Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeinverbindlicherklärung - Sozialkassen des Gerüstbaugewerbes
Leitsatz (redaktionell)
Die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbaugewerbe vom 21. September 1987 mit Wirkung zum 1. Januar 1988 entsprach den Voraussetzungen von § 5 TVG und verstieß nicht gegen höherrangiges Recht.
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 09.03.1992; Aktenzeichen 11 Sa 1286/91) |
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 18.04.1991; Aktenzeichen 4 Ca 3292/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin Beiträge nach Maßgabe der Sozialkassentarifverträge für das Gerüstbaugewerbe zu zahlen.
Die Klägerin ist die Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes, ein rechtsfähiger Verein gem. § 22 BGB. Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für den Sozialkassenbeitrag und den der Zusatzversorgungskasse des Gerüstbaugewerbes VVaG zustehenden Beitrag. Die Beiträge dienen zur Aufbringung der Mittel für die tarifvertraglich festgelegten Leistungen an Urlaub, Lohnausgleich, Berufsbildung und Zusatzversorgung. Die entsprechenden Tarifverträge sowie der Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich, die Berufsausbildung und die Zusatzversorgung im Gerüstbaugewerbe (Verfahrens-TV) sind zwischen den Bundesverband Gerüstbau und der IG Bau-Steine-Erden abgeschlossen und für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Die Beklagte unterhält einen Betrieb des Gerüstbaugewerbes. Sie ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer für den Zeitraum von März bis Dezember 1989 in unstreitiger Höhe von 28.369,68 DM in Anspruch.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 14 i.V. mit § 15 Abs. 6 des Verfahrens-TV i.d.F. vom 21. September 1987, der vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 19. Januar 1988 mit Wirkung vom 1. Januar 1988 (Bundesanzeiger Nr. 17 vom 27. Januar 1988) für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Dieser hat, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
§ 1
Geltungsbereich
(1) Räumlicher Geltungsbereich:
Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
(2) Betrieblicher Geltungsbereich:
Abschnitt I
Betriebe des Gerüstbaugewerbes. Das sind
alle Betriebe, die nach ihrer durch die Art
der betrieblichen Tätigkeit geprägten
Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem
Material gewerblich Gerüste erstellen. Er-
faßt werden auch Betriebe, die gewerblich
Gerüstmaterial bereitstellen. Als Gerüste
gelten alle Arten von Arbeits-, Schutz- und
Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkon-
struktionen der Rüsttechnik.
Abschnitt II
Betriebe, soweit in ihnen die unter Ab-
schnitt I beschriebenen Leistungen überwie-
gend erbracht werden, fallen grundsätzlich
als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Selb-
ständige Betriebsabteilungen sind Betriebe
im Sinne dieses Tarifvertrages. Werden in
Betrieben des Gerüstbaugewerbes in selb-
ständigen Betriebsabteilungen andere Arbei-
ten ausgeführt, so werden diese Abteilungen
dann nicht von diesem Tarifvertrag erfaßt,
wenn sie von einem anderen Tarifvertrag er-
faßt werden.
Abschnitt III
Nicht erfaßt werden Betriebe und selbstän-
dige Betriebsabteilungen, die als Betrieb
des Baugewerbes durch den Bundesrahmenta-
rifvertrag für das Baugewerbe erfaßt wer-
den. Nicht erfaßt werden Betriebe und selb-
ständige Betriebsabteilungen des Maler- und
Lackiererhandwerks. Nicht erfaßt werden Be-
triebe, die ausschließlich Hersteller oder
Händler sind.
§ 14
Sozialkassenbeitrag
(1) Der Arbeitgeber hat zur Aufbringung der
Mittel für die tarifvertraglich festgeleg-
ten Leistungen an Urlaub, Lohnausgleich,
Berufsbildung und Zusatzversorgung für die
gewerblichen Arbeitnehmer als Sozialkassen-
beitrag einen Gesamtbetrag von 24 v.H. der
Summe der Bruttolöhne aller von diesem Ta-
rifvertrag erfaßten Arbeitnehmer des Be-
triebes (Bruttolohnsumme) an die Kasse ab-
zuführen. Mit der ordnungsgemäßen Abführung
des Sozialkassenbeitrags hat der Arbeitge-
ber seine Verpflichtungen zur Beitragszah-
lung erfüllt.
§ 15
Meldung und Beitragszahlung
...
(6) Der Sozialkassenbeitrag ist für jeden Ab-
rechnungszeitraum, spätestens bis zum näch-
sten 15. des Monats, zugunsten der Einzugs-
stelle einzuzahlen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagte sei nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen zur Beitragszahlung verpflichtet. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV sei rechtswirksam. Sie verstoße ebenso wie die tariflichen Bestimmungen des Verfahrens-TV nicht gegen höherrangiges Recht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 28.369,68 DM
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, ein öffentliches Interesse i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 2 TVG zur Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV sei nicht hinreichend erkennbar. Da die Entscheidung über die Allgemeinverbindlicherklärung durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung keine Begründung enthalte, sei nicht überprüfbar, ob ein öffentliches Interesse zu Recht bejaht worden sei. Dieses Verfahren begegne rechtsstaatlichen Bedenken. Ein öffentliches Interesse an der Allgemeinverbindlicherklärung könne insbesondere hinsichtlich der Einbeziehung der tariflich festgelegten Leistungen für den Urlaub in den Verfahrens-TV nicht mit einer hohen Fluktuation der Arbeitnehmer begründet werden. Eine solche liege innerhalb der Betriebe des Gerüstbaugewerbes nicht vor.
Insoweit verstießen die tariflichen Bestimmungen auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da andere die Arbeitgeber weniger belastende rechtliche Möglichkeiten zur Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf ungeteilten Urlaub gegeben seien. Eine unverhältnismäßige Belastung der Arbeitgeber werde auch durch das Aufrechnungsverbot mit Erstattungsansprüchen gegenüber Beitragsforderungen, die kurze Verfallfrist für Erstattungsansprüche, die Verzinsungspflicht für rückständige Beitragsforderungen - nicht aber für Erstattungsansprüche - sowie die Kompliziertheit des Erstattungsverfahrens herbeigeführt.
Die tariflichen Bestimmungen des Verfahrens-TV seien auch mit dem Gleichheitsgebot nach Art. 3 GG und dem Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 GG nicht vereinbar. Dies folge daraus, daß vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV nur Betriebe des Gerüstbaugewerbes, nicht aber Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks erfaßt würden. Diese führten aber zumindest im regionalen Bereich der Beklagten überwiegend oder in erheblichem Umfange Gerüstbauarbeiten aus. Da im Klagezeitraum der Sozialkassenbeitrag für Gerüstbaubetriebe 24 v.H. der Bruttolohnsumme, in Betrieben des Maler- und Lackiererhandwerks aber nur 18 v.H. der Bruttolohnsumme betragen habe, liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung und übermäßige Belastung der Gerüstbaubetriebe im Vergleich zu konkurrierenden Malerbetrieben vor.
Die tariflichen Bestimmungen des Verfahrens-TV verstießen auch gegen Art. 7 i.V. mit Art. 59, 60 EWG-Vertrag. Durch die Verpflichtung zur Leistung der Sozialkassenbeiträge werde die Beklagte insbesondere gegenüber italienischen Konkurrenzfirmen diskriminiert, die einer dem Sozialkassenbeitrag entsprechenden Kostenbelastung nicht unterworfen seien.
Hilfsweise hat die Beklagte mit Erstattungsansprüchen in Höhe von 19.277,80 DM aufgerechnet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Beitragszahlung nach Maßgabe des Verfahrens-TV zu. Die tariflichen Bestimmungen und ihre Allgemeinverbindlicherklärung verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei zur Beitragszahlung an die Klägerin nach § 14 Abs. 1 i.V. mit § 15 Abs. 6 des Verfahrens-TV verpflichtet. Sie unterhalte einen Betrieb des Gerüstbaugewerbes und werde deshalb vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt. Der Verfahrens-TV finde auch auf das Rechtsverhältnis der Parteien kraft Allgemeinverbindlicherklärung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
Die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV sei nach § 5 TVG rechtswirksam erfolgt. Es bestehe kein Streit zwischen den Parteien, daß die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 v.H. der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigten. Anhaltspunkte dafür, daß das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung den ihm zustehenden weiten Beurteilungsspielraum bei der Annahme des öffentlichen Interesses überschritten habe, lägen nicht vor.
Die Allgemeinverbindlicherklärung verstoße auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 oder Art. 3 GG. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege insbesondere nicht darin, daß der Geltungsbereich des Verfahrens-TV auf das Gerüstbaugewerbe beschränkt sei. Zwischen den Arbeitsverhältnissen im Gerüstbaugewerbe und den Arbeitsverhältnissen in anderen Bereichen bestünden erhebliche Unterschiede. Diese beruhten insbesondere darauf, daß, wie in der Bauwirtschaft und im Maler- und Lackiererhandwerk, eine Abhängigkeit von klimatischen Einflüssen und daraus resultierenden saisonalen Schwankungen bestehe, die zu Arbeitsausfällen und zu häufigem Arbeitsplatzwechsel führe. Dies rechtfertige zum Ausgleich der den Arbeitnehmern dadurch entstehenden Nachteile die Allgemeinverbindlicherklärung der dem Baugewerbe und Maler- und Lackiererhandwerk entsprechenden tariflichen Bestimmungen über die Sozialkassen für das Gerüstbaugewerbe. Ein Verstoß gegen den EWG-Vertrag liege nicht vor.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß der Betrieb der Beklagten als Betrieb des Gerüstbaugewerbes vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt wird. Dieser Tarifvertrag findet auf das Rechtsverhältnis der Parteien kraft Allgemeinverbindlicherklärung mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Entgegen der Auffassung der Beklagten sind sowohl die tariflichen Bestimmungen des Verfahrens-TV als auch dessen Allgemeinverbindlicherklärung rechtswirksam. Verstöße gegen die Vorschriften des Grundgesetzes oder des Europäischen Gemeinschaftsrechts liegen nicht vor.
2. Rechtsgrundlage für die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV ist § 5 TVG. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 44, 322 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; BVerfGE 55, 7 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG) und des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 24. Januar 1979, BAGE 31, 241 = AP Nr. 16 zu § 5 TVG; Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG) verfassungskonform. Die dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in § 5 Abs. 1 TVG erteilte Ermächtigung zur Allgemeinverbindlicherklärung ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt. Auch das vorgesehene Veröffentlichungsverfahren ist mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar (vgl. BVerfG Beschluß vom 10. September 1991 - 1 BvR 561/89 - AP Nr. 27 zu § 5 TVG).
An dieser Rechtsprechung ist auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten geltend gemachten Bedenken gegen die gesetzlich nicht vorgesehene Begründung der Entscheidung der Allgemeinverbindlicherklärung festzuhalten.
Die Allgemeinverbindlicherklärung erfolgt im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuß auf Antrag einer Tarifvertragspartei. Dieses Verfahren dient der Absicherung der Abwägung der Interessen der Beteiligten. Dabei haben auch die von der Allgemeinverbindlicherklärung betroffenen Außenseiter Gelegenheit, ihre Interessen im Verfahren schriftlich oder mündlich zur Geltung zu bringen (BVerfGE 44, 322, 349 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG).
Wird der Tarifvertrag danach für allgemeinverbindlich erklärt, so kommt in dieser Entscheidung zum Ausdruck, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen seines Beurteilungsspielraums als gegeben erachtet. Diese Entscheidung haben die Gerichte für Arbeitssachen von Amts wegen zu überprüfen, wenn der Parteivortrag oder auch von den Parteien nicht vorgetragene augenfällige Umstände dazu Veranlassung geben (BAG Urteil vom 3. Februar 1965, BAGE 17, 59 = AP Nr. 12 zu § 5 TVG). Dadurch wird ein effektiver Rechtsschutz, der bei der Normsetzung durch die Exekutive kein allgemeines Begründungsgebot erfordert (vgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, GG, Art. 19 Abs. IV Rz 253; Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 80 IX, 2.), für den Außenseiter gewährt. Dieser kann nämlich die Umstände, die aus seiner Sicht gegen eine Allgemeinverbindlicherklärung sprechen, in das gerichtliche Verfahren einführen und damit insoweit eine gerichtliche Überprüfung des als fehlerhaft gerügten Teils der Entscheidung über die Allgemeinverbindlicherklärung veranlassen. So kann das Gericht die zur Begründung der Entscheidung beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vorliegenden Unterlagen, aufgrund derer die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ausgesprochen worden ist, beiziehen und dem betreffenden Außenseiter Akteneinsicht gewähren. Deshalb widerspricht es nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß das Bundesministerium nicht gesetzlich verpflichtet ist, die Entscheidung über die Allgemeinverbindlicherklärung gesondert zu begründen und diese Begründung mit zu veröffentlichen.
3. Mit Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV nach § 5 Abs. 1 TVG vorlagen.
a) Die nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG erforderliche Beschäftigtenzahl ist gegeben. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 v.H. der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen.
b) Das Landesarbeitsgericht nimmt auch mit Recht an, daß die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 TVG für die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV erfüllt sind. Die Allgemeinverbindlicherklärung setzt danach voraus, daß sie "im öffentlichen Interesse geboten erscheint". Die gesetzliche Vorschrift eröffnet damit der zuständigen Behörde einen außerordentlich weiten Beurteilungsspielraum. Eine gerichtliche Überprüfung kommt deshalb nur insoweit in Betracht, als der Behörde wesentliche Fehler vorzuwerfen sind (BVerfGE 44, 322, 344 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG m.w.N.; BVerwG Urteil vom 3. November 1988 - 7 C 115.86 - AP Nr. 23 zu § 5 TVG). Dies folgt zum einen daraus, daß nach dem Gesetzeswortlaut ein öffentliches Interesse nur "geboten erscheinen" muß. Zum anderen bietet die verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung eine ausreichende Gewähr dafür, daß das für die Allgemeinverbindlicherklärung zuständige Ministerium seinen kraft Gesetzes weiten Beurteilungsspielraum sachgemäß nutzt. Eine gerichtliche Kontrolle der Einhaltung dieses Beurteilungsspielraums kommt daher nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Entscheidung in Betracht (BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG unter Bezugnahme auf Urteil vom 12. Oktober 1988 - 4 AZR 244/88 - und Urteil vom 15. Februar 1989 - 4 AZR 499/88 - beide nicht veröffentlicht).
c) Das Landesarbeitsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß Anhaltspunkte für ein Überschreiten des dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eingeräumten außerordentlich weiten Beurteilungsspielraums nicht vorliegen.
Die Beklagte wendet ein, daß ein öffentliches Interesse insbesondere an der Allgemeinverbindlicherklärung des Teils des Verfahrens-TV, der das Urlaubsverfahren betreffe, nicht bestehe. Eine hohe Fluktuation der Arbeitnehmer, die die Einbeziehung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf Urlaubsentgelt in den Verfahrens-TV rechtfertigen könne, bestehe im Gerüstbaugewerbe zumindest in dem Bereich, auf den sich die betriebliche Tätigkeit der Beklagten erstrecke, anders als im Baugewerbe nicht. Deshalb sei die Belastung der nichttarifgebundenen Arbeitgeber, die sowohl Beiträge an die Kasse als auch zunächst das Urlaubsentgelt an die Arbeitnehmer zahlen müßten, nicht gerechtfertigt.
Dieser Einwand der Beklagten ist zwar gewichtig, läßt aber im Ergebnis noch nicht den Schluß zu, daß das Ministerium seinen Beurteilungsspielraum bei der Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV insbesondere hinsichtlich der Vorschriften über das Urlaubsverfahren überschritten hat.
Für das Baugewerbe und das Maler- und Lackiererhandwerk ist anerkannt, daß die hohe Fluktuation der Arbeitnehmer der Verwirklichung von Urlaubsansprüchen entgegenstehen könne und deshalb die Urlaubskassenregelung zu dem sozialpolitisch erwünschten Ziel führt, daß auch die Arbeitnehmer in diesen Gewerben die Möglichkeit für einen zusammenhängenden Urlaub erhielten und die Abgeltung von Urlaub möglichst unterbleibe (BAG Urteil vom 24. Januar 1979, BAGE 31, 241 = AP Nr. 16 zu § 5 TVG).
Auf statistisches Material, aus dem sich ergibt, daß eine solche Fluktuation im Gerüstbaugewerbe nicht gegeben sei, vermag die Beklagte nicht zu verweisen. Insbesondere kommt es insoweit nicht auf die regionalen Verhältnisse im Bereich der Beklagten, sondern auf die Verhältnisse im gesamten Geltungsbereich des Tarifvertrages an. Das Gerüstbaugewerbe hat sich aus dem Baugewerbe und dem Maler- und Lackiererhandwerk als selbständiger Gewerbezweig entwickelt. Ohne anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte konnte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung deshalb davon ausgehen, daß die tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der Fluktuation der Arbeitnehmer vergleichbar seien. Dies entspricht offenbar auch der Beurteilung der Tarifvertragsparteien.
Selbst wenn aber, wie die Beklagte vorträgt, eine mit dem Baugewerbe und dem Maler- und Lackiererhandwerk vergleichbare Fluktuation der Arbeitnehmer im Gerüstbaugewerbe im Jahre 1988 nicht mehr bestanden haben sollte, so konnte das Bundesministerium ohne entsprechende tatsächliche Unterlagen ein öffentliches Interesse der Allgemeinverbindlicherklärung auch unter dem Gesichtspunkt als geboten erscheinend annehmen, daß sich das Urlaubskassenverfahren im Gerüstbaugewerbe praktisch bewährt und damit als der gesetzlichen Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 TVG entsprechend erwiesen hat (vgl. BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG). Das Urlaubskassenverfahren kann mit seiner sozialpolitisch gewünschten Zielsetzung nur dann effektiv wirksam werden, wenn alle Betriebe des Gerüstbaugewerbes einbezogen werden. Ohne diese rechtliche Ausgestaltung können wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer, die bei nichttarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind, nicht hinreichend ausgeschlossen werden. Auch dies rechtfertigt die Annahme eines öffentlichen Interesses an der Allgemeinverbindlicherklärung.
4. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV verstößt nicht gegen die Grundrechte der Beklagten. Die für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge unterliegen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG. Deshalb bedarf es der Prüfung, ob die Unterwerfung der Beklagten unter die Normsetzung der Tarifvertragsparteien Grundrechte der Beklagten verletzt (vgl. BVerfGE 55, 7, 21 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG).
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 55, 7 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG) und des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG) werden durch die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen Außenseiter in ihrem Grundrecht auf positive und negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht verletzt. Auch wird durch die Unterwerfung der Außenseiter unter die Tarifnormen auf der Grundlage des § 5 TVG nicht in unzulässiger Weise in ihre allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG (BVerfGE 44, 322, 353 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG) und durch die Auferlegung von Zahlungspflichten zu der Sozialkasse nicht in das Grundrecht der freien Berufswahl und Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen (BVerfGE 55, 7, 26 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG). Insoweit werden von der Beklagten auch keine Grundrechtsverstöße geltend gemacht.
b) Soweit die Beklagte geltend macht, daß sie durch die Verpflichtung zur Beitragszahlung in ihrem Recht auf Eigentum nach Art. 14 GG verletzt werde, trifft dies schon aus Rechtsgründen nicht zu. Das Vermögen als solches genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz (BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG unter Bezugnahme auf BVerfGE 74, 129, 148 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; BVerfGE 65, 196, 209 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).
c) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verneint.
Die Beklagte beruft sich darauf, daß eine Ungleichbehandlung insoweit vorliege, als Betriebe des Malerhandwerks, die ebenfalls Gerüstbauarbeiten ausführten, und die deshalb mit ihr konkurrierten, vom Geltungsbereich des Verfahrens-TV ausgenommen seien und wegen ihrer anderweitigen Tarifbindung nur einen Sozialkassenbeitrag von 18 v.H. der Bruttolohnsumme zu zahlen hätten, während im Gerüstbaugewerbe der Sozialkassenbeitrag 24 v.H. der Bruttolohnsumme betrage.
Die Beschränkung des Geltungsbereichs des Verfahrens-TV auf Betriebe des Gerüstbaugewerbes in § 1 Abs. 2 Abschnitt I und Abschnitt II und die Ausnahme der Betriebe des Malerhandwerks in § 1 Abs. 2 Abschnitt III verstößt nicht gegen Art. 3 GG.
Die Tarifvertragsparteien können Tarifverträge rechtswirksam nur im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit schließen. Dagegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfGE 55, 7 = AP Nr. 17 zu § 5 TVG). Demgemäß ist es nicht nur sachgerecht, sondern rechtlich geboten, daß die Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes nur Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen, die überwiegend Gerüstbauarbeiten ausführen in den Geltungsbereich des Verfahrens-TV einbeziehen. Der Ausschluß von Betrieben und selbständigen Betriebsabteilungen des Baugewerbes und des Maler- und Lackiererhandwerks in § 1 Abs. 2 Abschnitt III Verfahrens-TV trägt damit der fehlenden Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes Rechnung und dient dazu, Tarifkonkurrenzen zu vermeiden.
Hinzu kommt, daß auch in diesen Bereichen vergleichbare Sozialkassentarifverträge bestehen, die ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt sind. Dabei begründet sich die unterschiedliche Höhe des Sozialkassenbeitrags daraus, daß die Kassen unterschiedliche Leistungen erbringen. So sind insbesondere in die Sozialkassen des Malerhandwerks Leistungen für Winterlohnausgleich und Berufsbildung nicht einbezogen. Die Bestimmung des Umfangs der Leistungen obliegt jedoch den jeweils zuständigen Koalitionen im Rahmen ihrer Tarifautonomie.
Wenn die Beklagte geltend macht, daß in ihrem Bereich Betriebe nur formal als Betriebe des Malerhandwerks auftreten, in Wirklichkeit aber überwiegend Gerüstbauarbeiten ausführen, so betrifft dies nicht die Rechtswirksamkeit der tariflichen Normen über den betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrens-TV, sondern nur deren Anwendung durch die zuständigen Kassen im Einzelfall.
d) Entgegen der Auffassung der Beklagten verletzt die Allgemeinverbindlicherklärung des Verfahrens-TV auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zu den Grenzen des normativen Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien, der von den Gerichten zu überprüfen ist, gehört auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Allerdings ist es nicht Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben (vgl. BAG Urteil vom 12. März 1992 - 6 AZR 311/90 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Soweit die Beklagte geltend macht, die tarifliche Regelung über das Urlaubsverfahren verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, trifft dies nicht zu. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, daß eine tarifvertragliche Regelung zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich ist sowie nicht außer Verhältnis stehen darf (BAGE 63, 100, 110 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Vorruhestand).
Die Einbeziehung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer in das Kassenverfahren ist geeignet und erforderlich, um das angestrebte Ziel, der Sicherung der Gewährung eines zusammenhängenden Urlaubs an die Arbeitnehmer und die Vermeidung der Abgeltung von Urlaubsansprüchen zu erreichen. Sie belastet die Arbeitgeber auch nicht unverhältnismäßig.
Wenn die Beklagte darauf verweist, daß sie Beiträge zu zahlen und Ansprüche der Arbeitnehmer auf Urlaubsentgelt zu erfüllen habe, während eine Erstattung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolge, übersieht sie, daß in der Regel nicht alle Arbeitnehmer des Betriebes gleichzeitig in Urlaub gehen. Die Erstattung von gezahltem Urlaubsentgelt durch die Kasse dürfte damit auch in Zeiträume fallen, in denen wiederum Ansprüche von Arbeitnehmern auf Urlaubsentgelt entstehen, die mit den Erstattungsleistungen befriedigt werden können.
Soweit die Beklagte andere Möglichkeiten zur Sicherung der Urlaubsansprüche aufzeigt, betrifft dies die Zweckmäßigkeit der tariflichen Regelung, deren Überprüfung den Gerichten für Arbeitssachen verwehrt ist. Gleiches gilt hinsichtlich der Einwendungen der Beklagten gegen das Aufrechnungsverbot, die Verfallfristen und die Beibringung der für die Erstattungsleistungen erforderlichen Nachweise. Diese Regelungen dienen der Abwicklung der Erstattungsansprüche als einem Massenverfahren. Zu deren zügiger Erledigung ist eine Formalisierung durchaus sachlich geboten und in gewissem Maße unvermeidlich.
e) Ein Verstoß gegen die Vorschriften des EWG-Vertrages liegt nicht vor. Die Beklagte sieht eine gegen Art. 7 in Verbindung mit Art. 59, 60 EWG-Vertrag verstoßende Diskriminierung darin, daß insbesondere italienische Firmen, die mit ihr in Konkurrenz treten, keiner dem Sozialkassenbeitrag ähnlichen Kostenbelastung ausgesetzt seien.
Dies trifft jedoch schon insoweit nicht zu, als inländische Betriebe ausländischer Unternehmen ebenfalls unter den Geltungsbereich des Verfahrens-TV fallen. Im übrigen liegt eine gegen Art. 7 Abs. 1 EWG-Vertrag verstoßende Diskriminierung nicht vor, wenn eine unterschiedliche Wettbewerbssituation durch die Belastung des Arbeitgebers mit Lohn- und Lohnnebenkosten auf unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften im Steuerrecht, im Arbeitsrecht oder im Zivilrecht beruht. Der EWG-Vertrag enthält insoweit keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß dadurch eintretende Wettbewerbsverzerrungen generell verboten seien (vgl. Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentierung zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 7 Rz 16). Die Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften kann nicht allein deshalb als Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung angesehen werden, weil andere Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden. Vorschriften, die weder unmittelbar noch mittelbar nach der Staatsangehörigkeit unterscheiden, gleichwohl aber eine Situation schaffen, die die Wettbewerbsfähigkeit der in einem Hoheitsgebiet ansässigen Wirtschaftsteilnehmer gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern anderer Mitgliedstaaten beeinträchtigt, verletzen somit nicht Art. 7 EWG-Vertrag (EuGH Rs.-155/80- Slg. 1981, 1993, 2007 unter Bezugnahme auf Rs.-185/78 bis 204/78- Slg. 1979, 2345, 2361; vgl. auch BAG Urteil vom 28. März 1990 - 4 AZR 536/89 - AP Nr. 25 zu § 5 TVG; Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, Art. 7 Rz 7).
5. Die von der Beklagten gegen die Beitragsforderung erklärte Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung in Höhe von 19.277,80 DM verstößt gegen das Aufrechnungsverbot nach § 14 Abs. 4 Verfahrens-TV. Die Aufrechnung ist damit unwirksam.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Hauck
Dr. Meyer Wingefeld
Fundstellen
BAGE 74, 226-238 (LT1) |
BAGE, 226 |
DB 1994, 842 (LT1) |
NZA 1994, 323 |
NZA 1994, 323-325 (LT1) |
ZTR 1994, 70 (LT1) |
AP § 1 TVG, Nr 2 |
AR-Blattei, ES 1550-10 Nr 23 (LT1) |
EzA § 5 TVG, Nr 11 (LT1) |
MDR 1994, 926 (LT1) |