Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahmeprobe bei Bühnenwerk
Leitsatz (amtlich)
- Die Generalprobe eines Bühnenwerks im Sinne des § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 TVK ist die letzte Probe vor der ersten Aufführung des Bühnenwerks.
- Die Hauptprobe eines Bühnenwerks im Sinne des § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 TVK ist die letzte oder vorletzte Probe vor der Generalprobe.
- Die Probe für eine Aufführung, die in derselben Regiekonzeption aus einer vorangegangenen Spielzeit übernommen wird (sog. Wiederaufnahmeprobe), kann nicht Hauptprobe oder Generalprobe im Sinne der vorgenannten Tarifbestimmung sein.
Normenkette
Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 § 15; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.10.1990; Aktenzeichen 14 Sa 63/90) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 07.06.1990; Aktenzeichen 3 Ca 7/90) |
Tenor
- Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 1990 – 14 Sa 63/90 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 7. Juni 1990 – 3 Ca 7/90 – wir mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Orchesterproben mit Bühnengeschehen allein deshalb über einen Zeitraum von im allgemeinen drei Stunden hinaus anzuordnen, weil es sich um Wiederaufnahmeproben handelt.
- Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tariflich zulässige Dauer von Wiederaufnahmeproben bei Bühnenwerken.
Die Kläger sind Mitglieder des Orchesters des Nationaltheaters der beklagten Stadt. Auf die Arbeitsverhältnisse findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1991 in seiner jeweiligen Fassung Anwendung. Die Verpflichtung zur Mitwirkung bei Proben ist in § 15 TVK geregelt. Diese Bestimmung hatte in der bis zum Beginn der Spielzeit 1979/80 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
Mit der Spielzeit 1979/80 wurde die Regelung des § 15 Abs. 2 TVK um den folgenden Satz ergänzt (TVK a.F.):
“Als Generalproben gelten in jedem für das Orchester üblichen Beschäftigungsjahr auch je eine Probe für zwei Aufführungen, die in derselben Regiekonzeption aus vorangegangenen Spielzeiten übernommen werden.”
In der ab der Spielzeit 1989/90 gültigen Fassung des TVK (n.F.) ist hinsichtlich der Proben in § 15 Abs. 4 TVK bestimmt:
- “
Die Dauer einer Orchesterprobe mit Bühnengeschehen soll im allgemeinen drei Stunden, die Dauer einer Orchesterprobe ohne Bühnengeschehen soll im allgemeinen zweieinhalb Stunden nicht überschreiten. Dies gilt nicht für die Haupt- und Generalprobe eines Bühnenwerkes.
Die Dauer einer Konzertprobe soll im allgemeinen zweieinhalb Stunden, die Dauer der letzten zwei Proben vor der ersten Aufführung eines Konzertes soll im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten.”
Die Protokollnotiz zu § 17 TVK n.F. lautet:
“Als Hauptprobe gilt nur die letzte oder die vorletzte Probe vor der Generalprobe. Wird die Hauptprobe wegen der Länge des Werkes geteilt, gilt nur ein Teil als Hauptprobe.”
Die Beklagte ordnete im Orchesterarbeitsplan für den 5. Januar 1990 für die letzte Probe vor der Aufführung der aus der vorangegangenen Spielzeit in derselben Regiekonzeption übernommenen Oper “Siegfried” eine Dauer von ca. fünf Stunden an.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Anordnung einer Wiederaufnahmeprobe von Bühnenwerken mit Bühnengeschehen mit einer Dauer, die im allgemeinen drei Stunden überschreite, sei tariflich nicht zulässig. Bei einer Probe vor der Wiederaufführung eines Bühnenwerkes handele es sich nicht um eine Haupt- oder Generalprobe im Sinne von § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 TVK n.F. Deshalb könne sie nicht mit unbegrenzter Dauer angeordnet werden. Wiederaufnahmeproben dürften, anders als nach § 15 Abs. 2 TVK a.F., wie andere Proben mit Bühnengeschehen nach § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 TVK n.F. im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten. Allein der Umstand, daß die Wiederaufnahmeprobe eines Bühnenwerkes mit längerer Spieldauer eine Durchlaufprobe erfordere, rechtfertige keine Ausnahme von der tariflich im allgemeinen vorgesehenen Probendauer. Vielmehr könne die Beklagte in diesem Falle die Durchführung von zwei aufeinanderfolgenden Proben anordnen.
Die Kläger haben beantragt
festzustellen, daß die Ansetzung einer ca. fünfstündigen Probe zu “Siegfried” am 5. Januar 1990 im Arbeitsplan unzulässig war.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Anordnung einer die Dauer von drei Stunden überschreitenden Probe vor der Wiederaufführung einer Oper sei tariflich zulässig, wenn die Spieldauer des Werkes dies erfordere. Die Probendauer von Bühnenwerken mit Bühnengeschehen sei nur im allgemeinen auf drei Stunden begrenzt. Vor der Wiederaufnahme eines Werkes sei jedoch eine Durchlaufprobe erforderlich. Diese sei hinsichtlich der Dauer wie in § 15 Abs. 2 TVK a.F. einer Haupt- bzw. Generalprobe gleichzustellen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben sie klargestellt, daß sie die Feststellung begehren, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Orchesterproben mit Bühnengeschehen allein deshalb über einen Zeitraum von im allgemeinen drei Stunden hinaus anzuordnen, weil es sich um Wiederaufnahmeproben handelt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe des in der Revisionsinstanz klargestellten Klageantrags. Die Beklagte ist nicht berechtigt, Orchesterproben mit Bühnengeschehen allein deshalb über einen Zeitraum von im allgemeinen drei Stunden hinaus anzuordnen, weil es sich um Wiederaufnahmeproben handelt.
I. Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Zwar bezieht sich der Klageantrag nach seinem Wortlaut auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Vorgang, so daß die Kläger die Rechtsfolgen, die sie bei ihrem Obsiegen aus der Unzulässigkeit der Anordnung einer fünfstündigen Probe geltend machen wollen, mit einer Leistungsklage hätten verfolgen können. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zutreffend angenommen, daß es den Klägern um die Feststellung des Umfangs der Berechtigung der Beklagten bei der Anordnung der Dauer von Wiederaufnahmeproben geht, und den Klageantrag zu Recht im Sinne der Klarstellung verstanden, die die Kläger in der Revisionsinstanz vorgenommen haben. Damit betrifft der Klageantrag den Umfang der Leistungspflicht der Kläger bei Wiederaufnahmeproben auch für die Zukunft. Insoweit besteht ein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung (vgl. BAGE 33, 71 = AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht).
II. Die Klage ist auch begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nach § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 TVK n.F. berechtigt gewesen, am 5. Januar 1990 als letzte Probe vor der Aufführung der Oper “Siegfried” eine Wiederaufnahmeprobe mit der Dauer von fünf Stunden anzuordnen. Zwar handele es sich bei der Wiederaufnahme nicht um eine Haupt- oder Generalprobe im tariflichen Sinne. Durch § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 TVK n.F. werde der Beklagten jedoch ein Weisungsrecht eingeräumt, da die Probe nur im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten solle. Danach könne sie ausnahmsweise bei Vorliegen eines sachlichen Grundes die tariflich vorgesehene Probendauer überschreiten. Ein sachlicher Grund liege dann vor, wenn die Aufführung eines Bühnenwerkes mit Bühnengeschehen wegen seiner Spieldauer eine Durchlaufprobe von mehr als drei Stunden erfordere.
2. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen. Die Beklagte ist nicht berechtigt, Orchesterproben mit Bühnengeschehen, wie die Probe zur Aufführung der Oper “Siegfried” am 5. Januar 1990, allein deshalb über einen Zeitraum von im allgemeinen drei Stunden hinaus anzuordnen, weil es sich um eine Wiederaufnahmeprobe handelt.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß eine Probe vor der Wiederaufführung eines Bühnenwerkes keine Haupt- oder Generalprobe im Sinne von § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 TVK n.F. ist. Generalprobe ist die letzte Probe vor der Premiere. Die erstmalige Wiederaufführung eines Bühnenwerkes, das in derselben Regiekonzeption aus einer vorangegangenen Spielzeit übernommen wird, ist jedoch keine Premiere. Diese hat vielmehr bereits in der vorangegangenen Spielzeit stattgefunden.
Aus diesem Grunde kann eine Wiederaufnahmeprobe auch nicht als Hauptprobe im tariflichen Sinne angesehen werden. Als Hauptprobe gilt nach der Protokollnotiz zu § 17 TVK n.F. nur die letzte oder die vorletzte Probe vor der Generalprobe. Die Tarifvertragsparteien haben damit eindeutig bestimmt, daß die Probendauer nur bei Durchlaufproben vor Premieren keiner zeitlichen Beschränkung unterliegt. Die Gleichstellung der letzten Probe vor der Aufführung eines Bühnenwerkes, das in derselben Regiekonzeption aus einer vorangegangenen Spielzeit übernommen wird, mit einer Generalprobe, wie sie in § 15 Abs. 2 TVK a.F. geregelt war, ist in der tariflichen Bestimmung des § 15 TVK n.F. nicht mehr zum Ausdruck gekommen. Deshalb richtet sich die tariflich zulässige Dauer einer Wiederaufnahmeprobe nach der für alle Proben von Bühnenwerken mit Bühnengeschehen geltenden Regelung in § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 TVK n.F.
b) Nach § 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 1 TVK n.F. soll die Dauer einer Orchesterprobe mit Bühnengeschehen im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten. Damit wird dem Arbeitgeber ein Weisungsrecht hinsichtlich der Dauer von Orchesterproben eingeräumt, das nach billigem Ermessen auszuüben ist (§ 315 Abs. 1 BGB). Das Weisungsrecht ist durch die tariflichen Bestimmungen jedoch eingeschränkt (vgl. BAG Urteil vom 29. August 1991 – 6 AZR 593/88 – DB 1992, 147). Aus diesem folgt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, Orchesterproben mit Bühnengeschehen allein deshalb über einen Zeitraum von im allgemeinen drei Stunden hinaus anzuordnen, weil es sich um Wiederaufnahmeproben handelt.
aa) Dadurch, daß die Tarifvertragsparteien bestimmt haben, daß die Dauer einer Orchesterprobe im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten soll, haben sie dem Umstand Rechnung getragen, daß aus künstlerischen oder sonstigen Gesichtspunkten von vornherein eine längere Probendauer erforderlich sein kann oder sich eine solche aus Gründen ergibt, die während der Probe auftreten. Die Erforderlichkeit einer Durchlaufprobe vor Wiederaufführung eines Bühnenwerkes, dessen Spieldauer länger als drei Stunden ist, rechtfertigt jedoch nicht die Überschreitung der tariflich im allgemeinen vorgesehenen Probendauer.
In den tariflichen Bestimmungen finden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Dauer der Proben von der Spieldauer der aufzuführenden Werke abhängig machen wollen. Die tariflich vorgesehene Probendauer ist vielmehr allein davon abhängig, ob es sich um eine Orchesterprobe eines Bühnenwerkes (§ 15 Abs. 4 Unterabs. 1 TVK n.F.) oder um eine Konzertprobe (§ 15 Abs. 4 Unterabs. 2 TVK n.F.) handelt, wobei jeweils nur für die letzten Proben vor der Premiere eine längere Probendauer vorgesehen ist. Aus dieser tariflichen Regelung folgt zugleich, daß die Tarifvertragsparteien der Erforderlichkeit von Durchlaufproben vor der ersten Aufführung eines Werkes durchaus Rechnung getragen haben. In diesem Umfang ist damit aber auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers eingeschränkt. Die Erforderlichkeit einer Durchlaufprobe vor der Wiederaufführung eines Bühnenwerkes, das in derselben Regiekonzeption aus einer vorangegangenen Spielzeit übernommen wird, rechtfertigt deshalb keine Überschreitung der tariflich vorgesehenen Probendauer von im allgemeinen drei Stunden. Eine solche ist nach den tariflichen Bestimmungen nur im Falle einer Haupt- oder Generalprobe und damit nur vor einer Premiere zulässig.
bb) Diese Auslegung der tariflichen Bestimmungen wird durch die Tarifgeschichte bestätigt. Auch in § 15 Abs. 2 TVK a.F. hatten die Tarifvertragsparteien bestimmt, daß die Dauer einer Probe im allgemeinen drei Stunden nicht überschreiten solle. Davon waren Haupt- und Generalproben ausgenommen. Zusätzlich hatten sie jedoch zwei Wiederaufnahmeproben pro Beschäftigungsjahr den Generalproben gleichgestellt. Daraus folgt, daß allein die Erforderlichkeit einer Wiederaufnahmeprobe keine Überschreitung der im allgemeinen tariflich vorgesehenen Dauer der Probe rechtfertigte. Die tarifliche Regelung über die Gleichstellung von Wiederaufnahmeproben mit Generalproben ist in § 15 Abs. 4 TVK n.F. weggefallen. Mit Ausnahme von Haupt- und Generalproben gilt damit die tariflich vorgesehene Regeldauer von drei Stunden. Im Hinblick auf die frühere tarifliche Regelung kann daraus nicht geschlossen werden, daß nunmehr allein die Erforderlichkeit einer Durchlaufprobe vor der Wiederaufführung eines Bühnenwerkes eine Überschreitung der Regeldauer rechtfertigen solle, wobei zugleich die Beschränkung auf zwei Wiederaufnahmeproben pro Beschäftigungsjahr entfiele.
cc) Diese Tarifauslegung steht entgegen der Auffassung der Beklagten der Durchführung von Durchlaufproben vor der Wiederaufführung eines Bühnenwerkes mit einer Spieldauer von länger als drei Stunden nicht entgegen und führt deshalb nicht zu einem unpraktikablen oder nicht sachgerechten Ergebnis, das die Tarifvertragsparteien im Zweifel nicht gewollt haben (vgl. BAGE 42, 244 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II). Der Beklagten bleibt nämlich unbenommen, im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und unter Beachtung der tariflichen Bestimmungen, die Durchführung von Durchlaufproben in diesen Fällen z.B. dadurch zu gewährleisten, daß sie zwei aufeinanderfolgende Proben anordnet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Ziegenhagen, Möller-Lücking
Fundstellen
Haufe-Index 846762 |
NZA 1993, 83 |
RdA 1992, 351 |
AfP 1993, 522 |