Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungssumme aus Gruppenunfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Leistungen aus einer Gruppenunfallversicherung, die der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer gegen Unfälle eines Dritten (Arbeitnehmer als Gefahrperson) ohne dessen Einwilligung abgeschlossen hat, muß der Versicherungsnehmer in der Regel an den Versicherten oder dessen Erben herausgeben (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 18. Februar 1971, 5 AZR 318/70 = AP Nr 2 zu § 179 VVG).
2. Ansprüche der Erben des Versicherten aus einem solchen Gruppenunfallversicherungsvertrag fallen nicht unter die tarifliche Verfallklausel des § 16 BauRTV.
Normenkette
BauRTV § 16; BGB §§ 611, 1922; TVG § 4; VVG §§ 75-79, 179
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 03.02.1989; Aktenzeichen 5 Sa 107/88) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 21.07.1988; Aktenzeichen 15 Ca 2538/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine aus einer Gruppenunfallversicherung an sie ausgezahlte Versicherungssumme an die Kläger abzuführen.
Der am 27. Februar 1963 geborene Sohn Andreas der Kläger war aufgrund Arbeitsvertrages vom 1. August 1986 seit dem 18. August 1986 bei der Beklagten, die ein Tief- und Straßenbauunternehmen betreibt, als Baumaschinenwart beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand § 16 BRTV-Bau Anwendung. Am 22. November 1986 kam der Sohn der Kläger als Beifahrer einer privaten Autofahrt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die Kläger sind seine Erben. Im Arbeitsvertrag des Verstorbenen war von einer Unfallversicherung nichts erwähnt, dem Verstorbenen war von einer solchen Versicherung auch sonst nichts bekannt.
Die Beklagte hatte am 20. Juli 1978 für die Dauer von zehn Jahren zugunsten ihrer Arbeitnehmer einen Gruppenunfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Versicherung erstreckte sich auf Unfälle innerhalb und außerhalb des Berufes. Als Anspruchsberechtigte waren die einzelnen Versicherten ausgewiesen. Versichert waren sämtliche Arbeitnehmer der Beklagten. Die Ausübung der Rechte aus dem Vertrag war gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) ausschließlich dem Versicherungsnehmer vorbehalten. Versicherungsnehmerin war die Beklagte. Abweichungen vom bedingungsgemäßen Versicherungsschutz waren nicht vereinbart.
Die Beklagte erhielt aus Anlaß des Todesfalls am 20. Februar 1987 vom Versicherer die Versicherungssumme von 15.000,– DM ausgezahlt. Hiervon wurden die Kläger auf ihre Nachfrage am 19. November 1987 vom Versicherer in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vom 18. Dezember 1987 forderten die Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 28. Dezember 1987 auf, den erhaltenen Betrag an sie weiterzuleiten. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 15. Februar 1988, sie sehe hierzu keine Veranlassung. Mit ihrer am 12. April 1988 bei Gericht eingegangenen und am 18. April 1988 zugestellten Klage nehmen die Kläger die Beklagte auf Auszahlung der Versicherungssumme in Anspruch.
Die Kläger haben geltend gemacht, materiell-rechtlich stehe ihnen die Versicherungsleistung als Rechtsnachfolger ihres Sohnes zu. Der Anspruch werde nicht von der Verfallklausel des § 16 BRTV-Bau erfaßt. Jedenfalls aber sei die Berufung der Beklagten auf die Verfallklausel treuwidrig. Der Betriebsratsvorsitzende habe ihnen anläßlich der Beerdigung ihres Sohnes im Auftrag des Personalleiters erklärt, ihr Sohn sei gegen Unfall versichert gewesen; die Beklagte werde versuchen, den Anspruch aus der Versicherung zu realisieren, um ihnen, den Klägern, finanziell zu helfen. Aufgrund dieser Zusage hätten sie darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte die Versicherungssumme nach Auszahlung an sie weiterleiten werde.
Die Kläger haben daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie als Erbengemeinschaft 15.000,– DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 29. Dezember 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Aus § 16 Abs. 1 Satz 2 AUB folge das Recht des Versicherungsnehmers zu bestimmen, wem die Versicherungsleistung zufließen solle. Entsprechend einer Aktennotiz vom 20. Juli 1978 sei eine betriebsinterne Regelung getroffen, wonach die Zahlung der Versicherungsleistung an den verunglückten Arbeitnehmer bzw. dessen Erben nur dann erfolgen solle, wenn dieser eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 6 Monaten aufweise und der Unfall seine Ursache im betrieblichen Bereich gehabt habe. Hier liege jedoch ein Unfall außerhalb des Betriebes vor. Das Bezugsrecht sei daher bei ihr verblieben. Jedenfalls sei aber ein etwaiger Anspruch nach § 16 BRTV-Bau verfallen. Der Anspruch habe seine Grundlage im Arbeitsverhältnis und werde aufgrund der weiten Fassung des § 16 BRTV-Bau von dessen Verfallklausel erfaßt. Die Kläger hätten die Fristen nicht gewahrt. Die behauptete Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten und vorgetragen, dieser sei hierzu auch nicht beauftragt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstreben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, weil der vom Landesarbeitsgericht zutreffend bejahte Klaganspruch von der Verfallklausel des § 16 BRTV-Bau nicht erfaßt wird.
I.
Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß den Klägern ein Anspruch gegen die Beklagte auf Auskehrung der Versicherungssumme zusteht.
1. Die Beklagte hat eine Gruppenunfallversicherung zugunsten ihrer Arbeitnehmer und damit auch zugunsten des am 22. November 1986 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Andreas S abgeschlossen. Da die Einwilligung des Verstorbenen in den Abschluß einer auch für den Todesfall geltenden Unfallversicherung nicht vorlag, handelt es sich bei der genannten Versicherung nicht um eine Eigenversicherung, sondern um eine sogenannte Fremdversicherung (§ 179 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 VVG in Verbindung mit §§ 75 bis 79 VVG). Fallgestaltungen dieser Art sind vom Bundesarbeitsgericht bereits mehrfach ausführlich behandelt worden. Dabei ist auch die Frage erörtert worden, ob die Erben eines tödlich verunglückten Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) die Auskehrung einer von dem Versicherer ausgezahlten Versicherungssumme verlangen können. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage grundsätzlich bejaht. Dabei hat es entscheidend auf die Rechtsbeziehungen abgestellt, die im Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem (Gefahrperson) bestehen. Wird das Innenverhältnis durch arbeitsrechtliche Bindungen gekennzeichnet, folgt hieraus die Verpflichtung des Arbeitgebers, die erhaltene Versicherungssumme auszukehren. Denn es wäre mit seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht unvereinbar, einen Betrag zu behalten, auf den nach den Vorschriften des Versicherungsvertragsrechts der Arbeitnehmer als Gefahrperson allein Anspruch erheben könnte (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1971 - 5 AZR 318/70 - AP Nr. 2 zu § 179 VVG; BAGE 5, 360, 362 ff. = AP Nr. 1 zu § 179 VVG, zu 1, 2 a und c der Gründe; BAGE 17, 114, 117 f. = AP Nr. 28 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung, zu 1 der Gründe, jeweils m. w. N.). Ergänzend hierzu ist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu verweisen, wonach mangels besonderer Abrede (etwa auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages) die Rechtsbeziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem ein gesetzliches Treuhandverhältnis darstellen, soweit es um die dem Versicherten zustehende Entschädigungsforderung geht (BGHZ 64, 260, 264, 262). Aufgrund dieses Treuhandverhältnisses, das dem Versicherungsnehmer nur die Stellung einer Durchgangsperson einräumt, ergibt sich die Verpflichtung, die Versicherungsleistung an den Berechtigten oder seine Erben abzuliefern (BGHZ 64, 260, 265, mit Hinweis auf BGH Urteil vom 4. April 1973 - IV ZR 130/71 - NJW 1973, 1368).
2. Ein besonderes Recht der Beklagten, die Versicherungssumme für sich selbst zu behalten, besteht nicht. Allerdings müssen sich die Versicherten (und demzufolge auch ihre Erben) die Einwendungen aus dem Innenverhältnis (Arbeitsverhältnis) entgegenhalten lassen, die dem Versicherungsnehmer hieraus zustehen (vgl. dazu allgemein BGHZ 64, 260, 265 ff., m. w. N.). Derartige Einwendungen bestehen hier jedoch nicht. Insbesondere liegt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, keine betriebliche Übung vor, aus der sich Einschränkungen im Umfang des Versicherungsvertrages oder aus der Rechtsstellung des Versicherten (bzw. seiner Erben) auf die Versicherungsleistung ergeben könnten.
II.
Der Klaganspruch ist entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht nach § 16 BRTV-Bau verfallen, denn bei ihm handelt es sich nicht um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis und weiter auch nicht um einen Anspruch, der mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung steht.
1. Nach § 16 Nr. 1 BRTV-Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Unter den Begriff der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis fallen alle vertraglichen und gesetzlichen Ansprüche, welche die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (vgl. nur BAGE 43, 339, 345 = AP Nr. 37 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche, zu 2 b der Gründe). Bei derartigen Ansprüchen sind die Parteien des Arbeitsvertrages Gläubiger und Schuldner, der Anspruch richtet sich immer gegen den Arbeitgeber oder gegen den Arbeitnehmer und hat eine Leistung aus dem Vermögen des jeweiligen Schuldners zum Gegenstand (BAG, aaO, S. 346). Entscheidend ist dabei der Entstehungsbereich des Anspruchs (BAG, aaO, S. 347).
Der Klaganspruch hat nicht etwa ein Arbeitsentgelt zum Gegenstand, auch nicht ein zusätzliches Entgelt für eine erbrachte Leistung. Zwar bezieht sich der Unfallversicherungsvertrag auf sämtliche Arbeitnehmer des Betriebes der Beklagten, im Arbeitsvertrag des Sohnes der Kläger fand sich jedoch kein Hinweis auf einen solchen Vertrag. Überdies hat der Sohn der Kläger von dem Bestehen eines Versicherungsvertrages nichts gewußt. Bei Abschluß des Versicherungsvertrages hat die Beklagte auch nicht als Arbeitsvertragspartei gehandelt, sondern allein als Versicherungsnehmerin. Damit stand aber der Versicherungsvertrag selbständig neben dem Arbeitsvertrag. Liegen dergestalt zwei selbständige Vertragsbeziehungen vor, so fallen Ansprüche aus Verträgen, die selbständig neben dem Arbeitsverhältnis abgeschlossen werden, nicht unter die Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau. Denn ihr Entstehungsbereich ist nicht das Arbeitsverhältnis, sondern das daneben bestehende besondere Vertragsverhältnis.
Wenn auch die Beklagte die Prämien für die Versicherung aufgebracht hat, so stammt die Versicherungsleistung im Streitfall nicht aus dem Vermögen der Beklagten, sondern aus dem des Versicherers. Die Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und den Klägern ergeben sich nicht aus dem früheren Arbeitsverhältnis des Verstorbenen, vielmehr stellen sie sich als ein aus dem Versicherungsrecht entstandenes Treuhandverhältnis dar. Ansprüche, die auf der Grundlage eines solchen Treuhandverhältnisses von den Erben des Versicherten als Treugebern gegenüber dem Versicherungsnehmer als Treuhänder erhoben werden, sind keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.
2. Die Klageforderung ist auch kein „Anspruch, der mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung steht”. Trotz der weiten Fassung der Ausschlußklausel des § 16 BRTV-Bau zeigt doch schon der Wortlaut der Tarifbestimmung, daß das Arbeitsverhältnis wenigstens die Grundlage für den Anspruch bilden muß. Ein loser tatsächlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis qualifiziert Ansprüche aus selbständigen Verträgen, deren rechtliche Ausgestaltung außerhalb der Rechtsbeziehungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegen, nicht als Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Das hat der Senat bereits früher zu Ansprüchen aus Miet- oder Kaufverträgen, die der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer abschloß, ohne daß das Arbeitsverhältnis hierfür eine rechtliche Bedeutung hatte, näher ausgeführt (BAGE 37, 344, 347 f. = AP Nr. 72 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 und 2 der Gründe). Diese Überlegungen gelten auch für den Streitfall.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Polcyn, Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 60168 |
DB 1990, 1975-1976 (LT1-2) |
NZA 1990, 701-703 (LT1-2) |
RdA 1990, 192 |
ZTR 1990, 393-394 (LT1-2) |
AP VVG § 179, Nr. 3 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 850 Nr. 1 (LT1-2) |
EzA BGB § 611, Fürsorgepflicht Nr. 54 (LT1-2) |