Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 29. Januar 1993 – 3 (5) Sa 5/92 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Die 1939 geborene Klägerin war seit 1958 im Schuldienst in Leipzig als Unterstufenlehrerin beschäftigt. Von 1977 bis 1981 sowie von 1983 bis 1988 war die Klägerin ehrenamtlicher Parteisekretär an ihrer Schule. Das Amt verlor sie, als sie 1988 auf ihren Antrag an eine andere Oberschule in Leipzig versetzt wurde. Dort war sie zuletzt als Klassenleiterin einer Förderklasse im zweiten Schuljahr eingesetzt.
Mit Schreiben des Oberschulamtes vom 18. Dezember 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. März 1992 wegen fehlender persönlicher Eignung unter Hinweis auf die Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär.
Mit der am 20. Dezember 1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam.
Sie hat vorgetragen, ihre frühere Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär mache sie für den Beruf als Lehrerin nicht persönlich ungeeignet. Zu dem Amt des Parteisekretärs sei sie gedrängt worden, weil sie als ehemalige stellvertretende Direktorin Leitungserfahrungen gehabt habe. Bei der Ausübung ihres Amtes habe sie weder „indoktriniert, denunziert noch bespitzelt”. Seit 1986 habe sie versucht, das Amt des Parteisekretärs wieder abzugeben. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn sie einen Nachfolger als Parteisekretär gefunden hätte, was ihr nicht gelungen sei. Daraufhin habe sie in den Jahren 1986 bis 1987 mehrfach beantragt, an eine andere Schule versetzt zu werden, um die Funktion als ehrenamtlicher Parteisekretär abzugeben. Erst 1988 sei ihrem Versetzungsantrag stattgegeben worden. Diesen habe sie ausschließlich deshalb gestellt, weil sie nicht mehr Parteisekretär habe sein wollen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 1991 nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 31. März 1992 hinaus fortbestehe,
ferner – für den Fall, daß sie mit dem Feststellungsantrag obsiege –, den Beklagten zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die Klägerin sei als langjährige ehrenamtliche Parteisekretärin für eine Weiterbeschäftigung als Lehrerin im öffentlichen Dienst persönlich nicht geeignet. Die Klägerin könne den Schülern die Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht glaubwürdig vermitteln. Die Tätigkeit eines ehrenamtlichen Parteisekretärs sei mit Lenkungs- und Kontrollfunktionen sowie Berichtspflichten verbunden gewesen, die den Parteisekretär derartig in den Aufbau der SED eingliederten, daß seine besondere Identifikation mit den Zielen des SED-Staates erhebliche Zweifel an der persönlichen Eignung begründe.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 1991 nicht zum 31. März 1992 aufgelöst worden ist.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Eine Gesamtbetrachtung lasse nicht erkennen, daß der Klägerin die persönliche Eignung als Lehrerin fehle. Zweifel, daß ein Lehrer in der Lage sei, im Geiste der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu erziehen, ergäben sich erst dann, wenn dem Lehrer eine Teilnahme an konkreten repressiven Maßnahmen vorgeworfen werden könne oder wenn der Lehrer solche (Staats- oder Partei-) Funktionen innegehabt habe, die auf eine aktive Beteiligung am repressiven System des SED-Regimes schließen ließen. Die Funktion des Parteisekretärs dürfe nicht überschätzt werden. Diese sei im Statut der SED nicht einmal genannt. Die Fülle der zu besetzenden Positionen habe es mit sich gebracht, daß nicht jeder Parteisekretär als begeisterter Anhänger der Ziele der SED gelten könne. Zwar sei der Parteisekretär eine Stütze des SED-Regimes gewesen, jedoch auf unterer Ebene. Die anzustellende Prognose, ob die Grundwerte unserer Verfassung glaubwürdig vertreten und vermittelt werden könnten, müsse andere Aspekte der Persönlichkeit des Lehrers mit einbeziehen. Obwohl die Klägerin längere Zeit Parteisekretär gewesen sei, zwinge dies nicht zu der Annahme, sie habe die vom Beklagten genannten politischen Aufgaben erfüllt. Der berufliche Weg der Klägerin spreche nicht für eine Parteikarriere. Die Klägerin habe auf eigene Initiative im Jahre 1988 einen Schulwechsel vollzogen. Allein die Tatsache, daß dieser Schulwechsel nicht mit einem beruflichen Aufstieg verbunden gewesen sei, spreche dafür, daß die Abgabe des Amtes des Parteisekretärs entscheidendes Motiv der Klägerin für den Wechsel gewesen sei.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten jedenfalls im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Kündigung ist unwirksam. Der Beklagte hat nicht dargetan, daß eine mangelnde persönliche Eignung der Klägerin vorliegt.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne dieser Bestimmung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B III 1, 2 der Gründe).
Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Punktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist eine mangelnde persönliche Eignung der Klägerin nach Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht anzunehmen.
a) Die über neun Jahre währende Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär an einer Schule begründet zwar Zweifel im vorstehend dargelegten Sinne. Der Parteiapparat unterhalb der Ebene der SED-Kreisleitung umfaßte auch die ehrenamtlichen Parteisekretäre an Schulen. Sie waren Mitglied der Schulleitung, hatten Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen. Der Parteisekretär kontrollierte und überwachte den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele. Er leitete die Parteiversammlung. Er war verantwortlich für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. Er hatte über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten. Er war damit Repräsentant der staatstragenden Partei SED in der Schule. Wurde dieses wichtige Amt wiederholt ausgeübt, ist die besondere Identifikation des ehrenamtlichen Parteisekretärs mit den zielen des SED-Staates indiziert (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B II 3 a aa der Gründe).
b) Diese Indizwirkung hat die Klägerin jedoch durch schlüssigen, substantiierten Vortrag entkräftet. Sie hat vorgetragen, sie habe sich 1988 nur deshalb an eine andere Schule versetzen lassen, um die Funktion als ehrenamtlicher Parteisekretär abzugeben. Bei einem Lehrer, der sogar einen Schulwechsel anstrebt und erreicht, um das ihm unangenehme Amt des ehrenamtlichen Parteisekretärs abzugeben, kann eine besondere Identifikation mit den Zielen des SED-Staates nicht mehr angenommen werden. Die aus der Wahrnehmung des Parteisekretäramtes sich ergebenden Zweifel an der Verfassungstreue bestehen unter den Umständen einer solchen Amtsniederlegung nicht.
c) Damit war es Sache des Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß die von der Klägerin zur Abgabe des Amtes als Parteisekretär behaupteten Tatsachen nicht zutreffen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit der Klägerin zu schließen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auch dann die Beweislast für das Vorliegen der Kündigungsgründe in vollem Umfang, wenn er sich auf mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers nach Abs. 4 Ziff. 1 EV beruft (vgl. Urteil des Senats vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, und zuletzt Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Dem Arbeitnehmer obliegt es, die wegen Ausübung bestimmter Funktionen in der ehemaligen DDR indizierte Nichteignung durch konkreten nachprüfbaren Vortrag substantiiert zu bestreiten. Macht dies der Arbeitnehmer – wie im Streitfalle die Klägerin –, so hat der Arbeitgeber unter entsprechendem Beweisantritt darzutun, daß eine Ungeeignetheit vorliegt. Der Beklagte hätte zum Beweis, daß die Klägerin den Schulwechsel aus anderen als den von ihr angegebenen Gründen anstrebte, sich auf die von der Klägerin benannten Zeugen oder auf andere Zeugen oder Beweismittel berufen können. Ebenso hätte der Beklagte weitere Tatsachen zur mangelnden persönlichen Eignung in den Prozeß einführen können, die er im Bestreitensfalle ebenfalls hätte beweisen müssen. Da der Beklagte in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats hierzu nichts dargetan hat, ist vom Sachvortrag der Klägerin, der die Tatsachen, die gegen eine persönliche Eignung sprechen, entkräftet hat, auszugehen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Plenge, Hickler
Fundstellen