Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. persönliche Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Urteil vom 18.07.1994; Aktenzeichen 8/4 Sa 868/93) |
ArbG Eisenach (Urteil vom 18.03.1993; Aktenzeichen 4 Ca 1868/92) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. Juli 1994 – 8/4 Sa 868/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger begann 1963 die Laufbahn als Berufssoldat bei der NVA. Er schloß ein dreijähriges Offiziersstudium als Zugführer bei den Grenztruppen ab und war dann dort zunächst auf operativem Gebiet tätig. Seit 1969 arbeitete er als sog. Politoffizier im Bereich Propaganda und Schulung von Grenzsoldaten. Für seine Leistungen erhielt er die Medaille für vorbildlichen Grenzdienst und die Verdienstmedaille der Grenztruppen in Bronze und Silber. Neben seiner beruflichen Tätigkeit hatte er folgende Ämter inne: 4 Jahre FDJ-Leitungsmitglied, FDJ-Sekretär, 10 Jahre DTSB-Leitungsmitglied, 4 Jahre VKSK-Leitungsmitglied, 2 Jahre Gemeindevertreter, 4 Jahre SED-Leitungsmitglied. Im August 1988 schied er im Range eines Majors aus der NVA aus.
Seit dem 1. Oktober 1988 war der Kläger beim Rat des Kreises E., Abteilung Berufsbildung und Berufsberatung, beschäftigt. Mit Überleitungsvertrag vom 1. April 1990 wechselte er zum Arbeitsamt E. und ist seit dem 1. Juli 1991 als Hauptvermittler beim Arbeitsamt G. gegen eine Vergütung nach VergGr. Vb des ersten Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts (MTA-O) tätig. Dabei obliegen ihm folgende Aufgaben:
- selbständige Durchführung der Arbeitsvermittlung und der damit zusammenhängenden Arbeitsberatung,
- individuelle Beratung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Zusammenhang mit der Wahl und Besetzung von Arbeitsplätzen,
- Arbeitsvermittlung im engeren Sinne,
- Entgegennahme und Bearbeitung von Bewerberangeboten,
- Entgegennahme und Bearbeitung von Stellenangeboten,
- konkrete Vermittlungsbemühungen,
- Veranlassung, Auswertung und Besprechung von Gutachten des Ärztlichen und Psychologischen Dienstes,
- Einleitung und Entscheidung über Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme,
- Einleitung, Durchführung und Entscheidung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Gewährung von Einarbeitungszuschüssen, Eingliederungsbeihilfen und Zuschüssen zu den Lohnkosten älterer Arbeitnehmer,
- Entgegennahme der Arbeitslosmeldung und des Leistungsantrags,
- Entscheidung über Sperr- und Säumniszeiten.
Schon im Jahre 1990 erfolgten mannigfaltige Angriffe aus der Öffentlichkeit gegen Mitarbeiter des Arbeitsamtes G. wegen früher wahrgenommener Funktionen. Die Beklagte bildete daraufhin im November 1990 eine Personalgutachtergruppe, die einzelne angegriffene Mitarbeiter überprüfen und deren weitere Verwendung begutachten sollte. Auch in der Folgezeit kam es in der Öffentlichkeit durch Eingaben, Beschwerden und Presseberichte immer wieder zu Angriffen gegen die Beklagte wegen Weiterverwendung einzelner „belasteter” Mitarbeiter im Arbeitsamt G., so u.a. seitens des Petitionsausschusses des Kreistages G. mit Schreiben vom 12. Dezember 1991. In diesen Eingaben wurde mehrfach auch der Kläger namentlich genannt.
Nachdem die Beklagte den zuständigen Personalrat angehört und dieser der beabsichtigten Kündigung zugestimmt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 10. August 1992, zugegangen am selben Tage, ordentlich zum 30. September 1992. Zur Begründung der mangelnden persönlichen Eignung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV führte sie im Kündigungsschreiben u.a. aus: „Die Bundesanstalt für Arbeit ist auf Grund ihrer Stellung im Wirtschaftsgeschehen darauf angewiesen, in der Öffentlichkeit das Vertrauen der Ratsuchenden sowie aller mit dem Arbeitsamt zusammenarbeitenden Institutionen zu gewinnen bzw. zu erhalten. Das Ansehen wie die Funktionsfähigkeit des Arbeitsamtes ist insbesondere dann gefährdet, wenn es zu Akzeptanzproblemen kommt, die in der Beschäftigung von Mitarbeitern begründet liegen. Dieser Tatbestand ist bei Ihnen, wie die zahlreichen Angriffe in der Öffentlichkeit zeigen, gegeben.”
Mit der am 21. August 1992 beim zuständigen Kreisgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er sei für die Tätigkeit beim Arbeitsamt nicht persönlich ungeeignet. Die Beklagte habe keine konkreten Fälle hinsichtlich seiner mangelnden Akzeptanz bei Arbeitsuchenden dargelegt. Die Offiziersschule, die er besucht habe, sei erst während seines Studiums in eine Offiziersschule der Grenztruppen umgewandelt worden. Im Jahre 1969 habe er sich nach einem Verkehrsunfall nicht mehr fähig gefühlt, weiter als Zugführer im operativen Bereich zu arbeiten. Er sei deshalb in den politischen Bereich übergewechselt und einige Jahre bei der politischen Ausbildung der Soldaten eingesetzt gewesen. Er habe sich eigentlich zunächst 10 Jahre als Offizier verpflichtet und ab 1974 auch wegen gesundheitlicher Einschränkungen seiner Ehefrau und seiner Tochter immer wieder versucht, aus dem Dienst entlassen zu werden. Er habe drei Eingaben gemacht, weil er mit den Verhältnissen bei den Grenztruppen nicht zufrieden gewesen sei. Es seien in dieser Zeit auch Parteiverfahren eingeleitet worden. Erst das letzte Gesuch an den Staatsratsvorsitzenden im Frühjahr 1988 habe zu seinem – drei Monate vorzeitigen – einvernehmlichen Ausscheiden aus der NVA geführt. Ab Juli 1988 sei er nicht mehr im Dienst eingesetzt worden. Die positive Abschlußbeurteilung vom 28. Mai 1988 sei nur aufgrund der Androhung von arbeitsgerichtlichen Schritten und nach massivem Einschreiten zustande gekommen. Die Armee habe alles unternommen, um seine Einstellung in E. zu verhindern; er habe aber den stellvertretenden Vorsitzenden des Rates persönlich gekannt und aufgrund dieser Beziehungen die Stelle erhalten. Beim Arbeitsamt G. seien weiterhin mehrere Mitarbeiter in ungekündigter Stellung tätig, die in vergleichbaren Funktionen bei den Grenztruppen der ehemaligen DDR beschäftigt gewesen seien. Die Kündigung verletze daher auch den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10. August 1992 nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat
geltend gemacht, der Kläger sei für eine Tätigkeit als Hauptvermittler persönlich ungeeignet, weil er sich angesichts seiner langen Tätigkeit als Offizier bei den Grenztruppen und angesichts der ausgeübten Funktionen in besonders hohem Maße mit dem politischen System der ehemaligen DDR identifiziert habe. Als Politoffizier habe er die Parteitagsbeschlüsse der SED ideologisch-politisch offensiv umgesetzt. Er verfüge aufgrund seiner staatlichen Funktionen und seiner starken Einbindung in das gesellschaftliche System der ehemaligen DDR über einen nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit und werde deshalb in der Bevölkerung nicht akzeptiert. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei schon deswegen nicht verletzt, weil außer dem Kläger lediglich ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes G. als Offizier bei den Grenztruppen tätig gewesen sei. Akzeptanzprobleme bestünden bei diesem nicht. Er habe insbesondere keinen unmittelbaren Grenzdienst geleistet, keine Parteiämter innegehabt, sei nur für die Versorgung des Regiments mit Brenn-, Schmier- und Treibstoffen zuständig gewesen und 1984 nach 25 Dienstjahren als Major ohne den üblichen Kampforden ausgeschieden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe mehr als zwanzig Jahre als Offizier bei den Grenztruppen im operativen und im Ausbildungsbereich gearbeitet. Damit habe er eine besondere Identifikation mit dem politischen System der ehemaligen DDR gezeigt, ebenso mit den darin vertretenen Auffassungen über die Bedeutung der Staatsgrenze und die Notwendigkeit ihrer Verteidigung notfalls unter Schußwaffengebrauch gegenüber fliehenden und wehrlosen Menschen. Seine menschenverachtende und rechtsstaatswidrige Einstellung komme durch freiwillige Übernahme dieses Amtes deutlich zum Ausdruck. Wer sich in dieser Weise mit dem System der DDR identifiziert habe und durch seine Tätigkeit als Offizier und Zugführer sowie als Ausbilder der ihm anvertrauten Soldaten seine Linientreue und seine Bereitschaft zur Verteidigung des Systems unter Beweis gestellt habe, könne grundsätzlich kein öffentliches Amt in der Bundesrepublik ausüben und sei für eine Behörde wie das Arbeitsamt mit starkem Publikumsverkehr und ständig notwendigem Kontakt zum Bürger in der Regel untragbar.
Der Kläger habe jedoch diese Indizwirkung durch seinen Vortrag erschüttert. Das gelte zwar nicht für seine pauschalen, unbelegten und nicht näher nachprüfbaren Behauptungen zu seinen wiederholten Eingaben, zu den Parteiordnungsverfahren und zum Zustandekommen der guten Abschlußbeurteilung. Es ergebe sich aber aufgrund seines unstreitigen Vortrags, daß er im Frühsommer 1988 eine Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden gemacht und sich darin über die Zustände in den Grenztruppen beschwert habe und daß er deshalb kurz vor Ablauf der 25-jährigen Dienstzeit aus der NVA entlassen worden sei. Unter den damaligen Verhältnissen und zum damaligen Zeitpunkt sei nämlich dieses Verhalten des Klägers als Offizier der Grenztruppen ganz ungewöhnlich und äußerst mutig gewesen. Darin habe sich der Wunsch geäußert, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sich von den staatstragenden Ideologien der alten DDR zu lösen und sich einem Aufgabenbereich zuzuwenden mit mehr oder weniger „reiner” Verwaltungstätigkeit und ohne das Erfordernis der unbedingten Identifikation mit den Vorstellungen und Zielen der DDR. Die Kammer habe sich die Überzeugung hiervon aus der persönlichen Darstellung des Klägers im Verhandlungstermin gebildet. Durch den jähen Abschluß der Offizierslaufbahn sei der Indizwirkung der Boden entzogen worden. Es wäre nun Aufgabe der Beklagten gewesen, den Beweis der mangelnden Eignung zu führen. Hierfür genüge der Hinweis auf die Funktionen des Klägers in der SED und den Massenorganisationen nicht. Die persönliche Eignung des Klägers werde vollends nachvollziehbar, wenn man weiter berücksichtige, daß der Kläger keine herausgehobene oder besonders wichtige Funktion der öffentlichen Verwaltung innehabe und keinerlei konkrete Vorwürfe von Vorgesetzten oder Bürgern gegenüber seiner vierjährigen Arbeit im Dienste der Arbeitsverwaltung und gegenüber seinem Verhalten aufgezeigt seien.
B. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Ob der Kläger wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht, kann nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilt werden. Es bedarf sowohl zur Indizwirkung als auch zu deren Entkräftung weiterer Feststellungen.
I. Nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger arbeitete zum Zeitpunkt des Beitritts in der Arbeitsverwaltung, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an. Mit dem Arbeitsvertrag vom 15. Juni 1991 wurde das Arbeitsverhältnis nicht vollkommen neu begründet (vgl. BAG Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 502/93 – BAGE 75, 280 = AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Dieser Arbeitsvertrag diente nur dazu, das Vertragsverhältnis auf eine tarifliche Grundlage zu stellen und die Weiterbeschäftigung bei einem anderen Arbeitsamt zu regeln. Die Sonderkündigungsrechte des Einigungsvertrages blieben daher anwendbar (vgl. BAG Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 274/93 – BAGE 75, 284 = AP Nr. 10 zu Art. 20 Einigungsvertrag).
II. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
1. Der Senat hat die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt (vgl. Urteile vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – BAGE 75, 46 = AP Nr. 18, a.a.O., m.w.N.):
a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O., zu B III 1, 2 der Gründe).
c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen, denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
d) Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit den Zielsetzungen der SED identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – BAGE 76, 323, 332 = AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B II 3 b der Gründe).
2. Bei der Auslegung und Anwendung des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist der Bedeutung und Tragweite von Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen. Danach begründet die für Verbleib und Aufstieg im öffentlichen Dienst der DDR notwendige und übliche Loyalität und Kooperation für sich allein keine mangelnde Eignung. Die Kündigung erfordert – auf der Grundlage des Parteivortrags – eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach seinem gesamten Verhalten vor und nach dem Beitritt. Abs. 4 Ziff. 1 EV eröffnet nicht die Möglichkeit, die Tragbarkeit eines Arbeitnehmers für den öffentlichen Dienst allein nach seiner Stellung in der Hierarchie der DDR und seiner früheren Identifikation mit den Zielen der SED pauschal zu beurteilen. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern, und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürger der DDR nach 1989 gemacht haben, können eine solche Änderung herbeigeführt haben (BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140, 153 ff. = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 3 b aa der Gründe). Der besondere Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist in dieser – der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechenden – Auslegung verfassungsgemäß (BVerfG, a.a.O., zu C I der Gründe).
3. Eine solche Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV verstößt nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung knüpft nicht an die politische Meinung an, sondern an die durch bestimmte frühere Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, die Grundwerte unserer Verfassung zu achten und zu wahren. Wer über längere Zeit aufgrund seiner Funktion eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch und imperialistisch zu bekämpfen hatte, kann nun nicht zu den Grundwerten der Verfassung stehen, wenn er sich nicht durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – a.a.O., zu B II 2 e der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 261/93 – BAGE 78, 129, 137 f. = AP Nr. 36, a.a.O., zu B II 5 der Gründe).
III. Die Revision rügt zu Recht, daß die bisherigen Ausführungen des Klägers für die Entkräftung einer Indizwirkung nicht ausreichen. Der Vortrag des Klägers über den Inhalt seiner Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden ist zu pauschal, um eine Abkehr von den grundgesetzfeindlichen Zielen des Systems schlüssig belegen zu können. Andererseits genügen die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Tätigkeit des Klägers als sog. Politoffizier bei den Grenztruppen schon nicht für die Annahme des Indizes der mangelnden Eignung.
1.a) Es fehlt bereits an ausreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über die Aufgaben und die Stellung eines „Politoffiziers” bei den Grenztruppen. Das Landesarbeitsgericht leitet die Indizwirkung allein daraus ab, daß der Kläger mehr als 20 Jahre im operativen und im Ausbildungsbereich als Offizier bei den Grenztruppen gearbeitet habe. Über die Inhalte der Ausbildung ist nur bekannt, daß sie im Bereich Propaganda und Schulung von Grenzsoldaten lagen. Eine besondere Identifikation mit den Zielsetzungen der SED, insbesondere mit der Verteidigung der Staatsgrenze auch unter Schußwaffengebrauch gegenüber fliehenden Menschen, ist damit nicht notwendig verbunden. Sie ergibt sich nur, wenn der Kläger diese Doktrin auch aktiv gegenüber den untergebenen Soldaten vertreten mußte. Eine bloße Schulungstätigkeit für die SED würde bei einem Angestellten des Arbeitsamts in der Position des Klägers nicht so belastend ins Gewicht fallen. Gegenüber einem Hauptvermittler sind geringere Anforderungen zu stellen als gegenüber einem Lehrer. Während dieser den ihm anvertrauten jungen Menschen glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln soll, hat ein Angestellter beim Arbeitsamt keinen vergleichbaren Erziehungsauftrag. Zu verlangen ist allerdings, daß er seine Aufgaben im Rahmen der Gesetze nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfüllt. Daher bestehen Zweifel an seiner persönlichen Eignung, wenn er jahrelang die grob menschenrechtswidrige und menschenverachtende Vernichtung der Staatsflüchtlinge angeordnet, begründet und „gerechtfertigt” hat. In diesem Sinne erheblich wäre auch eine langjährige rechtsstaatswidrige politische Überwachung und Kontrolle der Soldaten. Die bloß indirekte Stabilisierung des Systems durch politische Schulung der Grenzsoldaten könnte dagegen nicht ausreichen. Für die Frage der Indizwirkung wird es damit insbesondere auf Art und Umfang der Schulungstätigkeit sowie auf eine etwaige politische Kontrolltätigkeit ankommen (vgl. auch Senatsurteile vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68/93 – n.v., zu B III 3 der Gründe; vom 21. März 1996 – 8 AZR 290/94 – n.v., zu B II 2 der Gründe; vom 18. April 1996 – 8 AZR 723/93 – n.v., zu II 2 a der Gründe).
b) Zwar ist es Aufgabe des kündigenden Arbeitgebers des öffentlichen Dienstes, die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen. Den Arbeitnehmer kann jedoch eine Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung treffen. So hat der Arbeitnehmer Auskunft zu Fragen nach einer früheren Tätigkeit zu geben, wenn diese Tätigkeit an sich geeignet ist, Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers zu begründen (BAG Urteil vom 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 – AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine Umkehr der Beweislast ist damit nicht verbunden.
Der Kläger wird daher darzulegen haben, welche Aufgaben er als Politoffizier hatte, insbesondere welche Inhalte der Schulung und Propaganda mit diesem Amt verbunden waren. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag des Klägers über seine Tätigkeit vor, so hat die Beklagte ggf. darzulegen und zu beweisen, daß ein anderer Sachverhalt zutrifft.
2. Sollten die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts wieder ergeben, daß die Funktion eines Politoffiziers bei den Grenztruppen bei langjähriger Ausübung die Nichteignung für den Beruf eines Hauptvermittlers indiziert, wäre dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich durch substantiierten Sachvortrag zu entlasten. Ob die Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers auch noch im Zeitpunkt der Kündigung bestanden, ist im Rahmen einer Einzelfallprüfung unter Abwägung der besonders belastenden Umstände gegenüber den spezifisch entlastenden Tatsachen zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht muß eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers nach dessen gesamtem Verhalten vor und nach dem Beitritt vornehmen.
Die bisherige Einzelfallprüfung des Landesarbeitsgerichts ist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs nicht durchgehend rechtsfehlerfrei. Das Landesarbeitsgericht stellt entscheidend ab auf die Eingabe des Klägers an den Staatsratsvorsitzenden im Frühsommer 1988 und auf die darin geäußerte Beschwerde über die Zustände in den Grenztruppen. Es stellt aber nicht einmal fest, in welche Richtung die Kritik des Klägers ging. Daher ist die Wertung des Verhaltens als ganz ungewöhnlich und äußerst mutig nicht nachvollziehbar. Der Vortrag des Klägers, seine Eingabe habe zu dem drei Monate vorzeitigen einvernehmlichen Ausscheiden aus der NVA geführt, kann ohne weitere Begründung nicht im Sinne einer (unehrenhaften?) „Entlassung” und eines „jähen Abschlusses der Offizierslaufbahn” gewertet werden. Für die Folgerung des Landesarbeitsgerichts, es sei der Wunsch des Klägers gewesen, sich von den staatstragenden Ideologien der alten DDR zu lösen, fehlt es an einer ausreichenden Begründung. Es erscheint auch nicht hinreichend deutlich, aus welchem Grund etwa der Kläger ab Juli 1988 nicht mehr im Dienst eingesetzt worden ist. Die Revision rügt zu Recht, daß der Inhalt der Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden unbekannt ist, dieser Eingabe sogar systemfestigender Charakter zugekommen sein könnte. Aus dem drei Monate vorgezogenen Ausscheiden des Klägers aus der NVA unter Übernahme einer Tätigkeit in der Berufsberatung/Berufsbildung kann für sich genommen nichts zugunsten des Klägers gefolgert werden.
Der Kläger müßte seinen Vortrag daher näher substantiieren. Am nächsten liegt es, die Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden vorzulegen. Es erscheint wahrscheinlich, daß der Kläger im Besitz eines Durchschlags, einer Kopie oder einer Abschrift von einem solch wichtigen Dokument geblieben ist.
Im übrigen ist es nicht richtig, wenn das Landesarbeitsgericht von einer vierjährigen unbeanstandeten Tätigkeit in der Arbeitsverwaltung ausgeht. Unter der Geltung des Grundgesetzes hat der Kläger bis zur Kündigung weniger als zwei Jahre gearbeitet.
3. Eine mangelnde persönliche Eignung des Klägers ergibt sich nicht aus einer Ablehnung in der Bevölkerung. Die vorliegenden Eingaben, Beschwerden und Presseberichte enthalten keine konkreten Beanstandungen gerade im Hinblick auf den Kläger. Die mangelnde persönliche Eignung kann aber nur aus den persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen des Klägers, nicht aus dem Verhalten Dritter folgen. Auf eine sog. Druckkündigung hat sich die Beklagte nicht berufen und die Voraussetzungen hierfür (vgl. nur BAG Urteil vom 19. Juni 1986 – 2 AZR 563/85 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 der Gründe; dazu KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 454, 539 c, m.w.N.) offensichtlich nicht dargelegt.
IV. Die Kündigung ist nicht wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unwirksam. Unabhängig davon, ob und ggf. inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz auf Kündigungen anwendbar ist, fehlt es an einem schlüssigen Vortrag des Klägers. Der bloße Hinweis auf die Beschäftigung von Mitarbeitern, die in vergleichbaren Funktionen bei den Grenztruppen beschäftigt waren, kann angesichts der erforderlichen Einzelfallprüfung nicht genügen. Dementsprechend hat die Beklagte auch abweichende Einzelumstände vorgetragen. Der Kläger ist hierauf nicht mehr eingegangen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Plenge, Hannig
Fundstellen