Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Vorübergehende Störung der Geistestätigkeit. Klagefrist. Prozessverwirkung. materielle Verwirkung. Weiterbeschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Die Klagefrist gem. § 4 Satz 1 KSchG und die Fiktionswirkung des § 7 KSchG finden auf die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers keine Anwendung.
Orientierungssatz
1. Ein Arbeitnehmer, der die Rechtsunwirksamkeit einer von ihm selbst erklärten Kündigung geltend machen will, ist nicht an die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gebunden.
2. Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden mit der Folge, dass eine dennoch erhobene Klage unzulässig ist. Dies kommt nur in Betracht, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, dass er gerichtlich nicht mehr belangt werde. Dabei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist.
3. Ein Anspruch auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung kommt grundsätzlich auch bei Streit über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers in Betracht. Entscheidend ist die besondere Interessenlage während des Streits über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
4. Revisionsrechtlich ist die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um dies zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen. Auf eine vorhandene eigene Sachkenntnis über medizinische Sachverhalte ist hinzuweisen und spätestens in den Entscheidungsgründen ausreichend zu begründen, woher das Gericht diese nimmt.
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, §§ 105, 242; KSchG § 4 S. 1, § 7; ZPO § 256 Abs. 1, § 261 Abs. 3, § 286 Abs. 1, § 322 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 06.09.2016; Aktenzeichen 19 Sa 953/16) |
ArbG Berlin (Urteil vom 06.04.2016; Aktenzeichen 21 Ca 16522/15) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. September 2016 – 19 Sa 953/16 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung der Klägerin und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung.
Die Klägerin war seit dem 9. Juni 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Wegen einer paranoiden Schizophrenie wurde sie im Jahre 2013 stationär behandelt. Anschließend war sie wieder arbeitsfähig.
Mit Schreiben vom 6. März 2015 kündigte die Klägerin das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 9. März 2015 die „fristgemäße Kündigung” mit Wirkung zum 30. September 2015 und stellte die Klägerin unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Beendigungszeitpunkt widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
Im März und April 2015 richtete die Klägerin weitere Schreiben an die Beklagte. Ab dem 23. Mai 2015 war sie erneut in stationärer Behandlung. Ende Juli 2015 bestellte das Amtsgericht für sie eine Betreuerin ua. zur Vermögenssorge sowie Vertretung vor Behörden und Gerichten.
Die Beklagte informierte die Betreuerin mit Schreiben vom 25. August 2015 über die Kündigung der Klägerin. Die Betreuerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 1. September 2015 mit, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Abfassung der Kündigung nicht geschäftsfähig gewesen sei, und bat um Übersendung des Kündigungsschreibens. Am 6. September 2015 wurde die Klägerin aus dem Krankenhaus entlassen. Mit Schreiben vom 9. September 2015 übersandte die Betreuerin der Beklagten eine ärztliche Stellungnahme der Klinik gleichen Datums. Darin heißt es, anhand des Krankheitsbildes der Klägerin und des dort bekannten Verlaufs gehe man „fest davon aus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung krankheitsbedingt keine Geschäftsfähigkeit” vorgelegen habe. Der Zustand der Patientin habe sich zwischenzeitlich deutlich gebessert, so dass sie wieder geschäftsfähig und in absehbarer Zeit auch wieder arbeitsfähig sei.
Mit Schreiben vom 11. September 2015 übersandte die Beklagte der Betreuerin der Klägerin eine Fotokopie des Kündigungsschreibens. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 wies die spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte darauf hin, dass die Kündigung gem. § 105 Abs. 2 BGB nichtig sei. Sie bat die Beklagte, spätestens bis zum 15. Oktober 2015 zu erklären, dass sie die Kündigung als gegenstandslos betrachte, und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu bestätigen. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 teilte die Beklagte mit, dass sie keine Veranlassung sehe, die verlangte Erklärung abzugeben.
Mit ihrer der Beklagten am 10. Dezember 2015 zugestellten Klage hat die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung begehrt. Sie hat behauptet, ihre freie Willensbestimmung sei zum Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung wegen eines akuten Schubs der schon im Jahr 2013 festgestellten paranoiden Schizophrenie ausgeschlossen gewesen.
Die Klägerin hat – soweit noch Gegenstand der Revision – beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch ihre Kündigung vom 6. März 2015 nicht beendet wurde;
- die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Registratur- bzw. Verwaltungsfachangestellte in Vollzeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG versäumt. Jedenfalls habe sie das Recht, die Unwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen, verwirkt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht abändern. Ob die Kündigung der Klägerin vom 6. März 2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.
A. Der Feststellungsantrag ist zulässig.
I. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass die Klägerin begehrt festzustellen, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien habe über den 30. September 2015 hinaus fortbestanden. Dabei handelt es sich um eine allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO.
1. Der Antrag ist zwar entsprechend § 4 Satz 1 KSchG punktuell bezogen auf die Kündigung vom 6. März 2015 formuliert. Eine Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG kann jedoch keine Eigenkündigung des Arbeitnehmers zum Gegenstand haben.
a) Nach § 4 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage erheben, wenn er geltend machen will, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Die Vorschrift regelt nicht ausdrücklich, ob bzw. inwiefern die gerichtlich anzugreifende Kündigung dem Arbeitgeber zurechenbar sein muss (BAG 26. März 2009 – 2 AZR 403/07 – Rn. 20). Nach ihrem Wortlaut ist ein Verständnis nicht zwingend ausgeschlossen, wonach der Arbeitnehmer die Klagefrist auch dann einhalten muss, wenn er die Rechtsunwirksamkeit einer von ihm selbst erklärten Kündigung geltend machen will (ebenso LAG Köln 29. Juni 2006 – 5 Sa 377/06 – Rn. 22).
b) Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck von § 4 Satz 1 iVm. § 7 KSchG sprechen jedoch gegen eine Geltung der Klagefrist für Eigenkündigungen von Arbeitnehmern.
aa) § 4 KSchG gehört zum Ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes unter der Überschrift „Allgemeiner Kündigungsschutz”. Der allgemeine Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG bezieht sich ausschließlich auf Kündigungen „gegenüber einem Arbeitnehmer” und damit auf arbeitgeberseitige Kündigungen. § 4 Satz 1 KSchG nennt zudem als ersten Anwendungsfall die Geltendmachung der mangelnden sozialen Rechtfertigung einer Kündigung. Sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 1 KSchG kann nur eine Arbeitgeberkündigung sein.
bb) Die Regelung ist ferner im systematischen Zusammenhang mit § 7 KSchG zu betrachten. Nach § 7 KSchG gilt eine Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig gem. § 4 Satz 1, §§ 5 und 6 KSchG geltend gemacht wird. Diese Rechtsfolge entspricht nur dann dem mit ihr verfolgten Sinn und Zweck, wenn die Wirksamkeit einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Kündigung bei nicht rechtzeitiger Klageerhebung fingiert wird.
(1) § 7 KSchG soll dazu beitragen, dass für den Arbeitgeber alsbald nach Ausspruch einer Kündigung Rechtsklarheit hinsichtlich des Bestandes der Kündigung eintritt (APS/Hesse 5. Aufl. § 7 KSchG Rn. 2; MüKoBGB/Hergenröder 7. Aufl. § 7 KSchG Rn. 1; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 7 Rn. 1). Mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) ist die Wirksamkeitsfiktion des § 7 KSchG ebenso wie die Klageobliegenheit gem. § 4 Satz 1 KSchG auf alle Rechtsunwirksamkeitsgründe erstreckt worden. Es sollte im Interesse einer raschen Klärung der Frage, ob eine Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat oder nicht, eine einheitliche Klagefrist für die Geltendmachung aller Unwirksamkeitsgründe eingeführt werden (BT-Drs. 15/1204 S. 9 f., 13).
(2) Die Klagefrist gem. § 4 Satz 1 KSchG bezieht sich jedoch auch in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung weiter nur auf Klagen des Arbeitnehmers. Eine rechtzeitige Klageerhebung verhindert den Eintritt der Fiktionswirkung gem. § 7 KSchG. Dies führt aber nur dann nicht zu sachwidrigen Ergebnissen, wenn mit der Klage ausschließlich die Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung geltend gemacht werden soll. Fände § 4 Satz 1 KSchG dagegen auch auf die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers Anwendung, hätte es dieser in der Hand, einer materiell unwirksamen Kündigung zur Wirksamkeit zu verhelfen, indem er nicht selbst gegen sie klagt. Eine fristlose Eigenkündigung, für welche kein wichtiger Grund iSd. § 626 BGB besteht, würde zulasten des Arbeitgebers wirksam, wenn der Arbeitnehmer nicht selbst rechtzeitig gegen sie Klage erhebt.
(3) Entgegen der Ansicht der Beklagten kann eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers auch nicht dem Arbeitgeber zugerechnet werden. Der Arbeitnehmer erklärt eine Eigenkündigung im eigenen und nicht im fremden Namen, er agiert insofern daher weder als Vertreter des Arbeitgebers (§ 164 Abs. 1 BGB) noch als dessen vollmachtloser Vertreter (§ 177 Abs. 1 BGB). Auch für eine nachträgliche Genehmigung durch den Arbeitgeber ist daher kein Raum. Die Eigenkündigung des Arbeitnehmers bleibt vielmehr eine für den Arbeitgeber fremde Willenserklärung, selbst wenn dieser sie akzeptiert.
c) Das Interesse des Arbeitgebers an einer schnellen Klärung auch der Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers erlaubt kein anderes Verständnis der §§ 4, 7 KSchG (aA LAG Köln 29. Juni 2006 – 5 Sa 377/06 – Rn. 22). Der Gesetzgeber hat Streitigkeiten über andere Beendigungstatbestände als arbeitgeberseitige Kündigungen ebenfalls nicht der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG unterworfen, obwohl das Bedürfnis nach einer schnellen Klärung grundsätzlich ebenso bestünde. So unterfallen dem Anwendungsbereich des § 4 Satz 1 KSchG zB weder die Anfechtung eines Arbeitsvertrags (aA KR/ Friedrich/Klose 11. Aufl. § 4 KSchG Rn. 27) noch die Wirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung. Für die Befristungskontrollklage gilt die spezielle Norm des § 17 TzBfG.
d) Eine analoge Anwendung von § 4 Satz 1 KSchG auf Arbeitnehmereigenkündigungen scheidet aus. Es fehlt schon an der für eine Rechtsfortbildung durch Analogie erforderlichen, positiv festzustellenden planwidrigen Regelungslücke (vgl. BAG 23. Juli 2015 – 6 AZR 490/14 – Rn. 34, BAGE 152, 147; 10. Dezember 2013 – 9 AZR 51/13 – Rn. 23, BAGE 146, 384).
2. Dem Rechtsschutzziel der Klägerin entsprechend, feststellen zu lassen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch ihre Eigenkündigung aufgelöst worden ist, ist der Klageantrag zu 1. daher als allgemeiner Feststellungsantrag, bezogen auf das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2015 hinaus, zu verstehen.
11. Für diesen Antrag liegen die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO vor. Der Bestand eines Arbeitsverhältnisses ist ein im Sinne der Bestimmung feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Das Interesse der Klägerin an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung ist gegeben. Die Beklagte beruft sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2015 durch die Kündigung der Klägerin, während diese die Nichtigkeit der Kündigung geltend macht und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses reklamiert.
III. Die Rechtskraft der Abweisung eines in den Vorinstanzen anhängig gewesenen (weiteren) allgemeinen Feststellungsantrags als unzulässig durch das Landesarbeitsgericht steht einer Sachentscheidung über den Antrag zu 1. nicht entgegen. Bei einer klageabweisenden Entscheidung ist der ausschlaggebende Grund für die Abweisung Bestandteil des gem. § 322 Abs. 1 ZPO in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes (BAG 15. Juni 2016 – 4 AZR 485/14 – Rn. 40; 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 29). Grund für das Prozessurteil des Landesarbeitsgerichts über den (weiteren) allgemeinen Feststellungsantrag war, dass mangels Angabe anderer zwischen den Parteien streitiger Beendigungstatbestände als der bereits mit dem Antrag zu 1. erfassten Kündigung kein Interesse an der begehrten (weiteren) Feststellung bestand. Das schließt es nicht aus, den Antrag zu 1. selbst als wegen des Streits über die Wirksamkeit der Kündigung der Klägerin zulässigen allgemeinen Feststellungsantrag anzusehen.
IV. Eine nach § 261 Abs. 3 ZPO unzulässige doppelte Rechtshängigkeit steht dem Antrag zu 1. in dieser Auslegung ebenfalls nicht – mehr – entgegen. Der weitere Feststellungsantrag ist bereits durch das insoweit rechtskräftig gewordene Berufungsurteil abgewiesen worden.
V. Die Klägerin hat das Recht, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten klageweise geltend zu machen, nicht nach den für eine Prozessverwirkung geltenden Grundsätzen verwirkt.
1. Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden mit der Folge, dass eine dennoch angebrachte Klage unzulässig ist. Dies kommt jedoch nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht. Das Klagerecht soll ausnahmsweise verwirken können, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt und zusätzlich ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen worden ist, er werde gerichtlich nicht mehr belangt werden. Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an der sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist. Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung darf der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies ist im Zusammenhang mit den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen zu berücksichtigen (BAG 20. April 2011 – 4 AZR 368/09 – Rn. 23 mwN).
2. Dafür sind im Streitfall, ein ausreichendes Zeitmoment der Untätigkeit der Klägerin unterstellt, tragfähige Umstände weder festgestellt, noch ergeben sie sich aus dem Parteivorbringen. Die Beklagte hat sich insbesondere nicht darauf berufen, sie habe aufgrund eines bei ihr entstandenen Vertrauens, die Klägerin werde keine Klage mehr erheben, Beweismittel nicht gesichert oder habe sonstige Schwierigkeiten bei der Verteidigung ihrer Rechtsposition im Prozess, die ihr bei früherer Klageerhebung nicht entstanden wären.
B. Ob der Feststellungsantrag begründet ist, steht noch nicht fest.
I. Die Klägerin hat das Recht, sich auf die Nichtigkeit ihrer Eigenkündigung gem. § 105 BGB zu berufen, nicht materiell verwirkt (§ 242 BGB, sog. illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten). Es ist der Beklagten nicht unzumutbar, für den Fall der Nichtigkeit der Kündigung den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen.
1. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar anzusehen (BAG 22. März 2017 – 5 AZR 424/16 – Rn. 23; 24. August 2016 – 5 AZR 129/16 – Rn. 60). Dabei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 20).
2. Es kann offenbleiben, ob im Streitfall ein hinreichendes Zeitmoment gegeben wäre. Wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, fehlt es jedenfalls an dem daneben für den Eintritt der Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.
a) Ein grundsätzlich schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten, die Klägerin werde keine Unwirksamkeit ihrer Kündigung (mehr) geltend machen, könnte sich zum einen gebildet haben in der Zeit bis zum Hinweis der Betreuerin vom
I. September 2015, die Klägerin sei bei Abfassung des Kündigungsschreibens nicht geschäftsfähig gewesen, zum anderen mit dem zunehmenden Zeitablauf nach Ende der der Beklagten bis zum 15. Oktober 2015 gesetzten Frist für eine Bestätigung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses.
b) Es sind jedoch keine Umstände festgestellt oder von der Beklagten behauptet worden, die es ihr aufgrund dessen unzumutbar gemacht hätten, einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen. Die Beklagte hat sich insbesondere nicht auf Dispositionen berufen, die sie zwischenzeitlich im Vertrauen auf das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2015 getroffen habe, wie etwa eine Neubesetzung des Arbeitsplatzes der Klägerin.
II. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Kündigung der Klägerin vom 6. März 2015 sei gem. § 105 Abs. 2 BGB wegen einer vorübergehenden Störung ihrer Geistestätigkeit nichtig. Seine darauf bezogene tatrichterliche Würdigung erweist sich als rechtsfehlerhaft.
1. Nach § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 – Rn. 35; vgl. 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 44, BAGE 149, 355). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Das Gericht hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 – aaO; BGH 16. Januar 1990 – VI ZR 109/89 – zu II 2 der Gründe). Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 – aaO; 18. Juni 2015 – 2 AZR 480/14 – Rn. 35). Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15 – aaO; 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 – VII ZR 11/12 – Rn. 10). Durch das Revisionsgericht ist auch zu überprüfen, ob das Tatsachengericht auf eine vorhandene eigene Sachkenntnis hingewiesen und spätestens in den Entscheidungsgründen ausreichend begründet hat, woher es diese Sachkunde nimmt (BAG 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – zu II 3 der Gründe; 14. Januar 1993 – 2 AZR 343/92 – zu II 2 d aa der Gründe).
2. Diesen Anforderungen wird die Würdigung der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Umstände für die Annahme einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit der Klägerin am 6. März 2015 nicht gerecht.
a) Das Landesarbeitsgericht durfte einen Ausschluss der freien Willensbestimmung der Klägerin durch eine vorübergehende Störung ihrer Geistestätigkeit am 6. März 2015 nicht allein aufgrund der ärztlichen Stellungnahme vom 9. September 2015 als erwiesen ansehen.
aa) Die Stellungnahme bescheinigt keinen medizinischen Befund. Sie beschränkt sich auf die Angabe, man gehe fest davon aus, es habe am 6. März 2015 bei der Klägerin „krankheitsbedingt keine Geschäftsfähigkeit” vorgelegen. Dabei handelt es sich nicht um einen medizinischen Sachverhalt, sondern um die sich aus einem solchen möglicherweise ergebende Rechtsfolge, deren Voraussetzungen das Gericht ggf. festzustellen hat (vgl. BGH 18. Mai 2001 – V ZR 126/00 – zu II 1 c der Gründe). Anders als bei der gem. § 5 Abs. 1 EFZG vorgesehenen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kennt das Gesetz keine „ärztliche Geschäftsunfähigkeitsbescheinigung”. Welche medizinischen Umstände betreffend den Geisteszustand der Klägerin am 6. März 2015 gegeben waren, ergibt sich aus der ärztlichen Stellungnahme vom 9. September 2015 jedoch nicht.
bb) Hinzu kommt, dass nach dem Inhalt der Bescheinigung nicht ausgeschlossen ist, dass sich ihre Aussteller über die zutreffende Bedeutung des Rechtsbegriffs der Geschäftsunfähigkeit nicht hinreichend im Klaren waren. Geschäftsunfähigkeit iSd. § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass sich der Betroffene im Zustand einer dauerhaften, die freie Willensbestimmung ausschließenden Störung der Geistestätigkeit befindet. Ob tatsächlich eine in diesem Sinne dauerhafte Störung bescheinigt werden sollte und nicht „lediglich” eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit iSd. § 105 Abs. 2 BGB, ist nach der Stellungnahme zumindest unsicher. Die Ärzte geben darin immerhin die Einschätzung wieder, die Geschäftsfähigkeit der Klägerin sei zwischenzeitlich wieder hergestellt. Auch das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis lediglich einen Fall der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit iSd. § 105 Abs. 2 BGB angenommen.
cc) Nach der ärztlichen Stellungnahme vom 9. September 2015 ist außerdem unklar, ob mit der Angabe, man gehe „fest davon aus”, bei der Klägerin sei am 6. März 2015 krankheitsbedingt keine Geschäftsfähigkeit gegeben gewesen, tatsächliche, dieser Schlussfolgerung zugrunde liegende medizinische Erkenntnisse bestätigt werden sollten oder nur eine nach ärztlichem Dafürhalten möglicherweise hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender medizinischer Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt tatsächlich vorgelegen hat.
b) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die ärztliche Stellungnahme vom 9. September 2015 belege jedenfalls in der Zusammenschau mit den Gesamtumständen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung unter einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit iSd. § 105 Abs. 2 BGB litt, hält auch dies einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Das Berufungsgericht hat zum einen auf die Erkrankung der Klägerin an Schizophrenie im Jahre 2013 abgestellt. Es ist jedoch weder ausgeführt noch sonst nach den bisherigen Feststellungen ersichtlich, welche Schlussfolgerungen sich daraus für den Geisteszustand der Klägerin im März 2015 ergaben.
bb) Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht näher begründet oder ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen objektiv ersichtlich, welche Aussagekraft den Schreiben des Amtsgerichts Charlottenburg vom 2. und II. März 2015 für einen Ausschluss der freien Willensbildung der Klägerin am 6. März 2015 zukommt. Beim Schreiben vom 2. März 2015 handelte es sich um eine bloße Bestätigung des Eingangs eines Schreibens des Bruders der Klägerin vom 23. Februar 2015, mit dem dieser eine Betreuung der Klägerin angeregt hatte. Mit dem Beschluss vom 11. März 2015 hatte das Amtsgericht das Betreuungsverfahren zunächst eingestellt. Erkenntnisse zum Geisteszustand der Klägerin sind daraus nicht ersichtlich.
cc) Welchen Beweiswert das Landesarbeitsgericht den angenommenen „Auffälligkeiten” in den Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 6. März 2015, 11. März 2015 und 8. April 2015 in Bezug auf einen Ausschluss ihrer freien Willensbestimmung zugeschrieben hat, ist ebenfalls weder ausgeführt noch – ohne medizinische Sachkenntnis – objektiv ersichtlich. Auf eine vorhandene eigene Sachkunde hat sich das Landesarbeitsgericht nicht berufen.
III. Die Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam. Sie ist insbesondere nicht zu unbestimmt, obwohl sie nicht ausdrücklich als fristgerechte Kündigung bezeichnet ist und kein konkretes Beendigungsdatum nennt.
1. Eine Kündigung muss als empfangsbedürftige Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erhält. Der Kündigungsadressat muss erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Deshalb muss sich aus der Erklärung oder den Umständen zumindest ergeben, ob eine fristgemäße oder eine fristlose Kündigung gewollt ist (BAG 20. Juni 2013 – 6 AZR 805/11 – Rn. 14, BAGE 145, 249; 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12 – Rn. 46, BAGE 145, 184). Ob dies hinreichend deutlich wird, richtet sich nach den Verhältnissen bei Ausspruch der Kündigung (BAG 21. Oktober 1981 – 7 AZR 407/79 – zu I der Gründe).
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es habe sich um eine ordentliche Kündigung gehandelt, ist frei von Rechtsfehlern. Eine außerordentliche Kündigung hätte hinreichend deutlich erklärt werden müssen (BAG 15. Dezember 2005 – 2 AZR 148/05 – Rn. 25, BAGE 116, 336; 13. Januar 1982 – 7 AZR 757/79 – zu II 1 der Gründe, BAGE 37, 267). Hier ging weder aus dem Kündigungsschreiben noch aus sonstigen Umständen hervor, dass die Klägerin das Arbeitsverhältnis fristlos oder unter Inanspruchnahme eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund hätte kündigen wollen. Dies war auch für die Beklagte erkennbar.
3. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass für die Beklagte als Kündigungsempfängerin die maßgebliche Kündigungsfrist nicht zweifelsfrei bestimmbar gewesen wäre (zu diesem Erfordernis vgl. BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – Rn. 16; 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12 – Rn. 47, BAGE 145, 184). Die Beklagte hat der Klägerin vielmehr selbst mit Schreiben vom 9. März 2015 mitgeteilt, das Arbeitsverhältnis werde aufgrund der Kündigung mit dem 30. September 2015 enden.
IV. Es steht umgekehrt nicht bereits fest, dass die Eigenkündigung der Klägerin wirksam ist. Die Fiktionswirkung des § 7 KSchG und die Klagefrist gem. § 4 Satz 1 KSchG finden – wie ausgeführt – auf die Eigenkündigung eines Arbeitnehmers keine Anwendung.
C. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Ob über diesen – wie vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt – nur für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag gestellten unechten Hilfsantrag zu entscheiden ist, steht noch nicht fest. Allerdings kommt ein Anspruch auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits grundsätzlich auch bei Streit über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers in Betracht. Entscheidend ist die besondere Interessenlage während des Streits über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses (BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 der Gründe, BAGE 48, 122; 16. Januar 1992 – 2 AZR 412/91 – zu B II 2 der Gründe). Dies gilt unabhängig davon, aufgrund welchen Beendigungstatbestands der Fortbestand streitig ist (für den Aufhebungsvertrag vgl. BAG 16. Januar 1992 – 2 AZR 412/91 – aaO).
Unterschriften
Koch, Niemann, Rachor, Nielebock, Sieg
Fundstellen
Haufe-Index 11354157 |
BAGE 2018, 221 |
BB 2017, 2867 |
BB 2017, 3004 |
DB 2017, 3002 |
NJW 2017, 3800 |
FA 2018, 19 |
FA 2018, 28 |
NZA 2017, 1524 |
ZTR 2018, 43 |
AP 2018 |
EzA-SD 2017, 6 |
EzA 2018 |
MDR 2018, 98 |
NJ 2018, 502 |
AA 2018, 4 |
AUR 2018, 45 |
ArbRB 2017, 363 |
ArbR 2017, 593 |
FSt 2018, 689 |
LL 2018, 176 |
SPA 2018, 10 |