Entscheidungsstichwort (Thema)
Intertemporales Privatrecht. Ausschlußfristen
Leitsatz (amtlich)
Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers nach § 260 AGB-DDR unterliegen seit dem 1. Januar 1992 nicht mehr der Ausschlußfrist des § 265 AGB-DDR, sofern sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfallen waren.
Normenkette
EGBGB Art. 169, 230 Abs. 2, Art. 231 § 6, Art. 232 §§ 1, 5; AGB-DDR i.d.F. vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) §§ 260-261, 265; AGB-DDR i.d.F. vom 22. Juni 1990 (GBl. I S. 371) §§ 265, 265a; BGB § 195; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Buchst. f.
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 30. November 1995 – 1 Sa 9/95 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche.
Die im Jahre 1946 geborene Beklagte war von 1979 bis Ende 1989 als Sektorenleiterin bei der Kreisdirektion E… der Staatlichen Versicherung der DDR beschäftigt. Zwischen 1984 und November 1989 täuschte sie Schadensfälle vor und ließ die Ersatzleistungen an dritte Personen überweisen. Von diesen erhielt sie dann einen zuvor vereinbarten Anteil. Der hierdurch entstandene Schaden beträgt jetzt noch 162.157,54 DM.
Im Januar 1990 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte eingeleitet, das im August 1990 zur Anklageerhebung führte. Das Schöffengericht beim Kreisgericht Erfurt verurteilte die Beklagte am 30. April 1992 wegen fortgesetzter Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Dieses Urteil ist seit dem 8. Mai 1992 rechtskräftig.
Mit der am 4. September 1993 erhobenen Klage verlangt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung der DDR Schadensersatz. Sie macht geltend, die Beklagte habe den Schaden durch Verletzung ihrer Arbeitspflichten und durch strafbare Handlung vorsätzlich verursacht. Die Verpflichtung zum Schadensersatz sei auch nicht ausgeschlossen oder verjährt. Die an die Kenntnis der strafgerichtlichen Verurteilung anknüpfenden Fristen der §§ 265, 265a AGB-DDR hätten nicht zu laufen begonnen, da diese Vorschriften bereits am 31. Dezember 1991 außer Kraft getreten seien.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 162.157,54 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 9. Januar 1990 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, die Ansprüche seien gemäß § 265 AGB-DDR erloschen. Die Geltendmachung sei erst im September 1993 und damit verspätet erfolgt. Die Beklagte hat ferner die Einrede der Verjährung erhoben.
Das zunächst angerufene Landgericht hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Dieses hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat als Anspruchsgrundlage zutreffend § 260 Abs. 1 AGB-DDR in der Fassung vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) herangezogen und den Schadensersatzanspruch danach ohne Rechtsfehler bejaht.
1. Nach Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstanden ist, das bisherige für das Beitrittsgebiet geltende Recht maßgebend. Voraussetzung ist, daß sich der gesamte Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses unter der Geltung des bisherigen Rechts verwirklicht hat (vgl. näher Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 878/94 – AP Nr. 1 zu § 267 AGB-DDR, zu II 3b, bb der Gründe, m.w.N.). Das hier zu beurteilende Schuldverhältnis war im Jahre 1989 vollständig entstanden, Schädigungshandlung(en) und Schadenseintritt waren spätestens im November 1989 abgeschlossen. Deshalb kommen die §§ 260 bis 264 AGB-DDR in der Fassung vom 16. Juni 1977 weiterhin zur Anwendung.
2. Nach § 260 Abs. 1 AGB-DDR war der Werktätige dem Betrieb zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn er durch Verletzung seiner Arbeitspflichten schuldhaft einen Schaden verursachte. Schaden wurde als jede Minderung des dem Betrieb anvertrauten sozialistischen Eigentums definiert. Hierzu gehörten der Verlust von Geld und Sachen, notwendige Kosten für die Beseitigung von Beschädigungen, entgangene Geldforderungen und entstandene Zahlungsverpflichtungen (§ 261 Abs. 1 AGB-DDR). Für einen vorsätzlich verursachten Schaden war der Werktätige in voller Höhe materiell verantwortlich (§ 261 Abs. 3 AGB-DDR). Vgl. zu den Haftungsregelungen im einzelnen Schaub, BB 1990, Beil. 38 zu Heft 32, S. 21 f.; Staudinger/Rauscher, BGB, 12. Aufl., Art. 232 § 5 EGBGB Rz 73 ff.; MünchKomm-BGB-Oetker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, Rz 1602 ff., 1626 ff.
3. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte hat ihre Arbeitspflichten vorsätzlich verletzt und dadurch vorsätzlich den Schaden von 162.157,54 DM verursacht. Hierüber streiten die Parteien auch nicht.
II. Die Klägerin ist mit ihrem Anspruch nicht ausgeschlossen.
1. Zur Tatzeit galt § 265 AGB-DDR in der Fassung vom 16. Juni 1977. Dieser lautete, soweit hier von Interesse, wie folgt:
“(1) Die materielle Verantwortlichkeit des Werktätigen ist ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntwerden des Schadens und des Verursachers, spätestens jedoch innerhalb von 2 Jahren nach dem Eintritt des Schadens, geltend gemacht wird. Wird die Schädigung des sozialistischen Eigentums durch schuldhafte Arbeitspflichtverletzung als Straftat verfolgt, kann die materielle Verantwortlichkeit noch innerhalb von 3 Monaten nach Kenntnis der abschließenden Entscheidung des zuständigen Organs geltend gemacht werden.
(2) Die materielle Verantwortlichkeit des Werktätigen ist vor der Konfliktkommission bzw. der Kammer für Arbeitsrecht des Kreisgerichts oder im Strafverfahren geltend zu machen.
…”
Die Bestimmung trat mit dem 30. Juni 1990 außer Kraft. Ob der Schaden bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt (konkret) bekannt geworden ist und ob jedenfalls die gesetzliche Zweijahresfrist nur noch die Geltendmachung eines Teils des Schadens erlaubt hätte, kann dahingestellt bleiben. Denn die fortgesetzte Untreue wurde als Straftat verfolgt, so daß die Geltendmachung noch innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des abschließenden Strafurteils möglich war. Ein Strafurteil (oder eine sonstige abschließende Entscheidung) ist jedoch bis zum 30. Juni 1990 nicht ergangen. Unter der Geltung von § 265 a.F. AGB-DDR ist der Anspruch demnach bestehen geblieben.
2. Ab dem 1. Juli 1990 hatte § 265 AGB-DDR folgende Fassung (GBl. I S. 371):
“Die materielle Verantwortlichkeit ist ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntwerden des Schadens und des Verursachers, spätestens jedoch innerhalb von 2 Jahren nach Eintritt des Schadens, gegenüber dem Arbeitnehmer schriftlich geltend gemacht wird. Wird die Eigentumsschädigung als Straftat verfolgt, kann die materielle Verantwortlichkeit noch innerhalb von 3 Monaten nach Kenntnis der abschließenden Entscheidung des zuständigen Organs geltend gemacht werden.”
Diese Bestimmung trat mit dem 31. Dezember 1991 außer Kraft (Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. f). Auch bis zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch nicht verfallen. Die Geltendmachung konnte weiterhin innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des abschließenden Strafurteils erfolgen, welches am 31. Dezember 1991 noch ausstand.
3. Ab dem 1. Januar 1992 unterlag der Anspruch keiner Ausschlußfrist mehr.
a) Ob § 265 AGB-DDR auf Altfälle auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1991 weiterhin Anwendung findet, richtet sich nach dem durch Anlage I Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt II zum Einigungsvertrag angefügten Sechsten Teil des EGBGB “Inkrafttreten und Übergangsrecht aus Anlaß der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Einführungsgesetzes in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet”.
aa) Soweit nach Art. 232 § 1 EGBGB das bisherige Recht für das Schuldverhältnis maßgebend bleibt, gilt das grundsätzlich auch für das Erlöschen des Schuldverhältnisses und das Bestehen von Einwendungen und Einreden (Palandt/Heinrichs, BGB, 55. Aufl., Art. 232 § 1 EGBGB Rz 7; MünchKomm-BGB-Heinrichs, 3. Aufl., Art. 232 § 1 EGBGB Rz 13; MünchKomm-BGB-Heinrichs, Zivilrecht im Einigungsvertrag, Rz 66; Staudinger/Rauscher, BGB, 12. Aufl., Art. 232 § 1 EGBGB Rz 25 ff.). Jedoch enthält Art. 231 § 6 Abs. 3 EGBGB für Ausschlußfristen eine spezielle Regelung, die dem Art. 232 § 1 EGBGB vorgeht.
bb) Nach Art. 231 § 6 Abs. 3 EGBGB sind auf Fristen, die für die Geltendmachung, den Erwerb oder den Verlust eines Rechts maßgebend sind, die Absätze 1 und 2 von Art. 231 § 6 entsprechend anzuwenden. Diese Absätze lauten wie folgt:
“
- Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verjährung finden auf die am Tag des Wirksamwerdens des Beitritts bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Der Beginn, die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung bestimmen sich jedoch für den Zeitraum vor dem Wirksamwerden des Beitritts nach den bislang für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltenden Rechtsvorschriften.
- Ist die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch kürzer als nach den Rechtsvorschriften, die bislang für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet galten, so wird die kürzere Frist von dem Tag des Wirksamwerdens des Beitritts an berechnet. Läuft jedoch die in den Rechtsvorschriften, die bislang für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet galten, bestimmte längere Frist früher als die im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmte kürzere Frist ab, so ist die Verjährung mit dem Ablauf der längeren Frist vollendet.
”
Sie entsprechen der in Art. 169 EGBGB für die Inkraftsetzung des BGB getroffenen Regelung, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes anerkannt ist (BGH Urteil vom 23. November 1973 – IV ZR 35/73 – NJW 1974, 236 ff.; BGH Urteil vom 29. Januar 1982 – V ZR 157/81 – NJW 1982, 2385, 2386; Palandt/Heinrichs, aaO, Art. 231 § 6 EGBGB Rz 1; Staudinger/Rauscher, aaO, Art. 231 § 6 EGBGB Rz 3, jeweils m.w.N.).
cc) Art. 231 § 6 EGBGB stellt auf den Tag des Wirksamwerdens des Beitritts (3. Oktober 1990) ab, weil das BGB im wesentlichen zu diesem Termin im Beitrittsgebiet in Kraft getreten ist (Art. 230 Abs. 2 EGBGB). Soweit nach den Übergangsvorschriften Recht der DDR vorübergehend in Kraft geblieben ist und deshalb ein späterer Stichtag für die Anwendung des BGB eingreift, muß Art. 231 § 6 EGBGB auf diesen Stichtag entsprechend angewendet werden; denn diese Norm drückt den allgemeinen Rechtsgrundsatz für die Wiederinkraftsetzung des BGB aus (vgl. oben bb; siehe auch Staudinger/Rauscher, aaO, Art. 232 § 5 EGBGB Rz 84).
dd) Für die am Stichtag noch nicht verjährten Ansprüche galt danach ab sofort eine etwaige längere Verjährungsfrist des BGB. Auch die Wirkung der Verjährung richtet sich nach dem BGB, während für den zurückliegenden Beginn der Verjährung ebenso wie für die zurückliegende Hemmung und Unterbrechung das frühere Recht maßgebend bleibt. Entsprechendes gilt nach der eindeutigen Regelung in Art. 231 § 6 Abs. 3 EGBGB für Ausschlußfristen. Diese Bestimmung bezieht sich auf den Allgemeinen Teil des BGB und findet entsprechend ihrer systematischen Stellung auch im Arbeitsrecht Anwendung. Art. 232 § 5 EGBGB, der das BGB für am Tage des Wirksamwerdens des Beitritts bestehende Arbeitsverhältnisse in Kraft setzt, ändert daran nichts. Das steht der weiteren Anwendung einer kürzeren Ausschlußfrist auf eine noch nicht verfallene Forderung entgegen. Anders als bei Art. 169 EGBGB wollte der Gesetzgeber laufende Verjährungsfristen und laufende Ausschlußfristen gleich behandeln (vgl. BT-Drucks. 11/7817 S. 38; Soergel/Hartmann, BGB, 12. Aufl., Art. 231 § 6 EGBGB Rz 16). Dieser Rechtslage kann nicht entgegengehalten werden, für das Zusammenspiel von Ausschlußfrist und Verjährung bestehe keine Parallele im bundesdeutschen Arbeitsrecht (a.A. offenbar Staudinger/Rauscher, aaO, Art. 232 § 5 EGBGB Rz 84). Darauf, in welcher Häufigkeit und in welcher Form Ausschlußfristen vorkommen, kommt es für die Anwendung des Gesetzes nicht an.
ee) Sind nach Art. 231 § 6 Abs. 1 und 3 EGBGB nicht mehr die Vorschriften des bisherigen Rechts über die Verjährung und den Verfall von Forderungen anwendbar, so ist das BGB gerade auch dann anwendbar, wenn es für die betreffende Forderung keine Verjährung bzw. keine Ausschlußfrist vorsieht. Auch in diesem Falle gilt ab dem Stichtag das neue Recht, und zwar unabhängig davon, ob die Frist bereits zu laufen begonnen hatte.
b) § 265 AGB-DDR ist mit dem 31. Dezember 1991 ersatzlos außer Kraft getreten. Das Gesetzesrecht der Bundesrepublik enthält keine Ausschlußfrist für Schadensersatzansprüche im Arbeitsverhältnis. Die Parteien haben nicht vorgetragen, daß auf das 1989 beendete Arbeitsverhältnis anderweitig Ausschlußfristen zur Anwendung kamen.
III. Der Anspruch ist nicht verjährt.
1. Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gemäß den Bestimmungen der §§ 260 bis 265 AGB-DDR unterlagen nach § 265a AGB-DDR in der seit dem 1. Juli 1990 geltenden Fassung der Verjährung. Die Verjährungsfrist betrug drei Jahre. Sie begann am ersten Tag des Monats, der dem Tag folgte, an dem der Arbeitgeber die materielle Verantwortlichkeit gem. § 265 AGB-DDR geltend gemacht hat (§ 265a Satz 2, 3 AGB-DDR).
2. Unter der Geltung des § 265a AGB-DDR begann keine Verjährungsfrist zu laufen. Die Klägerin hat den Anspruch erst durch Klagerhebung im September 1993 geltend gemacht, damit aber auch eine etwaige Verjährung sogleich unterbrochen. Verjährung hätte daher selbst dann nicht eintreten können, wenn § 265a AGB-DDR auch im September 1993 noch auf den Anspruch anzuwenden war.
3. Ab dem 1. Januar 1992 beträgt die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen der schuldhaften Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten 30 Jahre (§ 195 BGB). Hiernach ist der Anspruch ebenfalls nicht verjährt.
IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Plenge, Hannig
Fundstellen
Haufe-Index 885474 |
BAGE, 101 |
NZA 1998, 197 |