Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfefähigkeit. Heimunterbringung
Leitsatz (redaktionell)
Zusammentreffen von Heilbehandlungs- und Ausbildungszwecken, vgl. auch die Entscheidungen des Senats vom 23. Oktober 1991 – 6 AZR 471 und 472/89 –
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.10.1989; Aktenzeichen 11 Sa 69/89) |
ArbG Lörrach (Urteil vom 01.03.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1/89) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1989 – 11 Sa 69/89 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Beihilfe für die Unterbringung ihres Sohnes in einem Heim in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis 28. Februar 1988.
Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1981 als Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sowie der Tarifvertrag über die Gewährung von Beihilfe an Angestellte und Auszubildende im kommunalen Bereich des Landes Baden-Württemberg (BeihilfeTV BW) vom 1. November 1964 Anwendung.
Der am 7. Juni 1967 geborene Sohn der Klägerin, Christian, war aufgrund einer schweren familiären Belastungssituation seelisch gestört. Das Staatliche Gesundheitsamt L. empfahl deshalb mit Schreiben vom 17. Oktober 1984 seine Unterbringung und Betreuung in einem Heim der Evangelischen Jugendhilfe F. Dadurch sollten die schulischen Voraussetzungen für einen Realschulabschluß geschaffen werden. Außerdem sollte der Sohn der Klägerin in der jugendpsychiatrischen Abteilung der Universitäts-Nervenklinik in F. medizinisch betreut werden.
Die Zeit vom 1. Oktober 1984 bis zum 28. Februar 1988 verbrachte der Sohn der Klägerin im O. -Heim der Evangelischen Jugendhilfe in F. Seit November 1985 besuchte er einen Abendkurs an der Volkshochschule F. und seit September 1986 die Freie Schule F. Seine schulische Ausbildung schloß er im Sommer 1987 mit der Mittleren Reife erfolgreich ab. Seit dem 1. Juli 1987 befindet er sich in einem Berufsausbildungsverhältnis zum Handelsfachpacker. Die Kosten für die einzeltherapeutischen Behandlungen außerhalb des Heims wurden von der Krankenkasse getragen. Zu den Aufwendungen für die Unterbringung und Betreuung im Heim gewährte die Beklagte bis zum 31. Dezember 1986 Beihilfe.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß ihr nach den Vorschriften der Beihilfeverordnung für das Land Baden-Württemberg in der Fassung vom 12. März 1986 (BVO) ein Anspruch auf Beihilfe auch zu den Aufwendungen für die Heimunterbringung ihres Sohnes zustehe. Diese Vorschriften haben u.a. folgenden Wortlaut:
§ 6
Beihilfefähige Aufwendungen bei Krankheit
(1) Aus Anlaß einer Krankheit sind beihilfefähig die Aufwendungen für gesondert erbrachte und berechnete
…
3. vom Arzt schriftlich verordnete Heilbehandlungen und die dabei verbrauchten Stoffe. Zur Heilbehandlung gehören auch ärztlich verordnete Bäder – ausgenommen Saunabäder und Schwimmen in Mineral- oder Thermalbädern außerhalb einer als beihilfefähig anerkannten Sanatoriumsbehandlung oder Heilkur –, Massagen, Bestrahlungen, Krankengymnastik, Beschäftigungs- sowie Sprachtherapie und ähnliche Heilbehandlungen. Ist die Durchführung einer Heilbehandlung in einen Unterricht zur Erfüllung der Schulpflicht eingebunden, so sind die Aufwendungen gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 8 nicht beihilfefähig; dies gilt entsprechend für Heilbehandlungen, mit denen zugleich einer der in § 5 Abs. 4 Nr. 8 genannten Zwecke verfolgt wird, …
10.a) …
b) Unterkunft und Verpflegung bei einer ärztlich verordneten Heilbehandlung, die eine Heimunterbringung erforderlich macht, insgesamt bis zu 14 Deutsche Mark täglich; in den Fällen der Nummer 3 Satz 3 sind die Aufwendungen nicht beihilfefähig,
…
§ 5
Beihilfefähigkeit der Aufwendungen
…
(4) Nicht beihilfefähig sind
…
8. Aufwendungen für den Besuch vorschulischer oder schulischer Einrichtungen sowie für berufsfördernde, berufsvorbereitende und berufsbildende Maßnahmen sowie für den Besuch von Werkstätten für Behinderte in allen Bereichen,
…
Die Klägerin hat gemeint, ihr Sohn habe im Heim eine ärztlich angeordnete Heilbehandlung erfahren. Deshalb seien die Aufwendungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BVO beihilfefähig. Die Behandlung im Heim habe in keinem Zusammenhang mit dem Schulbesuch und der Berufsausbildung gestanden, so daß die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO nicht ausgeschlossen sei. Diese Bestimmung greife nur dann ein, wenn der Schulbesuch bzw. die Berufsausbildung mit der Heilbehandlung „verzahnt” sei. Dies sei nicht der Fall gewesen. Vielmehr sei ihr Sohn durch die heilpädagogischen Maßnahmen im Heim erst in die Lage versetzt worden, die Schule erfolgreich zu besuchen und ein Berufsausbildungsverhältnis einzugehen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr zu den Kosten der Unterbringung und der Betreuung ihres Sohnes Christian, geboren am 7. Juni 1967, im O. Heim Freiburg der Evangelischen Jugendhilfe F. für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis 28. Februar 1980 Beihilfe in Höhe von 24.225,16 DM nebst 4 % Zinsen hierauf zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Aufwendungen für die Heimunterbringung seien nicht beihilfefähig. Mit der Heimunterbringung seien zugleich schulische, berufsfördernde, berufsvorbereitende und berufsbildende Zwecke verfolgt worden. Deshalb sei ein Beihilfeanspruch nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3, Nr. 10 b BVO in Verbindung mit § 5 Abs. 4 Nr. 8 BVO ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Dabei hat sie klargestellt, daß sich ihr Zinsanspruch auf die Zeit der Rechtshängigkeit bezieht. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß der Klägerin gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Beihilfe zu den Aufwendungen für die Unterbringung ihres Sohnes im Heim der Evangelischen Jugendhilfe in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis 28. Februar 1988 nicht zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein Beihilfeanspruch sei nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO nicht begründet. Nach dieser Vorschrift seien Aufwendungen für Heilbehandlungen nicht beihilfefähig, wenn mit ihnen zugleich einer der in § 5 Abs. 4 Nr. 8 BVO genannten Zwecke verfolgt werde. Damit sei ein Beihilfeanspruch für Heilbehandlungen ausgeschlossen, wenn diese zugleich schulischen, berufsvorbereitenden, berufsfördernden oder berufsbildenden Zwecken dienten. Derartige Zwecke seien mit der Betreuung des Sohnes der Klägerin im Heim der Evangelischen Jugendhilfe verfolgt worden. Dies ergebe sich zum einen aus dem Schreiben des Staatlichen Gesundheitsamtes L. vom 17. Oktober 1984 und werde zum anderen aus dem Bericht des Heims vom 21. März 1988 deutlich. Danach habe die Heimunterbringung dazu gedient, dem Sohn der Klägerin den Realschulabschluß zu ermöglichen und ein Berufsausbildungsverhältnis einzugehen.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Die Aufwendungen für die Heimunterbringung des Sohnes der Klägerin sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO nicht beihilfefähig.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den Beihilfetarifvertrag vom 1. November 1964 der Beihilfeanspruch der Klägerin sich nach der Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg über die Gewährung von Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen vom 12. März 1986 (BVO) richtet (§ 40 BAT, § 2 Abs. 1 BeihilfeTV BW). Nach diesen Vorschriften ist jedoch der Beihilfeanspruch nicht begründet.
2. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 BVO sind Aufwendungen für vom Arzt schriftlich verordnete Heilbehandlungen beihilfefähig. Zur Heilbehandlung gehören auch die in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BVO genannten Maßnahmen. Damit kommt diese Vorschrift als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Beihilfeanspruch für Aufwendungen für die heilpädagogische Betreuung ihres Sohnes mit den sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO ergebenden Einschränkungen in Betracht.
Die Beihilfefähigkeit für Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung bei einer ärztlich verordneten Heilbehandlung, die eine Heimunterbringung erforderlich macht, bestimmt sich demgegenüber nach § 6 Abs. 1 Nr. 10 b BVO. Danach sind derartige Aufwendungen nur bis zu insgesamt 14,– DM täglich beihilfefähig. In § 6 Abs. 1 Nr. 10 b Halbsatz 2 BVO wird aber auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO verwiesen. Daraus folgt, daß bei einer Heimunterbringung sowohl die Aufwendungen für die Heilbehandlung als auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung nicht beihilfefähig sind, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO vorliegen.
3. Diese hat das Landesarbeitsgericht zutreffend bejaht.
In § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO unterscheidet der Verordnungsgeber zwischen der Durchführung von Heilbehandlungen, die in einen Unterricht zur Erfüllung der Schulpflicht eingebunden sind (Halbsatz 1), und Heilbehandlungen, mit denen zugleich einer der in § 5 Abs. 4 Nr. 8 BVO genannten Zwecke verfolgt wird (Halbsatz 2). Da die Unterbringung des Sohnes der Klägerin in dem Heim nicht in einen Unterricht zur Erfüllung der Schulpflicht eingebunden war, kommt es für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die Heimunterbringung darauf an, ob mit der Heimunterbringung zugleich ein schulischer, berufsvorbereitender, berufsfördernder oder berufsbildender Zweck verfolgt worden ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt der Verordnungsgeber damit nicht darauf ab, ob im Rahmen des Besuchs schulischer Einrichtungen oder im Rahmen der Teilnahme an berufsfördernden, berufsvorbereitenden oder berufsbildenden Maßnahmen auch Heilbehandlungen durchgeführt werden. Maßgebend ist vielmehr allein, ob mit den Heilbehandlungen zugleich schulische, berufsfördernde, berufsvorbereitende oder berufsbildende Zwecke verfolgt werden. Zum Ausschluß der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen reicht es aus, wenn mit der Heilbehandlung nur zugleich einer der in § 5 Abs. 4 Nr. 8 BVO genannten Zwecke verfolgt wird. Die Heilbehandlung braucht durch eine derartige Zielsetzung nicht geprägt zu sein.
Da es für die Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen auf den mit der Heilbehandlung verfolgten Zweck ankommt, können entgegen der Auffassung der Klägerin Aufwendungen auch dann nicht beihilfefähig sein, wenn die Heilbehandlung einerseits und der Schulbesuch bzw. die Berufsausbildung andererseits von organisatorisch getrennten Einrichtungen durchgeführt wird.
4. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, daß mit der Unterbringung des Sohnes der Klägerin im Heim der Evangelischen Jugendhilfe zugleich ein schulischer, berufsfördernder, berufsvorbereitender oder berufsbildender Zweck verfolgt worden ist, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht verweist insoweit zu Recht auf die Stellungnahme des Staatlichen Gesundheitsamtes vom 17. Oktober 1984. Danach sollte die Heimunterbringung erfolgen, um den Sohn der Klägerin zumindest in die Lage zu versetzen, den Realschulabschluß zu machen und/oder eine Lehre zu absolvieren. Daß dieser Zweck auch tatsächlich während der Heimunterbringung verfolgt wurde, ergibt sich eindeutig aus dem Bericht des Heimes vom 21. März 1988, in dem u.a. ausgeführt wird, daß die Betreuung im Heim auch der intensiven schulischen Förderung diente, um dem Sohn der Klägerin das Erreichen eines Schulabschlusses zu ermöglichen. Daraus folgert das Landesarbeitsgericht zu Recht, daß die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die Heimunterbringung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO ausgeschlossen ist.
Demgegenüber greifen die von der Klägerin mit der Revision erhobenen Rügen nicht durch. Die Klägerin macht geltend, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Behandlung im Heim in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schulbesuch bzw. der Berufsausbildung stand. Darauf kommt es jedoch nicht an. Maßgebend für die Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 BVO der mit ihnen zugleich verfolgte Zweck. Insoweit begegnet die Subsumtion des Landesarbeitsgerichts jedoch keinen rechtlichen Bedenken und wird von der Klägerin mit der Revision auch nicht angegriffen.
III. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Gnade, Fischer
Fundstellen