Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerüberlassung. Weisungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG wird ein Arbeitnehmer nicht bereits dann einem Dritten zur Arbeitsleistung “überlassen”, wenn er aufgrund seines Arbeitsvertrages Weisungen des Dritten zu befolgen hat.
Erforderlich ist vielmehr zumindest, daß er innerhalb der Betriebsorganisation des Dritten für diesen und nicht weiterhin allein für seinen Arbeitgeber tätig wird. Letzteres ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer durch seine Arbeitsleistung nach wie vor ausschließlich Pflichten erfüllt, die seinem Arbeitgeber gegenüber fremden Auftraggebern obliegen.
Normenkette
AÜG Art. 1 § 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 13.11.1992; Aktenzeichen 8 Sa 20/92) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 16.01.1992; Aktenzeichen 4 Ca 223/91) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. November 1992 – 8 Sa 20/92 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 16. Januar 1992 – 4 Ca 223/91 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt auch die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Kündigungsschutzklage insbesondere darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte ist eine Spedition mit Firmensitz in H… und beschäftigt mehr als fünf Arbeitnehmer. Die Nebenintervenientin zu 1), die ebenfalls eine Spedition betreibt, ist die Muttergesellschaft der Beklagten mit Sitz in He… (Schweden). Die Nebenintervenientin zu 2) ist eine seit 1992 in das Handelsregregister der Stadt L… eingetragene Tochtergesellschaft der dänischen Firma U… ABS.
Der Kläger, der von Beruf Kraftfahrer ist, suchte im September 1986 ein Büro, dessen Firmenschilder die Beklagte als Betreiber auswies, in L… auf und bemühte sich um eine Tätigkeit als Kraftfahrer. Dort kam er mit dem Zeugen S… mündlich über eine Kraftfahrttätigkeit als sogenannter “Autolotse” überein. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt aus steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen an der Vereinbarung einer Tätigkeit mit der Nebenintervenientin zu 1) interessiert. Anläßlich des Gesprächs überreichte der Zeuge S… dem Kläger eine Visitenkarte, die den Zeugen als Mitarbeiter der Nebenintervenientin zu 2) bezeichnete.
Die Tätigkeit des Klägers bestand in der Erfüllung von Transportaufträgen für die Nebenintervenientin zu 1). Der Kläger hatte hierzu in Schweden zugelassene Fahrzeuge der Nebenintervenientin zu 1), die beladen auf dem Seeweg in L… ankamen, in Empfang zu nehmen und die Güter an die angegebenen Bestimmungsorte im europäischen Ausland zu transportieren. Von dort hatte der Kläger die dort erneut beladenen Lkw wieder nach L… zu fahren. Für die Durchführung der Fahrten erhielt er von dem Zeugen S… ein sogenanntes Wagengeld, mit dem er Reparaturen, Autobahngebühren und ähnliche Kosten zu bestreiten hatte. Die einzelnen Transporte hatte der Kläger auf Weisung des Zeugen S… durchzuführen, der die Kraftfahrer auf die einzelnen Routen verteilte. Der Kläger erhielt für die Tage, an denen er Fahrten durchführte, von der Nebenintervenientin zu 1) Entgelt, von dem 9 % als Urlaubsgeld einbehalten wurden. Die Abrechnungen für den Kläger wurden in dem L… Büro erstellt mit Briefkopf der Nebenintervenientin zu 1) und ihm von dem H… Büro der Beklagten übersandt. Er hatte Zeitkarten der Nebenintervenientin zu 1) auszufüllen. Außerdem wurden dem Kläger von der Nebenintervenientin zu 1) Verdienstbescheinigungen ausgestellt; diese meldete ihn auch bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen an. Der Kläger übergab keine Arbeitspapiere.
Nachdem es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und dem Zeugen S… gekommen war, kündigte dieser dem Kläger am 9. Oktober 1990 mündlich zum 27. Oktober 1990. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1990 erhob der Kläger bei dem Arbeitsgericht Lübeck eine gegen die “Firma B… J… ” unter der Adresse L…, Am S…kai, gerichtete Kündigungsschutzklage. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 23. November 1990 erklärte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, daß es sich bei dem Arbeitgeber um die Firma B… J… Spedition GmbH handele, deren Sitz noch ermittelt würde. Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1990 beantragte der Kläger die Änderung des Passivrubrums dahin, daß Beklagte nunmehr die Firma B… J… Speditions GmbH, S…kai, … L…, sei.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe die Tätigkeit eines “Autolotsen” als Arbeitnehmer ausgeübt. Sein Arbeitgeber sei die Beklagte. Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß das Büro in L… von der Beklagten betrieben werde, wie sich auch aus den dort angebrachten Firmenschildern ergebe. Auch habe der Zeuge S… ihn im Namen der Beklagten eingestellt und entlassen. Für die Kündigung hätten indessen keine Gründe vorgelegen, so daß das Arbeitsverhältnis fortbestehe.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, ein Arbeitsverhältnis habe zwischen den Parteien nicht bestanden. Der Zeuge S… habe keine auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages mit der Beklagten gerichtete Erklärung abgegeben. Er sei dazu auch nicht bevollmächtigt gewesen. Der Zeuge S… habe seinerzeit im Auftrage der Nebenintervenientin zu 1) selbständige Fuhrunternehmer gesucht und den Kläger der Nebenintervenientin zu 1) empfohlen. Der Zeuge habe dem Kläger ausdrücklich erklärt, daß es sich bei der auszuübenden Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit bei der Nebenintervenientin zu 1) handele. Die Weisungen, die dem Kläger erteilt wurden, seien stets von der Nebenintervenientin zu 1) an den Zeugen S… übermittelt worden. Auch die einzelnen Touren habe die Nebenintervenientin zu 1) disponiert. Schließlich sei seinerzeit die Anwendung schwedischen Rechts vereinbart worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht sind die Nebenintervenientin zu 1) und die Nebenintervenientin zu 2), denen der Kläger den Streit verkündet hatte, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Zwischen den Parteien ist ein Arbeitsverhältnis weder vertraglich noch – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – aufgrund gesetzlicher Fiktion unter dem Gesichtspunkt unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung zustande gekommen. Deshalb waren sowohl die Feststellungsklage als auch die übrigen Klageanträge, die ebenfalls das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten voraussetzen, abzuweisen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Die Tätigkeit des Klägers sei die eines Arbeitnehmers gewesen. Vertraglich sei das dieser Tätigkeit zugrunde liegende Arbeitsverhältnis zwar mit der Nebenintervenientin zu 1) begründet worden. Die Nebenintervenientin zu 1) habe den Kläger jedoch gewerbsmäßig an die Beklagte zur Arbeitsleistung überlassen; die Beklagte habe maßgebliche Arbeitgeberfunktionen ausgeübt, indem sie dem Kläger durch den Zeugen S… Weisungen erteilt und ihn insbesondere für die einzelnen Fahrten eingeteilt habe. Da der Nebenintervenientin zu 1) die gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG für eine Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Erlaubnis gefehlt habe, sei der mit ihr geschlossene Arbeitsvertrag des Klägers gemäß Art. 1 § 9 Nr. 1 AÜG nichtig gewesen und gemäß Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zustande gekommen. Dieses Arbeitsverhältnis bestehe fort, da die von der Beklagten erklärte Kündigung unwirksam sei. Der Kläger habe rechtzeitig Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte erhoben, und Kündigungsgründe lägen nicht vor.
II. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht in seiner Würdigung, daß die Tätigkeit des Klägers die eines Arbeitnehmers war und daß auf das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis deutsches Recht anzuwenden ist.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 9. September 1981, BAGE 36, 77, 84 = AP Nr. 38 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3b der Gründe; Urteil vom 13. Januar 1983, BAGE 41, 247, 253 = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe; Urteil vom 9. Juli 1993 – 5 AZR 123/92 – AP Nr. 66 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II der Gründe, jeweils m.w.N.) unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der der zur Dienstleistung Verpflichtete steht. Danach ist Arbeitnehmer, wer seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und daher persönlich abhängig ist der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Allerdings gilt die genannte Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält die Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrags vom Arbeitsvertrag zu beachten ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, daß ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.
Über die danach vorzunehmende Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine von ihnen gewählte Bezeichnung des Vertrags, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht. Der jeweilige Vertragstyp kann nur aus dem wirklichen Geschäftsinhalt erkannt werden. Dieser Geschäftsinhalt kann sich aus den getroffenen Vereinbarungen wie auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen die Vereinbarung und tatsächliche Durchführung des Vertrags einander, ist die letztere maßgebend. Denn aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind (vgl. BAG, aaO).
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, daß die Tätigkeit des Klägers als Autolotse die eines Arbeitnehmers war. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte der Kläger die Aufgabe, die von der Nebenintervenientin zu 1) bereitgestellten vollständig beladenen Lastkraftwagen in L… zu übernehmen und an den von der Nebenintervenientin zu 1) vorgegebenen Bestimmungsort zu fahren. Von dort hatte der Kläger mit anderer Ladung nach L… zurückzukehren. Die jeweiligen Transportaufträge wurden der Nebenintervenientin zu 1) erteilt. Der Kläger erhielt zur Durchführung der Transporte Geld für Treibstoff, Telefon und Autobahngebühren. Diese Aufträge hatte der Kläger nach Weisung des Zeugen S… durchzuführen. Der Kläger war damit in die Arbeitsorganisation der Beklagten bzw. der Nebenintervenientin zu 1) vollständig eingegliedert. Er konnte weder seine Arbeitszeit noch seine Tätigkeit frei bestimmen. Die Tätigkeit des Klägers unterschied sich mithin nicht von der anderer abhängig beschäftigter Kraftfahrer. Hinzu kommt, daß die Nebenintervenientin zu 1) den Kläger bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen anmeldete und daß der Kläger Urlaubsgeld erhielt.
3. Auch der Vortrag der Beklagten, es sei seinerzeit mit dem Kläger die Geltung schwedischen Rechts vereinbart worden, vermag an dieser Einordnung nichts zu ändern. Ob die Beklagte hinreichend substantiiert eine derartige Vereinbarung vorgetragen hat und die Tätigkeit in Schweden als selbständig angesehen wird, kann dahinstehen. Eine solche Rechtswahl würde dazu führen, daß dem Kläger der Schutz entzogen würde, der ihm ohne diese Rechtswahl gemäß des dann nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB anzuwendenden deutschen Rechts zustehen würde. Daß mangels Rechtswahl deutsches Arbeitsrecht anzuwenden wäre, ergibt sich bereits daraus, daß der Kläger in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit in Deutschland verrichtet hat (Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Daran ändert nichts, daß der Kläger auch in andere Länder Transporte durchgeführt hat, da Erfüllungsort der geschuldeten Leistungen Deutschland war (§ 29 ZPO). Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ist damit deutsches Arbeitsrecht anzuwenden.
III. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht auch in seiner Würdigung, dieses Arbeitsverhältnis sei vertraglich nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen dem Kläger und der Nebenintervenientin zu 1) begründet worden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seine Auslegung, der Arbeitsvertrag sei vom Zeugen S… nicht im Namen der Beklagten, sondern im Namen der Nebenintervenientin zu 1) abgeschlossen worden, im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger habe anläßlich des Gesprächs mit dem Zeugen S… über die Aufnahme einer Tätigkeit als sogenannter “Autolotse” eine Vereinbarung getroffen, die eine Tätigkeit des Klägers für die Nebenintervenientin zu 1) zum Inhalt gehabt habe. Dies folge insbesondere daraus, daß der Kläger ein Interesse daran gehabt habe, für eine ausländische Firma tätig zu werden. Die Nebenintervenientin zu 1) habe dem Kläger auch die Vergütung gezahlt und ihm entsprechende Verdienstbescheinigungen ausgestellt. Der Kläger habe vorgedruckte Arbeitszeitkarten der Nebenintervenientin zu 1) ausfüllen müssen. Ohne Bedeutung sei dabei, daß dem Kläger eine Visitenkarte, die den Zeugen S… als Mitarbeiter der Nebenintervenientin zu 2) auswies, ausgehändigt wurde.
2. Diese Auslegung der Willenserklärungen der Parteien und des Zeugen S… durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und auch von der Revision nicht angegriffen worden.
a) Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, daß der Zeuge S… bei der Vereinbarung einer Autolotsentätigkeit des Klägers nicht im eigenen Namen und damit als Vertreter (§ 164 Abs. 1 BGB) gehandelt hat. Daß der Zeuge ausdrücklich im Namen der Beklagten gehandelt habe, ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden. Das Landesarbeitsgericht hat damit zur Ermittlung der von der Beklagten in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärung zu Recht auf die Umstände der Erklärung abgestellt (§ 164 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BGB).
b) Bei der Würdigung der Vereinbarung des Zeugen S… und des Klägers im September 1986 sowie des Verhaltens der Parteien dieses Vertrags und der Nebenintervenientin zu 1) in der Folgezeit handelt es sich um die Auslegung atypischer Willenserklärungen. Sie kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob sie gegen zwingende Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt läßt. Das Revisionsgericht kann danach nur prüfen, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Erklärungen möglich ist, nicht aber, ob sie tatsächlich richtig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG Urteil vom 5. Mai 1988 – 2 AZR 795/87 – AP Nr. 8 zu § 1 AÜG, zu III 1b bb der Gründe, m.w.N.).
c) Ein derartiger Rechtsfehler ist weder von der Revision gerügt worden noch sonst ersichtlich. Zwar hat das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich den Umstand berücksichtigt, daß die Vereinbarung zwischen dem Zeugen S… und dem Kläger im Jahre 1986 in den Geschäftsräumen der Beklagten getroffen wurde, was im Zweifel dafür sprechen würde, daß der Zeuge S… für den Geschäftsinhaber gehandelt hat (vgl. BGH NJW 1984, 1347, 1348). Diese Auslegungsregel kommt aber hier nicht zur Anwendung, weil das Landesarbeitsgericht zur Auslegung der Erklärung des Zeugen S… auf das Interesse des Klägers sowie das spätere Verhalten der Parteien zurückgegriffen hat. Für die Ermittlung des Inhalts einer Willenserklärung kann auch das spätere Verhalten der Parteien berücksichtigt werden. Obwohl eine Willenserklärung im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderten Erklärungswert erhält, kann auch späteres Verhalten der Parteien zumindest als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein (Senatsurteil vom 30. Januar 1991, BAGE 67, 124, 135 = AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Oktober 1991 – 2 AZR 210/91 –, n. v., zu II 2b aa der Gründe). Es ist damit nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht den Umstand, daß der Lohn von der Nebenintervenientin zu 1) gezahlt wurde, zur Auslegung der Erklärung des Zeugen S… herangezogen hat. Das Landesarbeitsgericht hat auch berücksichtigt, daß der Kläger Gehaltsbescheinigungen von der Nebenintervenientin zu 1) erhielt. Ebenso hat das Landesarbeitsgericht den Umstand, daß der Kläger Arbeitszeitkarten der Nebenintervenientin zu 1) auszufüllen hatte und die Nebenintervenientin zu 1) den Kläger bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen anmeldete, zur Auslegung der Willenserklärung des Zeugen S… heranziehen dürfen. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht der Überreichung einer Visitenkarte der Nebenintervenientin zu 2) durch den Zeugen S… keine Bedeutung beigemessen hat, denn daraus ergibt sich nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Interessenlage des Klägers bei dem Abschluß des Vertrags im Jahre 1986 berücksichtigt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 133 Rz 18).
IV. Dagegen hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenommen, die Beklagte gelte gemäß Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG als Arbeitgeberin des Klägers. Denn es fehlt bereits an einer Überlassung des Klägers an die Beklagte im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung, die Nebenintervenientin zu 1) habe den Kläger zur Arbeitsleistung an die Beklagte überlassen, im wesentlichen ausgeführt, die Nebenintervenientin zu 1) habe den Kläger der Beklagten zur Verfügung gestellt und diese habe über ihn verfügt, indem sie ihn unabhängig von Weisungen aus He … für die einzelnen Fahrten eingeteilt habe. Zwar seien Herrn S… die Lastwagen und Trailer aus Schweden avisiert worden. Es sei jedoch allein ihm aufgegeben gewesen, wie er die Fahrer einteile; hierüber habe er im Prinzip allein entschieden. Auch habe er den Kläger ohne Rücksprache mit der Nebenintervenientin zu 1) entlassen. Diese Entscheidungen habe Herr S… für die Beklagte getroffen.
2. Diese tatsächlichen Feststellungen reichen nicht zur Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG aus. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG insoweit verkannt, als es gemeint hat, die Ausübung von Weisungsbefugnissen stelle bereits eine Arbeitnehmerüberlassung dar. Dabei hat das Landesarbeitsgericht insbesondere die Funktion des Weisungsrechts des Dritten innerhalb der Begriffsabgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung erkennbar mißverstanden.
a) Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer ein. Die Arbeitskräfte sind voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und führen ihre Arbeiten allein nach dessen Weisungen aus. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und er ihn dem Entleiher zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt hat. Von der Arbeitnehmerüberlassung ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterscheiden. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werkes gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich (vgl. z.B. BAG Urteil vom 30. Januar 1991, BAGE 67, 124, 137 = AP Nr. 8 zu § 10 AÜG, zu III 1 der Gründe, m.w.N.).
b) Ein Arbeitnehmer wird daher nicht bereits dann im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG einem Dritten zur Arbeitsleistung “überlassen”, wenn er aufgrund seines Arbeitsvertrages zwar auch Weisungen des Dritten zu befolgen hat, nach wie vor aber allein innerhalb der Betriebsorganisation seines Arbeitgebers für diesen tätig zu werden hat. Für die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung ist vielmehr zumindest erforderlich, daß der Arbeitnehmer aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung seines Arbeitgebers gegenüber dem Dritten zur Förderung von dessen Betriebszwecken in irgendeiner Weise innerhalb der Betriebsorganisation des Dritten und nicht weiterhin allein für seinen Arbeitgeber tätig wird. Erst für die weitere Frage, ob dieses Tätigwerden als Erfüllung werk- bzw. dienstvertraglicher Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Dritten oder im Vollzug einer Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Dritten zur Verschaffung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzusehen ist, kommt es auf die Weisungsrechte des Dritten gegenüber dem Arbeitnehmer an.
c) Ein solches Tätigwerden für Betriebszwecke des Dritten liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber dem Dritten in keiner Form zur Förderung von dessen Betriebszwekken verpflichtet hat, sondern der Arbeitnehmer ausschließlich Pflichten erfüllt, die seinem Arbeitgeber gegenüber anderen Auftraggebern obliegen. Denn in einem solchen Falle werden die Betriebszwecke des Dritten durch das Tätigwerden des Arbeitnehmers auch dann nicht gefördert, wenn dieses Tätigwerden durch Weisungen des Dritten gesteuert wird. Vielmehr dienen dann umgekehrt die vom Dritten an den Arbeitnehmer erteilten Weisungen gerade dem Zweck, die Betriebszwecke des Vertragsarbeitgebers des Arbeitnehmers zu fördern.
Dies wird gerade im Entscheidungsfall besonders deutlich. Der Kläger verrichtete seine Tätigkeit auf Lastkraftwagen der Nebenintervenientin zu 1) und erfüllte damit die von ihr zu erledigenden Frachtaufträge. Die Beklagte war den fremden Auftraggebern zur Erfüllung dieser Frachtaufträge nicht verpflichtet. Verpflichtet war sie allenfalls gegenüber der Nebenintervenientin zu 1), deren Verpflichtung zur Erfüllung der Frachtaufträge durch geeignete Anweisungen an den Kläger zu fördern. Eigene Betriebszwecke der Beklagten wurden daher allenfalls durch die Weisungen der Beklagten gegenüber dem Kläger, nicht aber durch dessen Tätigwerden verfolgt.
3. Nach alledem kann im Entscheidungsfall von einer Überlassung des Klägers an die Beklagte nicht gesprochen werden, so daß schon aus diesem Grunde die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien aufgrund des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht in Betracht kommt. Da ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mithin nie bestanden hat, erweist sich die Klage insgesamt als unbegründet, ohne daß es noch auf die Frage der Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung ankäme. Da das Arbeitsgericht die Klage mithin zu Recht abgewiesen hat, war auf die Revison der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Weller, Kremhelmer, Dr. Steckhan, Neumann, Ruppert
Fundstellen
BAGE, 102 |
JR 1995, 528 |
NZA 1995, 462 |