Entscheidungsstichwort (Thema)
BAT-O – räumlicher Geltungsbereich
Leitsatz (amtlich)
Für die Frage, ob auf das Arbeitsverhältnis eines in Berlin beschäftigten Angestellten des öffentlichen Dienstes der BAT oder der BAT-O anzuwenden ist, kommt es grundsätzlich auf die Lage des Arbeitsplatzes an (vgl. z.B. Urteile des Senats vom 23. Februar 1995 – 6 AZR 329/94 – und vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 922/94 – beide zur Veröffentlichung bestimmt). Darauf, daß die Beschäftigungsbehörde des Landes Berlin, bei der der Angestellte tätig ist, für ganz Berlin zuständig ist und der Angestellte “gesamtberliner” Aufgaben wahrnimmt, kommt es nicht an.
Normenkette
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – BAT-O – vom 10. Dezember 1990 § 1 Abs. 1; BAT § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 25. Januar 1995 – 8 Sa 92/94 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Mai 1994 – 86 Ca 36336/93 – teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhältnis des Klägers für die Zeit vom 1. August 1992 bis zum 2. März 1995 der BAT anzuwenden ist.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision werden zurückgewiesen.
- Der Kläger und das beklagte Land haben die Kosten des Rechtsstreits je zu 1/2 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die tarifgebundenen Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 oder der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung findet.
Der Kläger war seit 1970 im S… Amt Berlin beschäftigt. Dieses wurde nach der Wiedervereinigung auf das beklagte Land überführt. Seit dem 1. Januar 1991 wird der Kläger unbefristet bei dem S… Landesamt Berlin weiterbeschäftigt. Sein Arbeitsplatz befand sich zunächst im Dienstgebäude in der H… im ehemaligen Ostberlin. Seit dem 19. März 1992 war der Kläger ständig im Dienstgebäude F… im ehemaligen Westberlin tätig.
Mit Schreiben vom 19. Januar 1993 verlangte der Kläger, der bisher nach BAT-O vergütet wurde, vergeblich eine Bezahlung nach dem BAT.
Er hat die Ansicht vertreten, er sei seit März 1992 im Geltungsbereich des BAT tätig und erfülle daher die Voraussetzungen des BAT.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß für das Beschäftigungsverhältnis seit dem 19. März 1992 der BAT sowie die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge in der jeweiligen Fassung gelten.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne nicht die Anwendung des BAT verlangen, weil seine Tätigkeit im ehemaligen Westberlin von Anfang an nur vorübergehend gewesen sei. Der Kläger sei im Gebäude F… eingesetzt worden, um durch Krankheitsfälle entstandene Arbeitsrückstände aufzuarbeiten. Auch eine ihm seit dem 1. September 1992 vertretungsweise übertragene höherwertige Tätigkeit sei nur vorübergehender Art gewesen. Hierfür habe er – was unstreitig ist – eine persönliche Zulage erhalten. Schon bei Beginn der Tätigkeit des Klägers im ehemaligen Westberlin habe festgestanden, daß die Behörde in das ehemalige Ostberlin umziehen werde.
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage für die Zeit seit dem 1. August 1992 stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen, weil der Kläger seinen Anspruch nicht innerhalb der Ausschlußfrist nach § 70 BAT geltend gemacht habe. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt das beklagte Land weiterhin die Klageabweisung. In der Revisionsinstanz wurde unstreitig, daß das S… Landesamt am 2. März 1995 nach Berlin-F… im ehemaligen Ostberlin umgezogen und der Kläger seitdem dort tätig ist.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger verlangt, daß der BAT in der Zeit nach dem 2. März 1995 auf sein Arbeitsverhältnis angewendet wird, ist die Revision des beklagten Landes begründet. Im übrigen ist sie unbegründet.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand in der Zeit vom 1. August 1992 bis zum 2. März 1995 der BAT Anwendung. Dies hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Seit dem 3. März 1995 gilt wieder der BAT-O. Insoweit ist daher das Berufungsurteil aufzuheben und auf die Berufung des beklagten Landes die Klage als unbegründet abzuweisen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der BAT sei nicht nur während der Tätigkeit im ehemaligen Westberlin, sondern auch nach Rückkehr des Klägers in das Beitrittsgebiet anzuwenden. Zwar sei das Arbeitsverhältnis ursprünglich im Beitrittsgebiet begründet worden. Der Kläger werde aber seit dem 1. August 1992 im Dienstgebäude des S… Landesamtes am F… und damit im ehemaligen Westberlin mit ungewissem Endzeitpunkt beschäftigt. Daran ändere nichts, daß der Kläger dort nur vorübergehend arbeite, weil seit dem Jahr 1991 der Umzug des Amtes in das Dienstgebäude Berlin-F… geplant gewesen sei. Auch nach dem bevorstehenden Umzug der Behörde in das ehemalige Ostberlin sei der BAT weiterhin anzuwenden, weil Sitz des Landesamtes das Land Berlin bleibe und der Kläger gesamtberliner Aufgaben erfülle. Deshalb sei es unerheblich, in welchem Teil von Berlin das Amt seinen Sitz und der Kläger seinen Arbeitsplatz habe.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nur hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers bis zum 2. März 1995 und auch insoweit nur im Ergebnis stand.
II. Auf das Beschäftigungsverhältnis waren in der Zeit zwischen dem 1. August 1992 und dem 2. März 1995 der BAT und die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge anzuwenden. Insoweit ist die Klage begründet.
Der Kläger erfüllte seit dem 19. März 1992, dem Beginn seiner Tätigkeit im ehemaligen Westberlin, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT. Er hatte damit seit dem 1. August 1992 Anspruch darauf, nach diesem Tarifvertrag behandelt zu werden.
Für die Zeit bis zum 31. Juli 1992 ist der Anspruch nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts gem. § 70 BAT verfallen. Der BAT-O fand vom 1. August 1992 bis zum 2. März 1995, dem Zeitpunkt der Rückkehr des Klägers in das Beitrittsgebiet keine Anwendung.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand bis zum 18. März 1992 der BAT-O Anwendung. Nach § 1 Abs. 1 BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für Angestellte, die eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen.
a) Der tarifgebundene Kläger übt als Angestellter des beklagten Landes unstreitig eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aus.
b) Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist auch im räumlichen Geltungsbereich des BAT-O begründet.
Der erkennende Senat hat ein Arbeitsverhältnis als im Beitrittsgebiet begründet angesehen, wenn es einen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweist, der gegenwärtig noch besteht (vgl. Urteil des Senats vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – AP Nr. 1 zu § 1 BAT-O, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien war für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet geschlossen worden. Der Kläger war seit dem Jahre 1970 bei dem S… Amt Berlin … tätig. Dieses wurde nach dem Einigungsvertrag auf das beklagte Land überführt. Seit Januar 1991 wurde der Kläger im S… Landesamt in der H… im ehemaligen Ostberlin weiterbeschäftigt. Dieser Beschäftigungsort hat den Bezug des Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet begründet. Denn für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs kommt es auf den Sitz der Dienststelle nicht an, sondern allein auf die Lage des Arbeitsplatzes (BAG Urteile vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 –, aaO, zu II 2b der Gründe, und vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 –, DB 1995, 883, zu I 3a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Rechtlich unerheblich ist somit, daß das Statistische Landesamt damals seinen Sitz am F… im ehemaligen Westberlin hatte.
2. In der Zeit seit dem 19. März 1992 war der Kläger im Geltungsbereich des BAT beschäftigt. Für die noch im Streit befindliche Zeit seit dem 1. August 1992 hatte er daher Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag.
Nach der Rechtsprechung des Senats findet auf ein im Beitrittsgebiet begründetes und in den alten Bundesländern fortgesetztes Arbeitsverhältnis westliches Tarifrecht Anwendung (vgl. Urteil vom 23. Februar 1995 – 6 AZR 667/94 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 3 der Gründe; Urteil vom 23. Februar 1995 – 6 AZR 329/94 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 4a der Gründe).
Der erkennende Senat hat in den vorgenannten Urteilen angenommen, daß § 1 Abs. 1 BAT-O den räumlichen Geltungsbereich des von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossenen BAT nicht einschränkt, solange ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist, in einer im räumlichen Geltungsbereich des BAT gelegenen Betriebsstätte beschäftigt wird. Der Senat hat dies insbesondere im Urteil vom 6. Oktober 1994 (aaO, zu I 3a der Gründe) eingehend begründet. Auf die genannten Urteile nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Der vorliegende Rechtsstreit bietet keinen Anlaß zur Überprüfung dieses Rechtsstandpunkts.
III. Soweit der Feststellungsantrag des Klägers sich auf die Zeit nach dem 2. März 1995 bezieht, ist die Klage unbegründet. Von diesem Zeitpunkt an findet auf das im Beitrittsgebiet begründete Arbeitsverhältnis des Klägers wieder der BAT-O Anwendung.
1. Der Kläger ist seit dem 2. März 1995, dem Zeitpunkt, in dem das S… Landesamt nach Berlin-F… im ehemaligen Ostberlin umgezogen ist, wieder im Beitrittsgebiet beschäftigt. Zwar ist diese Tatsache erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht entstanden. Da sie jedoch unstreitig ist und schützenswerte Belange des Klägers nicht entgegenstehen, ist der Senat nicht gehindert, sie zu berücksichtigen (BAGE 65, 147 = AP Nr. 21 zu § 554 ZPO).
2. Nachdem der Kläger wieder im Beitrittsgebiet beschäftigt ist, findet auf sein Arbeitsverhältnis der BAT-O Anwendung. Im Urteil vom 23. Februar 1995 (– 6 AZR 667/94 – zur Veröffentlichung bestimmt) hat der Senat angenommen, daß auf das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der nach einer Tätigkeit im räumlichen Geltungsbereich des westlichen Tarifrechts – dort war es der TVAug Bundespost, für den insoweit wortgleichen BAT gilt jedoch nichts anderes – in das Beitrittsgebiet zurückkehrt, wieder östliches Tarifrecht, hier also der BAT-O, Anwendung findet. Der Senat hat dies unter Hinweis auf Wortlaut und Sinn der unterschiedlichen Tarifregelungen in Ost und West in Fortentwicklung seiner früheren Rechtsprechung eingehend begründet (aaO, zu II 3 der Gründe). Er nimmt auf diese Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Neue Gesichtspunkte, die zur Überprüfung dieser Rechtsprechung veranlassen könnten, sind nicht ersichtlich.
Da es für die Frage, welcher Tarifvertrag anzuwenden ist, somit grundsätzlich auf die Lage des Arbeitsplatzes ankommt, kann auch nicht mit dem Berufungsgericht darauf abgestellt werden, daß das S… Landesamt für ganz Berlin zuständig ist und der Kläger “gesamtberliner”, also nicht nur auf das Beitrittsgebiet bezogene Aufgaben wahrzunehmen hat. Dies ist rechtlich unerheblich. Mangels besonderer Anhaltspunkte im Tarifvertrag kann es darauf, welche Aufgaben der Angestellte wahrzunehmen hat, ebensowenig ankommen wie auf den Sitz der Dienststelle. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien die Fälle der den Tarifbezirk überschreitenden Aufgabenerfüllung gesehen haben, aber bewußt nicht darauf abstellen wollten. Auf das Arbeitsverhältnis eines Angestellten, das im Beitrittsgebiet begründet ist und der in einer Bundesbehörde, die dort ihren Sitz hat, mit der Erledigung von Aufgaben beschäftigt ist, die das gesamte Bundesgebiet betreffen, findet unzweifelhaft der BAT-O Anwendung. Hätten die Tarifvertragsparteien für den Bereich des Landes Berlin, in den beide Tarifverträge auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen sind, etwas anderes regeln wollen, hätten sie dies im Tarifwortlaut zum Ausdruck bringen müssen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers gibt es auch für eine Besitzstandswahrung keine rechtliche Grundlage. Eine individualrechtliche Vereinbarung, die darauf gerichtet ist, dem Kläger übertariflich Leistungen nach dem BAT zuzuwenden, hat der Kläger nicht behauptet. Auch hat er keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, daß ihm ein solcher Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zustehen könnte.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Hauck, Gebert, S. de Hair
Fundstellen
Haufe-Index 872283 |
BB 1996, 223 |
NZA 1997, 1003 |