Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung bei langanhaltender Krankheit
Leitsatz (amtlich)
Aus der Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen, wonach Anspruchsberechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz fallen, und erkrankte Anspruchsberechtigte nicht von § 2 Nr. 6 Abs. 1 erfaßt werden, folgt, daß für diese Arbeitnehmer eine Kürzung der tariflichen Sonderzahlung bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung (§ 2 Nr. 6 Abs. 1) nicht in Betracht kommt.
Normenkette
TVG § 1 Tarifvertrage: Metallindustrie; Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976, Stand vom 29. Februar 1988/20. Mai 1992, in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen § 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 24.08.1993; Aktenzeichen 8 Sa 771/93) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 18.03.1993; Aktenzeichen 6 Ca 5567/92) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. August 1993 – 8 Sa 771/93 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 18. März 1993 – 6 Ca 5567/92 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 854,87 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 4. Januar 1993 zu zahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Zahlung eines weiteren Betrages des tariflichen 13. Monatseinkommens 1992 für den Zeitraum vom 1. August bis zum 31. Dezember 1992.
Der Kläger ist seit 1974 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten, einem Gießereiunternehmen, beschäftigt; sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 3.730,26 DM monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW Anwendung.
Der Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 50 % als Schwerbehinderter anerkannt ist, ist seit dem 4. Februar 1991 arbeitsunfähig krank.
Unter dem 31. Juli 1992 unterzeichneten die Parteien eine Erklärung des Arbeitsamtes Wuppertal mit folgendem Wortlaut:
“Name: K
Vorname: Dhaou
geb. am: 29.3.48
Anschrift:
erklärt, daß er seine Dienstbereitschaft, die er aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses schuldet, nicht mehr anerkennt, weil er aus gesundheitlichen Gründen keine Einsatzmöglichkeiten bei der Fa. H… sieht.
Die Fa. H… als Arbeitgeber ihrerseits erklärt das Beschäftigungsverhältnis für beendet und verzichtet auf die Verfügungsmacht gegenüber dem Arbeitnehmer.
Nach § 101 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist der Arbeitnehmer arbeitslos und hat bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Das Arbeitsverhältnis besteht rechtlich nach wie vor.”
Mit seiner Klage vom 17. Dezember 1992 verlangte der Kläger die Zahlung des 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992 nach dem Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976, Stand vom 29. Februar 1988/20. Mai 1992, in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW in der Höhe von 2.051,68 DM brutto (= 55 % des Monatslohnes). Die Vorschriften des Tarifvertrages lauten – soweit hier von Bedeutung -:
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Voraussetzungen und Höhe der Leistungen
Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind Arbeitnehmer und Auszubildende, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis gekündigt haben.
Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:
|
ab 1. 1992 |
April 1993 |
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit |
25 % |
30 % |
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit |
35 % |
40 % |
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit |
45 % |
50 % |
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit |
55 % |
60 % |
eines Monatsentgelts bzw. einer Monatsvergütung. |
- Diese Leistungen gelten als Einmalleistungen im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
- …
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht$ , erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Beruf ausscheiden, erhalten die volle Leistung.
Im Termin vom 18. März 1993 vor dem Arbeitsgericht erkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf die tarifliche Sonderzahlung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1992 in Höhe von 1.196,81 DM brutto an; dementsprechend wurde am gleichen Tage ein Teilanerkenntnisurteil in dieser Höhe erlassen.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe für das gesamte Jahr 1992 die tarifliche Sonderzahlung zu. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 854,87 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 4. Januar 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, aufgrund der Vereinbarung vom 31. Juli 1992 habe das Arbeitsverhältnis im Sinne des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW geruht. Außerdem sei das Verhalten des Klägers rechtsmißbräuchlich, da er selbst die Beklagte zu der Erklärung gegenüber dem Arbeitsamt aufgefordert habe, um Arbeitslosenunterstützung zu erhalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht das tarifliche 13. Monatseinkommen auch für die Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 1992 zu. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben bzw. abzuändern und der Klage insoweit in der rechnerisch unstreitigen Höhe stattzugeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Auslegung des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW nach den Regeln der Gesetzesauslegung ergebe, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers ab 1. August 1992 geruht habe, so daß ihm ein Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatsgehalt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zustehe. Danach sei ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses gegeben, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung und Vergütung) suspendiert seien und der Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht mehr verlangen oder durchsetzen könne. Zwar führe die durch Krankheit verursachte Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung allein noch nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses; die von den Parteien unterzeichnete Erklärung an das Arbeitsamt Wuppertal vom 31. Juli 1992 gehe jedoch darüber hinaus und führe zu der Annahme, daß die Parteien eine wechselseitige Suspendierung der Hauptpflichten vereinbart hätten. Diese Vereinbarung sei wirksam und auch ursächlich für das Ruhen des Arbeitsverhältnisses.
II. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen. Der Kläger hat nach § 2 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976, Stand vom 29. Februar 1988/20. Mai 1992, in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW einen Anspruch auf Zahlung des 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992 in voller Höhe; eine Kürzung des Anspruchs kommt nicht in Betracht.
1. Der Kläger erfüllt die tariflichen Zahlungsvoraussetzungen. Er stand am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten und gehört deren Betrieb ununterbrochen sechs Monate an.
Da der Kläger dem Betrieb der Beklagten mehr als 36 Monate angehört, beträgt die Sonderzahlung 55 % des Monatsentgelts des Klägers, also insgesamt 2.051,69 DM brutto.
2. Entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen kann die Sonderzahlung nicht nach § 2 Nr. 6 Abs. 1 des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW gekürzt werden. Anspruchsberechtigte, die unter das MuSchG fallen, und erkrankte Anspruchsberechtigte werden nicht von § 2 Nr. 6 Abs. 1 erfaßt.
Das kann nach dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck sowie dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung, die für die Auslegung des Tarifvertrags von maßgeblicher Bedeutung sind (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vgl. BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 60, 219, 223 ff. = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1a der Gründe) nur so verstanden werden, daß für die genannten Anspruchsberechtigten, also u.a. für erkrankte Arbeitnehmer wie den Kläger, die Vorschrift des § 2 Nr. 6 Abs. 1 des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens mit ihrer Regelung über die vollständige oder anteilige Kürzung der Sonderzahlung bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht zur Anwendung kommen soll, auch wenn ihr Arbeitsverhältnis aus irgend einem Grunde ruht.
Die Protokollnotiz ist Bestandteil des Tarifvertrags, da sie schriftlich abgefaßt ist und die sonstigen Bedingungen eines Tarifvertrags erfüllt. Sie ist Bestandteil des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW; ihr Inhalt hätte auch in den Text des Tarifvertrags ausdrücklich aufgenommen werden können (BAG Urteil vom 29. August 1979 – 5 AZR 293/79 – AP Nr. 103 zu § 611 BGB Gratifikation).
Die Protokollnotiz bestimmt ausdrücklich, daß die genannten Anspruchsberechtigten, die unter das MuSchG fallen oder erkrankt sind, nicht von Abs. 1 des § 2 Nr. 6 des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung des 13. Monatseinkommens erfaßt werden. Danach ist der gesamte Abs. 1 des § 2 Nr. 6 auf diese Arbeitnehmer nicht anzuwenden. Daraus folgt, daß u.a. bei erkrankten Anspruchsberechtigten wie dem Kläger eine Kürzung des 13. Monatseinkommens – aus welchem Grunde auch immer – nicht in Frage kommt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Erklärungen der Parteien vom 31. Juli 1992 auf dem Formular des Arbeitsamtes Wuppertal als Vereinbarung über das Ruhen des – an sich weiterbestehenden – Arbeitsverhältnisses angesehen werden können. Die Tarifvertragsparteien haben erkrankte Anspruchsberechtigte – wie Anspruchsberechtigte, die unter das MuSchG fallen – von der Kürzung der Sonderzahlung nach Abs. 1 des § 2 Nr. 6 des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW ausdrücklich ausgenommen (BAG Urteil vom 29. August 1979 – 5 AZR 293/79 – aaO).
Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen Regelung bestehen nicht. Es ist durchaus – aus sozialen Gründen – sinnvoll und vernünftig, bei Arbeitnehmern, die unter das MuSchG fallen und erkrankten Anspruchsberechtigten von der Kürzung der tariflichen Sonderzahlung abzusehen.
Dem steht die Entscheidung des Sechsten Senats vom 7. Juni 1990, BAGE 65, 187 = AP Nr. 92 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie nicht entgegen. Der Sechste Senat hat in dieser Entscheidung lediglich ausgeführt – wie auch der erkennende Senat annimmt –, daß allein eine langjährige Erkrankung nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Sinne des Tarifvertrags über die tarifliche Absicherung eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW führt. Soweit der Sechste Senat weiter ausführt, daß die Parteien des Arbeitsverhältnisses daneben das Ruhen des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich oder wenigstens stillschweigend vereinbaren können, steht dies den Erwägungen des Senats nicht entgegen.
Sieht damit die tarifliche Regelung eine Kürzung des 13. Monatseinkommens des Klägers nicht vor, steht ihm der volle – rechnerisch unstreitige – Betrag von 2.051,68 DM zu, so daß ihm im Anschluß an das Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts in Höhe von 1.196,81 DM brutto weitere 854,87 DM zuzusprechen sind. Auf die weiteren Erwägungen der Parteien über den Inhalt und die Bedeutung der Erklärungen auf dem Formular des Arbeitsamtes Wuppertal vom 31. Juli 1992 sowie deren sozialrechtliche Erforderlichkeit und die Anfechtung des Klägers kommt es nicht an.
Das Verhalten des Klägers ist auch nicht rechtsmißbräuchlich. Er macht lediglich seinen tariflichen Anspruch geltend.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Hermann, Schlaefke
Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert.
Matthes
Fundstellen
Haufe-Index 856746 |
NZA 1995, 951 |