Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zum Mutterschaftsgeld. Rechtsmißbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach § 14 MuSchG anspruchsberechtigte Frau handelt rechtsmißbräuchlich, wenn sie durch Änderung von steuerlichen Merkmalen (Steuerklasse, Freibeträge) die Höhe der ihr im Bezugszeitraum zufließenden Nettovergütung allein deshalb beeinflußt, um einen höheren Zuschuß des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld zu erlangen.
2. Der Arbeitgeber darf einen anderen als den im Bezugszeitraum bezogenen Nettoverdienst nicht deshalb für die Berechnung des Zuschusses heranziehen, weil sich bei der Höhe der Nettobezüge steuerliche Freibeträge ausgewirkt haben.
Normenkette
AFG §§ 111, 113; BGB § 242; EStG §§ 32b, 39 Abs. 5 S. 4, § 39a; MuSchG § 14
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.10.1985; Aktenzeichen 8 Sa 31/85) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 17.04.1985; Aktenzeichen 2 Ca 16/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe der Klägerin der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zusteht.
Die Klägerin ist seit dem 1. Juli 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde 1984 schwanger. Die Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG dauerten vom 9. November 1984 bis über den 31. Januar 1985 hinaus. Die Klägerin erhielt von der Krankenkasse Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO in Höhe von 25,– DM je Kalendertag.
Bis August 1984 einschließlich wies die Lohnsteuerkarte der Klägerin die Steuerklasse IV und einen monatlichen Steuerfreibetrag von 300,– DM aus. Mit Wirkung ab 1. September 1984 ließ die Klägerin die Lohnsteuerklasse III und einen monatlichen Steuerfreibetrag von 1.196,– DM eintragen. Die am 20. September 1984 ausgestellte Lohnsteuerkarte für 1985 wies die Lohnsteuerklasse V und einen Freibetrag von 4,– DM aus.
Dementsprechend belief sich der Nettoverdienst der Klägerin in den für die Berechnung des Zuschusses nach § 14 Abs. 1 MuSchG zu berücksichtigenden Monaten auf folgende Beträge:
August 1984 |
2.189,65 DM |
September 1984 |
2.666,74 DM |
Oktober 1984 |
2.744,92 DM. |
Geht man von diesen Nettobezügen aus, so ergeben sich folgende Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld:
November 1984 |
1.232,28 DM |
Dezember 1984 |
1.736,39 DM |
Januar 1985 |
1.736,39 DM |
Insgesamt also ein Betrag von |
4.705,06 DM. |
Die Beklagte hat für die vorgenannten Monate als Zuschuß zum Mutterschaftsgeld insgesamt 3.864,93 DM gezahlt. Dabei ist sie von einem Nettoverdienst für die Monate September und Oktober 1984 ausgegangen, wie ihn die Klägerin erzielt hätte, wenn die steuerlichen Merkmale (Steuerklasse, Freibetrag) wie in der Zeit vor dem 1. September 1984 weitergegolten hätten.
Mit der Klage begehrt die Klägerin den Unterschiedsbetrag zwischen 4.705,06 DM und den geleisteten 3.864,93 DM. Sie hat dazu geltend gemacht, für die Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld komme es nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 MuSchG nur auf das tatsächlich erzielte, vom Arbeitgeber ausgezahlte Nettoeinkommen der letzten drei Kalendermonate vor Beginn der Schutzfrist an. Es sei nicht zulässig, ein fiktives Nettogehalt zugrunde zu legen. Wenn der Gesetzgeber die Änderung der Steuerklasse und die Eintragung von Freibeträgen unberücksichtigt hätte lassen wollen, so hätte er auf einen längeren Zeitraum oder das durchschnittliche Arbeitsentgelt einer gleichartig Beschäftigten abstellen können. Mit dem Wechsel der Steuerklasse und der Eintragung von Freibeträgen habe sie lediglich ein ihr von der Rechtsordnung eingeräumtes Recht ausgeübt. Rechtsmißbrauch liege nicht vor. Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich zwar nicht geändert; ihr Ehemann habe jedoch eine berufliche Veränderung in Betracht gezogen, die den Wechsel der Steuerklasse angezeigt hätte.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 840,13 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und widerklagend, die Klägerin zu verurteilen, an sie 432,86 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der für den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld maßgebende Nettolohn sei durchgehend nach der ursprünglich eingetragenen Lohnsteuerklasse IV zu bemessen; Steuerfreibeträge seien überhaupt nicht zu berücksichtigen; erst recht müsse die Erhöhung des Steuerfreibetrages außer Betracht bleiben. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 MuSchG spreche zwar für die Klägerin. Jedoch handele diese hier rechtsmißbräuchlich, wenn sie sich auf die in den Monaten September und Oktober 1984 erzielten Nettoverdienste stütze. Die Änderung der Steuerklasse und des Freibetrages hätte nicht den objektiv gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Eheleute entsprochen, sondern sei allein im Hinblick auf den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld erfolgt. Dies habe die Klägerin gegenüber dem Leiter der Personalverwaltung am 6. November 1984 auch zugegeben. Würde man die Änderungen berücksichtigen, so führe dies zu einer mit dem Zweck des Mutterschutzgesetzes nicht zu vereinbarenden Besserstellung der Klägerin. Dies gelte auch für die Steuerfreibeträge, insbesondere soweit diese auf § 7 b EStG beruhten.
Die Beklagte hat weiter vorgetragen, sie habe bei dem von ihr gezahlten Zuschuß den Freibetrag von 300,– DM irrtümlich berücksichtigt. Das habe zu der mit der Widerklage zurückverlangten Überzahlung geführt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Der Klägerin steht der von ihr begehrte höhere Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nicht zu. Ihr Verlangen, den Zuschuß nach dem Nettoverdienst der Monate September und Oktober 1984 zu berechnen, der sich aufgrund der Änderung der Steuerklasse und der Freibeträge ergibt, ist rechtsmißbräuchlich und daher zurückzuweisen. Im einzelnen gilt folgendes:
1. a) Für die Zeit der Beschäftigungsverbote vor und nach der Niederkunft (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG) sieht das Mutterschutzgesetz eine wirtschaftliche Sicherstellung der Frau vor. Sie erhält während dieser Zeit, in der sie wegen des Ausfalls der Arbeitsleistung keinen Arbeitsverdienst erzielt, ihren Nettoverdienst weiter. Das Entgelt wird bis zu einem Betrag von 25,– DM täglich durch das von der Krankenkasse zu zahlende Mutterschaftsgeld ausgeglichen. Für Frauen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, ist das Mutterschaftsgeld, das ihnen vom Bundesversicherungsamt gezahlt wird, seit Einfügung des letzten Halbsatzes in § 13 Abs. 2 Satz 1 MuSchG durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1578) mit Wirkung ab 1. Januar 1982 auf 400,– DM insgesamt beschränkt; diese Regelung verstößt weder gegen Art. 3 GG noch gegen Art. 6 Abs. 4 GG (BSG Urteil vom 12. März 1985, NZA 1985, 605; BVerfG Beschluß vom 16. November 1984, SozR 7830 Nr. 6 MuSchG).
Für den 25,– DM übersteigenden Teil des Nettoeinkommens hat der Arbeitgeber aufzukommen. Diese Verpflichtung ist den Arbeitgebern durch § 14 Abs. 1 MuSchG auferlegt worden. Das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzgesetzes und der Reichsversicherungsordnung vom 24. August 1965 (BGBl.I S. 912) hatte noch vorgesehen, daß die Mutter ohne Rücksicht auf eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Mutterschaftsgeld in Höhe ihres bisherigen Nettoeinkommens von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten sollte, denen der Bund es weitgehend erstattete. Diese Regelung trat wegen der angespannten Haushaltslage des Bundes (vgl. BT-Drucks. V/58, S. 7 zu Art. 4) nicht in Kraft. Die jetzt geltende gesetzliche Regelung geht auf das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I S. 1259) zurück, das vor allem auf dem Gebiet der Sozialversicherung Einsparungen für den Bundeshaushalt brachte. Eine Entlastung des Bundeshaushalts sollte dadurch erreicht werden, daß der Betrag, den der Bund den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden Leistungsfall zu erstatten hatte, auf 400,– DM begrenzt wurde. Für das von den Krankenkassen zu zahlende Mutterschaftsgeld wurde ein Höchstbetrag von täglich 25,– DM festgelegt. Um die Differenz zwischen diesem Höchstbetrag und dem tatsächlichen Nettoarbeitsentgelt der Frauen auszugleichen, wurde den Arbeitgebern eine entsprechende Zuschußzahlung auferlegt.
b) Der Zuschuß, den der Arbeitgeber zu leisten hat, beruht auf dem Arbeitsvertrag. Es handelt sich um einen gesetzlich begründeten arbeitsvertraglichen Anspruch auf – teilweise – Fortzahlung des Entgelts (vgl. BAG 46, 174, 178 = AP Nr. 2 zu § 14 MuSchG 1968, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 11. Juni 1986 - 5 AZR 365/85 - AP Nr. 3 zu § 14 MuSchG 1968; ferner Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 14 Rz 22; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 5. Aufl., § 14 Rz 2; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., § 14 MuSchG, T 304 f; Gröninger/Thomas, MuSchG 1986, § 14 Anm. 1). Wie das Bundesverfassungsgericht erkannt hat, ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, daß die Arbeitgeber gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG verpflichtet sind, den Unterschiedsbetrag zwischen dem von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragenden Mutterschaftsgeld und dem Nettoarbeitsentgelt zu zahlen (BVerfGE 37, 121 = AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968). An dieser Bewertung hat sich entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht auch dadurch nichts geändert, daß seit dem vorgenannten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 23. April 1974 die Nettoverdienste angestiegen sind und wegen des von den Krankenkassen unverändert nur in Höhe von 25,– DM täglich zu zahlenden Mutterschaftsgeldes die Belastung der Arbeitgeber durch den Zuschuß angewachsen ist (BVerfGE 70, 242).
2. Als Zuschuß ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG der Unterschiedsbetrag zwischen 25,– DM und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt zu zahlen. Das durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt ist aus den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG zu berechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 MuSchG). Nach diesen gesetzlichen Vorschriften wäre das kalendertägliche Arbeitsentgelt aus den Nettobezügen zu berechnen, die die Klägerin in den Monaten August, September und Oktober 1984 bezogen hat. Das sind die Beträge, die die Klägerin ihrer Berechnung des Zuschusses zugrunde gelegt hat. Die Nettobezüge der Monate September und Oktober 1984 sind jedoch dadurch höher als in der Zeit davor gewesen, daß die Klägerin in ihrer Lohnsteuerkarte statt der Steuerklasse IV die Steuerklasse III und statt eines Freibetrages von 300,– DM einen solchen von 1.196,– DM hat eintragen lassen. Damit hat die Klägerin zwar ihr steuerrechtlich offenstehende Möglichkeiten wahrgenommen (§ 39 Abs. 5 Satz 4, § 39 a EStG). Auf eine dadurch bewirkte Erhöhung des Nettoeinkommens im Bezugszeitraum nach § 14 Abs. 1 Satz 2 MuSchG kann sie sich für die Berechnung des von dem Arbeitgeber zu zahlenden Zuschusses jedoch dann nicht berufen, wenn die Änderung der Steuermerkmale ohne sachlichen Grund nur deshalb erfolgt ist, um den Nettoverdienst im Bezugszeitraum im Hinblick auf die Zuschußpflicht des Arbeitgebers zu erhöhen. Eine solche Ausnutzung einer steuerlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeit ist rechtsmißbräuchlich und daher unbeachtlich. Das ergibt sich im einzelnen aus folgenden Erwägungen:
a) Die für die Dauer der Schutzfristen vorgesehenen Leistungen (Mutterschaftsgeld und Zuschuß des Arbeitgebers) sollen die Frau während der Beschäftigungsverbote vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahren. Der Frau soll durch diese Leistungen ihr Nettolohn weiter zufließen. Diesem Schutzzweck des Gesetzes widerspräche es, wenn die Frau durch die ihr steuerrechtlich offenstehenden Möglichkeiten, den Nettoverdienst des Bezugszeitraums zu erhöhen, durch Mutterschaftsgeld und den Zuschuß des Arbeitgebers höhere Einkünfte zur Verfügung hätte, als dies ohne die Beschäftigungsverbote der Fall wäre. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Frau nur deshalb, um einen höheren Nettoverdienst im Bezugszeitraum und damit einen höheren Zuschuß des Arbeitgebers zu erlangen, die ihr steuerrechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt hat. Wäre ohne den Anspruch nach § 14 MuSchG die Änderung der steuerlichen Merkmale nicht erfolgt, dann hätte die Frau ohne die Beschäftigungsverbote den Nettolohn nach den vorher bestehenden steuerlichen Merkmalen weiter bezogen. Nur diese Rechtsstellung will ihr § 14 MuSchG erhalten.
b) Dem Gedanken, daß die für die Dauer der Schutzvorschriften vor und nach der Niederkunft vorgesehenen Leistungen nicht mißbräuchlich in Anspruch genommen werden dürfen, hat auch der Gesetzgeber für eine bestimmte Fallgestaltung Rechnung getragen. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld setzt nach § 200 Abs. 1 Satz 2 RVO voraus, daß in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat einschließlich dieser Monate vor der Entbindung für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Dieser Satz ist eingefügt worden „zum Schutz vor ungerechtfertigtem Bezug des hohen Mutterschaftsgeldes” (vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit zu BT-Drucks. IV/3652, S. 9; vgl. auch BSGE 33, 127 = AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG 1968). Mit dieser Vorschrift sollte verhindert werden, daß durch kurzfristige Begründung eines Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf die Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz begründet werden konnte. Als diese Vorschrift Gesetz wurde, war noch vorgesehen, daß die Gesamtleistungen durch die Krankenkassen erbracht wurden. Nach der Aufteilung der wirtschaftlichen Absicherung in das Mutterschaftsgeld von höchstens 25,– DM und den von den Arbeitgebern zu erbringenden Zuschuß bleibt der Grundgedanke, daß ein ungerechtfertigter Bezug der Leistungen nicht Platz greifen dürfe, weiterhin bestehen.
c) Wenn auch für den vorliegend zu erörternden Fall, daß die Frau durch gezielte Erhöhung ihres Nettoeinkommens den Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß beeinflussen will, eine dies verhindernde Regelung nicht in das Mutterschutzgesetz Eingang gefunden hat, so steht das doch der Anwendung des § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs nicht entgegen. Auf eine Anfrage hat die parlamentarische Staatssekretärin für die Bundesregierung am 23. Juli 1981 in bezug auf einen Wechsel der Steuerklassen vor dem Bezug von Mutterschaftsgeld, mit dem Ziel, die für die Bemessung des Mutterschaftsgeldes günstigste Steuerklassenkombination zu wählen, erklärt, dies könne sich für die wirtschaftliche Situation des Ehepaares insgesamt im Ergebnis auch nachteilig auswirken, insbesondere dann, wenn der andere Ehegatte im fraglichen Zeitraum eine andere Sozialleistung in Anspruch nehmen müsse (vgl. BT-Drucks. 9/722, S. 16 f.). Aus dieser Einlassung läßt sich nicht entnehmen, daß damit die Ansicht aufgegeben werden sollte, die nach dem Mutterschutzgesetz vorgesehenen Leistungen dürften nicht rechtsmißbräuchlich in Anspruch genommen werden. Hinzu kommt folgendes: Für den Bereich des Arbeitslosengeldes hat der Gesetzgeber in § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG geregelt, daß Änderungen der Lohnsteuerklassen für die Berechnung des Arbeitslosengeldes unbeachtlich sind, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechen. Damit soll einer ungerechtfertigten Beeinflussung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld durch einen willkürlichen Steuerklassenwechsel, der im Lohnsteuerrecht ohne besonderen Anlaß vorgenommen werden kann, entgegengewirkt werden (vgl. dazu BSG Urteil vom 20. März 1984, SozR 4100, § 113 AFG Nr. 3). Was in dieser Vorschrift als aus § 242 BGB herzuleitender Gedanke im Hinblick auf die Massentatbestände der Bewilligung von Arbeitslosengeld generalisierend gesetzlich ausgeformt worden ist, muß sich in Anwendung des § 242 BGB auch ohne eine dahingehende besondere gesetzliche Regelung in dem Bereich durchsetzen und verwirklichen, in dem es darum geht, einen ungerechtfertigten Bezug von Arbeitgeberleistungen abzuwehren, zumal da diese sich als Teil einer Gesamtvorsorge darstellen, die von der Gemeinschaft nach Art. 6 Abs. 4 GG zu erbringen ist. Bei einer anderen Betrachtung würden sich nicht erklärbare und nicht verständlich zu machende Wertungswidersprüche ergeben.
3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorbringen der Parteien, daß die Klägerin die Änderung ihrer steuerlichen Merkmale allein deshalb vorgenommen hat, um von der Beklagten einen höheren Zuschuß zum Mutterschaftsgeld beanspruchen zu können. Die Klägerin hatte die Steuerklasse und die Höhe der Freibeträge mit Wirkung vom 1. September 1984 ändern lassen. Dadurch hat sie zwar nicht während des gesamten Bezugszeitraums, wohl aber während zwei der drei maßgeblichen Monate (September und Oktober 1984) wesentlich höhere Nettobezüge als in den davor liegenden Monaten erzielt. Die Beklagte hatte von vornherein geltend gemacht, dies sei nur geschehen, um den Zuschuß in seiner Höhe zu beeinflussen. Darauf hat die Klägerin in den Vorinstanzen vorgetragen, ihr Ehemann habe sich mit dem Gedanken getragen, sich beruflich zu verändern. Dies sei der Hauptgrund für die Steuerklassenänderung gewesen. Dieses Vorbringen reicht nicht aus, um die Annahme zu widerlegen, die Klägerin habe hier rechtsmißbräuchlich gehandelt. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich kein sachlicher Grund dafür, die Änderung der Steuerklasse und der Freibeträge zu dem geschehenen Zeitpunkt vorzunehmen. Ihre Einlassung ist daher als reine Schutzbehauptung zu werten, die im Hinblick auf die gesamten Umstände nicht die Wertung verbietet, daß die Klägerin allein deshalb den Wechsel der Steuermerkmale bewirkt hat, um von der Beklagten einen höheren Zuschuß zu erlangen.
4. Danach hat die Beklagte für die Berechnung des Zuschusses zu Recht das Nettoarbeitsentgelt der Monate September und Oktober 1984 angesetzt, das sich bei Weitergeltung der vor dem 1. September 1984 maßgeblichen steuerlichen Merkmale der Klägerin ergeben hätte. Die Klägerin handelt rechtsmißbräuchlich, wenn sie verlangt, den Zuschuß nach dem Nettoentgelt zu berechnen, das sich nach den von ihr bewirkten Änderungen der Steuerklasse und des Freibetrages ergeben hat.
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit sie mit ihr die Widerklage weiterverfolgt. Soweit die für die Berechnung des Zuschusses maßgebenden Nettovergütungen durch steuerliche Freibeträge beeinflußt waren, die auch schon vor dem 1. September 1984 zugunsten der Klägerin bestanden, kann dies nicht unberücksichtigt bleiben.
1. Die gesetzliche Vorschrift über die Berechnung des Zuschusses gibt für die Auffassung der Beklagten nichts her. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist als Zuschuß der Unterschiedsbetrag zwischen 25,– DM täglich und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt zu zahlen. Gesetzliche Abzüge sind die Sozialversicherungsbeiträge und die auf die Bezüge entfallende Lohnsteuer. Die Höhe der Lohnsteuer wird durch die individuellen steuerlichen Merkmale bestimmt. Dazu gehören auch auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Freibeträge. Daß diese für die Berechnung des den Zuschuß bestimmenden Nettoentgelts außer Betracht zu bleiben haben, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er das entsprechend zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß nach § 111 Abs. 1 AFG für die Höhe des Arbeitslosengeldes das um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern „gewöhnlich anfallen”, verminderte Arbeitsentgelt maßgebend ist. Damit kommt zum Ausdruck, daß bei der Bildung der Leistungssätze nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen zugrunde gelegt werden sollen, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordneten Lohnsteuertabelle eingearbeitet sind und den laufenden Lohnsteuerabzug ohne weiteres vermindern (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 13. November 1980, SozR 4100, § 111 AFG Nr. 4). Da § 14 MuSchG ohne Einschränkungen auf den Nettolohn so abstellt, wie dieser der anspruchsberechtigten Frau zugeflossen ist, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes der Nettolohn nicht ohne Einbeziehung von steuerlichen Freibeträgen zu berücksichtigen.
2. Entgegen der Ansicht der Beklagten erfordert auch der Sinn des § 14 MuSchG keine einschränkende Auslegung dieser Bestimmung. Die Frau soll den im Bezugszeitraum zugeflossenen Nettolohn durch die beiden Leistungsverpflichteten weiter erhalten. Deshalb ist erforderlich, daß der Arbeitgeber den Zuschuß in Höhe der Differenz zwischen 25,– DM Mutterschaftsgeld und dem bezogenen Nettolohn zahlt. Wenn die Freibeträge während der Beschäftigungsverbote nicht verbraucht werden, weil kein steuerpflichtiges Arbeitsentgelt zufließt, so kann dies dazu führen, daß die Frau den so nicht verbrauchten Betrag beim Lohnsteuerjahresausgleich oder im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für die Minderung des übrigen, im betreffenden Kalenderjahr bezogenen steuerpflichtigen Entgelts einsetzen kann. Das ist ein steuerlicher Vorteil, den man unter Umständen als ungerechtfertigt ansehen mag. Das müßte jedoch im Steuerrecht ausgeglichen werden. So wird nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 EStG Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld und Arbeitslosenhilfe bei der Berechnung der Einkommensteuer einbezogen, wobei die Beträge angesetzt werden, die nach Abzug der bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge im Sinne des § 111 AFG die ausgezahlten Leistungen ergeben. Wortlaut und Zweck des § 14 MuSchG gestatten es jedenfalls nicht, daß der Arbeitgeber möglicherweise auftretende steuerliche Vorteile für sich in Anspruch nimmt, um den Zuschuß herabzusetzen. Deshalb läßt sich auch nicht anführen, der Arbeitgeber finanziere über den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld den Hausbau einer Arbeitnehmerin, wenn der Freibetrag auf Abschreibungen nach § 7 b EStG beruht (a. A. insoweit LAG München Urteil vom 24. November 1978 - 6 Sa 638/78 - AnwBl. 1980, 150). Dem Arbeitgeber ist vom Gesetz nicht mehr auferlegt, als durch den Zuschuß zu der wirtschaftlichen Absicherung beizutragen, wie sie der in § 14 MuSchG zum Ausdruck gebrachten Vorstellung des Gesetzgebers entspricht.
3. Schließlich läßt sich ein anderes Ergebnis nicht damit begründen, bei den Freibeträgen bestünde in besonderem Maße die Gefahr, durch entsprechende Steuerung der Nettobezüge im Bezugszeitraum die Höhe des Zuschusses zu beeinflussen. Einer solchen Manipulation kann und muß die Rechtsordnung dadurch begegnen, daß der so handelnden Arbeitnehmerin der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegengehalten wird (vgl. vorstehend zu I). Ein möglicher Rechtsmißbrauch kann jedoch nicht dazu führen, die nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes gebotene Auslegung des § 14 MuSchG außer Acht zu lassen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Griebeling, Dr. Olderog, Polcyn, Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 60101 |
BAGE 53, 217-226 (LT1-2) |
BAGE, 217 |
BB 1987, 1179 |
BB 1987, 1179-1180 (LT1-2) |
DB 1987, 944-945 (LT1-2) |
ARST 1987, 152-153 (LT1-2) |
JR 1987, 264 |
NZA 1987, 703-705 (LT1-2) |
RdA 1987, 188 |
SAE 1988, 129-131 (LT1-2) |
SAE 1988, 66-68 (LT1-2) |
USK, 86168 (LT1-2) |
AP, (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 84 (LT1-2) |
AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 84 (LT1-2) |
EzA, (LT1-2) |