgerechneten drei Monaten verdienten Notdienstpauschalen. Wäre dies gemäß § 12.3.2 MTV geschehen, hätte der Kläger 209,37 DM mehr an Lohnfortzahlung und 209,38 DM mehr an Urlaubsentgelt erhalten. Diese Beträge verlangt der Kläger mit seiner Klage.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Notdienstpauschalen gehörten zu den zeitabhängigen variablen Bestandteilen des Monatslohnes im Sinne des Manteltarifvertrages und des Urlaubsabkommens. Es handele sich bei den Pauschalen um ein Entgelt für eine Leistung des Arbeitnehmers, nämlich sich ständig in Bereitschaft für einen Einsatz zu halten. Daher müßten die Notdienstpauschalen gemäß § 12.3.2 MTV bei der Lohnfortzahlung und beim Urlaubsentgelt einbezogen werden.
Demgemäß hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 418,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Februar 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach dem Wortlaut des § 11.3.2.2 MTV seien nur die dort genannten Zahlungen zeitabhängige variable Bestandteile des Lohnes und deshalb fortzahlungspflichtig. Die Notdienstpauschale gehöre wegen der abschließenden Regelung der genannten Tarifvorschrift nicht dazu.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Soweit der Kläger weiteres Urlaubsentgelt verlangt, hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 145 Abs. 1 ZPO aus Gründen der Geschäftsverteilung abgetrennt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist hinsichtlich des Anspruchs auf Lohnfortzahlung nicht begründet. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß die Notdienstpauschale zu den Arbeitgeberleistungen gehört, die bei der Berechnung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mit zu berücksichtigen sind.
I.1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Für diesen Zeitraum ist dem Arbeiter das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 LFZG). Ausgenommen sind Auslösungen, Schmutzzulagen und ähnliche Leistungen, soweit der Anspruch auf sie im Falle der Arbeitsfähigkeit davon abhängig ist, ob und in welchem Umfang dem Arbeiter Aufwendungen, die durch diese Leistungen abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden sind, und dem Arbeiter solche Aufwendungen während der Arbeitsunfähigkeit nicht entstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 LFZG). Erhält der Arbeiter Akkordlohn oder eine sonstige auf das Ergebnis der Arbeit abgestellte Vergütung, so ist der von dem Arbeiter in der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit erzielbare Durchschnittsverdienst fortzuzahlen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 LFZG). Von diesen Bestimmungen kann, wie § 2 Abs. 3 Satz 1 LFZG bestimmt, durch Tarifvertrag abgewichen werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages kann zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle vereinbart werden (§ 2 Abs. 3 Satz 2 LFZG).
2. Die Beklagte wendet in ihrer Niederlassung in K. den Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden, gültig ab 1. April 1990, an. Dieser Manteltarifvertrag begrenzt in § 1 seinen räumlichen Geltungsbereich auf die Regierungsbezirke Nordwürttemberg/Nordbaden des Landes Baden-Württemberg nach dem Stand vom 31. Dezember 1969. Soweit in der Niederlassung K. der Beklagten der genannte Manteltarifvertrag angewandt wird, gilt er nicht als Manteltarifvertrag, sondern kraft Inbezugnahme oder als stillschweigend vereinbarte vertragliche Einheitsregelung als Bestandteil der jeweiligen Arbeitsverträge.
Der MTV regelt die Fragen der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in seinem § 12. § 12.3 MTV bestimmt, daß in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit für Arbeiter der Lohn bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen ist. Nach § 12.3.1 MTV werden für die Dauer der Lohnfortzahlung die festen und leistungsabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohns weitergezahlt. Was zu diesen Bestandteilen gehört, ist in § 11.3.1 und § 11.3.2.1 MTV geregelt. Für die zeitabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohnes besteht eine besondere Regelung in § 12.3.2 MTV. Hierzu gehören die Vergütungen für Mehr-, Nacht-, Spät-, Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 11.3.2.2 MTV). Soweit der Manteltarifvertrag für diese Leistungsbestandteile in § 12.3.2 MTV eine nach dem Referenzprinzip zu ermittelnde Berechnungsweise anordnet, steht die Gültigkeit einer solchen tarifvertraglichen Regelung im eigentlichen räumlichen Geltungsbereich außer Frage (§ 2 Abs. 3 Satz 1 LFZG). Soweit die Bestimmung des § 12.3.2 MTV kraft Inbezugnahme aber nur als vertragliche Regelung gilt, könnten sich Bedenken gegen die Wirksamkeit einstellen, weil die Parteien des Einzelvertrages außerhalb des Geltungsbereichs eines einschlägigen Tarifvertrages vom Lohnausfallprinzip nicht zuungunsten des Arbeiters abweichen dürfen, wie die Unabdingbarkeitsregelung des § 9 LFZG klarstellt. Diese Bedenken entfallen jedoch, nachdem die Parteien in der Berufungsinstanz übereinstimmend erklärt haben, daß die Lohnfortzahlung auf der Grundlage des Manteltarifvertrages auch dann günstiger als nach dem Lohnfortzahlungsgesetz ausfällt, wenn die hier streitige Rufdienstpauschale nicht in die Lohnfortzahlungsberechnung einfließt.
II. Nach § 12.3.2 MTV erhalten die Beschäftigten die zeitabhängigen variablen Bestandteile ihres Monatslohnes der letzten abgerechneten drei Monate vor Beginn der Krankheit einschließlich der Mehrarbeitsvergütung und aller laufend gewährten Zulagen und Zuschläge, soweit diese nicht in den festen Bestandteilen des Monatslohns enthalten sind. Dieser Betrag wird bei der Berechnung für einen Krankheitstag durch die Anzahl der in diesem Zeitraum bezahlten Tage ohne Krankheits- und Urlaubstage geteilt. Der Manteltarifvertrag kennt die Notdienstpauschale nicht, infolgedessen erwähnt die genannte Tarifbestimmung diese Arbeitgeberleistung auch nicht und trifft weiter keine ausdrückliche Regelung darüber, wie sie bei der Berechnung der Lohnfortzahlung zu behandeln ist. Andererseits zählt § 12.3.2 MTV neben den zeitabhängigen variablen Bestandteilen des Monatslohns noch „alle laufend gewährten Zulagen und Zuschläge” auf. Schon der weit gefaßte Wortlaut der Tarifbestimmung hindert nicht, die Notdienstpauschale in die Leistungen mit einzubeziehen, die im Krankheitsfall fortzuzahlen sind. Dies folgt weiter aber auch aus Sinn und Zweck der Tarifregelung. Diese will insbesondere die zeitabhängigen variablen Bestandteile des Monatslohnes als zusätzliche Elemente der Lohnfortzahlung erfassen. Die von § 11.3.2.2 MTV zu den zeitabhängigen variablen Bestandteilen des Monatslohns gezählten Vergütungen für Mehr-, Nacht-, Spät-, Sonn- und Feiertagsarbeit stellen eine Gegenleistung des Arbeitgebers dar für eine jeweils außerhalb der normalen Arbeitszeit liegende besondere Leistung des Arbeitnehmers. Den gleichen Charakter weist auch die Notdienstpauschale auf. Sie ist ebenfalls eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine außerhalb der normalen Arbeitszeit liegende besondere Leistung des Arbeitnehmers. Daher muß auch sie in die Berechnung des für den Krankheitsfall fortzuzahlenden Lohnes einfließen.
III. Nach der Trennung des Rechtsstreits war durch Endurteil (§ 300 ZPO) zu entscheiden (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 145 Rz 19). Demgemäß hat auch eine Kostenentscheidung nach § 92 ZPO zu ergehen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Dr. Müller, Arntzen
Fundstellen