Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung. Wirksamkeit eines Verzichts auf Betriebsrentenanwartschaften im laufenden Arbeitsverhältnis. Darlegungs- und Beweislastverteilung für ein über 20 Jahre zurückliegendes Mitbestimmungsverfahren. Prozeßrecht. Verwirkung
Orientierungssatz
- Ein im laufenden Arbeitsverhältnis erklärter Verzicht oder Teilverzicht verstößt nicht gegen das Abfindungsverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 aF iVm. § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG. § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF findet nur Anwendung auf Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden. Im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer auch auf in der Vergangenheit erdiente, verfallbare oder unverfallbare Anwartschaften wirksam verzichten.
- Erfolgte der Verzicht im Zusammenhang mit einer Veränderung der Verteilungsgrundsätze, so bedarf es zu seiner Wirksamkeit der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung).
- Das Recht, sich auf die Unwirksamkeit eines früheren Verzichts wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats zu berufen, kann verwirkt werden, wenn vertrauensbildende Umstandsmomente in Bezug auf die Ordnungsgemäßheit des Mitbestimmungsverfahrens vorliegen.
- Der Pensions-Sicherungs-Verein als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung in der betrieblichen Altersversorgung ist nicht Rechtsnachfolger des insolvent gewordenen Arbeitgebers. Es bleibt unentschieden, ob ihn schon allein deswegen die Darlegungs- und Beweislast für weit zurückliegende, in der Sphäre des Arbeitgebers liegende Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen Verzicht des Versorgungsgläubigers nicht trifft. Jedenfalls können im Einzelfall besondere Umstände dazu führen, daß der Versorgungsberechtigte die Umstände zu beweisen hat, die zur Unwirksamkeit des von ihm früher erklärten Verzichts führen.
Normenkette
BGB § 123 Abs. 1, § 124 Abs. 2; BetrAVG § 3 Abs. 1 S. 1 a.F., § 17 Abs. 3 S. 3; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Betriebsrentenanwartschaftsanspruchs, weil sie einen früher im Arbeitsverhältnis erklärten Verzicht auf die Hälfte ihres Anwartschaftsanspruchs für unwirksam hält.
Die am 24. Februar 1953 geborene Klägerin wurde am 1. August 1968 bei der Rechtsvorgängerin der späteren Gemeinschuldnerin (Arbeitgeberin) angestellt. Sie erhielt erstmals im Dezember 1971 eine Gesamtzusage über eine betriebliche Altersversorgung (VO 71), die zum 31. Dezember 1974 durch eine weitere Gesamtzusage abgelöst wurde (VO 74). Die vorliegend umstrittenen Berechnungselemente blieben in der neuen Versorgungsordnung unverändert.
Unter Verweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten wandte sich die Geschäftsleitung der Arbeitgeberin am 14. Oktober 1981 schriftlich an die Klägerin und alle übrigen Arbeitnehmer. Sie teilte mit, daß sich das Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen “nach eingehender Information des Betriebsrats und der für das Unternehmen zuständigen Gewerkschaft” gezwungen sehe, die Versorgungszusage “von Dezember 1971” in drei Abschnitten zu ändern. Waren bisher für die Höhe des rentenfähigen Arbeitsverdienstes bei Gehalts- wie bei Lohnempfängern die vereinbarten monatlichen Vergütungen maßgebend (Ziffer X VO 71 und Ziffern 10.1 bis 10.3 VO 74), so sollte künftig mit Ausnahme der Außendienstmitarbeiter nur noch das tarifliche Monatsentgelt für den rentenfähigen Arbeitsverdienst maßgeblich sein. Weiter sollte der jährliche Steigerungsbetrag von 0,8 % auf 0,4 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes halbiert werden. Schließlich hatte die Arbeitgeberin vorgesehen, die Versorgungsobergrenze von 20 % auf 10 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes herabzusetzen. Die übrigen Bestimmungen der Versorgungszusage sollten unverändert fortgelten.
Diesem Schreiben vom 14. Oktober 1981 war eine Erklärung für die Arbeitnehmer mit folgenden Wortlaut angefügt:
“Von der Änderung der Bemessungsgrundlage meiner Versorgungszusage vom Dezember 1971 sowie der Herabsetzung des prozentualen Steigerungssatzes von 0,8 % auf 0,4 % bzw. für den Fall einer Witwenrente von 0,5 % auf 0,2 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes habe ich Kenntnis genommen und stimme dieser Maßnahme zu.”
Die Klägerin unterschrieb diese vorbereitete Erklärung auf der vorgesehenen Unterschriftsleiste am 12. November 1981.
Gleichzeitig mit der Konkurseröffnung über das Vermögen der Arbeitgeberin am 31. August 1992 schied die Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis aus. Unter dem 5. April 1993 teilte der nunmehr einstandspflichtige beklagte Pensionssicherungsverein (PSV) der Klägerin die Höhe ihrer künftigen Versorgungsansprüche in Form eines “Anwartschaftsausweises” mit. Unter Berücksichtigung der neuen Versorgungsobergrenze von 10 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes gemäß der Vereinbarung 1981 berechnete der Beklagte den Betriebsrentenanwartschaftsanspruch der Klägerin auf 244,30 DM.
Unter dem 16. November 1999 bestätigte der ehemalige Betriebsratsvorsitzende der Arbeitgeberin, daß er durch den damaligen Personalchef “in die Arbeiten und Überlegungen zum Aufbau des Versorgungswerkes” voll miteinbezogen worden sei und daß der Betriebsrat “dem Versorgungswerk zugestimmt” habe. Angeregt durch Pressemeldungen machte die Klägerin erstmals unter dem 12. Mai 2000 gegenüber dem Beklagten die Unwirksamkeit ihres Verzichts von 1981 geltend und beanspruchte die Anerkennung einer doppelt so hohen Rentenanwartschaft (488,65 DM).
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Teilverzicht von 1981 sei unwirksam. Wie die anderen Arbeitnehmer sei auch sie mit der Drohung, andernfalls ihren Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen, zur Unterschrift genötigt worden. Zudem sei ihr Verzicht im Rahmen einer alle Betriebsangehörigen erfassenden Änderung der Versorgungszusage erfolgt, bei der nicht nur der Dotierungsrahmen, sondern auch die Verteilungsgrundsätze geändert worden seien. Dieser mitbestimmungspflichtigen Maßnahme habe der Betriebsrat nie zugestimmt. Deswegen sei ihre individuelle Verzichtserklärung unwirksam. Darüber hinaus habe sich diese nicht auf die Halbierung der Versorgungsobergrenze, sondern nur auf die Herabsetzung der Berechnungsgrundlage und des Steigerungssatzes bezogen. Da 1981 die Betriebsrentenanwartschaften der Klägerin bereits unverfallbar gewesen seien, könne ein etwaiger Verzicht sich nicht auf bis dahin entstandene Ansprüche auswirken. Auch Verwirkung könne ihr nicht entgegengehalten werden. Da sie bis heute noch nicht zum Bezug der Betriebsrente berechtigt sei, habe sie keinen Anlaß in der Vergangenheit gehabt, die Höhe ihrer Anwartschaft zu überprüfen. Dem vom Beklagten erstellten Anwartschaftsausweis sei nicht zu entnehmen, daß die Berechnung auf der Grundlage ihres Verzichts von 1981 durchgeführt worden sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, bei Eintritt des Versorgungsfalles mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres an sie 488,65 DM je Monat zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, ihr einen Anwartschaftsausweis entsprechend dem Antrag zu 1 auszustellen und zu übersenden.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach seiner Auffassung unterlag die Änderung des Jahres 1981 nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, da nur der Dotierungsrahmen geändert worden sei. Zudem habe der Betriebsrat zugestimmt. Die Klägerin sei nicht zum Verzicht genötigt worden. Jedenfalls habe die Klägerin aber das Recht, seine Unwirksamkeit geltend zu machen, verwirkt. Mit ihrer Verzichtserklärung habe sie selbst einen vertrauensbildenden Umstand gesetzt. Auch nach Übersendung des Anwartschaftsausweises habe die Klägerin nicht reagiert. Da er, der Beklagte, nicht Rechtsnachfolger der insolvent gewordenen Arbeitgeberin sei, könne die Klägerin ihm nicht eventuelles Fehlverhalten der früheren Arbeitgeberin entgegenhalten. Als frühere Arbeitnehmer könnten die Anwartschaftsberechtigten zudem nicht jahrelang mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche zuwarten, bis dem Beklagten als außenstehendem Dritten unüberwindbare Darlegungs- und Beweisprobleme entstanden seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten war erfolgreich. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung. Das Recht der Klägerin, sich auf die Unwirksamkeit des von ihr erklärten Teilverzichts zu berufen, ist nicht verwirkt. Der Betriebsrat hatte mitzubestimmen. Das Landesarbeitsgericht hat festzustellen, ob das Mitbestimmungsrecht gewahrt ist.
Die Verzichtserklärung der Klägerin im Jahre 1981 umfaßte die Halbierung sowohl des jährlichen Steigerungssatzes von 0,8 % auf 0,4 % des rentenfähigen Einkommens als auch der Versorgungsobergrenze von 20 % auf 10 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes.
1. Zwar hat die Klägerin ausdrücklich mit ihrer Verzichtserklärung neben den Änderungen der Bemessungsgrundlage nur die Herabsetzung des jährlichen prozentualen Steigerungssatzes auf 0,4 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes akzeptiert. Dabei hat sie aber zugleich bestätigt, von der Ziffer 2 des Arbeitgeberschreibens vom 14. Oktober 1981 Kenntnis genommen zu haben. In dieser Ziffer sind in einem Satz die Reduzierung des jährlichen Steigerungssatzes und mit den Worten “höchstens jedoch 10 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes” die Herabsetzung der Versorgungsobergrenze zusammengefaßt. Wenn die Klägerin dann “dieser Maßnahme” mit Unterschrift vom 12. November 1981 zugestimmt hat, so kann dies nur so verstanden werden, daß sie alle von der Arbeitgeberin angetragenen Änderungen akzeptieren wollte. Dafür spricht auch, daß sich die Verzichtserklärung auf dem Arbeitgeberschreiben selbst befand und die damalige Arbeitgeberin in ihrem Anschreiben ausdrücklich von einer “Vereinbarung” sprach. Bei einem wirksamen Teilverzicht der Klägerin würde sich die Reduzierung der Versorgungsobergrenze anspruchsmindernd auswirken: Auf Grund ihres frühen Eintritts bei der Arbeitgeberin mit Lebensalter 15 erreichte sie bis zur Altersgrenze (Vollendung des 60. Lebensjahres, Ziffer 3.3 VO 74) eine hypothetische Betriebszugehörigkeit von über 44 Jahren. Dadurch erlangt in jedem Fall die Versorgungsobergrenze Bedeutung für die Berechnung der Betriebsrentenansprüche der Klägerin.
2. Mit der den Teilverzicht der Klägerin enthaltenden Vereinbarung vom Herbst 1981 sollte das Versorgungswerk rückwirkend und von Anfang an neu geregelt werden. Ausdrücklich hatte die damalige Arbeitgeberin eine Änderung der ursprünglichen Versorgungszusage in den Abschnitten 10 (rentenfähiger Arbeitsverdienst), 6 (Höhe des Ruhegeldes) und 7 (Höhe der Witwenrente) angeboten und weiter darauf hingewiesen, daß nur die übrigen Bestimmungen der ursprünglichen Versorgungszusage unverändert fortgelten sollten. Dementsprechend hat die Klägerin auch einer Änderung ihrer Versorgungszusage “vom Dezember 1971” zugestimmt, wodurch sich die Parteien des Arbeitsverhältnisses darüber einig wurden, daß die Änderungen der betrieblichen Altersversorgung für die gesamte Beschäftigungszeit maßgebend sein sollten.
Der Teilverzicht der Klägerin ist weder anfechtbar noch nach den Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes unwirksam.
1. Zwar hat die Klägerin wiederholt vorgetragen, seinerzeit mit der “Drohung, andernfalls den Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen” zum Unterschreiben der Verzichtserklärung bestimmt worden zu sein. Eine Anfechtung wegen Drohung, § 123 Abs. 1 BGB, hat sie aber nie erklärt. Die Anfechtungsfrist ist spätestens mit dem 31. August 1993 abgelaufen. Denn mit dem Ausscheiden der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis am 31. August 1992 hörte die von ihr angedeutete Zwangslage, “den Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen”, in jedem Falle auf (§ 124 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz iVm. § 124 Abs. 1 BGB).
2. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, verstößt der 1981 erklärte Teilverzicht nicht gegen § 3 BetrAVG aF, auch nicht, soweit er sich auf die bereits unverfallbar gewordene Anwartschaft der Klägerin bezieht. § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der bis 31. Dezember 1998 gültigen Fassung lautete:
“Für eine Anwartschaft, die der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 bis 3 bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses behält, kann ihm mit Zustimmung des Arbeitnehmers eine einmalige Abfindung gewährt werden, wenn die Anwartschaft auf einer Versorgungszusage beruht, die weniger als 10 Jahre vor dem Ausscheiden aus dem Unternehmen erteilt wurde.”
Durch § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG waren die Parteien des Arbeitsvertrages nicht gehindert, die Versorgungsanwartschaft einvernehmlich zu kürzen. Zwar kann nach dieser Vorschrift von den Bestimmungen des BetrAVG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Dies bedeutet aber kein allgemeines Verschlechterungsverbot. Nur soweit die §§ 1 bis 16 BetrAVG die Vertragsfreiheit beschränken, wird die Abdingbarkeit ausgeschlossen (Senat 29. Oktober 1985 – 3 AZR 485/83 -BAGE 50, 62, 71 f.). § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG hat keine von den übrigen Vorschriften des BetrAVG aF losgelöste selbständige Bedeutung.
Der in der Vereinbarung 1981 enthaltene Teilverzicht der Klägerin verletzte nicht § 3 BetrAVG aF. Zwar steht nach ständiger Senatsrechtsprechung der Abfindung ein entschädigungsloser Erlaß der Versorgungsanwartschaft gleich (22. September 1987 – 3 AZR 194/86 – BAGE 56, 148, 154). § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF findet aber – ebenso wie § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG nF – nur Anwendung auf Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden (BAG 14. August 1990 – 3 AZR 301/89 – BAGE 65, 341, 344 f.). Die Klägerin erklärte jedoch ihren Teilverzicht im laufenden Arbeitsverhältnis, das danach noch fast elf Jahre weiter andauerte. Auch die Hilfserwägung der Klägerin, ein etwa wirksamer Verzicht könne nur für die Zukunft gelten, ist unzutreffend. Im laufenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitnehmer auch auf in der Vergangenheit erdiente – verfallbare und unverfallbare – Anwartschaften wirksam verzichten.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Vereinbarung des Jahres 1981 gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Es steht noch nicht fest, ob der Betriebsrat seinerzeit der Maßnahme zugestimmt hatte.
1. Hat sich der Arbeitgeber verpflichtet, selbst Versorgungsleistungen zu erbringen, so ergibt sich das Recht des Betriebsrats, bei der Regelung von Fragen der betrieblichen Altersversorgung mitzubestimmen, aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dabei ist zu unterscheiden zwischen mitbestimmungsfreien unternehmerischen Grundentscheidungen und der konkreten Ausgestaltung der Leistungsordnung, die mitbestimmungspflichtig ist. Letzteres soll der Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Entgeltgefüges und der Wahrung der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit dienen (BAG GS 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134, 158). Die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er überhaupt betriebliche Altersversorgung gewährt und welche Mittel er dafür zur Verfügung stellt, ist mitbestimmungsfrei. Der Arbeitgeber muß den Betriebsrat nicht bei der Entscheidung beteiligen, welchen Dotierungsrahmen er vorgibt. Mitbestimmungspflichtig sind demgegenüber alle Regeln, mit denen die zur Verfügung stehenden Mittel auf die Begünstigten verteilt werden (Senat 12. Juni 1975 – 3 ABR 13/74 – BAGE 27, 194, 198 ff.; 26. April 1988 – 3 AZR 168/86 – BAGE 58, 156, 161 f.). Dies gilt auch für die Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen. Die Reduzierung des Dotierungsrahmens ist häufig nicht zu trennen von der Aufgabe, die verbliebenen Mittel nach durchschaubaren und den Gerechtigkeitsvorstellungen der Betriebsparteien entsprechenden Kriterien auf die begünstigten Arbeitnehmer zu verteilen. Solche Eingriffe sind nur dann mitbestimmungsfrei, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen kein Verteilungsspielraum für die verbliebenen Versorgungsmittel bleibt, ein abweichender Leistungsplan also nicht aufgestellt werden kann (Senat 11. Mai 1999 – 3 AZR 21/98 – BAGE 91, 310, 322).
2. Die Verteilungsgrundsätze wurden geändert. Das ergibt sich schon daraus, daß die Berechnungsgrundlage des “rentenfähigen Arbeitsverdienstes” modifiziert wurde. So sollte für Gehaltsempfänger wie die Klägerin statt des vereinbarten nunmehr das tarifliche Gehalt maßgeblich werden. Für Lohnempfänger sollte der rentenfähige Monatslohn nur noch aus dem Produkt von tariflichem Stundenlohn mal tariflicher Arbeitszeit bestehen, die bisherigen Kriterien des vereinbarten Stundenlohns und der vereinbarten Stundenzahl sollten ihre Relevanz verlieren. Ebenso sollte für Kraftfahrer statt des vereinbarten nur noch der tarifliche Monatslohn maßgeblich sein. Zudem wurden für zwei Beschäftigtengruppen besondere Berechnungsregeln eingeführt, und zwar für die Akkordlöhner und die Außendienstmitarbeiter. Für letztere sollte – wie nach den bisherigen Regelungen – das vereinbarte Grundgehalt für die Betriebsrente maßgeblich sein. Damit änderten sich die Verteilungsrelationen zwischen denjenigen, für die künftig nur noch die tarifliche Vergütung Grundlage des rentenfähigen Arbeitsverdienstes sein sollte, und denjenigen, bei denen es bei der vereinbarten Vergütung bleiben sollte. Außerdem änderte sich mit der Rückführung auf die tarifliche Vergütung auch die Versorgungsrelation zwischen Gehalts- und Lohnempfängern. Ein solcher Eingriff in die Verteilungsgrundsätze ist mitbestimmungspflichtig (BAG GS 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134, 163). Von dieser Änderung der Verteilungsrelationen ist die Klägerin wie jeder andere Versorgungsbegünstigte betroffen.
3. Erfolgte die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige Änderung der Versorgungsordnung im Jahr 1981 ohne Einholung der Zustimmung des Betriebsrats, so ist nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung auch jede individualrechtliche Umsetzung der Maßnahme unwirksam (BAG GS 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134, 170). Der Zweck der gesetzlichen Mitbestimmung des Betriebsrats, dem einzelnen Arbeitnehmer einen kollektiven Schutz zu vermitteln, würde nicht erreicht, wäre es dem Arbeitgeber gestattet, das bestehende Zulagensystem einseitig oder durch individualrechtliche Vereinbarungen umzugestalten (ständige Rechtsprechung des Senats, 3. August 1982 – 3 AZR 1219/79 – BAGE 39, 277, 284; 26. April 1988 – 3 AZR 168/86 – BAGE 58, 156, 165). Die in den Vorinstanzen strittig gebliebene Frage, ob seinerzeit der Betriebsrat der Änderung 1981 zugestimmt hat, ist vom Landesarbeitsgericht noch aufzuklären.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin das Recht, sich auf die Unwirksamkeit des von ihr erklärten Teilverzichts zu berufen, nicht verwirkt. Die Verwirkung eines Anspruchs tritt nur dann ein, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zugewartet hat (Zeitmoment), besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer der Verpflichtete nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment) und dem Schuldner deshalb die Erfüllung der Forderung nicht mehr zuzumuten ist (Zumutbarkeitsmoment, BAG 15. September 1992 – 3 AZR 438/91 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 39, Leitsatz 4 und zu II 3c der Gründe).
Zwar ist die Klägerin, auch wenn nur die Zeit zwischen der Konkurseröffnung am 31. August 1992 und der ersten Geltendmachung am 12. Mai 2000 betrachtet wird, über einen hinreichend langen Zeitraum sowohl gegenüber der Arbeitgeberin als auch gegenüber dem Beklagten untätig geblieben. Der Beklagte konnte aber nicht auf Grund besonderer Umstände annehmen, die Klägerin werde die Unwirksamkeit der Vereinbarung 1981 nicht mehr geltend machen. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, mit der Vereinbarung 1981 habe die Klägerin selbst einen vertrauensbildenden Umstand gesetzt. Dies mag auf der individualrechtlichen Ebene zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages von Bedeutung sein. Individualrechtliche Unwirksamkeitsgründe greifen jedoch nicht ein. In Bezug auf eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats bei der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme hat die Klägerin jedoch mit der Verzichtserklärung 1981 keinen vertrauensbildenden Umstand gesetzt. Vielmehr war diese Frage sowohl für die Klägerin seit 1981, als auch für den Beklagten seit Konkurseröffnung 1992 von keinen besonderen, vertrauensbildenden Umständen begleitet.
Von seinem Ausgangspunkt aus konsequent hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft, ob der Betriebsrat 1981 der Änderung der Versorgungszusage zugestimmt hat. Dies hat es nach Zurückverweisung des Rechtsstreits nachzuholen.
1. Es wird dabei auch zu prüfen haben, ob das Mitbestimmungsrecht durch eine formlose Regelungsabsprache zwischen der ehemaligen Arbeitgeberin und dem Betriebsrat gewahrt wurde. Es ist nicht erforderlich, daß die Zustimmung schriftlich in Form einer Betriebsvereinbarung erfolgte (BAG GS 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42, 76; Senat 14. August 1990 – 3 AZR 301/89 – BAGE 65, 341, 347). Schweigen oder widerspruchslose Hinnahme der Vorschläge des Arbeitgebers bedeutet allerdings keine Zustimmung des Betriebsrats. Es kommt auf die Zustimmung zur Maßnahme 1981 an. Aus der “Bestätigung” des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden vom 16. November 1999 ergibt sich diese nicht.
2. Im Streitfall hat die Klägerin zu beweisen, daß der Betriebsrat nicht zugestimmt hat. Da es sich um einen rechtsvernichtenden Einwand handelt, hat grundsätzlich der Arbeitgeber als Anspruchsgegner die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß der Arbeitnehmer auf Versorgungsansprüche wirksam verzichtet hat. Es kann unentschieden bleiben, ob dies in gleicher Weise jeweils auch für den beklagten Pensionssicherungsverein gilt. Dieser ist nicht Rechtsnachfolger der Arbeitgeberin, sondern nur Schuldner einer Ausfallhaftung (BAG 23. März 1999 – 3 AZR 625/97 – AP ZPO § 322 Nr. 29, zu I 1 der Gründe). Hier lagen besondere Umstände vor, aus denen sich ergibt, daß die Klägerin die Beweislast trägt. Es handelt sich um ein viele Jahre vor der Konkurseröffnung liegendes Geschehen. Die Klägerin hatte 1981 schriftlich auf einen Teil ihrer Anwartschaft verzichtet. Der Beklagte konnte zwar nicht darauf vertrauen, daß der Betriebsrat zugestimmt hatte. Er hatte aber andererseits auch keinen konkreten Anlaß, an der Wirksamkeit der Verzichtserklärung zu zweifeln. Hinzu kommt, daß die Klägerin sich auch nach Zugang ihres Anwartschaftsausweises 1993 gegenüber dem Beklagten lange Zeit nicht auf die Unwirksamkeit ihres Verzichts berufen hat. Durch ihre Untätigkeit hat sie die Beweismöglichkeiten des Beklagten deutlich verschlechtert.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Kaiser, Perreng
Fundstellen
Haufe-Index 966793 |
DB 2003, 2130 |
DStR 2003, 384 |
ARST 2003, 119 |
EWiR 2003, 1003 |
FA 2003, 123 |
FA 2003, 310 |
NZA 2004, 331 |
AP, 0 |
AuA 2003, 51 |
EzA-SD 2003, 15 |
EzA-SD 2003, 4 |
EzA |
PERSONAL 2003, 61 |
VersR 2004, 356 |
ArbRB 2003, 33 |
GuS 2003, 59 |
GuS 2003, 64 |
SPA 2003, 6 |
SPA 2003, 7 |