Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungswiderruf wegen groben Treuebruchs
Normenkette
BetrAVG § 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt. (Main) vom 4. Mai 1988 – 8 Sa 1262/87 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Main) vom 16. Juni 1987 – 2 Ca 506/86 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger will festgestellt haben, daß seine frühere Arbeitgeberin die ihm erteilte Versorgungszusage nicht wirksam widerrufen hat.
Der Kläger, geboren am 25. Juli 1937, trat im Jahre 1959 als Angestellter in die Dienste des Bankhauses Schröder Gebrüder & Co. in Hamburg ein. Im Jahre 1964 wurde ihm Prokura erteilt. Im Jahre 1969 fusionierte das Bankhaus Schröder mit den Bankhäusern Münchmeyer & Co. in Hamburg und Hengst & Co. in Offenbach. Das Bankhaus S. war aufnehmende Gesellschaft. Die neue Gesellschaft firmierte als Bankhaus S., M., H. & Co. KG (SMH-Bank). Im Jahre 1973 wurde dem Kläger Generalvollmacht erteilt. Am 1. Juli 1973 erhielt er eine Versorgungszusage. Am 31. Dezember 1979 schied er aus dem Arbeitsverhältnis aus und wurde mit einer Einlage von 1,1 Mio. DM persönlich haftender Gesellschafter der Beklagten. Weitere persönlich haftende Gesellschafter waren G. v. G., M. und L.. Anläßlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestätigte die Beklagte dem Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft in Höhe von 3.176,– DM monatlich.
Nachdem der Kläger Bankgeschäfte auf eigene Rechnung abgeschlossen hatte, mußte er im Mai 1983 seine Befugnisse innerhalb der Gesellschaft einschränken. Er verpflichtete sich u. a., seine Geschäftsführungsbefugnis nur noch zusammen mit den anderen persönlich haftenden Gesellschaftern auszuüben und sich bei der Ausübung seines Stimmrechts nach der Mehrheit zu richten. Seinen eigenen Kapitalanteil ließ er seither von einem Treuhänder verwalten.
In der Folgezeit geriet die Bank zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Infolge überhöhter, nicht hinreichend gesicherter Kreditvergaben an die sog. E.-Gruppe (I. -AG, W.) stand sie im Herbst 1983 in einer ausweglosen Situation. Eine mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen getroffene Abmachung, überhöhte Kreditverpflichtungen anzuzeigen, wurde nicht eingehalten. Durch Vorlage gefälschter Bilanzen der W. wurden in der Zeit von Mai bis Oktober 1983 die Bank … G. L., die B. L. bank und die B. K. bank M. zur Bereitstellung von Termingeldern veranlaßt. Diesen Banken gingen die Gelder verloren, ihre Verluste betrugen 60 Mio. DM.
Um den Konkurs der SMH-Bank zu vermeiden, wandelten die Refinanzierungsbanken ihre Forderungen in stille Gesellschaftseinlagen um und übernahmen die geschäftliche Verantwortung in der SMH-Bank. Der Kläger übertrug durch notariellen Vertrag vom 29. November 1983 sein gesamtes Vermögen auf den Bundesverband Deutscher Banken e.V. als Treuhänder der Gläubigerbanken. Im Jahre 1984 änderte die Beklagte ihren Namen in die jetzige Firma. Im Jahre 1985 wurde sie aufgelöst. Der Kläger und die übrigen Gesellschafter schieden als Komplementäre aus. Inzwischen befindet sich die Gesellschaft in Liquidation. Der eingetretene Schaden beläuft sich insgesamt auf nahezu 1 Mrd. DM.
Gegen den Kläger und die anderen Gesellschafter der SMH-Bank wurden Strafverfahren eingeleitet. Alle wurden bestraft. Wegen der Machenschaften gegenüber den Refinanzierungsbanken wurde der Kläger durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Januar 1986 wegen Betrugs zum Nachteil dieser Banken zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil wurde rechtskräftig. Der Kläger hat die Strafe verbüßt. Er ist heute mittellos und ohne Arbeit.
Mit Schreiben vom 13. September 1985 widerrief die Beklagte die dem Kläger erteilte Versorgungszusage, weil seine Handlungen zum Untergang der Bank beigetragen hätten. Dies will der Kläger nicht hinnehmen. Mit der Klage wehrt er sich gegen den Widerruf.
Er hat vorgetragen: Gegenüber der Bank habe er sich nicht treuwidrig verhalten. Er habe weder die Bank schädigen wollen noch deren Schädigung billigend in Kauf genommen. Nachdem sich die Bank durch die Kreditgeschäfte mit der E.-Gruppe immer mehr verstrickt habe, sei es sein Anliegen gewesen, die Bank zu retten. Seine strafbaren Handlungen seien der verzweifelte Versuch gewesen, das Schlimmste zu verhüten. Er habe sich auch nie persönlich bereichert, sondern schließlich selbst seine Einlage von 1,1 Mio. DM verloren und sein Privatvermögen zur Schadensbegrenzung zur Verfügung gestellt. Auf die eigentliche Ursache des Zusammenbruchs der Bank, das unseriöse Kreditengagement gegenüber der E.-Gruppe, habe er intern nach der Einschränkung seiner Befugnisse keinen entscheidenden Einfluß gehabt.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß seine Ruhegeldansprüche gegen die Beklagte aus der Versorgungszusage vom 1. Juli 1973 i.d.F. vom November 1979 nicht durch Widerruf der Beklagten erloschen seien.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es sei ihr nicht zuzumuten, den Versorgungsanspruch des Klägers – letztlich zum Teil auf Kosten der Gläubigerbanken – zu erfüllen. Der Kläger habe vorsätzlich die Existenz der Bank aufs Spiel gesetzt. Durch die Betrügereien zum Machteil der Refinanzierungsbanken sei der Schaden erhöht worden, was zu dem Untergang des Bankhauses beige tragen habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat die Versorgungsanwartschaft des Klägers nicht wirksam widerrufen.
I. Dem Kläger stand bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1979 eine Anwartschaft in Höhe von 3.176,– DM monatlich zu. Die Beklagte hat ursprünglich geltend gemacht, diese Anwartschaft sei noch nicht unverfallbar gewesen. Diesen Einwand hat sie nicht aufrechterhalten, nachdem der Kläger darauf hingewiesen hat, daß die Versorgungszusage ca. sechs Jahre bestand und das Arbeitsverhältnis bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ca. 20 Jahre angedauert hatte (§ 1 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BetrAVG). Dies entspricht auch dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 27. Dezember 1979, worin sie dem Kläger eine unverfallbare Anwartschaft bestätigt. Der Höhe nach ist sie nicht bestritten.
II. Die Beklagte konnte die Versorgungsanwartschaft nur dann wirksam widerrufen, wenn der Kläger Pflichtverletzungen begangen hat, die so schwer wiegen, daß seine Berufung auf die Versorgungszusage rechtsmißbräuchlich erscheint (BAG Urteil vom 18. Oktober 1979, BAGE 32, 139 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; und seither ständig). Ob dies zutrifft, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (BAG Urteil vom 11. Mai 1982 – 3 AZR 1239/79 – AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Treuebruch).
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt, der Kläger habe aufgrund kriminellen Handelns die Existenzvernichtung seines ehemaligen Arbeitgebers mitzuverantworten. Er sei auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses verpflichtet gewesen, alles zu unterlassen, womit der Beklagten Schaden zugefügt werden konnte. Gegen diese Pflicht habe der Kläger in grober Weise verstoßen, indem er durch den Betrug von drei Gläubigerbanken die Beklagte in die Lage versetzt habe, für dieses Handeln einstehen zu müssen. Ein solcher Betrug zum Nachteil Dritter verstoße zugleich gegen die wohlverstandenen Interessen des eigenen Unternehmens. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, nur zur Existenzsicherung seiner Bank gehandelt zu haben. Er habe das Unternehmen haftungsrechtlichen Konsequenzen und einer existenzbedrohenden Rufgefährdung ausgesetzt. Schließlich habe der Kläger auch im Eigeninteresse gehandelt, da er mit 1,1 Mio. DM an der Beklagten beteiligt gewesen sei.
2. Die Erwägungen des Berufungsgerichts verdienen im Ausgangspunkt Zustimmung, jedoch kann seinen Schlußfolgerungen nicht gefolgt werden. Der unstreitige Sachverhalt und die Behauptungen der Beklagten rechtfertigen nicht die Annahme, die Berufung des Klägers auf die ihm erteilte Versorgungszusage sei rechtsmißbräuchlich.
a) Richtig ist, daß ein aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedener Arbeitnehmer noch Treuepflichten gegenüber seinem früheren Arbeitgeber haben kann (vgl. die Nachweise bei Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., S. 508). Verstöße können aber die Verweigerung von Versorgungsleistungen nur dann rechtfertigen, wenn sie so schwer wiegen, daß die Berufung des Arbeitnehmers auf die Versorgungszusage rechtsmißbräuchlich erscheint (BAGE 32, 139 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; BAG Urteil vom 19. Juni 1980 – 3 AZR 137/79 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Treuebruch; und seither ständig). Die Verfehlung muß nach den Umständen des Einzelfalles so schwer wiegen, daß sich die vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebstreue rückblickend als wertlos erweist (BAGE 32, 139, 147 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu III 1 b der Gründe; BAGE 41, 338, 343 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG, zu II der Gründe), etwa weil der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber durch einen ruinösen Wettbewerb einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zugefügt hat (BGH Urteil vom 22. Juni 1981 – II ZR 146/80 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Treuebruch) oder der Arbeitnehmer die Unverfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft nur durch Vertuschung schwerer Verfehlungen erschlichen hat (BAGE 41, 338 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Treuebruch).
b) Der vorliegende Fall ist durch Besonderheiten gekennzeichnet, die das Berufungsgericht nicht genügend berücksichtigt hat: Der Kläger war zunächst ca. 20 Jahre lang Arbeitnehmer der Beklagten und einer ihrer Rechtsvorgängerinnen. Das Arbeitsverhältnis verlief beanstandungsfrei. Der berufliche Aufstieg des Klägers zeigt darüber hinaus, daß seine Tätigkeit als außerordentlich erfolgreich beurteilt wurde. Aus dieser Tätigkeit resultiert auch seine unverfallbare Versorgungsanwartschaft. Die ihr zugrunde liegende vom Kläger erbrachte Betriebstreue kann nicht nachträglich als wertlos angesehen werden.
Die Verfehlungen, die dem Kläger zur Last gelegt werden, fallen in einen anderen Zeitabschnitt. Erst nachdem der Kläger bereits nahezu vier Jahre aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und als persönlich haftender Gesellschafter in die Geschäftsleitung der Bank aufgestiegen war, verstrickte er sich in eine unseriöse Geschäftspolitik bis hin zu strafbaren Handlungen. Erst nachdem der Kläger selbst in die Funktion des Arbeitgebers eingerückt war, traf die Bank geschäftliche Fehldispositionen, die zu ihrem Niedergang und schließlich auch zu den betrügerischen Machenschaften gegenüber den Refinanzierungsbanken führten.
Es erscheint zweifelhaft, ob, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die gegen die Refinanzierungsbanken gerichteten Betrügereien der Beklagten zusätzlichen materiellen Schaden zugefügt und den Untergang der Bank beschleunigt haben. Nähere Feststellungen sind dazu nicht getroffen. Entscheidend ist das aber nicht. Für die Beurteilung der Frage, ob die Berufung des Klägers auf die Versorgungszusage als rechtsmißbräuchlich zu bewerten ist, muß es darauf ankommen, daß die Geschäftsleitung der Beklagten insgesamt sowohl das zunehmende Kreditengagement in der E.-Gruppe als auch den Versuch, liquide Mittel auf unlautere Weise zu beschaffen, gebilligt und dabei mitgewirkt hat. Daß der Kläger jemals bestimmenden Einfluß in der Bank gehabt hätte, ist nicht behauptet worden. Noch dazu beging der Kläger die vom Berufungsgericht besonders herausgestellten Betrugsfälle zu einem Zeitpunkt, als er nach interner Beschränkung seiner Geschäftsführungsbefugnisse nicht mehr selbständig Entscheidungen treffen konnte. Nunmehr, erst nach dem Zusammenbruch der Bank, nimmt die neue Geschäftsleitung das von der früheren Geschäftsleitung gebilligte Verhalten des Klägers zum Anlaß, dem Kläger die redlich erdienten Versorgungsrechte zu verweigern. Derselbe Arbeitgeber, auch wenn es sich um eine juristische Person mit auswechselbarer Geschäftsleitung handelt, kann nicht zunächst eine riskante Geschäftspolitik bis hin zu strafbaren Handlungen billigen oder auch nur hinnehmen, um aus demselben Verhalten im Nachhinein das Recht abzuleiten, einem der Beteiligten, der nicht einmal bestimmenden Einfluß hatte, eine Versorgung zu verweigern.
c) Der Hinweis des Berufungsgerichts auf den eigenen Geschäftsanteil des Klägers in Höhe von 1,1 Mio. DM und die hierauf gestützte Annahme, der Kläger habe auch eigennützig gehandelt, rechtfertigt den Versorgungswiderruf ebenfalls nicht. Das persönliche Schicksal des Klägers war, seit er 1980 Mitgesellschafter wurde, untrennbar mit dem der Bank verbunden. Insofern bestand zwischen dem Kläger und der Beklagten Interessenidentität. Daß Versuche zur Rettung der Bank auch dem Kläger zugute kommen sollten und im Falle des Erfolgs auch zugute gekommen wären, macht seine als Arbeitnehmer in der Vergangenheit geleistete Betriebstreue nicht deshalb wertlos, weil er sich bei seinen Rettungsversuchen unlauterer Mittel bediente.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Dr. Hoppe, Zilius
Fundstellen
Haufe-Index 951830 |
ZIP 1990, 1615 |